Frankreich unterstützt die Drohung Ägyptens, gegen die Türkei in den Libyenkrieg einzugreifen

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Ägyptens Drohung unterstützt, militärisch gegen die türkische Intervention in Libyen vorzugehen, die wiederum von Italien unterstützt wird. Das bedeutet eine deutliche Eskalation der seit neun Jahren andauernden imperialistischen Aufteilung Libyens in Folge des Nato-Kriegs von 2011.

Afrika ist mit einer starken Ausbreitung der Corona-Pandemie konfrontiert. Die Zahl der bestätigten Fälle ist innerhalb von 98 Tagen von einem auf 100.000 gestiegen, danach aber in nur 18 Tagen auf 200.000. Zudem liegt Libyen zwischen zwei der am stärksten betroffenen Länder des Kontinents: Ägypten mit fast 60.000 Fällen und Algerien mit 12.000 Fällen. Durch die Beeinträchtigung der Landwirtschaft und des Handels in Folge der Pandemie sind zudem Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht. Doch statt Lebensmittel und Medikamente nach Afrika zu schicken, drohen die Großmächte mit einer Verschärfung der seit neun Jahren andauernden Intervention zu einem offenen regionalen oder sogar globalen Krieg.

Am 21. Juni drohte der blutrünstige ägyptische Diktator General Abdel Fattah al-Sisi mit einer Intervention in Libyen, um die Streitkräfte des Warlords Chalifa Haftar gegen die von der Türkei unterstützte Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA) zu verteidigen. Während einer Truppeninspektion auf einem Stützpunkt nahe der libyschen Grenze warnte er, falls die GNA die Stadt Sirte erobern sollte, die als Zugang zur libyschen Ölindustrie von großem strategischem Wert ist, wäre eine „rote Linie“ überschritten.

„Jede direkte Intervention des ägyptischen Staates hat jetzt internationale Legitimität“, erklärte al-Sisi vor Piloten der ägyptischen Luftwaffe und Spezialeinheiten des Heeres. „Bereiten Sie sich auf jede Art von Mission vor, hier innerhalb unserer Grenzen oder notfalls auch außerhalb unserer Grenzen.“

Al-Sisi sagte weiter, Ägypten werde in Libyen zur Selbstverteidigung gegen „direkte Bedrohungen durch terroristische Milizen und Söldner“ intervenieren. Mit ähnlicher Rhetorik hatte er im Jahr 2013 den Putsch gegen den islamistischen Präsidenten Mohamed Mursi und die brutale Unterdrückung der zwei Jahren dauernden revolutionären Erhebung der Arbeiterklasse in Ägypten gerechtfertigt. Dann erklärte er: „Wenn uns das libysche Volk ... um eine Intervention bittet, wäre dies ein Signal an die Welt, dass Ägypten und Libyen ein Land mit gemeinsamen Interessen sind.“

Ägyptische Regierungsvertreter machten deutlich, dass sich ihr Kurs gegen die türkische Intervention in Libyen richtet. Diese begann im Januar, um die von den UN anerkannte GNA-Regierung gegen Haftars Truppen zu unterstützen. Ziad Akl vom ägyptischen Zentrum Al-Ahram für politische und strategische Studien erklärte gegenüber der Londoner Financial Times: „Das Ziel ist Abschreckung. Ägypten will verhindern, dass auch nur ein einziger Türke in Ost-Libyen eindringt.“

Die französische Regierung, die zusammen mit Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten Haftar in Libyen unterstützt hat, erklärte sofort ihre Unterstützung für Kairo im Kriegsfall. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed im Pariser Elysee-Palast warf Macron dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor, seine Regierung würde „in Libyen ein gefährliches Spiel spielen“. Kurz zuvor war es im Mittelmeer zu einer gefährlichen Konfrontation zwischen französischen und türkischen Kriegsschiffen gekommen.

Macron mit dem tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Paris, 22. Juni 2020. (Christophe Petit Tesson, Pool via AP)

Macron, der gemeinsam mit Ägypten, den VAE und Russland Haftars Truppen bewaffnet hatte, attackierte die Türkei für ihre Intervention. Mit dreister Heuchelei rief er „die kriegsführenden Fraktionen auf, das Feuer einzustellen“. Weiter forderte er „die Wiedervereinigung der libyschen Institutionen und einen Wiederaufbau im Interesse aller Libyer... Dieser Weg ist hart und erfordert von uns allen Verantwortung, die Einstellung von Interventionen des Auslands und ein Ende aller unilateralen Aktionen derjenigen, die durch Krieg ihre Stellung verbessern wollen.“

Danach stellte er sich sofort hinter al-Sisis Drohung mit einer Militärintervention in Libyen und erklärte, er verstehe „die berechtigten Bedenken von Präsident al-Sisi angesichts der Truppen, die an seiner Grenze eintreffen“. Das ist ebenfalls eine Lüge. Die Truppen der GNA befinden sich nicht an der ägyptischen Grenze, sondern in Zentral-Libyen und drohen, Sirte und wichtige Ölfelder und Raffinerien zu besetzen, die nach dem Krieg von 2011 vom französischen Ölkonzern Total übernommen wurden.

Zum Schluss wiederholte Macron seine Äußerungen vom letzten Herbst. Damals hatte er erklärt, die Nato sei „hirntot“ und nicht fähig, ein gemeinsames Vorgehen ihrer Mitglieder zu koordinieren. Diese wütende Bemerkung richtete sich vorgeblich gegen die Türkei, die der GNA Drohnen geliefert hatte, mit denen sie Haftars Angriff auf die libysche Hauptstadt Tripolis abwehren konnte. Allerdings handelte es sich auch um einen kaum verhohlenen Angriff auf Italien und den Rest der Nato, die es bisher weitgehend abgelehnt hat, in dem zunehmenden innerimperialistischen Konflikt zwischen Frankreich und Italien im Mittelmeer öffentlich Stellung zu beziehen.

Die ehemalige libysche Kolonialmacht Italien, deren Ölkonzern Eni die von der GNA kontrollierten Ölfelder im Westen Libyens übernommen hat, arbeitet eng mit der Türkei zusammen. Am 19. Juni traf sich der italienische Außenminister Luigi di Maio in Ankara mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu, um über den Krieg in Libyen zu diskutieren. Di Maio rief später bei einer Pressekonferenz mit Çavuşoğlu die Nato-Mitgliedsstaaten zu „Kooperation statt Konflikt“ in der Region auf.

Çavuşoğlu erklärte: „Wir sind Italien dankbar, dass es sich in Libyen, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, nicht auf die Seite des Putschisten General Chalifa Haftar gestellt hat.“ Er fügte hinzu, Italien und die Türkei würden nicht nur bei der Deckung des libyschen Energiebedarfs zusammenarbeiten, sondern auch in dem ausufernden Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Ankara hat seine Bemühungen verstärkt, Washingtons Unterstützung für seine Politik in Libyen zu erhalten. Am 8. Juni rief Erdoğan US-Präsident Trump wegen Libyen an. Çavuşoğlu erklärte dazu: „Wir haben [von Erdoğan] die Anweisung erhalten, [mit unseren US-Amtskollegen] zusammenzuarbeiten.“

Was sich in Libyen entwickelt, ist das direkte Ergebnis des blutigen imperialistischen Kriegs, den die Nato-Mächte 2011 gegen das ölreiche Land geführt haben. Aus Angst vor den revolutionären Erhebungen der Arbeiterklasse in den Nachbarstaaten Ägypten und Tunesien begannen die Nato-Mächte, allen voran Frankreich, Großbritannien und die USA, in Libyen einen Krieg unter dem Vorwand, Demonstranten vor dem Regime von Muammar Gaddafi zu schützen. Sie bewaffneten islamistische und Stammesmilizen als Stellvertreter, bombardierten libysche Städte und brachten so innerhalb von sechs Monaten die libysche Regierung zu Fall.

Diese Operation wurde der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit von kleinbürgerlichen pseudolinken Akteuren als ein Krieg für Demokratie verkauft. Olivier Besancenot von der französischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) beispielsweise forderte die Bewaffnung der Libyer gegen Gaddafi durch den französischen Geheimdienst. Durch den Verlauf der Ereignisse wurde Besancenot gründlich als Handlanger des Imperialismus und Propagandist der französischen Ölinteressen entlarvt.

Der Nato-Krieg führte in kurzer Zeit zum Abgleiten Libyens in einen Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden islamistischen und Stammesmilizen, die nur locker unter der Kontrolle einer Reihe von UN-unterstützten Regierungen oder Warlords wie Haftar standen. Die Nato-Mächte teilten untereinander auf, was sie von Libyens Ölindustrie retten konnten und errichteten Konzentrationslager, in denen Migranten ermordet, sexuell misshandelt und als Sklaven verkauft werden. In den letzten Jahren sind die Konflikte unter den imperialistischen Mächten um die Frage, wer von der Schändung Libyens profitieren wird, nur noch blutiger und gefährlicher geworden.

Die europäischen Medien haben Russland wiederholt für seine Intervention zur Unterstützung des angeblich säkularen Warlords Haftar kritisiert. Das steht in Zusammenhang mit der Feindschaft des postsowjetischen Regimes in Russland gegenüber allen Manifestationen des Islamismus sowie der russischen Militärintervention gegen den Nato-Stellvertreterkrieg in Syrien. Offensichtlich herrscht in den imperialistischen Hauptstädten Europas eine tiefe Frustration über die wachsende Rolle Russlands und der Türkei in der Region. Doch die zugrunde liegende Rivalität zwischen den imperialistischen Nato-Mächten und transnationalen Konzernen um die Aufteilung der Kriegsbeute wird allgemein totgeschwiegen.

Diese Rivalität wurde letztes Jahr kurzzeitig sichtbar, als Frankreich aus Protest seinen Botschafter aus Rom abzog und warnte, die französisch-italienischen Beziehungen seien so schlecht wie noch nie seit dem Einmarsch des faschistischen Italien im Jahr 1940 während des Zweiten Weltkriegs. Diese Differenzen wurden zwar notdürftig gekittet, doch die Konflikte innerhalb der Nato entwickelten sich weiter. Sie bildeten die Grundlage der Libyen-Konferenz im Winter in Berlin und der aktuellen Erklärung eines hohen französischen Generals, Frankreich müsse sich auf große Konflikte mit anderen Staaten vorbereiten.

Die Lösung liegt in der unabhängigen politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse in einer internationalen Antikriegsbewegung. Der neokoloniale Hunger der europäischen Mächte und ihrer diversen bürgerlichen Stellvertreter im Nahen Osten, durch die sie agieren – in Ägypten, der Türkei oder Libyen – ist reaktionär.

Die Corona-Pandemie und die entsetzliche Unfähigkeit der herrschenden Klassen auf der ganzen Welt, Maßnahmen zu ihrer Eindämmung zu treffen, sind ein weiterer unmissverständlicher Beweis dafür, dass die Arbeiter weltweit wieder auf den revolutionären Weg zurückkehren müssen, den die tunesischen und ägyptischen Arbeiter vor zehn Jahren eingeschlagen haben.

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