Polnischer Präsident verfehlt im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit

Der aktuelle polnische Präsident Andrzej Duda von der amtierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) konnte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am Sonntag keine absolute Mehrheit erzielen. Laut offiziellem Endergebnis erhielt er 43,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sein Hauptrivale von der liberalen Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) Rafał Trzaskowski, der derzeitige Bürgermeister von Warschau, erhielt 30,5 Prozent. Die verbliebenen Stimmen gingen an neun weitere Kandidaten. Duda und Trzaskowski werden am 12. Juli in einer Stichwahl gegeneinander antreten.

Die Wahl war die EU-weit erste seit der Einführung und Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen gegen das Coronavirus. Laut den polnischen Medien lag die Wahlbeteiligung bei bis zu 62,9 Prozent, was einen neuen Rekord bedeuten würde. Sonntagmittag hatten schon ein Viertel der Wähler ihre Stimmen abgegeben.

Das Ergebnis gilt allgemein als Niederlage für Duda und die PiS. Duda erhielt etwa 8,45 Millionen Stimmen und damit weniger als im zweiten Wahlgang 2015.

Die Wahl war ursprünglich für den 10. Mai geplant und sollte nach dem Willen der PiS trotz des faktischen Lockdowns im ganzen Land stattfinden. Allerdings war sie gezwungen, die Wahl in letzter Minute zu verschieben.

Weil sie befürchtete, dass jede größere Verzögerung die Chancen auf Dudas Wiederwahl verringern würde, entschied sie sich für den 28. Juni, obwohl das Virus weiterhin in Polen und ganz Europa wütet. Der polnische Präsident ist befugt, Veto einzulegen gegen die Entscheidungen des PiS-dominierten Senats, außerdem hat er ein Mitspracherecht in der Außen- und Verteidigungspolitik des Landes. Die PiS hat nur eine knappe Mehrheit im Parlament. Deshalb ist Dudas Machterhalt von entscheidender Bedeutung für ihre Regierungsfähigkeit in der bevorstehenden Legislaturperiode.

Momentan gibt es mehr als 31.000 Corona-Fälle in Polen, und die Wahl wird wahrscheinlich zu einem erneuten scharfen Anstieg führen. Bei Dudas Wahlveranstaltungen standen die Menschen in geringer Distanz voneinander und trugen keine Masken. Duda ließ sich ohne Maske mit seinen Anhängern fotografieren.

Die Gleichgültigkeit, mit der die PiS zur Wahl ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen gedrängt hat, und die Tatsache, dass die liberale Opposition sich daran beteiligt hat, verdeutlichen die Kriminalität und die tiefgreifende Krise der polnischen Bourgeoisie. Die eskalierenden Klassenspannungen in Polen und der Welt als auch die zunehmenden Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten, vor allem zwischen den USA und Deutschland, treiben diese Krise voran.

In einer beispiellosen Aktion hatte Duda am Mittwoch, nur wenige Tage vor der Wahl, Donald Trump im Weißen Haus besucht. Das war der erste Besuch eines ausländischen Staatsoberhaupts in Washington, seit in den USA Lockdown-Maßnahmen eingeführt wurden.

Bei dem Treffen kündigte Trump an, dass die USA einen Teil der Truppen, die sie momentan aus Deutschland abziehen, nach Polen verlegen werden. Die russische Zeitung Gazeta.ru erklärte: „Trump tauscht Deutschland gegen Polen.“ Der Besuch war ein klares Signal von Duda und dem Weißen Haus, welchen Kandidaten der US-Imperialismus bevorzugt.

Unter der PiS hat sich Polen fast ausschließlich darauf orientiert, sein seit Langem bestehendes Bündnis mit dem US-Imperialismus zu stärken. Gleichzeitig haben sich die Beziehungen zur EU und vor allem zu Deutschland, seinem größten Wirtschaftspartner, deutlich verschlechtert. Die PiS hat, mit voller Unterstützung durch Washington, die Strategie verfolgt, ein Bündnis von rechtsextremen Regimes in Osteuropa aufzubauen, das sich sowohl gegen Russland als auch gegen Deutschland richten würde.

Sofern es überhaupt nennenswerte Differenzen zwischen Duda und Trzaskowski gibt, so geht es um die außenpolitische Orientierung Polens. Sowohl die Politik der PiS als auch der liberalen Opposition ist auf die Vorbereitung eines Kriegs gegen Russland ausgerichtet, allerdings gibt es hitzige Streitereien über die Frage, auf welches imperialistische Land sie sich in ihrer Außenpolitik stützen sollen.

Trzaskowski wurde von der PO vor allem wegen seiner engen Beziehungen zu Donald Tusk (PO) ernannt, dem ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten und Präsident des Europäischen Rates. Tusk spielt immer noch eine führende Rolle in der PO und hat von allen polnischen Politikern wohl die engsten Beziehungen zur deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen deutschen Politikern. Zwischen 2014 und 2015 war Trzaskowski unter Tusk stellvertretender Außenminister und verantwortlich für alle wichtigen Geschäfte mit der EU.

Die hohe Wahlbeteiligung deutet zwar auf eine wachsende Politisierung hin, doch die fortgeschrittenen Kriegsvorbereitungen der polnischen herrschenden Klasse wurden ebenso systematisch aus dem Wahlkampf ausgeblendet wie die Corona-Krise und ihre verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen.

Hunderttausende Menschen haben von April bis Mai ihre Arbeitsplätze verloren, die Gesamtzahl liegt bei über einer Million, bzw. 5,8 Prozent der Bevölkerung. Unter Bergarbeitern liegt die Arbeitslosenquote bei neun Prozent, in Restaurants und dem Gastronomiegewerbe bei 13 Prozent. Bis zum Ende des Jahres wird die Arbeitslosenquote vermutlich auf insgesamt acht Prozent steigen. Die Wirtschaft wird ohne eine zweite Welle vermutlich um 7,4 Prozent schrumpfen, mit einer zweiten Welle um 9,5 Prozent. Diese zweite Welle wird angesichts der vorschnellen Wiedereröffnung der Wirtschaft in Polen und im Rest der Welt nahezu unweigerlich kommen.

Die Auswirkungen des Virus auf das Gesundheitssystem, dem jahrzehntelang die Mittel gekürzt wurden, waren katastrophal. Selbst die vergleichsweise geringe Zahl von Fällen und Krankenhauseinweisungen hat die Krankenhäuser völlig überfordert. In vielen Städten gab es keine Beatmungsgeräte, die notwendig sind, um schwerkranke Corona-Patienten zu behandeln. Genau wie in anderen Ländern gab es einen dramatischen Mangel an Schutzausrüstung und anderen grundlegenden medizinischen Ausstattungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen.

Die westpolnische Region Schlesien war am stärksten betroffen. Weil die Bergwerke noch monatelang in Betrieb waren, während im Rest des Landes ein Lockdown herrschte, konnte das Virus unter den Bergarbeitern und ihren Familien wüten. In der Woiwodschaft Schlesien gab es bis Ende Juni 12.000 Fälle, was mehr als ein Drittel der landesweiten Gesamtzahl ist. Die Bergarbeiter machen mindestens ein Fünftel aller Infizierten in Polen aus.

Im Nachbarland Deutschland, wo zwei Millionen Polen leben und viele Tausende regelmäßig zur Arbeit gehen, waren die polnischen Arbeiter stark vom Ausbruch in der Fleischbranche betroffen. Ein Großteil der Belegschaft bei Tönnies in Nordrhein-Westfalen, wo sich mehr als 1.500 Arbeiter infiziert haben, stammt aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Die Sozialsysteme dieser Länder wurden durch die stalinistische Wiedereinführung des Kapitalismus zerstört.

Ein polnischer Arbeiter erklärte gegenüber dem Spiegel, eine soziale Distanzierung in dem Werk sei nicht möglich, da die Arbeiter mit einem Abstand von 20 bis 30 Zentimetern nebeneinander stehen. Außerhalb des Werks leben sie in überfüllten Unterkünften. Allerdings habe er keine andere Wahl, als diese Arbeit zu machen, obwohl er eine Ansteckung riskiert. Er erklärte, seine Familie habe sich verschuldet, weil seine Tochter krank war, und es gebe in Polen keine andere Möglichkeit, um ansatzweise genug für seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Aussage verdeutlicht die weit verbreitete soziale Verzweiflung in der polnischen Arbeiterklasse.

Die enormen Schäden, die das Virus vor allem in Schlesien angerichtet hat, haben die Versuche der PiS, nach dem jahrzehntelangen Austeritätskurs an die soziale Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse und in Teilen der Landbevölkerung zu appellieren, stark beeinträchtigt.

Die liberale Opposition ist mittlerweile in der Arbeiterklasse weitgehend verhasst, weil sie während ihrer Regierungszeit Austeritätsmaßnahmen durchgesetzt hat. Die liberale Zeitung Newsweek Polska wies darauf hin, dass Trzaskowskis Chance, in zwei Wochen gewählt zu werden, größtenteils davon abhängt, ob sein Wahlkampf „wichtige Pulverfässer“ wie die Erhöhung des Rentenalters aus dem Weg räumen kann. Diesen höchst unpopulären sozialen Angriff hatte Trzaskowski in der Vergangenheit unterstützt.

Trzaskowski vermied in seinem Wahlkampfvideo auf Twitter sorgfältig alle politischen Äußerungen. Stattdessen zeigte er Kinderfotos, Bilder seiner Familie, seines Hundes, seiner Bücher und seiner Arbeitsstätten. Das einzige, was einer politischen Äußerung nahe kam, waren Bilder von sich und der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin sowie aktuellen EU-Ratspräsidentin, Ursula von der Leyen, und einigen EU-Führungskräften.

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