Mehr als 700 Pflegekräfte in Joliet (Illinois) streiken für bessere Löhne und sichere Arbeitsbedingungen

Am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, traten 720 Pflegekräfte des St. Joseph Medical Center in Joliet (Illinois) zum ersten Mal seit 1993 in den Streik. Sie fordern ausreichend Personal, angemessene Bezahlung und ein Ende der Einschüchterungsversuche des Managements. Die Corona-Pandemie hat die prekären Arbeitsbedingungen, unter denen viele Beschäftigte im Gesundheitswesen arbeiten, nur umso deutlicher gemacht. Obwohl von ihnen Einsatz an vorderster Front gegen die Pandemie gefordert wird, bekommen sie im Gegenzug Zwangsurlaub und Nullrunden.

Die Pflegekräfte des St. Joseph Medical Center stimmten mit 558 zu 53 für einen Streik gegen den Klinikbetreiber AMITA Health. Das nominell gemeinnützige katholische und adventistische Gesundheitsunternehmen AMITA Health, das 1973 gegründet wurde, ist einer der größten Klinikbetreiber im Bundesstaat Illinois. Es unterhält 19 Krankenhäuser und mehr als 230 Pflegeeinrichtungen, mit denen es jährlich etwa vier Milliarden Dollar Nettoerlöse erwirtschaftet. Der Mischkonzern ist in neun Staaten aktiv, in denen er 45 Krankenhäuser mit mehr als 8.200 Betten unterhält und jährlich mehr als fünf Millionen Patienten behandelt.

(Quelle: Amita Health)

Schon vor der Pandemie hatten Pflegekräfte im ganzen Land Widerstand gegen die immer ungünstigere Pflegekraft/Patienten-Quote geleistet, die ihnen von den Krankenhausmanagern aufgezwungen wird. Angesichts der Pandemie sind sie mit den tödlichen Folgen von Unterbesetzung und dem Mangel an Schutzausrüstung konfrontiert. In den USA sind laut einer Studie des Guardian und Kaiser Health News mindestens 735 Pflegekräfte an Covid-19 gestorben, etwa 78.000 wurden positiv getestet.

Vom Pflegepersonal wird mehr Verantwortung verlangt, beispielsweise Mehrfachschichten oder längere Schichten, was zu Erschöpfung führt und ihre Patienten der Gefahr von Verletzungen oder Behandlungsfehlern aussetzt.

Im Vorfeld des Streiks in Joliet hatten im kalifornischen Riverside Community Hospital 500 Pflegekräfte zehn Tage lang gegen unsichere Bedingungen und Unterbesetzung gestreikt. Die Streikenden mussten am Montag wieder an die Arbeit zurückkehren, obwohl nichts darauf hindeutet, dass ihre Forderungen erfüllt werden.

Streiks und Arbeitskämpfe von Beschäftigten des Gesundheitswesens entwickeln sich zu einem internationalen Phänomen. In Simbabwe streikten letzte Woche die Pflegekräfte zum zweiten Mal in diesem Jahr gegen Armutslöhne und fehlende Schutzausrüstung. Daneben begannen letzte Woche auch in Sierra Leone Ärzte, die Corona-Patienten behandeln, einen Streik für die Auszahlung ausstehender Boni. Außerdem protestierten sie mit ihrem Streik gegen die staatliche Zweckentfremdung von Geldern, die für den Kampf gegen die Pandemie vorgesehen sind. Im nordostbrasilianischen Bundesstaat Piauí traten letzten Monat die Fachkräfte im Gesundheitswesen in einen unbefristeten landesweiten Streik, um für die Auszahlung einer versprochenen 40-prozentigen Risikozulage durch das Gesundheitsministerium und gegen die minderwertige Schutzausrüstung zu protestieren.

Die Streiks im Gesundheitswesen sind Teil einer weltweiten und branchenübergreifenden Reaktion der Arbeiter auf die Gefahren für ihre Gesundheit und ihr Leben, die von dem Back-to-Work-Kurs der Regierungen ausgehen. Sie gehen in die Offensive, um ihre Arbeitsbedingungen und ihre Rechte zu verteidigen. In den USA setzen die Arbeiter der Schiffswerft Bath Iron Works in Maine ihren Streik gegen das geringe Lohnangebot des Unternehmens und die Pläne zur Einstellung von Leiharbeitern fort.

Am 29. Juni begannen mehr als 2.000 Amazon-Arbeiter in Deutschland einen zweitägigen Streik an sechs Standorten, um von dem Unternehmen angemessenen Schutz vor dem Coronavirus zu fordern. Am 1. Juli streikten Tausende von Logistikarbeitern in mehr als zehn Landeshauptstädten Brasiliens sowie in mehreren argentinischen und mexikanischen Städten für bessere Arbeitsbedingungen.

Am 2. Juli begannen Hunderttausende indische Kohlegrubenarbeiter des Staatskonzerns Coal India Limited einen dreitägigen Streik gegen die Privatisierungspläne von Premierminister Narendra Modis Regierung. Laut einigen Berichten haben mehr als 500.000 Vollzeit- und Leiharbeiter die Arbeit niedergelegt.

Während der drastischen Ausdehnung der Corona-Pandemie im April in Illinois kamen im St. Joseph Medical Center auf eine Pflegekraft vier bis fünf Patienten mit Covid-19, obwohl die Krankenhäuser in ihren eigenen Richtlinien ein Verhältnis von eins zu eins bei Corona-Intensivpatienten empfohlen hatten. Die chaotische Arbeitsumgebung rührt daher, dass im Notfallbereich der Klinik, in der Intensivstation und den Corona-Bereichen nicht genug Personal beschäftigt ist. Dass sich viele Pflegekräfte mit dem Virus infiziert hatten, verschlimmerte die Lage noch weiter.

Die Illinois Nurses Association (INA), der Ableger der Gewerkschaft National Nurses Union (NNU) in diesem Bundesstaat, erklärte: „Die Pflegekräfte im St. Joseph Medical Center haben zum Streik gegen ungerechte Vorgehensweisen des Krankenhauses und dessen Unfähigkeit aufgerufen, ein Abkommen über ausreichend Personal, den Erhalt des Krankheitsurlaubs, bezahlte freie Tage und gerechte Löhne auszuhandeln. Stattdessen hat das St. Joseph Medical Center Rettungsgelder von der Bundesregierung kassiert und seine Arbeiter ausverkauft, u.a. durch Nullrunden und Untätigkeit in Bezug auf unsichere Arbeitsbedingungen. Dazu sagen die Pflegekräfte: NEIN! Alleine im Jahr 2019 haben die Pflegekräfte 205 Tage mit unsicheren Pflegebedingungen für Patienten dokumentiert.“

Trotz dieser erbärmlichen Bedingungen und der Bereitschaft der Pflegekräfte, dagegen Widerstand zu leisten, haben sowohl die INA im St. Joseph Medical Center und die Niederlassung 121RN der Gewerkschaft SEIU im Riverside Community Hospital mitgeholfen, den Streik zu isolieren und die Wut der Arbeiter mit der Lüge zu beschwichtigen, Appelle an das Konzernmanagement und die Demokratische Partei würden für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Das ist das gleiche Muster, das bereits zur Niederlage zahlloser Streiks der Pflegekräfte geführt hat, u.a. beim Streik der Pflegekräfte an der University of Chicago im letzten Jahr und im Frühling dieses Jahres gegen HCA Healthcare in Florida.

In all diesen Fällen haben die Gewerkschaften dafür gesorgt, dass sich aus diesen Aktionen kein breites Bündnis aller Beschäftigten im Gesundheitswesen über Klinikbetreiber, Bundesstaaten und Landesgrenzen hinweg entwickelt. Die Forderungen der Pflegekräfte sind überall gleich: Sie kämpfen an allen Standorten für sichere Bedingungen für ihre Patienten und sich, angemessenen Zugang zu Schutzausrüstung und N95-Masken, bezahlten Krankheitsurlaub und angemessene Löhne und Bedingungen.

In den USA haben die großen Klinikkonzerne wegen der Kürzungen bei wahlchirurgischen Eingriffen und anderen Dienstleistungen Einnahmen verloren. Laut einer Schätzung der Illinois Health and Hospital Association haben die Krankenhäuser im ganzen Bundesstaat etwa 1,4 Milliarden Dollar Verlust pro Monat gemacht. Jetzt versuchen die Krankenhäuser, ihre Nettogewinne zu erhöhen, indem sie mit Angriffen auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte und anderer Beschäftigter mehr Profit aus ihnen herauspressen.

Im Allgemeinen ist der Ablauf dieser Streiks vorhersehbar. Nach mehreren Wochen ergebnisloser Verhandlungen findet eine Urabstimmung statt, und ein Streik wird beschlossen, hauptsächlich damit die Pflegekräfte Dampf ablassen können. Die Krankenhäuser werden früh genug informiert, sodass sie Krankenwagen verlegen, ihre Patientenzahlen senken, vermeidbare Operationen absagen und „Vertretungskräfte“ von Streikbrecherfirmen herbeischaffen können, um die Patienten zu versorgen. Der Streik dauert dann eine bestimmte Zeit an, danach werden einige bescheidene Vorschläge angenommen und als „das Beste, was wir bekommen konnten“ dargestellt.

Das AMITA St. Joseph wurde rechtzeitig vor dem Streik der Pflegekräfte gewarnt und hat über Zeitarbeitsfirmen, teilweise von außerhalb des Bundesstaats, befristete Ersatzkräfte beschafft, um das Krankenhaus während des Streiks in Betrieb zu halten. Das jüngste Angebot der Unterhändler von AMITA an die Gewerkschaft beinhaltet eine dreijährige Nullrunde auf dem derzeitigen Lohnniveau, ein Bonus von 500 Dollar für Vollzeitkräfte und von 250 Dollar für Teilzeitkräfte. Der Klinikbetreiber hat inzwischen erklärt, es verzichte auf die Nullrunde, doch die Pflegekräfte setzten ihren Streik fort. AMITA hat außerdem von den Pflegekräften gefordert, ihre Beschwerden wegen ungerechter Vorgehensweisen des Krankenhauses zurückzunehmen.

Die INA fordert dagegen Lohnerhöhungen von zwei Prozent und zweimal 3,5 Prozent, was kaum über der Inflationsrate liegt. Die Gewerkschaft fordert außerdem einen erweiterten Krankheitsfonds für aktuelle und neu eingestellte Arbeiter, aus dem sie bei Krankheit und Verletzungen auch über vier Tage hinaus weiter bezahlt werden können. Daneben fordern sie die Einführung einer Mindestbesetzung für Spezialpflegefälle (höchstens vier), eine 150-prozentige Erhöhung für kritische Extraschichten und gegenseitige Absprachen bei Schichtänderungen. Selbst auf diese minimalen Forderungen reagieren die Vertreter des St. Joseph unnachgiebig; stattdessen bedenken sie die Pflegekräfte, die täglich ihr Leben riskieren, mit zynischem Lob. Sie bezeichnen sie als „Helden“, behandeln sie jedoch mit Verachtung.

Da die globale Corona-Pandemie weiter außer Kontrolle gerät, sollten sich die Pflegekräfte und Beschäftigten im St. Joseph an den Fiat-Chrysler-Arbeitern in Michigan orientieren, die Aktionskomitees für Sicherheit gegründet haben, um sich vor den tödlichen Arbeitsbedingungen während der Pandemie zu schützen und ihre Kämpfe gegen die Autokonzerne zu vereinen. Sie dürfen sich nicht darauf verlassen, dass die wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaften diesen Kampf führen werden.

Die Kontrolle über die Reaktion auf die Pandemie muss der Kapitalistenklasse entzogen werden. Der Kampf der Beschäftigten im internationalen Gesundheitswesen, der als Teil der Massenaktion der Arbeiterklasse in internationalem Maßstab koordiniert werden muss, ist notwendig, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und Millionen bedrohte Menschenleben zu retten.

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