Frankreich: Brutale Verhaftung einer 50-jährigen Krankenschwester löst weltweit Empörung aus

Am Dienstag wurde die 50-jährige französische Pflegerin Farida von der Polizei verhaftet und misshandelt, als sie an einer landesweiten Protestkampagne teilnahm, die zusätzliche Mittel für Krankenhäuser forderte. Der Fall löste weltweit berechtigte Empörung aus.

Das bekannteste Video von Faridas Verhaftung und Misshandlung durch mehrere Bereitschaftspolizisten wurde mehr als 2,6 Millionen Mal angesehen. Der Vorfall ereignete sich vor dem Invalidenhotel, einem Touristenmagnet im Zentrum von Paris. Dort demonstrierten tausende Pflegekräfte für höhere Löhne, mehr Personal und mehr Geld für die Krankenhäuser. Die Corona-Pandemie hat in Frankreich mehr als 29.000 Todesopfer gefordert.

Farida C. (50), Krankenschwester, von Polizei misshandelt und verhaftet

Das Video zeigt, wie die Polizisten die Pflegerin herumstoßen und misshandeln, während sie immer wieder nach ihrem Ventolin, einem Atemmedikament, ruft. Drei schwerbewaffnete Bereitschaftspolizisten pressen Faridas Gesicht auf den Boden und führen sie schließlich mit blutendem Gesicht ab. In einem weiteren Video ist zu sehen, wie ein Polizeibeamter ihr das Knie ins Gesicht stößt, während sie von zwei anderen Beamten festgehalten und vornüber gebeugt wird. „Keine Gewalt, wir werden gefilmt“, sagt ein Polizist hörbar zum andern – ein Ausspruch, der Bände über die Standardprozedur spricht, mit der die Polizei gegen Arbeiter vorgeht.

Ein drittes Video dokumentiert, wie Farida wenig später vor Zeugen um Hilfe ruft, während sie fortgebracht wird. Eine Polizeibeamtin bringt sie mit der Hand auf dem Mund zum Schweigen. Daraufhin ruft ein Demonstrant: „Ihr hindert sie am Sprechen! Ihr seid doch von der Polizei und nicht von der [faschistischen] Miliz! Ihr solltet euch schämen.“

Farida brachte den Dienstagabend in Polizeigewahrsam zu, während in den sozialen Netzwerken zu einer Demonstration vor der Polizeiwache aufgerufen wurde, in der sie festgehalten wurde. Auf Twitter stieß der Hashtag #LiberezFarida („Befreit Farida“) auf große Resonanz.

Während sich das Video im Internet innerhalb von Minuten verbreitete, behaupteten mehrere rechte Kommentatoren, Farida habe bei der Protestveranstaltung nur einen weißen Kittel getragen, um sich als Pflegekraft auszugeben. Diese Lüge wurde jedoch rasch widerlegt. Ihre Tochter, eine Journalistin für France24, retweetete das Video mit dem Kommentar: „Diese Frau ist meine Mutter. Sie 50 Jahre alt, Pflegerin, hat seit drei Monaten täglich zwölf bis vierzehn Stunden gearbeitet und sich dabei mit dem Coronavirus infiziert. Heute hat sie protestiert, damit ihr Lohn korrekt neuberechnet wird. Sie ist Asthmatikerin. Sie trug ihren Pflegekittel und ist 1,55m groß.“

Die Journalistin wies auf die Gefahr hin, dass ihre Mutter in Polizeigewahrsam weiter misshandelt werden könnte, oder dass ihr noch Schlimmeres wiederfahren könnte. Als Beispiel nannte sie den Fall des vierundzwanzigjährigen Maliers Adama Traoré, der im Jahr 2016 in Polizeigewahrsam gestorben war und dessen Tod in Frankreich in den letzten zwei Wochen Massenproteste ausgelöst hatte. Sie fügte hinzu: „Sie erdreisteten sich, mir am Telefon zu sagen: ‘Wir wissen nicht, was vor den Videos passiert ist, aber vertrauen Sie uns: Wenn sie nichts falschgemacht hat, wird sie freigelassen.’ Ja, so wie Adama Traore? ‘Vertrauen Sie uns’, ja, klar. Sie ist noch immer verhaftet. Nichts kann eine solche Verhaftung IRGENDWIE rechtfertigen. Erst recht nicht, wenn diejenige unbewaffnet ist, einen weißen Kittel trägt, 1,55m groß ist und einem ‘Robocop’ gegenübersteht.“

Farida wurde am Abend freigelassen, aber wegen „Rebellion“, Gewalt und „Beleidigung von Polizisten“ angeklagt. Sie hat zugegeben, vor ihrer Verhaftung kleine Geschosse auf die martialisch gerüsteten Polizisten geworfen zu haben, und erklärte, sie sei wütend über das Verhalten der Regierung gewesen.

Das Vorgehen der Polizei wirft erneut ein Schlaglicht auf Aspekte der politischen und sozialen Wirklichkeit in Frankreich und der ganzen Welt.

Zum Einen zerstört es die ohnehin bereits diskreditierte Behauptung der Macron-Regierung, die Pandemie habe das ganze Land hinter den Arbeitern an der Front „vereint“. Das abstoßende Spektakel von Parteifunktionären, die über Jahrzehnte hinweg Sozialausgaben zusammengestrichen haben und sich nun am abendlichen Applaus für Pflegekräfte beteiligten, war in dieser Hinsicht bezeichnend. Tatsächlich verbergen sich hinter dieser Fassade nationaler Einheit diametral entgegengesetzte Klasseninteressen. Als die ersten Anzeichen für Forderungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen nach mehr Mitteln für die Krankenhäuser und einen effektiveren Kampf gegen die Pandemie in angemessenen und sicheren Bedingungen sichtbar wurden, reagierten die politischen Vertreter der herrschenden Klasse mit nackter Unterdrückung.

Die Politik der Macron-Regierung war nicht darauf ausgerichtet, die Krankheit zu bekämpfen, sondern die Interessen der französischen Konzerne zu schützen, u.a. mit einer Garantie für Unternehmensschulden in Höhe von fast 400 Milliarden Euro. Nun verfolgt die Regierung eine Back-to-Work-Politik, durch die sich das tödliche Virus weiter ausbreiten wird. Sie macht deutlich, dass sie den Widerstand der Bevölkerung dagegen nicht dulden wird. Ihre Entscheidung, hunderte schwerbewaffnete Bereitschaftspolizisten gegen eine landesweite Demonstration von Pflegekräften ins Feld zu schicken, kann nur in diesem Kontext verstanden werden.

Obwohl die Forderungen nach Lohnerhöhungen im Gesundheitswesen und zusätzlichen Mitteln für die Krankenhäuser massenhafte Unterstützung in der Bevölkerung genießt, hat die Macron-Regierung bereits angekündigt, dass etwaige Lohnerhöhungen für Pfleger durch weitere Kürzungen im Gesundheitswesen mehr als ausgeglichen werden sollen. Gesundheitsminister Olivier Veran erklärte letzten Monat, die Regierung beabsichtige die Beseitigung von „Zwangsjacken“, die verhindern, dass die Beschäftigten im Gesundheitswesen länger arbeiten. Damit ist die Abschaffung der 35-Stunden-Woche gemeint. Das Zusammenstreichen der Gesundheitsausgaben wird von der herrschenden Klasse als notwendig erachtet, um in einer massiven Umverteilungsaktion Gelder aus den Sozialprogrammen herauszupressen und auf diese Weise das Rettungsprogramm für die Reichen zu finanzieren.

Faridas Verhaftung ereignet sich zudem im Kontext einer globalen Bewegung von Arbeitern und Jugendlichen gegen Polizeigewalt, die durch den Mord an George Floyd in den USA ausgelöst wurde. Die Proteste haben eine internationale Dimension angenommen, weil Polizeigewalt ein globales Phänomen ist. Von Brasilien über Frankreich bis nach Neuseeland erfüllt die Polizei in der kapitalistischen Gesellschaft im Wesentlichen die gleiche Funktion: Sie verteidigt die Interessen der herrschenden Klasse gegen die arbeitende Bevölkerung.

Der Angriff auf Farida – eine weiße Arbeiterin arabischer Herkunft – verdeutlicht einmal mehr, dass sich die Gewalt der Polizei gegen Arbeiter aller Ethnien und Hautfarben richtet. In Frankreich selbst fanden wegen der Ermordung von Adama Traoré bereits Demonstrationen gegen dieselben Polizeieinheiten statt, die in den letzten zwei Jahren friedliche Proteste der Gelbwesten und Streiks der Arbeiterklasse mit brutaler Gewalt unterdrückt haben. Dutzenden demonstrierenden Arbeitern wurden die Hände von Blendgranaten abgerissen oder Augen durch Gummigeschosse zerstört. Auf die wachsende Bewegung der internationalen Arbeiterklasse für soziale Gleichheit reagieren die herrschenden Klassen in allen Ländern mit Polizeigewalt und dem weiteren Aufbau des Unterdrückungsapparates.

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