Zu den Anhörungen im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange

Der inhaftierte WikiLeaks-Verleger Julian Assange war am Montag, dem 1. Juni, erneut Gegenstand einer administrativen Anhörung vor dem Bezirksgericht Westminster in London.

Da er Untersuchungshäftling und wegen keines Verbrechens verurteilt ist, sind die britischen Behörden gesetzlich verpflichtet, Assange alle 30 Tage einem Gericht vorzustellen. Solche Haftprüfungstermine sollen das Wohlergehen des Gefangenen, die regelrechten Haftbedingungen und den Fortgang seines Falls prüfen.

Inmitten der Coronavirus-Pandemie, der tiefsten Krise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, und unter Bedingungen der jahrelangen Verfolgung von Seiten des Staats erfüllen die Termine nicht einmal diese kosmetische Funktion.

Der Herausgeber von WikiLeaks kann an diesen Anhörungen nicht teilnehmen. Um dies zu tun, müsste er das Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh durchqueren und in einen Videokonferenzraum gelangen, den auch Dutzende andere Gefangene benutzen, was sein Risiko, sich mit Covid-19 zu infizieren, stark erhöhen würde.

Julian Assange vor einem Jahr im Belmarsh-Gefängnis

Assange kann sich aufgrund der Gesundheitskrise nicht persönlich mit seinen Anwälten treffen. Stattdessen ist er auf Telefonate angewiesen, die unter übelsten Bedingungen stattfinden. Am 24. Mai twitterte Aitor Martinez, Assanges spanischer Anwalt, ein Protokoll der Anrufe, die der WikiLeaks-Gründer versucht hatte, mit ihm zu führen. Aufgrund technischer Probleme war in Belmarsh innerhalb von 24 Stunden nur einer von zehn Anrufsversuchen erfolgreich. Anrufe, die durchkommen, sind auf zehn Minuten begrenzt.

Martinez schrieb: „Dies ist seine alltägliche Realität. Im September drohen ihm 175 Jahre Gefängnis. Recht auf Verteidigung? Ein fairer Prozess?“ Der Anwalt bezog sich auf die September-Anhörungen zur Auslieferung von Assange an die USA, wo ihm 18 Anklagepunkte, darunter 17 nach dem Spionagegesetz, zur Last gelegt werden. Der wahre Grund ist, dass er amerikanische Kriegsverbrechen und weltweite diplomatische Intrigen aufgedeckt hat.

Auch die Medien sind effektiv von den Anhörungen ausgeschlossen. Aufgrund sozialer Distanzierungsmaßnahmen können Journalisten nicht persönlich teilnehmen, erhalten aber eine Einwahlnummer, die es ihnen ermöglichen soll, zuzuhören.

Bei der Anhörung vom 4. Mai hörten die Life-Berichterstatter nur Wartemusik – angeblich, weil der Gerichtsschreiber vergessen hatte, die Stummschaltung der Gerichtsleitung aufzuheben. Die Anhörung davor war weitgehend unverständlich.

Dies ist Ausdruck davon, dass Assanges demokratische Rechte mit Füßen getreten werden. Alle seine Auftritte vor Gericht, einschließlich der ersten Woche der Auslieferungsanhörung im Februar, hatten den Charakter eines gesetzlosen Schauprozesses, der alle grundlegenden Rechtsnormen verletzt.

Der eklatanteste Angriff auf den WikiLeaks-Gründer ist die Weigerung, ihn gegen Kaution freizulassen, obwohl das Coronavirus im gesamten britischen Gefängnissystem und auch in Belmarsh wütet. Im März entschied Richterin Vanessa Baraitser: „Die globale Pandemie ist kein Grund, Herrn Assange freizulassen.“

Sie fällte ihr kaltes Urteil trotz der Warnungen führender Ärzte und Gesundheitsexperten. Assanges Leben ist akut in Gefahr, wenn er sich mit Covid-19 infiziert. Der WikiLeaks-Gründer hat eine Reihe medizinischer Probleme, die aus fast zehn Jahren willkürlicher Inhaftierung herrühren, darunter eine chronische Lungenerkrankung, die ihn besonders anfällig macht.

Im April schloss sich die britische Regierung dem Urteil Baraitsers an und erklärte, Assange gehöre nicht zu den 4.000 Gefangenen, deren Haftzeit bald abläuft und die wegen des Corona-Ausbruchs in den Gefängnissen freigelassen wurden. Assanges Ausschluss aus diesem Programm wurde mit der Orwell‘schen Begründung gerechtfertigt, er „verbüßt ja keine Freiheitsstrafe“, sondern befinde sich in Untersuchungshaft.

Das Ausmaß der Gefahr hat sich am vergangenen Donnerstag erneut an den Zahlen gezeigt, die das Justizministerium veröffentlicht, denen zufolge die bestätigten Infektionen unter den Gefangenen in nur 24 Stunden um 1,5 Prozent und beim Gefängnispersonals um 1 Prozent anstiegen. Den offiziellen Zahlen zufolge haben sich 459 Gefangene in 77 Gefängnissen in England und Wales mit dem Virus angesteckt, und 907 Mitarbeiter wurden infiziert.

Seit Beginn der Krise sind 22 Häftlinge an Covid-19 gestorben, wie auch neun Gefängniswärter. Mindestens ein Todesfall wurde aus Belmarsh berichtet. Ende März waren 150 Wärter des Gefängnisses nicht zur Arbeit erschienen, weil sie krank waren oder sich selbst isolierten.

Assanges Familie warnt eindringlich, dass seine Isolation seine psychische Gesundheit weiter beeinträchtigt. Im vergangenen Mai stellte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, fest, dass Assange als Folge seiner Verfolgung durch die Regierungen medizinisch nachweisbare Symptome von psychischer Folter aufweist.

Am 21. Mai schrieb Stella Morris, Assanges Verlobte, auf Twitter: „Covid macht die Einzelhaft nicht akzeptabel. Julian wird seit über acht Wochen ohne Besuche für +23 Stunden/Tag in einer Einzelzelle gehalten. Er wird durch Suizid sterben, wenn nicht durch das Virus. Längere Einzelhaft ist Folter.“ Morris‘ und Assanges Anwälte hatten schon davor gewarnt, dass Suizid für ihn eine akute Bedrohung darstelle.

Für Assanges schreckliche Notlage sind mehrere politische Kräfte verantwortlich. Zu ihnen gehören die Demokratische und die Republikanische Partei in den Vereinigten Staaten, die an der Spitze des Versuchs stehen, ihn aufgrund der rechtmäßigen Veröffentlichungstätigkeit von WikiLeaks physisch und psychisch zu zerstören.

In Großbritannien unterstützt die Labour Party, die in der Opposition ist, die Abschaffung von Assanges Rechten durch die konservative Regierung. Der ehemalige Labour-Führer Jeremy Corbyn weigerte sich, die Kampagne zur Verteidigung des WikiLeaks-Gründers zu unterstützen. Sein Nachfolger, Sir Keir Starmer, befürwortet ausdrücklich die fortdauernde Inhaftierung von Assange und den Versuch, ihn an die USA auszuliefern. Er hat dies als Beispiel eines „ordnungsgemäßen Verfahrens“ und der „Rechtsstaatlichkeit“ dargestellt.

Das gesamte politische Establishment Australiens ist mitschuldig. Es hat Assange im Stich gelassen, obwohl er australischer Staatsbürger und Journalist ist.

Seit Beginn der Pandemie hat kein hochrangiges Mitglied der liberal-nationalen australischen Regierung oder der australischen Labor Party-Opposition den WikiLeaks-Gründer auch nur erwähnt. Dies steht im Einklang mit ihrer uneingeschränkten Loyalität für den US-Imperialismus. Sie unterstützen dessen Kriege und Provokationen und sogar das Schüren von Spannungen mit China, und deshalb kollaborieren sie auch bei den Angriffen auf Assange.

Das Schweigen erstreckt sich auch auf die Grünen, die praktisch stillschweigen, ebenso wie die Gewerkschaften, einschließlich der Media, Entertainment and Arts Alliance, der Assange selbst angehört.

Ihre politische Haltung unterstreicht die Tatsache, dass die Verteidigung von Assange die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse erfordert, als Teil eines umfassenderen Kampfs gegen Krieg und zur Verteidigung der demokratischen Rechte.

Dieselben Regierungen, die mit ihrer Wirtschafts-orientierten Reaktion auf das Coronavirus das Leben von Millionen Menschen gefährden, wollen Assange für immer zum Schweigen bringen. Damit soll ein Präzedenzfall für die Unterdrückung der Pressefreiheit und die Kriminalisierung der sozialen und politischen Opposition geschaffen werden.

Arbeiter und junge Menschen, die jetzt mutig den Kampf gegen die Regierungen aufnehmen, die den WikiLeaks-Gründer verfolgen –zum Beispiel in den USA bei den explosiven Protesten gegen den Polizeimord an George Floyd – müssen die Forderung nach Assanges Freiheit aufnehmen.

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