Wirecard: Deutsche Wirtschaft versinkt in Kriminalität

Mit dem Finanzdienstleister Wirecard ist ein weiteres Unternehmen zu den DAX-Konzernen gekommen, die in einem Strudel von Affären, Betrug und Kriminalität versinken.

Wirecard-Zentrale in München (Bild: Victoria Huber / flickr)

Der Gründer und langjährige Chef von Wirecard, Markus Braun, ist am Montag in München verhaftet worden. Seit Dienstag befindet er sich unter strengen Meldeauflagen und gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro wieder auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Manipulation der Börsenkurse gegen ihn.

Zuvor war bekannt geworden, dass 1,9 Milliarden Euro, die Wirecard angeblich auf philippinischen Banken deponiert hatte, spurlos verschwunden sind. Ob sie entwendet wurden oder gar nie existiert haben, ist bisher nicht geklärt. Es wird aber vermutet, dass sie erfunden wurden, um den Umsatz von Wirecard künstlich aufzublasen und den Aktienkurs zu steigern. Sie waren nach Angabe von Wirecard von einem dubiosen Treuhänder namens Mark Tolentino angelegt worden, den Präsident Rodrigo Duterte vorher wegen „fragwürdiger Geschäfte“ aus seiner Regierung entlassen hatte.

Das 1999 gegründete Unternehmen, das elektronischen Zahlungsverkehr, Kreditkarten und Ähnliches anbietet, galt an der deutschen Börse als Star. Dabei war nie wirklich klar, worauf das undurchsichtige Geschäftsmodell von Wirecard eigentlich beruhte. Der Aktenkurs stieg binnen weniger Jahre von 35 auf 190 Euro. Braun, der sieben Prozent der Anteile hält, wurde zum Milliardär.

Im September 2018 stieg Wirecard anstelle der Commerzbank in den DAX auf, den Index der 30 wertvollsten deutschen Konzerne. Großinvestoren, wie die DWS-Fondstochter der Deutschen Bank und Union Investment, stiegen in großem Stil ein, als längst Zweifel an den Geschäftspraktiken von Wirecard bestanden, und trieben den Aktenkurs so weiter nach oben.

Behörden und Wirtschaftsprüfer deckten das Unternehmen. Seit mindestens fünf Jahren stand Wirecard im Verdacht, die Bilanzen gefälscht zu haben. Doch die Finanzaufsicht BaFin und die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young ließen es gewähren.

Die BaFin erstattete im April 2019 sogar Strafanzeige gegen zwei Journalisten der Financial Times, die seit 2015 wiederholt über Hinweise auf Tricksereien, undurchsichtige Geldströme und mögliche Bilanzfälschungen bei Wirecard berichtet hatten. Die deutsche Finanzaufsicht warf ihnen vor, mit den Enthüllungen einen Kursrutsch bei Wirecard auslösen zu wollen, um sich dann durch Wetten auf fallende Kurse zu bereichern. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen die Journalisten wegen Marktmanipulation ein.

Inzwischen liegt der Aktienkurs von Wirecard bei 12 Euro. Ein Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Euro ist vernichtet worden. Die Ratingagentur Moody‘s hat die Kreditwürdigkeit des Unternehmens auf Ramschniveau herabgestuft. Die Folgen eines möglichen Bankrotts sind noch nicht abzusehen. Medien schreiben von einem „bespiellosen Finanzdesaster“ und ziehen Vergleiche zum Fall Enron.

Der amerikanische Energiehandelskonzern Enron war in den 1990er Jahren mit Finanzspekulationen, kriminellen Methoden und guten politischen Beziehungen zum siebtgrößten amerikanischen Unternehmen aufgestiegen. 2001 brach Enron zusammen und erschütterte die gesamte amerikanische Wirtschaft. Mit einem veranschlagten Gesamtvermögen und Schulden in der Höhe von 80 Milliarden Dollar war es die bisher größte Insolvenz in der amerikanischen Unternehmensgeschichte.

Die WSWS kommentierte damals: „Die Finanzoperationen der Art, wie sie von Enron praktiziert wurden, sind keine Randerscheinung des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, sondern bilden seinen Kern. Täglich zirkulieren Billionen von Dollar auf den Aktien-, Devisen- und Finanzmärkten der Welt auf der Suche nach Profit. Seit Anfang der 80er Jahre wurden rund 75 Prozent aller Anlagenrenditen aus einer Aufwertung von Marktwerten und nicht aus Profiten und Zinsen erzielt.“

Das war vor 19 Jahren. Seither hat sich die Kluft zwischen der Finanzoligarchie und der Masse der Bevölkerung massiv verschärft. Die Notenbanken haben nach der Finanzkrise 2008, die selbst ein Ergebnis krimineller Finanzspekulationen war, und in der Corona-Krise Billionen in die Finanzmärkte gepumpt, um die Kurse künstlich nach oben zu treiben. Die Rechnung dafür zahlt die Arbeiterklasse in Form verschärfter Ausbeutung.

Der Parasitismus und die Fäulnis des Kapitalismus, die bereits Lenin vor über hundert Jahren in seinem klassischen Buch über den Imperialismus analysiert hatte, haben ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Der Aufstieg des ebenso rücksichtslosen wie ignoranten Immobilienspekulanten und Casino-Betreibers Donald Trump an die Spitze der amerikanischen Regierung ist ein Ausdruck dieser Tatsache.

Der deutsche Kapitalismus bildet dabei keine Ausnahme. Die Vorstellung, er sei irgendwie seriöser, sozialer oder moralischer als der amerikanische, war schon immer falsch. Das Grundvermögen der meisten DAX-Unternehmen – darunter Volkswagen, Deutsche Bank, Bayer, BMW, usw. – geht auf die brutalsten Methoden zurück, die die Menschheit jemals erlebt hat, auf millionenfache Zwangsarbeit, Vernichtungskrieg und Arisierung.

Wenn die führenden Vertreter der Wirtschaft nach Hitlers Fall Kreide fraßen und sich zur angeblich sozialen Marktwirtschaft bekannten, dann um ihr Vermögen zu verteidigen. Einige Konzernchefs mussten zwar kurz ins Gefängnis, doch enteignet wurde keiner.

Seit langem kehrt der deutsche Kapitalismus zu seinen kriminellen Traditionen zurück. Wirecard ist nur der letzte einer ganzen Reihe von DAX-Konzernen, die über ihre üblen Machenschaften gestolpert sind.

VW, der weltweit größte Autokonzern, hat sein Geschäftsmodell auf die illegale Manipulation von Abgaswerten gestützt – und musste zig Milliarden für Entschädigungen und Bußgelder bezahlen. Die Deutsche Bank hat eine führende Rolle bei den kriminellen Geschäften gespielt, die zur Finanzkrise 2008 führten – und hat sich davon bis heute nicht erholt. Bayer hat versucht, mit der Übernahme des berüchtigten US-Konzerns Monsanto zum Weltmarktführer in der Agrarchemie und Biotechnologie aufzusteigen, und haftet nun für Monsantos Verbrechen.

Wirecard-Chef Markus Braun galt als Star, solange die Kurse stiegen und Anleger und Investmentfonds ein Vermögen verdienten. Nun muss er möglicherweise als Sündenbock herhalten. Doch er ist nur der subjektive Ausdruck eines objektiven Prozesses – eines zutiefst kranken, kapitalistischen Gesellschaftssystems, das so schnell wie möglich abgeschafft werden muss.

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