Der Kahlschlag bei Galeria Karstadt Kaufhof und die Rolle von Verdi

Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) hat mit dem Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof hinter dem Rücken der Belegschaften einen Kahlschlag vereinbart. Mindestens jede dritte Filiale soll geschlossen werden. Das ist Bestandteil eines von Gewerkschaft und Gesamtbetriebsrat unterzeichneten Sozialplans.

Dieses Mal hat Verdi sogar auf ihre rituellen Trillerpfeifen-Proteste verzichtet, die früher während derartigen Verhandlungen Kampfbereitschaft vortäuschen sollten. Stattdessen unterschrieben Gewerkschaft und Betriebsräte eine Vereinbarung mit der Konzernleitung über eine massive Vernichtung von Arbeitsplätzen und Existenzen, ohne jegliche vorherige Diskussion mit den Beschäftigten.

Die Vereinbarung von Konzernleitung und Gewerkschaft sieht vor, zunächst mindestens 62 Filialen von Kaufhof und Karstadt zu schließen. Allein in Berlin sollen sechs der elf Häuser dichtgemacht werden, in Hamburg vier, in München drei, in Dortmund, Düsseldorf, Essen und Nürnberg jeweils zwei Filialen. Es trifft auch viele kleinere Städte. Nur 110 Filialen bleiben vorerst geöffnet. Auch die Schnäppchencenter in Gießen und Frankfurt schließen, die noch nicht eröffnete Filiale in Berlin Tegel wird ihre Türen erst gar nicht öffnen.

Karstadt-Filiale in Düsseldorf (Bild: Jula2912 / CC BY-SA 4.0)

Der Kahlschlag betrifft bei Karstadt Kaufhof bis zu 6000 Vollzeitstellen, die Auswirkungen auf Zulieferer nicht mitgerechnet. Da viele Verkäuferinnen in Teilzeit arbeiten, erhalten etwa 7500 Beschäftigte die Kündigung. Verdi hat vereinbart, dass sie anschließend für sechs Monate in eine Transfergesellschaft wechseln.

Am vergangenen Wochenende meldeten die Nachrichtenagenturen, dass zusätzlich zu den Warenhausfilialen 20 der 30 Standorte von Karstadt Sports schließen, darunter Standorte in Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Hamburg und München. Die Hauptverwaltung von Karstadt Sports in Essen wird ganz geschlossen, der Zentralbereich Reisen am dortigen Standort ausgegliedert. Die Finanzbuchhaltung in Köln-Porz wird aufgelöst. Das bedeutet einen Abbau von noch einmal mindestens 700 Arbeitsplätzen. Auch ein Großteil der 130 Reisebüros soll geschlossen werden.

Der Warenhauskonzern teilte mit, dass nach dem Kahlschlag noch etwa 25.000 Beschäftigte übrigblieben. Für sie soll der kurz vor Weihnachten 2019 geschlossene Tarifvertrag gelten. Darin hatte Verdi den Beschäftigten gegen die Zusage von Standortgarantien den weitgehenden Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und weitere Zugeständnisse abgepresst.

Die jetzt getroffene Kahlschlagvereinbarung des vom Gericht bestellten Sachwalters Frank Kebekus, dem vom Konzern berufenen Generalbevollmächtigten Arndt Geiwitz, Verdi und Gesamtbetriebsrat steht dabei noch unter dem Vorbehalt, dass die verbleibenden Vermieter die Mieten senken. Mit anderen Worten, das jetzt angekündigte Arbeitsplatzmassaker kann sich noch stark ausweiten. Denn weigern sich die beteiligten Immobilienkonzerne, Mieten zu senken, sieht die Vereinbarung vor, dass noch weitere Filialen geschlossen werden.

Geschäftsführung, Konzernbeauftragte und Gewerkschaft hatten diesen Angriff auf die Arbeitsplätze durch die Ankündigung eines noch höheren Arbeitsplatzabbaus vorbereitet. Im Mai kündigten die Insolvenzverwalter Kebekus und Geiwitz an, neben den Sport-Filialen sowie den Reisebüros 80 Warenhausfilialen zu schließen und zusätzlich zehn Prozent des Personals abzubauen. Nun sind es vorerst 62 Kaufhäuser. Und Verdi rühmt sich dafür, dass die Forderung eines zusätzlichen Arbeitsplatzabbaus vom Tisch ist.

Noch im Mai hatte Verdi „harte Auseinandersetzungen“ angekündigt. Doch nichts dergleichen fand statt. Gewerkschaft, Geschäftsführung und Insolvenzverwalter haben gemeinsam den Abbau ausgearbeitet, der von Anfang an vom Konzern gewünscht war.

Wenn jetzt Stefanie Nutzenberger, die im Verdi-Bundesvorstand für Handel zuständig ist, erklärt, sie hoffe, die Zahl der Schließungen noch weiter senken zu können, ist das ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten. „Wir werden mit aller Kraft für den Erhalt der Standorte und die Zukunft der Beschäftigten kämpfen. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, sagte sie.

Das ist eine dreiste Lüge. Verdi und Gesamtbetriebsrat haben schon längst dem jetzigen Abbau zugestimmt. Das läuft seit Jahren so.

Gewerkschaftsvertreter sowie die Verdi-Betriebsräte sitzen in den Aufsichtsräten von Karstadt und Kaufhof und haben einen Sozialplan und einen Sanierungstarifvertrag mit empfindlichen Gehaltskürzungen nach dem anderen verfasst. Aktuell ist der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates Jürgen Ettl stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des fusionierten Konzerns. Auch mehrere seiner Betriebsratskollegen, Siegfried Fichna, Theo Lajer, Gerhard Löpke und andere sahnen als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kräftig ab.

Für Verdi saß lange Zeit Stefanie Nutzenberger selbst im Aufsichtsrat von Karstadt. Heute sitzen für Verdi Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter im Einzelhandel, und Heike Lattekamp, Landesfachbereichsleiterin Handel in Hamburg, im Aufsichtsrat von Galeria Karstadt Kaufhof.

Sie alle arbeiten seit vielen Jahren bei der Durchsetzung der Sparprogramme mit der jeweiligen Geschäftsleitung eng zusammen.

Als vor fast zwölf Jahren die Finanzgesellschaft Arcandor die damalige Kette KarstadtQuelle mit noch 28.000 Beschäftigten in die Pleite führte, saß die zweite Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane im Aufsichtsrat von Arcandor und arbeitete mit dem Arcandor-Chef und Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff zusammen. Durch die KarstadtQuelle-Insolvenz verloren Tausende Verkäuferinnen und Verkäufer ihre Stelle. Middelhoff wurde 2014, fünf Jahre nach der Insolvenz, wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt.

Nach Middelhoff begrüßte die Gewerkschaft 2010 Nicolas Berggruen als neuen Retter von Karstadt und handelte als Willkommensgeschenk einen über drei Jahre währenden Verzicht auf Teile des Gehalts aus, der dem Management 150 Millionen Euro einbrachte. Milliardär Berggruen kassierte 7,5 Millionen Euro jährlich allein aus den Karstadt-Namensrechten, die er für eine Einmalzahlung von fünf Millionen erworben hatte, während der Konzern Verluste machte.

2014 verkaufte Berggruen die Karstadt-Kette dann für einen symbolischen Euro an René Benko von Signa weiter. Die Verdi-Gewerkschafter und Betriebsräte feierten auch den Milliardär Benko als „weißen Ritter“, der die klamme Warenhaus-Kette endlich vor der Pleite retten und in eine angeblich blühende Zukunft führen werde.

Bei Kaufhof agierte Verdi auf ähnliche Weise. Die Gewerkschaft begleitete 2015 den Verkauf von der Metro an den kanadischen Milliardär Richard Baker, Inhaber der Hudson’s Bay Company (HBC), und handelte auch hier einen Sanierungstarifvertrag aus. Nutzenberger trat übrigens schon 2015 für den Verkauf von Kaufhof an den Karstadt-Eigentümer Benko ein. Die Fusion der beiden großen deutschen Kaufhausketten konnte Verdi dann erst 2018 feiern.

Schon damals war unter Wirtschafts- und Finanzexperten und in der Konzernspitze ein Sanierungspaket diskutiert worden, wie es jetzt umgesetzt wird.

Die Rolle von Verdi zeigt einmal mehr, dass die Gewerkschaft auf der Seite der Konzerne und ihrer Besitzer, der Aktionäre, steht, oder wie im Falle von Karstadt Kaufhof auf Seiten des Immobilien-Milliardärs René Benko und seiner Signa-Holding.

Die Haltung Verdis ist dabei nicht einfach nur eine Folge der zweifellos vorhandenen Korruption der Gewerkschaftsführer. Die aktuelle Situation macht deutlich, dass die Verteidigung der Arbeitsplätze einen Kampf gegen die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und das ganze kapitalistische System erfordert. Das ist nur möglich auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive und internationalen Strategie.

Auch in vielen anderen Bereichen von Industrie, Handel und Verwaltung nutzen die Unternehmer die Corona-Krise, um seit langem geplante und vorbereitete Angriffe auf die Beschäftigten durchzuführen. Die Verteidigung der Arbeitsplätze bei Karstadt Kaufhof muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Die Beschäftigten im Einzelhandel und in allen anderen Bereichen müssen sich auf große Klassenkämpfe vorbereiten. Die Milliarden an Staatshilfen, die jetzt in die Großkonzerne und Banken fließen, müssen zurückgefordert und eingesetzt werden, um die Pandemie einzudämmen und ihre sozialen Folgen zu überwinden. Die großen Konzerne und Banken müssen enteignet und unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Dasselbe gilt für die Vermögen der Reichen. Nur so können alle vorhandenen Ressourcen zur Befriedigung der dringenden gesellschaftlichen Bedürfnisse genutzt werden.

Dazu müssen die Beschäftigten sich unabhängig von den Gewerkschaften organisieren. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die WSWS schlagen vor, betriebliche Aktionskomitees zu gründen, die mit den Arbeitern und Angestellten anderer Bereiche zusammenarbeiten und gemeinsam Widerstand organisieren. Das Recht auf Arbeit und Lohn und die Bedürfnisse der Beschäftigten stehen höher als die Profitinteressen der Konzerne und Spekulanten.

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