Autozulieferer ZF baut 15.000 Stellen ab

Der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen will bis zu 15.000 Stellen streichen. Rund die Hälfte davon soll in Deutschland wegfallen. Das kündigte der ZF-Vorstandsvorsitzende Wolf-Henning Scheider am Donnerstag in einem internen Schreiben an die Belegschaft an.

1915 als „Zahnradfabrik“ in Friedrichshafen am Bodensee gegründet, ist ZF heute der weltweit fünftgrößte Autozulieferer und international führend auf dem Gebiet der Antriebs- und Fahrwerkstechnik. Vorstandschef Scheider schreibt nun in seinem Brief: „Aus heutiger Sicht müssen wir bis 2025 weltweit unsere Kapazitäten anpassen und 12.000 bis 15.000 Arbeitsplätze abbauen, davon etwa die Hälfte in Deutschland.“

Anfang des Jahres beschäftigte ZF weltweit knapp 148.000 Menschen, davon fast 51.000 in Deutschland. Scheider begründet die Pläne für den Personalabbau mit den Umsatzeinbrüchen aufgrund der Coronakrise. „Als Folge des Nachfragestopps auf Kundenseite wird unser Unternehmen 2020 hohe finanzielle Verluste machen“, schreibt er der Belegschaft.

Tatsächlich nutzt ZF die Coronakrise, um die Konzentration und Umstrukturierung der internationalen Autoindustrie voranzutreiben, die seit längerem im Gange ist. ZF spielt dabei eine führende Rolle und hat die volle Unterstützung von IG Metall und Betriebsrat.

Peter Kippes, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt und Mitglied des ZF-Aufsichtsrats, behauptete zwar, eine solche Ankündigung sei nicht zu erwarten gewesen. Doch überrascht schien er nicht zu sein. Lediglich der „Zeitpunkt für solche Vorhaben“ sei „mehr als unpassend“, bemängelte er. Es komme jetzt darauf an, bei den Beschäftigten Vertrauen in das Unternehmen zu sichern.

Der Vorsitzende des ZF-Gesamtbetriebsrats Achim Dietrich, auch er Mitglied des Aufsichtsrats, gab sich überrascht, „genauso wie die Belegschaft“. Er und seine Betriebsratskollegen seien vom Vorstand erst am Mittwoch über die Pläne informiert worden, behauptete er. Der Vorstand habe von einem Umsatzeinbruch von 25 Prozent über das Gesamtjahr berichtet. „Das sind 8 Milliarden Euro“, so Dietrich. Während die Geschäfte in den ersten drei Monaten des Jahres noch gut liefen, sei der April „grottenschlecht gewesen“.

Bereits im letzten Jahr waren die Umsätze des Autozulieferers leicht von 36,9 auf 36,5 Milliarden Euro und der Gewinn nach Steuern von 904 auf 350 Millionen Euro gefallen. Scheider hatte dies vor einigen Wochen unter anderem mit den Auswirkungen des Brexit, der Zollstreitigkeiten zwischen den USA und China sowie einem schwächeren Wachstum in China begründet.

Weit gewichtiger dürfte aber die Übernahme anderer internationaler Zulieferer gewesen sein, für die ZF Kredite in Milliardenhöhe aufgenommen hat. So kaufte ZF 2015 für 12,4 Milliarden Dollar den ursprünglich amerikanischen Autozulieferer TRW. 2019 verhängte die Europäische Kommission Geldbußen in Höhe von fast 190 Millionen Euro gegen TRW, weil die ZF-Tochter mit dem schwedischen Unternehmen Autoliv und dem japanischen Konzern Takata illegale Marktabsprachen getroffen hatte.

Am Freitag gab ZF die endgültige Übernahme des belgisch-amerikanischen Bremsenherstellers Wabco bekannt, die vor einem Jahr für 7 Milliarden Dollar vereinbart worden war. Trotz der am Vortag verkündeten Massenentlassungen ließ es sich der ZF-Betriebsrat nicht nehmen, die Übernahme in einer Stellungnahme zu begrüßen. „Die Übernahme von Wabco durch ZF ist für uns alle eine riesige Chance,“ jubelte Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich.

Dabei forcieren diese Übernahmen und die dafür aufgenommenen Kredite den Arbeitsplatzabbau. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung macht sich der Vorstand Sorgen, „dass die Banken und andere Gläubiger die Kredite kündigen, die ZF Friedrichshafen für die milliardenteuren Zukäufe von TRW und Wabco in den vergangenen Jahren aufgenommen hat“.

Solche Übernahmekredite, so die FAZ, seien in der Regel an die Erfüllung bestimmter Kennzahlen – meist des operativen Gewinns – geknüpft. Das bedrohe die finanzielle Unabhängigkeit von ZF, zitiert die Zeitung den Vorstandschef: „Wenn wir bestimmte Kennzahlen verfehlen, könnten externe Kreditgeber Einfluss auf unsere Geschäftsentscheidungen fordern. Wir möchten das verhindern und weiterhin unabhängig den ZF-Weg gehen.“

Der „ZF-Weg“ des Vorstands hat die volle Unterstützung des Betriebsrats und der IG Metall. Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie hatten die Betriebsräte Kurzarbeit und Lohnkürzungen zugestimmt und Teile von Produktion und Verwaltung heruntergefahren.

Doch das reicht ZF-Chef Scheider Scheider bei weitem nicht. „Denn die Krise wird länger dauern“, schreibt er. „Kurzfristig wird das Unternehmen zusätzliche Beiträge aus dem Kreis der Mitarbeiter brauchen, um das Jahr 2020 zu bewältigen.“ Selbst 2022 läge man beim Umsatz spürbar unter den bisherigen Planungen. Die Details wolle der Vorstand in den nächsten Wochen mit dem Betriebsrat erarbeiten.

Die aktuellen Regelungen zur Kurzarbeit gelten bis Ende Juni. Bis spätestens August sollen dann die konkreten Abbau-Pläne beschlossen werden. Die derzeit geltende Beschäftigungsgarantie bis Ende 2021 will ZF „offenbar an einigen Standorten nachverhandeln“, schreibt der Bayerische Rundfunk auf seiner Website. „Dabei gehe es auch um Sonderzahlungen sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld.“

Es zeichnet sich bereits ab, dass in diesen Verhandlungen die einzelnen Standorte gegeneinander ausgespielt werden. So hatten Betriebsrat und Standortleitung in Schweinfurt, wo derzeit knapp 8500 Menschen bei ZF arbeiten, erst im Dezember letzten Jahres eine Beschäftigungsgarantie für alle festangestellten Beschäftigten bis Ende 2025 unterzeichnet.

Nun gibt sich der Schweinfurter Betriebsratsvorsitzende Oliver Moll, der auch im Aufsichtsrat sitzt, gelassen: „Ich glaube, wir sind am Standort Schweinfurt gut aufgestellt.“ Mit dem im Dezember geschlossenen Vertrag habe man auch in Sachen Produktsicherung einen „ganz guten Schutz“. Moll hat schon am letzten Freitag Gespräche mit der örtlichen Geschäftsleitung begonnen.

In Saarbrücken, wo ZF mit rund 9000 Beschäftigten Achtgang-Automatik-Getriebe fertigt, erklärte Betriebsratschef Mario Kläs am Donnerstag: „Im Vordergrund steht für uns, jeden Arbeitsplatz in Saarbrücken zu sichern.“

Aufgrund dieser Standortkonkurrenz der Betriebsräte bereitet der Betriebsrat des Nürnberger Werks die dortige Belegschaft auf das Schlimmste vor. ZF hatte das ehemalige Werk der Firma Honsel, in dem 1000 Stammbeschäftigte und 200 Leiharbeiter vor allem Getriebegehäuse gießen, im Jahr 2011 übernommen, nachdem Honsel ein Jahr zuvor Insolvenz angemeldet hatte. Die Arbeiter hatten schon damals auf Teile des Gehalts verzichtet. Bereits vor der Corona-Krise hatte ZF dann für das Werk Kurzarbeit angemeldet.

Der Nürnberger IGM-Sekretär Roland Wehrer bezeichnet die Lage des Standorts Nürnberg als ernst. Etliche Jobs seien in Gefahr, denn die ZF-Firmenleitung habe bereits vor einiger Zeit argumentiert, der Kostendruck sei zu groß. Es werde schwierig, am Standort Nürnberg kostendeckend zu arbeiten. Daher habe ZF Nürnberg für den Stellenabbau ins Auge gefasst.

Die IG Metall unterstützt den Stellenabbau, selbst wenn sie dies nicht offen zugibt. Sie ordnet den Erhalt der Arbeitsplätze den Profiten und der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens im globalen Konkurrenzkampf unter. Das erfordert immer weitere Einschnitte bei den Personalkosten durch Lohnsenkungen, Steigerung der Arbeitshetze und Entlassungen.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte arbeiten in enger Abstimmung mit den Konzernvorständen die Pläne aus, mit denen die Kürzungen durchgesetzt, die Belegschaften gespalten und jeder Widerstand unterdrückt wird. Arbeiter, die ernsthaft ihre Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen verteidigen wollen, müssen sich unabhängig von der Gewerkschaft und ihren Betriebsräten organisieren.

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