Wie in anderen Industriebranchen legt das Coronavirus auch in der Luftfahrtindustrie die wahren Machtverhältnisse der Gesellschaft offen. Kaum hat sich der Lufthansa-Konzern, der in den letzten fünf Jahren einen Reingewinn von 9,2 Mrd. Euro eingefahren hat, mit der Bundesregierung über ein Rettungspaket geeinigt, wird deutlich, wer die Kosten zu tragen hat: Branchenkenner erwarten, dass die Lufthansa mindestens 20.000 Arbeitsplätze streicht.
Nachdem der Aufsichtsrat des Unternehmens das Rettungspaket mit den Stimmen der Gewerkschaftsvertreter angenommen hat, fehlt nur noch das Votum der Aktionäre, die sich am 25. Juni zur außerordentlichen Hauptversammlung treffen.
Nach den bisher vorliegenden Informationen wird der Staat über das Corona-Notpaket der Bundesregierung im Zuge einer Kapitalerhöhung zwanzig Prozent der Lufthansa-Aktien übernehmen. Dazu kommt eine stille Einlage in Höhe von 4,7 Milliarden Euro plus einer weiteren Milliarde, die in Aktien umgewandelt werden kann, falls dem Konzern eine „feindliche Übernahme“ durch einen Konkurrenten droht. Der Bund könnte dies dann mit einer Sperrminorität verhindern. Weitere drei Milliarden Euro werden in Form eines Kredits durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bereitgestellt.
Das Neun-Milliarden-Paket soll den durch die Corona-Krise angeschlagenen Luftfahrtkonzern nicht nur am Leben erhalten. Es soll ihn in die Lage versetzen, seine Stellung im internationalen Luftverkehr, der derzeit weitgehend am Boden liegt, auf Kosten seiner Rivalen auszubauen.
Wie Lufthansachef Karsten Spohr gegenüber Börsenanalytikern und der Presse betonte, wäre der Konzern auch mit einem geringeren Rettungspaket über die Runden gekommen. Es gehe aber darum, „weiterhin zu den global führenden Airlines gehören zu können“, wie die NZZ ihn zitierte.
In einer Presseerklärung macht der Konzern deutlich, dass er die Corona-Pandemie benutzt, um das lang verfolgte Ziel eines globalen Champions der Luftfahrt weiter auszubauen. Dass dies auf dem Rücken der Belegschaft der Konkurrenz und der eigenen Belegschaft geschieht, weiß jeder, der die brutale Ausschlachtung der kriselnden Fluglinie Air Berlin durch die Lufthansa in Zusammenarbeit mit Bundesregierung und Gewerkschaft erlebt hat.
Die Europäische Kommission unterstützt den rücksichtlosen Konzentrationsprozess, der durch die Corona-Krise nicht ausgelöst, sondern lediglich beschleunigt wurde. Die Bedingungen, die sie an die Genehmigung des Rettungspakets der Bundesregierung gebunden hat, sind rein symbolischer Natur. Die Lufthansa muss acht Flugzeuge mit ihren 24 Start- und Landerechten (Slots) in München und Frankfurt an den Wettbewerb abtreten. Das ist für sie kein großes Problem, denn angesichts des dramatisch eingebrochenen Flugverkehrs seien diese Slots ohnehin verfügbar, schreibt das Handelsblatt.
So sehen es auch die Aktionäre. Der Kurs der Lufthansa-Aktie ist innerhalb der letzten zehn Tage um 25 Prozent gestiegen.
Lufthansa-Chef Spohr stimmt die Belegschaft inzwischen auf den bevorstehenden Arbeitsplatzabbau ein. Er verwies auf den hohen Verlust des Konzerns im ersten Quartal 2020 in der Höhe von 2,1 Mrd. Euro, der sich durch den über 90-prozentigen Rückgang der Flüge seit April noch vergrößern werde, und setzte Vorgaben für die Gespräche mit den Gewerkschaften.
Derzeit sind etwa 700 der insgesamt 763 Flugzeuge des Konzerns stillgelegt, 87.000 der insgesamt 135.000 Beschäftigten befinden sich in Kurzarbeit. Auch im kommenden Jahr würden noch 300 Maschinen geparkt, im Jahr 2022 noch 200 und auch danach würden etwa 100 Flugzeuge weniger benötigt. Legt man das in der Branche übliche Maß von 220 Beschäftigten pro Flugzeug zugrunde, wird die Belegschaft um mehr als 20.000 Stellen schrumpfen.
Bei den Tochtergesellschaften zeigt sich schon, wohin die Reise geht: Bei Brussels Airlines, die schon unter einem Restrukturierungsprogramm leidet, ist eine Reduzierung der Flugzeuge um 30 Prozent sowie eine Verkleinerung der Belegschaft um 25 Prozent geplant. Bei Austrian Airlines sollen Flotte und Personal um jeweils 20 Prozent reduziert werden. Auch bei den Tochterunternehmen Edelweiss (Schweiz), Eurowings und den Service-Unternehmen LH-Technik und Catering (LSG) sind starke Kürzungen, bzw. Teilverkäufe geplant.
Die Gewerkschaften Verdi (Bodenpersonal), Vereinigung Cockpit (Piloten) und UFO (Flugbegleiter) stehen voll hinter diesem Kurs. Sie hatten in einer Petition an die Bundesregierung für das milliardenschwere Hilfspaket geworben und dies explizit damit begründet, den „Luftfahrtstandort Deutschland“ zu sichern.
Sie appellieren zwar auch immer wieder an die Bundesregierung, „nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Lufthansa, sondern auch die Arbeitsplätze der rund 140.000 Beschäftigten“ zu sichern, wie es Verdi-Vorstandsmitglied Christine Behle formulierte, die auch stellvertretende Vorsitzende des Lufthansa-Aufsichtsrats ist. Doch das ist reine Augenwischerei.
Behle verband ihren Aufruf mit der Forderung, „den Lufthansa-Konzern zukunftssicher und konkurrenzfähig aufzustellen“. Die Gewerkschaft steht voll hinter dem Programm, die Lufthansa als Privatunternehmen gegen Konkurrenten zu stärken und zu verteidigen. Sie wird wie bisher dem Stellenabbau zustimmen. Behle versicherte, dass „die stete und nachhaltige Sicherung der Lufthansa für Verdi oberste Priorität” habe,
Mit Klagen über Wettbewerber, die „soziale und ökologische Standards“ nicht befolgten, forderte Mira Neumaier, die Bundesfachgruppenleiterin Luftverkehr von Verdi, dass „Fluggesellschaften aus Drittstaaten kritisch auf den Prüfstand gestellt werden“, und unterschlug dabei, wie miserabel Flugbegleiter und Bodenbedienstete der Flughäfen auch hier im Lande behandelt werden. „Es könne nicht sein, dass der europäische Luftverkehr dem Ausverkauf an Drittstaaten ausgeliefert werde“, heißt es auf der Verdi-Webseite. Das ist ein Aufruf, statt Lufthansa deren Konkurrenten in den Bankrott zu treiben.
Verdi weiß natürlich, dass harte Einschnitte beim Personal nötig sind, um Lufthansa auf dem hart umkämpften Luftfahrtmarkt „konkurrenzfähig aufzustellen“, und wird das – wie schon in der Vergangenheit – auch in Zukunft unterstützen. Deshalb appelliert die Gewerkschaft auch an die Bundesregierung, die Arbeitsplätze zu sichern, von der jeder weiß, dass sie es nicht tun wird.
Weder Verdi noch die anderen Gewerkschaften haben die Absicht, für die Verteidigung der Arbeitsplätze zu kämpfen. Das würde eine konzern- und länderübergreifende Mobilisierung aller Beschäftigen und ein sozialistisches Programm erfordern, das die Luftfahrtunternehmen enteignet und in öffentliche Einrichtungen verwandelt, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht den Profiten der Aktionäre dienen. Beides lehnen die Gewerkschaften strikt ab.
Auch VC-Präsident Markus Wahl hat bereits seine Bereitschaft bekundet, beim Arbeitsplatzabbau konstruktiv mitzuwirken. „Für die Lufthansa ist der eingeschlagene Weg alternativlos“, erklärte er der Presse. Die Einigung sei ein „tragbarer Kompromiss“, die Aktionäre sollten den Beschlüssen von Vorstand und Aufsichtsrat zustimmen.
Es gibt bereits Überlegungen, wie durch Vorruhestand, Teilzeit oder Wechsel zu anderen Airlines eine Rebellion der Crews verhindert werden kann. Die Vereinigung Cockpit hat laut Bayrischem Rundfunk sogar angeboten, in zwei Jahren auf Einkommen in Höhe von bis zu 45 Prozent zu verzichten.
UFO klagte in einem Brief an ihre Mitglieder, dem Management seien „argumentativ alle Türen geöffnet, um in Öffentlichkeit und Politik für Verständnis zu werben, weshalb nun harte Einschnitte nötig sind“ – und erklärte ihre Bereitschaft, beim Abbau der Arbeitsplätze mitzuwirken.
„Doch davon dürfen wir uns nicht erschrecken lassen“, heißt es in dem Schreiben. „Es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen einige tausende Arbeitsplätze abgebaut wurden, ohne auch nur eine einzige Kündigung auszusprechen. Siemens und Opel sind nur zwei davon… Bevor UFO und Lufthansa in einen massiven Konflikt miteinander geraten sind, war die Kabine stets willens und in der Lage, Veränderungen mitzugestalten.“
Das Programm der Bundesregierung wird von sämtlichen Bundestagsparteien unterstützt. Die SPD-Spitze fordert die „enge Einbindung von Betriebsräten und Gewerkschaften im Fall von Neustrukturierungen“. Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Die Grünen) sagte der Presse: „Die Lufthansa der Zukunft wird anders sein. Sie wird schrumpfen müssen, und das wird auch Arbeitsplätze kosten.“ Die Linke schlug die Gründung eines „Mobilitätskonzerns“ in Staatsbesitz aus Deutscher Bahn und Lufthansa vor. Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger meinte, dass dadurch „weitere Synergiepotentiale gehoben werden können“.