Perspektive

Die Bedeutung der Online-Diskussion vom 4. Juli über „ Die Stellung der beiden amerikanischen Revolutionen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“

Am 4. Juli fand auf der World Socialist Web Site anlässlich des 244. Jahrestags der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung eine Diskussion mit fünf bedeutenden Historikern statt: Victoria Bynum, Clayborne Carson, Richard Carwardine, James Oakes und Gordon Wood.

Die Diskussion über „Die Bedeutung der Amerikanischen Revolution und des Bürgerkriegs in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, moderiert vom Professor am Kings College, Tom Mackaman, und dem Internationalen Chefredakteur der WSWS, David North, sorgte für eine faszinierende, zum Nachdenken anregende Erfahrung. (Die vollständige Aufzeichnung kann hier angesehen werden.)

Die Diskussion zog ein großes internationales Publikum aus 72 Ländern an. Rund 3.000 Menschen sahen sie live, und in den ersten 24 Stunden nach Veröffentlichung der Übertragung auf YouTube und anderen Social-Media-Kanälen kamen weitere tausende Zuschauer hinzu. Dies zeugt von dem immensen Interesse an historischen Fragen und ihrer Beziehung zu aktuellen Problemen.

In ehrlicher und offener Weise sprach die Veranstaltung an, was jeder objektive Beobachter als einige der dringendsten und verzwicktesten Fragen in Bezug auf die amerikanische Geschichte und die Weltgeschichte betrachten muss: der intellektuelle und soziale Einfluss der Unabhängigkeitserklärung und die Rolle von Persönlichkeiten wie Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Frederick Douglass; die internationalen Auswirkungen des amerikanischen Bürgerkriegs; das Vorhandensein oder Fehlen der Begriffe „Revolution“ und „Klasse“ in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft; die anhaltenden Angriffe auf die beiden amerikanischen Revolutionen; und die bösartige Zunahme der sozialen Ungleichheit heute, die durch die schreckliche Covid-19-Pandemie vertieft und verschlimmert wurde.

Zwar ging es in erster Linie um Ereignisse, die auf amerikanischem Boden stattfanden, doch die Diskussion hatte nichts Engstirniges oder Provinzielles an sich. Alle inhaltlichen Fragen, einschließlich der Frage des Nationalismus und der Rassenpolitik, die zur Debatte standen, sind internationale Fragen. Darüber hinaus musste diese revolutionäre Geschichte angesichts der gewaltigen Rolle des amerikanischen Imperialismus im Weltgeschehen für ein globales Publikum von großem Interesse sein, was sie auch tatsächlich war. Die Podiumsdiskussion wurde von Zuschauern in mehr als 70 Ländern auf allen bewohnten Kontinenten verfolgt.

In seiner Einführung in die Diskussion stellte David North fest, dass es keinen Sinn habe, so zu tun, als könnten oder sollten historische Fragen von den gegenwärtigen Angelegenheiten getrennt werden. Aber er argumentierte,

die Geschichte hat, als Geschichte, ihre eigenen Ansprüche. Wie auch immer man die Vergangenheit interpretieren mag, so sollte man doch ernsthaft versuchen, sich bei Interpretationen prinzipiell um die faktische Grundlage der eigenen Argumente zu bemühen. Eine ‚Version‘ der Geschichte, die nicht auf Tatsachen beruht – ganz zu schweigen von einer Version, die auf der absichtlichen Verzerrung oder völligen Verfälschung der historischen Dokumente beruht – hat keinen intellektuellen Wert.

Unter Bezugnahme auf die gegenwärtigen Angriffe auf das Erbe der ersten und zweiten amerikanischen Revolution und auf diejenigen, die sie anführten, erklärte North: „Ich muss zugeben, dass ich besorgt bin über die Auswirkungen der Schlussfolgerung, dass die Welt ein besserer Ort gewesen wäre, wenn die amerikanische Revolution verloren gegangen und Abraham Lincoln nie geboren worden wäre.“

Im Rahmen einer prinzipientreuen Verteidigung der amerikanischen Revolution und des Bürgerkriegs wurden wichtige historische Fragen untersucht.

„Der Marsch nach Valley Forge“ (1883), berühmtes Gemälde von William Trego. Aus der Sammlung des Museums der Amerikanischen Revolution in Philadelphia

Gordon Wood, emeritierter Professor für Geschichte an der Brown University und Autor zahlreicher Werke, darunter The Creation of the Republic, The Radicalism of the American Revolution und Empire of Liberty, wies schon früh in der Diskussion darauf hin, welche Auswirkungen die Berufung auf die Gleichheit der Menschen in der Unabhängigkeitserklärung hatte.

Die Autoren waren sich kaum im Klaren darüber, versicherte Wood,

wie bedeutsam [...] diese Worte nicht allzu lange danach werden würden, wenn die Menschen sie aufgreifen und benutzen würden, insbesondere „Gleichheit“. Die Idee, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, ist meiner Meinung nach die stärkste Kraft im amerikanischen Leben und vielleicht auch in der Welt. [...] Viele Menschen hielten dies für einen großen Moment in der Weltgeschichte.

Victoria Bynum, angesehene emeritierte Geschichtsprofessorin an der Texas State University, fand in ihrer Arbeit über die Southern Unionists, d.h. Südstaatler, die sich der Konföderation widersetzten und in vielen Fällen schließlich für die Union kämpften, heraus, dass die Prinzipien der Aufklärung und der Unabhängigkeitserklärung weiterlebten.

Die Autorin von The Free State of Jones: Mississippi's Longest Civil War und The Long Shadow of the Civil War: Southern Dissent and its Legacies kommentierte, dass

ich entdeckte, dass die amerikanische Revolution in den Köpfen [...] der Südstaaten-Unionisten all die Jahre später während des Bürgerkriegs immer im Vordergrund stand.

Auf die Frage nach der Haltung Abraham Lincolns gegenüber Thomas Jefferson, bemerkte Richard Carwardine, langjähriger Professor an den Universitäten Sheffield und Oxford und Autor der mit dem Lincoln-Preis ausgezeichneten Biografie Lincoln: A Life of Purpose and Power, dass Lincoln zwar keine Bewunderung für den von Jefferson verfochtenen Agrarordnung oder die Sklavenhalterklasse, der er angehörte, hegte. Doch „Lincolns Ansicht über den Mann Jefferson ist, glaube ich, von seiner Ansicht über die Unabhängigkeitserklärung, für die er ihn ehrte, zu trennen.“ Er betonte, dass die Erklärung „absolut zentral für Lincolns politische Laufbahn zwischen 1854 und 1860“ gewesen sei. Nachdem er Präsident geworden war, habe Lincoln versucht, „die öffentliche Meinung auf die Grundsätze der Erklärung einzuschwören, was er dann natürlich im November 1863 in Gettysburg in großartiger Weise tat.“

Dann sprach James Oakes, ein angesehener Geschichtsprofessor am Graduate Center der City University of New York und Autor des mit dem Lincoln-Preis ausgezeichneten Buches The Radical and the Republican: Frederick Douglass, Abraham Lincoln and the Triumph of Anti-Slavery Politics und von Freedom National: The Destruction of Slavery in the United States, 1861-1865. Oakes wies in seinen ersten Bemerkungen darauf hin, dass es erst mit der amerikanischen Revolution „eine organisierte Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei gab, und sie [die Revolution] setzt jenen 88-jährigen Kampf in Gang, der im Bürgerkrieg gipfelt“:

Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie sich diese Bewegung hätte rechtfertigen können, und sicherlich fällt es mir schwer, mir vorzustellen, wie Abraham Lincoln sie ohne ständigen Rückgriff auf das Prinzip der grundlegenden Gleichheit der Menschen und die [Unabhängigkeits-]Erklärung hätte rechtfertigen können.

Professor Wood kommentierte später, in Bezug auf die Folgen der Aufklärung und „den Beginn der Moderne“:

All das ist also Teil dieser großen Geschichte, die wir haben und die diese beiden Revolutionen verbindet. Ich habe keinen Zweifel, dass [...] der Sieg des Nordens im Bürgerkrieg der Höhepunkt der amerikanischen Revolution ist.

Clayborne Carson, Professor für amerikanische Geschichte an der Stanford University, Herausgeber der Schriften von Martin Luther King Jr. und Direktor des Martin Luther King Jr. Research and Education Institute, sprach über den großen Abolitionisten Frederick Douglass und seine berühmte Rede, die er am 5. Juli 1852 hielt und die heute bekannt ist als „Was bedeutet für den Sklaven der Vierte Juli?“

In dieser Ansprache erklärte Douglass, dass auch er die Unabhängigkeitserklärung feierte, fragte aber sein meist weißes Publikum mit Carsons Worten: „Was ist die Bedeutung dieses von Ihnen geschaffenen Dokuments, dieses von Ihnen geschaffenen Gleichheitsprinzips?“ Dann zeichnete er ein verheerendes Bild von „der Realität [...] dass diese Nation diesen Prinzipien nicht gerecht geworden ist.“

Carson fuhr fort,

Vielleicht brauchen wir einen zweitägigen Feiertag – einen am 4. Juli, um die Erklärung zu feiern, und dann am 5. Juli kritisieren wir, was geschehen ist [...] ob wir dieser Erklärung gerecht geworden sind oder nicht.

In Bezug auf das „Ungleichgewicht zwischen den Worten der Unabhängigkeitserklärung und der Realität“ schlug Professor Oakes vor, dass Lincoln das frühere Dokument als „keine Beschreibung der Realität“ betrachtete, sondern „ein Streben, es ist die Idee, an der wir festhalten und an der wir uns festhalten, an unserem besten Selbst.“

Professor Carson kommentierte, dass „in jeder Zeit großer Veränderungen [...] die Ergebnisse immer ungewiss sind.“ Er schlug vor, dass Lincoln, kurz bevor er die Emanzipations-Proklamation herausgab, die Idee erwogen habe, dem Süden die Beibehaltung der Sklaverei zu gestatten, und machte deutlich, „dass sein Ziel letztlich die Union war, sein sekundäres Ziel war die Beendigung der Sklaverei.“

In der Einleitung eines Kommentars über die internationalen Auswirkungen des Bürgerkriegs verwies Professor Carwardine auf Lincolns Bemerkung, „dass er die Emanzipation aller Menschen überall sehen wollte. Im Bürgerkrieg ging es nicht nur um die Bewahrung der Union, es ging um die Bewahrung einer bestimmten Art von Union, einer Union, die eigentlich eine Anti-Sklaverei-Union sein sollte.“

Carwardine betonte, dass Lincoln aufrichtig davon überzeugt gewesen sei, dass „die Amerikanische Union einen besonderen Platz in der Weltgeschichte einnehme.“ Einwanderer aus vielen Nationen hatten sich zum Kampf für die Unionsarmee gemeldet, aufgrund dessen, was ihr Ergebnis für Amerika bedeutete und was es für die Länder, aus denen sie kamen, bedeutete. In bewegenden Worten erklärte Carwardine:

Als Lincoln starb […], wurde in ganz Europa fassungslos geweint, [von] erwachsenen Männern und Frauen, die das Gefühl hatten, dass ihnen der Demokrat par excellence, die Repräsentation der neuen Welt, genommen wurde.

Die verschiedenen Teilnehmer nahmen auch Stellung zu aktuellen Fragen und Ereignissen.

James Oakes wies vor allem auf die Tendenz in der Geschichtsschreibung hin, „Revolutionen aus der gesamten Menschheitsgeschichte auszulöschen.“ Dieser Prozess, so stellte er fest, halte seit Jahrzehnten an.

Zuerst [...] sagten die englischen Revisionisten, es gebe keine englische Revolution, und dann kam François Furet und sagte, es gebe keine französische Revolution. Wir haben Historiker, die uns sagen, dass die spanisch-amerikanischen Revolutionen in Wirklichkeit nur Kämpfe zwischen kolonialen Eliten waren, die außer Kontrolle gerieten und zufällig zur Abschaffung der Sklaverei führten.

Auch die russische Revolution werde beseitigt, „und natürlich haben wir eine Geschichtsschreibung [...] die uns sagt, dass es keine amerikanische Revolution gab und dass der Bürgerkrieg keine revolutionäre Transformation war.“ Solche Tendenzen, so Oakes, „geben uns keinen Platz, um in der Vergangenheit Fuß zu fassen, um zu sehen, wie Dinge getan und wie Dinge rückgängig gemacht wurden, und das beunruhigt mich.“ Oakes drückte seine Besorgnis darüber aus, dass die gegenwärtige Generation zu der Annahme verleitet werde, dass es in der amerikanischen Geschichte keine Antirassisten gegeben und dass es nie fortschrittliche Siege gegeben habe. Er sagte, es sei nicht nur wichtig, Revolutionen zu feiern, „sondern auch zu verstehen, was eine Revolution ist und warum Revolutionen in der amerikanischen und menschlichen Geschichte so wichtig sind.“

Der letzte Teil der Diskussion widmete sich den gegenwärtigen Bemühungen um die Entfernung der Statuen von Washington, Jefferson, Lincoln, Ulysses S. Grant und verschiedenen Abolitionisten – und es kamen einige unterschiedliche Auffassungen zur Sprache. David North fragte die Historiker, ob sie über eine Situation beunruhigt seien, in der solche Persönlichkeiten auf der Grundlage einer rassistischen Geschichtsinterpretation abgelehnt oder verunglimpft würden. „Was würde passieren [...] wenn die Menschen die amerikanische Revolution, den amerikanischen Bürgerkrieg, als im Wesentlichen rassistische Verschwörungen ansehen würden, die für die breite Masse des Volkes nicht von Interesse sind?“

In seiner Antwort an North erklärte Professor Carson, dass er diese Bedenken teile, aber der Meinung sei, dass solche Aktionen wie die Entfernung der Statuen „Teil des Tumults sind, der mit jeder großen sozialen Bewegung einhergeht. [...] Ich bin viel hoffnungsvoller, dass manchmal historisches Lernen nach dem Aktivismus kommt.“

Später fügte er hinzu, dass er hoffe, die Zuschauer der Podiumsdiskussion würden

ihre eigenen Entscheidungen darüber treffen, wie sie auf fortschrittliche Weise auf einen weiteren revolutionären Moment in der Geschichte zugehen können [...] es wird nicht zu einer perfekten Welt führen, aber zu einer besseren Welt.

Auch Victoria Bynum sprach von „Exzessen“, die „einfach dazugehören“, also zu den aktuellen Massenprotesten. Sie fuhr fort und wies darauf hin,

die Pandemie [habe] sicherlich viele der Probleme der Ungleichheit in unserer Gesellschaft aufgedeckt. Wir haben einige Leute, die damit sehr reich werden. Wir haben einige Menschen, die in Situationen gezwungen werden, in denen sie daran sterben könnten, und so hat es alle dazu gebracht, mehr über die Struktur der Gesellschaft nachzudenken, und das ist eine gute Sache.

Später drückte Bynum ihre Besorgnis darüber aus, dass „Klasse in der Geschichte immer weniger betont wird“ und verwies eindringlich auf die „gut dokumentierten Klassenunterschiede, die uns heute wirklich vor einen amerikanischen Alptraum der Ungleichheit stellen.“

In diesem kurzen Rückblick ist es nur möglich, einen Eindruck der Diskussion und einige Hinweise auf die komplexen Fragen zu geben – Fragen ersten historischen und gesellschaftlichen Ranges–, die behandelt wurden. Die Herangehensweise aller Teilnehmer war vollkommen prinzipiell und aufrichtig. Wie oft finden solche Veranstaltungen statt, bei denen die lähmenden Banalitäten des heutigen akademischen Diskurses, der auf Fragen der persönlichen Identität fixiert ist, deutlich in Frage gestellt werden; und bei denen die zentrale Rolle der gesellschaftlichen Klasse und der Revolution in der historischen Entwicklung offen diskutiert wird?

In diesem wichtigen und faszinierenden Gedankenaustausch gab es nicht in allen Fragen Einigkeit, und es wurden auch nicht alle Fragen gelöst. Dies ist eine Debatte, die sich von diesem Punkt aus entwickeln und ausweiten muss. Es müssen mehr Stimmen gehört werden. Die historische Untersuchung und Kritik kann sich nur vertiefen. Es besteht keine Notwendigkeit für eine apologetische Geschichte oder das geringste Maß an Mythenbildung. Auch hier sind vor allem Ehrlichkeit und demokratische Werte gefragt.

Zum Abschluss der Diskussion meinte North, die Diskussion vom 4. Juli sei „ein Anlass zu großem Optimismus“. Die Teilnehmer und das Publikum, so hoffte er, würden aus der Veranstaltung „das Bewusstsein mitnehmen, dass [...] etwas Neues entsteht“, dass die Podiumsdiskussion „ein Spiegelbild eines viel umfassenderen Prozesses“ sei. Die gegenwärtige Pandemie und ihre Folgen setzten „Massen von Menschen in Bewegung.“ In der tiefgreifend veränderten Situation würden „große historische Fragen an die Oberfläche drängen, und ich denke, wir alle können daraus Mut schöpfen und sehr optimistisch sein.“

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