Wachsende Wut unter US-Arbeitern über Ausbreitung von Covid-19 in den Betrieben

Produktionsanlagen, Lagerhäuser und andere große Arbeitsstätten in den USA gehören weiterhin zu den Hotspots für die Ausbreitung von Covid-19. In vielen Teilen des Landes steigt die Zahl der Infektionen und Krankenhauseinweisungen stark an. Die Trump-Regierung, staatliche und lokale Behörden haben bei ihren rücksichtslosen Bestrebungen, die Wirtschaft und damit den Fluss der Unternehmensprofite wieder in Gang zu bringen, alle öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus eingestellt.

Der Kurs der US-Konzerne auf eine vorschnelle Rückkehr an die Arbeit stößt in der amerikanischen Arbeiterklasse auf Wut und Ablehnung. Diese kommen mit der Empörung über den Polizeimord an George Floyd zusammen, über Massenarbeitslosigkeit und wirtschaftliche Unsicherheit sowie die Forderungen der Konzerne (von denen viele bereits Rettungsgelder vom Staat erhalten haben) nach Kürzungen bei Löhnen und Sozialleistungen. In den letzten Tagen haben sich Beschäftigte des Gesundheitswesens an den Demonstrationen beteiligt und verletzte Demonstranten versorgt. Daneben haben sich die Beschäftigten der öffentlichen Verkehrsbetriebe in New York (von denen 150 an Covid-19 gestorben sind) und anderen Städten geweigert, Polizisten und verhaftete Demonstranten zu befördern.

Die Streiks, Arbeitskämpfe und andere Protestaktionen von Arbeitern in den USA sind Teil einer wachsenden internationalen Welle von Kämpfen. Dazu gehören auch die Proteste deutscher Schlachthofarbeiter, der polnischen Bergleute im schlesischen Kohlerevier (auf die zehn Prozent der Corona-Fälle in Polen entfallen), der Beschäftigten des Reifenherstellers Bridgestone in Brasilien und die Streiks von Arbeitern in Panama gegen die Wiederöffnung der Wirtschaft.

Arbeiter eines Schlacht- und Verarbeitungsbetriebs (Wikipedia Commons)

Fleischverarbeitung

In Logan (Utah) demonstrierten am Mittwochnachmittag Hunderte von Beschäftigten eines Fleischverarbeitungsbetriebs des brasilianischen Konglomerats JBS für dessen Schließung. Sie fordern außerdem Lohnfortzahlung für die Zeit der Stilllegung.

Am 30. Mai wurden mindestens 287 Beschäftigte der Einrichtung, d.h. mehr als ein Fünftel der Belegschaft, positiv auf das Virus getestet. Laut der Salt Lake Tribune handelt es sich dabei um den wohl größten einzelnen Ausbruch im Bundesstaat.

Fleischverarbeitungsbetriebe, in denen extrem ausgebeutete Arbeiter in oftmals unhygienischen Produktionsstraßen arbeiten und dabei keine Rücksicht auf soziale Distanzierung nehmen können, sind als Ausbreitungsorte für das Virus bekannt – von den großen Industriezentren bis in die dünner besiedelten ländlichen Gebiete. Laut dem Midwest Center for Investigative Reporting stehen mehr als 20.400 Fälle sowie 74 Todesopfer in 33 Bundesstaaten im Zusammenhang mit Schlachtbetrieben.

Da viele der Beschäftigten nicht gemeldete Migranten sind, die eine Abschiebung befürchten müssen, werden viele Fälle in der Fleischindustrie nie gemeldet. Die Trump-Regierung intervenierte, damit die Fleischverarbeitungsbetriebe trotz der Pandemie geöffnet blieben. Mehrere Bundesstaaten haben außerdem dafür gesorgt, dass diese Betriebe sowie weitere Unternehmen nicht juristisch belangt werden können, wenn sich ihre Arbeiter infizieren und sterben.

Laut dem ehemaligen Arbeitsminister Robert Reich hat die Behörde für Arbeitssicherheit (OSHA) bisher im ganzen Land noch keine einzige Mahnung wegen Verstößen im Zusammenhang mit Covid-19 ausgesprochen, obwohl sich Tausende von Arbeitern aufgrund gefährlicher Arbeitsbedingungen angesteckt haben. Berichten zufolge geht selbst bei den Inspektoren des US-Landwirtschaftsministeriums die Angst um, in die Fleischverarbeitungsbetriebe geschickt zu werden, da dort nicht einmal minimalste Abstandsregeln eingeführt wurden. Mindestens ein Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde ist an Covid-19 gestorben, Hunderte weitere haben sich angesteckt.

Abfallentsorgungsbetriebe

In Philadelphia demonstrierten am Dienstagmorgen Hunderte von Beschäftigten der Abfallentsorgungsbetriebe für Schutzausrüstung, Zugang zu regelmäßigen Tests auf Covid-19 und Gefahrenzulagen.

In Philadelphia wurden fast 60 Beschäftigte von Abfallentsorgungsbetrieben positiv auf Covid-19 getestet. Weitere 50 haben sich laut den Aussagen örtlicher Gewerkschaftsfunktionäre in Selbstquarantäne begeben, nachdem sie Kontakt zu Infizierten hatten. Die 1.100 städtischen Müllwerker, deren Durchschnittsgehalt bei 36.000 Dollar pro Jahr liegt, riskieren ständig eine Ansteckung, da sie in Hunderttausenden von Haushalten und Geschäften die Abfälle von 1,5 Millionen Menschen abholen.

Der Müllwerker Durrell Rothwell, der sich bei einem Kollegen infiziert und danach seinen eigenen Sohn angesteckt hatte, erklärte bei der Kundgebung: „Unsere Bedingungen sind sehr schlecht. Sie haben uns nicht die nötigen Werkzeuge gegeben, um uns zu schützen. Wir müssen Masken, Handschuhe und alles andere selbst kaufen. Es ist lächerlich, dass sie uns während dieser Pandemie nicht wenigstens eine Gefahrenzulage geben.“

Die Arbeiter sind zudem wütend über den Haushaltsplan des demokratischen Bürgermeisters Jim Kenney, der die Kürzung der Mittel des Straßenamtes um 18,5 Millionen Dollar vorsieht. Im Vorfeld der Kundgebung hatte der zuständige Beamte, Carlton Williams, den Müllwerkern in einem Brief mit Entlassung gedroht, falls sie nicht zur Arbeit erscheinen: „Nicht genehmigtes Fehlen wird zu Disziplinarstrafen bis hin zur Entlassung führen.“

Viele Müllwerker trugen Schilder mit der Aufschrift „Schutzausrüstung [PPE] statt PPD [Philadelphia Police Department]“ und stellten damit eine Verbindung zwischen der Gefährdung von Arbeitern durch die Regierung und dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Proteste gegen Polizeigewalt her.

Die Protestveranstaltung in Philadelphia war nur die jüngste in einer ganzen Reihe von Arbeitskämpfen der Müllwerker im ganzen Land. In den letzten Tagen protestierte eine kleine Gruppe von Müllwerkern in Tuskegee (Alabama) während der Arbeitszeit vor dem Rathaus für Lohnerhöhung und Schutzausrüstung. In New Orleans streikten die Arbeiter der Abfallentsorgungsfirmen für die gleichen Forderungen. Die Stadt ersetzte sie daraufhin durch Arbeitskräfte aus den Gefängnissen, die weniger als den Mindestlohn erhalten.

Autoindustrie

Nachdem spontane Streiks Mitte März die Autoproduktion zum Erliegen brachten, bereiteten die Autokonzerne mit einer Medienkampagne die Rückkehr zur Arbeit vor. Dabei wurden sie von der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) voll und ganz unterstützt. Die UAW lobte die völlig unzureichenden Schutzmaßnahmen, die eingeführt worden waren, nachdem mehr als zwei Dutzend Autoarbeiter gestorben waren.

Gleich nach der Wiederaufnahme der Produktion am 18. Mai kamen Berichte über neue Infektionen in den Werken auf. Das Management von Elon Musks Elektroautofirma Tesla, die sich dem örtlichen Lockdown widersetzt hatte und letzten Monat die Wiederaufnahme der Produktion in dem riesigen Tesla-Werk in Nordkalifornien angeordnet hatte, musste zugeben, dass es bereits etliche bestätigte Fälle in mehreren Werken gab. Das Branchenblatt Automotive News gab diese Woche zu, dass die Unternehmen nicht ausreichend Tests durchführen, um Neuinfektionen zu identifizieren.

In jeder Schicht melden sich Hunderte von Arbeitern krank, aufgrund der Ansteckungsgefahr im Zusammenhang mit Vorerkrankungen sowie der unerträglichen Hitze, die die Arbeit mit Maske noch schwerer macht. Ein Arbeiter des Fertigungswerks Sterling Heights in Detroit erklärte gegenüber der WSWS: „Wir arbeiten uns wund und sollen noch Überstunden machen. Die Sicherheitsmaßnahmen werden aufgegeben. Sie tun so, als wäre alles wieder normal.“

Er fügte hinzu: „Sie versuchen, so viel wie möglich aus uns herauszuquetschen. Viele Arbeiter fehlen wegen Covid, also kommen sie immer wieder an und wollen, dass wir Überstunden arbeiten. Wenn sie mit anderthalbfachem, doppeltem oder sogar dreifachem Lohn für Sonntage locken, sagen viele Arbeiter ‘Ja’, weil sie das Geld brauchen. Aber sie nehmen uns unsere Leben. Wir schaffen mehr Wert für sie als der verrückte Anstieg der Börsenkurse.“

Ein Arbeiter schilderte gegenüber dem Autoworker Newsletter der WSWS: „Im Jeep-Werk in Toledo gibt es bestätigte Fälle und es wird weitergearbeitet. Ich dachte, ich hätte es, ich hatte alle Symptome. Also wurde ich getestet, der Test war negativ, aber ich habe trotzdem Angst davor, zur Arbeit zu gehen. Ich habe ein schwaches Immunsystem und andere gesundheitliche Probleme. Außerdem habe ich einen Herzschrittmacher. Also ja, ich habe Todesangst. Es ist heiß, wir haben keine Ventilatoren, und wir müssen den ganzen Tag über Masken tragen, auch in den Pausenräumen. Es ist unglaublich. Es muss was passieren.“

In der Zulieferindustrie, in der die Arbeiter noch weniger verdienen als ihre Kollegen in den Fertigungswerken, sieht die Lage noch übler aus. In Detroit erklärten Arbeiter des Zulieferers Flex-N-Gate gegenüber der WSWS, die Ventilatoren in ihrem Werk seien ausgeschalten worden, um die Übertragung des Virus durch die Luft zu verhindern. Deshalb seien viele Arbeiter während der Arbeit zusammengebrochen.

Autoarbeiter, Lehrer und andere Arbeiter beteiligten sich auch an den Massenprotesten gegen Polizeigewalt.

Gesundheitswesen

In Nordkalifornien demonstrierten am Mittwoch Hunderte von Beschäftigten der Krankenhauskette Kaiser Permanente. Sie gehören zu den vielen Tausend Beschäftigten im Gesundheitswesen, die an den Protesten gegen Polizeigewalt beteiligt waren und dort Opfer von Angriffen durch die Polizei versorgten. Dies hat die Beschäftigten des Gesundheitswesens zu Zielen der Polizeiwillkür gemacht. Es sind Videos aufgetaucht, auf denen die Polizei Erste-Hilfe-Zelte zerstört.

Auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen werden durch die Corona-Pandemie in den Kampf getrieben, der in ihrem Berufsstand bereits große Opfer gefordert hat. In den USA haben sich offiziell mehr als 70.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens infiziert, mindestens 383 sind gestorben. Dass viele Weitere wegen sinkender Umsätze entlassen wurden, wirft ein Schlaglicht auf die Irrationalität des profitorientierten Gesundheitssystems.

Bezeichnenderweise hatten die Beschäftigten bei Kaiser Permanente, die diese Woche demonstrierten, im letzten Herbst mit überwältigender Mehrheit für einen Streik gestimmt, nachdem sie mehr als ein Jahr lang ohne Tarifvertrag gearbeitet hatten. Ein Streik, der ursprünglich inmitten des landesweiten Streiks bei General Motors beginnen sollte, wurde im letzten Moment durch einen Ausverkauf der Gewerkschaft Service Employees International Union (SEIU) verhindert.

Auch im nahegelegenen Sacramento stimmte diese Woche eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten einer Pflegeeinrichtung für einen Streik, nachdem mehrere Pflegekräfte aus Protest gegen die fehlende Schutzausrüstung die Arbeit verweigert hatten.

Die Vorstände der Krankenhäuser und das politische Establishment im ganzen Land wiederholen ihr Mantra über die „heldenhaften“ Pflegekräfte, um von den Haushaltskürzungen und Mängeln abzulenken, die das Leben von Pflegekräfte und ihren Patienten in Gefahr bringen. Laut der American Nurses Association werden 79 Prozent aller Pflegekräfte vom Management angewiesen, Schutzausrüstung mehrfach zu benutzen, viele Pflegekräfte und Ärzte tragen als improvisierte Schutzkleidung bei der Arbeit Müllsäcke oder ähnliches.

Eine Pflegerin aus New Jersey äußerte in den sozialen Medien ihre Wut mit den Worten: „Ich bin eine Pflegerin! Hört auf, mich Heldin zu nennen, um zu rechtfertigen, dass wir wie Sklaven behandelt werden. Es ist schlimmer als je zuvor. Wir haben jeden verdammten Tag acht bis zwölf Patienten! Wie zum Teufel soll man da viermal hintereinander zwölf Stunden arbeiten und außerhalb der Arbeit noch leben? Wir sehen die Erschöpfung in unseren Gesichtern. Mit Covid ist es noch schlimmer geworden, und es wird noch lange so bleiben, wenn wir nicht den Mund aufmachen. Wir müssen alle zusammen sagen: ‘SCHLUSS DAMIT!’“

Weder die Gewerkschaften, die unter der Kontrolle der Unternehmen stehen, noch staatliche Behörden wie die OSHA werden sich für die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeiter einsetzen. Den Forderungen des Managements nach mehr Produktion und Profit sollten Arbeiter die Bildung von Aktionskomitees entgegenstellen, um die Arbeitszeiten und Arbeitsgeschwindigkeit zu kontrollieren, Schutzausrüstung, angenehme Arbeitsbedingungen, die regelmäßige Durchführung von Tests, allgemeine Gesundheitsversorgung, garantiertes Einkommen sowie die vollständige Weitergabe von Informationen zu gewährleisten und den Widerstand gegen Repressalien zu organisieren.

Der Kampf gegen Polizeigewalt und zur Verteidigung demokratischer Rechte muss mit dem wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen die tödlichen Arbeitsbedingungen, soziale Ungleichheit und Kürzungspolitik verbunden und in einen bewussten politischen Kampf gegen das kapitalistische System verwandelt werden.

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