Frankreich: Macron ernennt neuen Premierminister

Am 3. Juli ernannte Präsident Emmanuel Macron Jean Castex zum Nachfolger von Premierminister Edouard Philippe. Castex gehört der rechten Partei Les Republicains (LR) an und pflegt enge Kontakte zum ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Er wird in dieser Woche sein neues Ministerkabinett ernennen.

Der neue französische Premier Jean Castex (rechts) und sein Vorgänger Edouard Philippe bei der Amtsübergabe in Paris am 3. Juli (AP Photo/Michel Euler) [AP Photo/Michel Euler]

Die Regierungsumbildung ändert zwar nicht ein Jota am Diktat des französischen Militärs und der Polizei – ebenso wenig an Macrons arbeiterfeindlichem Programm –, doch sie stellt eine bedeutsame Warnung an die Arbeiterklasse dar. Castex, den die Zeitung Liberation als „Technokraten im Hotel Matignon“ (dem Amtssitz des Premierministers) bezeichnet hat, begann seine Karriere mit Ausgabenkürzungen und Profitsteigerungsmaßnahmen in öffentlichen Krankenhäusern, die er eng mit den Gewerkschaften koordinierte. Danach war er unter Macron für die Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen gegen Covid-19 verantwortlich.

Gemeinsam mit den Gewerkschaften soll Castex künftig die Austeritätspolitik koordinieren, die Macron und die Banken als Reaktion auf die Corona-Pandemie verhängen werden.

Unter Bedingungen weltweiter Streiks und Proteste, mit denen Arbeiter auf die Massenentlassungen und Bankenrettungen der herrschenden Klasse reagieren, muss die Nominierung von Castex auch in einer weiteren Hinsicht als Warnung verstanden werden: Die einzige Möglichkeit, diese Kämpfe voranzutreiben, besteht darin, sie unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie zu organisieren. Die französischen Gewerkschaften, die sich über lange Zeit als „radikaler“ und „klassenkämpferischer“ als ihre korrupten Pendants in den USA oder Deutschland inszeniert hatten, integrieren sich mehr und mehr vollständig in den Staatsapparat.

Das historische Versagen der kapitalistischen Regierungen in Amerika und Europa, die Corona-Pandemie rasch aufzuhalten, stellt bereits die Weichen für eine internationale Offensive der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse. Während Billionen Euro an Steuergeldern im Rahmen von Rettungsaktionen auf die Konten der Banken und Konzerne überwiesen werden, sollen Arbeiter für die Krise bezahlen. Allein in Frankreich arbeiten mehr als elf Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, mehr als 400.000 haben bei Firmen wie Airbus, Air France und Renault bereits vor der jüngsten Welle von Massenentlassungen ihre Stellen verloren.

Es ist davon auszugehen, dass diese rücksichtslose und zerstörerische Politik der Finanzaristokratie die schwerste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression der 1930er auslösen und den Crash von 2008 weit in den Schatten stellen wird. Letzten Monat kündigte Macron in einer Rede an, seine Regierung werde weitere Massenentlassungen und Insolvenzen akzeptieren. Letzteres betrifft offenbar vor allem kleinere Unternehmen, die von den Banken ihrem Schicksal überlassen werden, obwohl dieselben Banken von der Europäischen Zentralbank öffentliche Rettungsgelder im Wert von 1,25 Billionen Euro erhalten haben.

Ehe Macron am Donnerstagabend Edouard Philippe zum Rücktritt aufforderte, hatte er in einem Interview mit mehreren Regionalzeitungen, darunter Ouest France, Midi Libre und Courrier Picard, erklärt: „Ich habe in den letzten Wochen sehr breite Diskussionen geführt, um alle lebendigen Kräfte der Nation zusammenzubringen und die nächsten Schritte in der Krise zu planen. Die Zeit während der Öffnung der Schulen wird sehr schwierig werden, und wir müssen uns darauf vorbereiten.“

Nachdem Macron sich im vergangenen Monat noch damit gebrüstet hatte, gemeinsam mit Berlin für die Konzerne ein staatliches Rettungsprogramm über 500 Milliarden Euro ausgearbeitet zu haben, erklärte er nun, es werde einen massiven Arbeitsplatzabbau geben: „Ich will ganz offen zu Ihnen sein: Massenentlassungen finden bereits statt, und es werden weitere folgen. Die Gesundheitskrise hat fünf Prozent des nationalen Vermögens vernichtet und ganze Industriezweige zum Erliegen gebracht. Das wird notwendigerweise Auswirkungen auf die Unternehmen haben.“

Es folgte ein billiger Versuch Macrons, ein offenes Ohr für die Forderungen aus der Bevölkerung vorzutäuschen, wie sie unter anderem in den Stimmengewinnen der Grünen bei den Kommunalwahlen am letzten Wochenende oder den weltweiten Protesten gegen den Polizeimord an George Floyd im US-amerikanischen Minneapolis zum Ausdruck kamen. Er forderte einen „wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Wiederaufbau unseres Landes“ und warnte: „Ein Schlüsselthema ist die Sicherstellung von Chancengleichheit. In dieser Hinsicht haben wir nicht genug getan. Man sieht es daran, dass einige unserer Jugendlichen sagen 'Wenn man die falsche Hautfarbe oder den falschen Vornamen hat, hat man in der Republik nicht den gleichen Platz'.“

Macron erklärte außerdem, er könne sechs Milliarden Euro für Lohnerhöhungen im französischen Gesundheitswesen ausgeben, wo die Löhne zu den niedrigsten in ganz Europa gehören.

In Wirklichkeit machte Macron jedoch deutlich, dass er gegen die Arbeiterklasse einen rücksichtslosen Klassenkampf führen wird. Er erklärte, Arbeiter müssten längere Wochenarbeitszeiten hinnehmen und länger in die staatlichen Rentensysteme einzahlen, um eine volle Rente zu erhalten. Gleichzeitig lehnte er Steuererhöhungen für Reiche ab und behauptete, dies wäre ein „schwerwiegender Fehler“. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte er die Steuern für Reiche gekürzt.

Vor kurzem hatte Macron mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Rettungspaket ausgehandelt. Doch kurze Zeit später bestand er darauf, dass von den bereitgestellten Geldern nichts für die Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiter oder die Rettung von Arbeitsplätzen benutzt werden dürfe. Er behauptet allen Ernstes, es wäre „unfair“, wenn diese Geldmittel nicht in voller Höhe an die Banken und Konzerne gehen würden: „Wir haben uns darauf geeinigt, Schulden gemeinsam aufzunehmen. Es wäre unfair, wenn wir die Ausgaben für Sozialleistungen und Lohnerhöhungen mit Schulden finanzieren würden.“

Macron erklärte, die kommende Regierung habe die Aufgabe, diesen Klassenkrieg gegen die Arbeiterklasse zu planen, zu koordinieren und umzusetzen. Dabei soll sie eng mit den „Sozialpartnern“, d.h. den Gewerkschaften und Unternehmensverbänden, zusammenarbeiten. Er erklärte: „Ich werde die Regierung anweisen, in diesem Sommer in verantwortungsbewusstem Dialog mit den Gewerkschaften so schnell wie möglich weitreichende Verhandlungen über die Frage eines ausgeglichenen Haushalts aufzunehmen.“

Kurzum: Die kommende Regierung hat den Auftrag, die Privilegien der französischen herrschenden Klasse zu verteidigen - und das auf die parasitärste Art und Weise seit den Zeiten des Feudaladels. Dieser hatte sich 1789 in der Ständeversammlung geweigert, Steuern zu zahlen. Diese Weigerung führte damals dazu, dass die Haushaltskrise, die durch Frankreichs Teilnahme am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg entstanden war, schließlich in die Französische Revolution mündete.

Nach den letzten beiden Jahren, die durch wachsende Streiks und Jugendproteste, sowie das Aufkommen der „Gelbwesten“ geprägt waren, steuert die Arbeiterklasse heute direkt auf eine Kollision mit der Castex-Regierung zu.

Bezeichnenderweise haben sowohl Castex als auch die Gewerkschaftsbürokratie Unterstützung für die Politik signalisiert, deren Grundzüge Macron skizzierte. Im Vorfeld eines landesweiten Fernsehinterviews zur besten Sendezeit versprach Castex auf Twitter, eng mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. „Bevor ich Lösungen anbiete, will ich sie in allen Regionen mit der Nation und den Sozialpartnern diskutieren. Wir werden sie so eng wie möglich in die Suche nach Lösungen und einen neuen Sozialpakt einbinden.“

Der rechte Politiker Xavier Bertrand, ein ehemaliger Arbeitsminister unter Sarkozy, antwortete: „Ich kenne und schätze Castex' Fähigkeiten als Staatsdiener. In den schwierigen Zeiten, die uns bevorstehen, werden sie unverzichtbar sein.“

In seinem eintönigen Fernsehinterview rief Castex die „Sozialpartner“ erneut zu Verhandlungen über seine Politik auf und forderte eine „rigorosere“ Sozialpolitik. Gleichzeitig deutete er ein nationalistisches Durchgreifen gegen Immigranten, vor allem Muslime, an und betonte, er werde „bestimmte Verhaltensweisen, Entgleisungen, Parallelgesellschaften oder Kommunitarismen“ nicht tolerieren.

Zur gleichen Zeit signalisierten die Gewerkschaften – die keinerlei Streiks gegen die drohenden Massenentlassungen organisieren – ihre Unterstützung für den neuen Premierminister. Die Finanzzeitung Les Echos berichtet, Castex habe „sehr sorgfältige Arbeit geleistet, damit die Züge während der besonderen Reformen weiterfuhren“ (d.h. als die Renten der Lokführer gekürzt wurden). „Er ist seitdem ein enger Freund des ehemaligen Vorsitzenden der CGT, Bernard Thibault.“

François Aubart von der Pflegegewerkschaft Coordination Médicale Hospitalière (CMH) begrüßte Castex' Intervention zur Kostensenkung und Profitsteigerung in öffentlichen Krankenhäusern und erklärte gegenüber Liberation: „Als wir während der Krankenhauskrise 2005–2006 mit ihm sprachen, hörte er uns zu. Er ist ein Mann, der sich nicht verändert, nur weil sich seine Position ändert. Er will Veränderungen bewirken.“

Diese Äußerungen belegen nicht nur die Unrechtmäßigkeit der europäischen Regierungspolitik, sondern auch die lügnerische Unaufrichtigkeit der Gewerkschaften, wenn sie behaupten, sie würden die arbeitende Bevölkerung repräsentieren.

Die erste Hälfte des Jahres 2020 wurde davon bestimmt, dass die Bourgeoisie auf die Pandemie mit erschütternder medizinischer Inkompetenz und Wirtschaftsparasitismus reagierte. Die zweite Hälfte des Jahres wird einen wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse erleben. In den USA gründen Autoarbeiter unabhängige Komitees, um sichere Arbeitsbedingungen durchzusetzen und gesteigerte Arbeitshetze und Arbeitsplatzabbau zu verhindern. Die Aufgabe besteht jetzt darin, den Gewerkschaften die Kontrolle über die Kämpfe zu entreißen. Arbeiter müssen sich im Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Lebensstandards unabhängig organisieren, um die immensen sozialen Reichtümer zurückzuerobern, die gegenwärtig von der Bourgeoisie geplündert werden.

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