Wachsende Proteste gegen Öffnung der Schulen in den USA

In ganz Amerika protestieren Tausende von Lehrern, Schulbeschäftigten, Eltern und Schülern gegen die Wiederaufnahme des Unterrichts unter unsicheren Bedingungen angesichts der Corona-Pandemie. Überall, wo in den Schulen der Präsenzunterricht wieder aufgenommen werden soll, kommt es zu Autokorsos, Demonstrationen und anderen Protesten.

Die Wiederöffnung der Schulen wird in planloser, willkürlicher Weise durchgeführt, sodass die fast 14.000 Schulbezirke des Landes auf sich allein gestellt sind. Kaputtgesparrte Schulen müssen angesichts der Rückkehr ihrer Schüler schnell improvisieren. Die Lehrer in Oklahoma bekommen beispielsweise zwei Rollen Küchenpapier, drei Schachteln Papiertücher, eine 0,7-Liter-Flasche mit Desinfektionsspray, einen Mundschutz und Handschuhe. Damit sollen sie neun Wochen lang täglich die Klassenzimmer putzen.

„Das Blut wird an Asas [Asa Hutchinson, Gouverneur von Arkansas] Händen kleben“ (Quelle: Fayetteville Education Association)

Wie vorauszusehen war, gab es bereits an Schulen in Georgia, Oklahoma, Indiana, Mississippi, Louisiana und Hawaii Ausbrüche des Virus.

Die wissenschaftlich begründete Ablehnung gegenüber der rücksichtslosen Wiederöffnung der Schulen wurde durch eine neue Studie der Universität von Florida verstärkt, die auf Analysen von Luftproben aus Krankenhäusern basiert, mit das Virus enthielten. Sie bestätigt, dass winzige Tröpfchen, so genannte Aerosole, die bereits beim Sprechen entstehen, fast fünf Meter weit fliegen, d.h. deutlich weiter als der empfohlene Sicherheitsabstand von eineinhalb bis zwei Metern. Zudem können Aerosole stundenlang in der Luft bleiben.

Bei Simulationen eines Klassenzimmers konnte gezeigt werden, dass sich die Ausbreitung des Virus deutlich verringern lässt, wenn neben der Lehrkraft ein Belüftungsgerät aufgestellt wird. Allerdings kam das Government Accountability Office vor kurzem zu dem Schluss, dass in mindestens der Hälfte ihrer Schulen in 41 Prozent der Schulbezirke die Belüftungssysteme modernisiert werden müssen. Laut einem Bericht des Center for Green Schools von 2016 herrscht in 15.000 Schulen eine Luftqualität, die für Lehrer und Personal nicht zumutbar ist.

In den USA, Brasilien, Südafrika, Großbritannien, Frankreich, Australien, Deutschland und vielen anderen Ländern fordern kapitalistische Politiker die Wiederaufnahme des Schulbetriebs, damit Eltern zur Rückkehr an unsichere Arbeitsplätze gezwungen werden und Profite für die Unternehmen erarbeiten können. Am mörderischsten ist der Kurs auf die Wiederöffnung der Schulen in den USA, dem Epizentrum der globalen Pandemie mit über 5,3 Millionen Fällen und fast 170.000 Todesopfern.

Das Weiße Haus erklärte am Mittwoch vor der Presse: „Die Bildung der Kinder ist mehr als nur eine wichtige Angelegenheit. Sie hat oberste nationale Priorität, weil sie sicherstellt, dass Amerika weiterhin aggressiv in Konkurrenz mit dem Rest der Welt treten kann.“

Kurz nach dieser Stellungnahme fand eine Forumsdiskussion mit Trump, Vizepräsident Mike Pence, Bildungsministerin Betsy DeVos und einer Gruppe von Lehrern und Akademikern statt. Unter den Gästen war auch der Bildungskommissar von Florida Richard Corcoran, der sich für die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts in einem der Epizentren der Pandemie in den USA stark macht. Das Ziel dieser Veranstaltung mit dem Titel „Kids First: Getting America's Children Safely Back to School“ („Kinder an erster Stelle: Amerikas Kinder sicher zurück in die Schulen“) war es, Pseudowissenschaft zu propagieren und die Gefahren einer Wiederaufnahme des Schulbetriebs herunterzuspielen.

Trump heuchelte zynisch Sorge um die Schüler, drohte aber gleichzeitig damit, die Pandemie für Etatkürzungen im öffentlichen Bildungswesen auszunutzen: „Ich möchte sehen, dass das Geld dem Schüler folgt“, d. h. in kirchliche oder anderweitig private Schulen. Er fügte hinzu: „Wenn eine Schule geschlossen ist, warum bezahlen wir sie dann?“

Trump und seine Republikanischen Verbündeten auf bundesstaatlicher Ebene bringen zwar am offensten die Forderungen der herrschenden Klasse zum Ausdruck, aber auch die Demokraten unterstützen die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts. Letzte Woche kündigte der demokratische Gouverneur von New York Andrew Cuomo an, die Schulen im gesamten Bundesstaat könnten wieder geöffnet werden, einschließlich derjenigen in New York City, dem größten Schulbezirk des Landes mit 1,1 Millionen Schülern und 135.000 Lehrkräften und Schulbeschäftigten. In anderen von Demokraten geführten Distrikten wie Chicago, Los Angeles und Philadelphia findet anfänglich nur Online-Unterricht oder kurzer Präsenzunterricht statt. Dieses Vorgehen soll jedoch hauptsächlich den Widerstand abschwächen und Zeit gewinnen, bis die Schulen vollständig wiedereröffnet werden können.

In der Arbeiterklasse, deren Interessen nicht vom Anstieg der Aktienkurse, sondern von Wissenschaft und öffentlicher Gesundheit bestimmt werden, wächst der Widerstand gegen die rücksichtslose Wiederöffnung der Schulen. Angesichts einer konzertierten parteiübergreifenden Kampagne, die die Lehrkräfte verteufelt, Streitigkeiten mit Eltern schürt und die Schüler als Bauernopfer in der Back-to-Work-Kampagne benutzt, haben Lehrkräfte, Eltern und Schüler mutig Dutzende von Protestaktionen organisiert, um ihren Widerstand zu bekunden.

In Elizabeth (New Jersey) mussten die Behörden angesichts von massivem Widerstand ihre Pläne zur Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts aufgeben, die von Gouverneur Phil Murphy (Demokraten) gefordert wurden. Mehr als 400 Lehrer weigerten sich, im Präsenzunterricht zu arbeiten, woraufhin die Schulbehörde zum Beginn des neuen Schuljahres ausschließlich Online-Unterricht ankündigte. Gouverneur Murphy erklärte angesichts der Entscheidung, er werde seine frühere Entscheidung rückgängig machen und Pläne für Fernunterricht im Bundesstaat ausarbeiten.

In ganz Nebraska wächst die Protestbewegung gegen die Pläne von Gouverneur Pete Ricketts (Republikaner), den Präsenzunterricht wieder aufzunehmen. Am Montag versammelten sich mehr als 200 Lehrkräfte im Memorial Park in Omaha, weitere 100 protestierten in Lincoln. Ein Lehrer war als Sensenmann verkleidet und trug ein Schild mit der Aufschrift: „Ich kann es kaum erwarten, meine Schüler zu sehen!“

In Papillion (Nebraska) versammelten sich am Montag etwa 60 Lehrkräfte zu einer Mahnwache vor dem Gebäude der Schulbehörde von Papillion und La Vista, wo gerade ein Treffen stattfand. Sie forderten ein sofortiges Ende der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts. Bei dem Treffen der Behörde sprachen sich Eltern und Lehrkräfte für Online-Unterricht aus, der Biologieprofessor James Wilson erklärte: „Ich habe eine vierjährige Tochter und zwei 78-jährige Eltern, die ich ab morgen nicht besuchen kann, weil ich nicht weiß, was passieren wird.“ Trotz des massiven Widerstands stimmte die Behörde einstimmig für die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts ab Dienstag und Mittwoch.

In Arkansas protestierten Lehrer gegen die Pläne von Gouverneur Asa Hutchinson (Republikaner), den Schulbetrieb vollständig wiederaufzunehmen, obwohl die Zahl der Erkrankten und Toten durch Covid-19 im letzten Monat im ganzen Bundesstaat angestiegen ist. Dutzende von Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie „Das Blut wird an Asas Händen kleben“, „Wessen Kind muss sterben?“, „Ich kann von zuhause unterrichten, aber nicht an einem Beatmungsgerät“ oder „Schule = Superspreader-Event“.

Die Gewerkschaft Fayetteville Education Association, ein lokaler Ableger der Lehrergewerkschaft National Education Association (NEA), sah sich durch den immensen Widerstand unter Lehrkräften in Arkansas gezwungen, die Proteste zu organisieren. Die Facebook-Gruppe Arkansans For Safe Public Schools registrierte in weniger als sechs Wochen fast 14.000 Mitglieder.

In Utah protestierten Dutzende von Lehrern gegen die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts im Alpine School District, der mit knapp 80.000 Schülern der größte Schulbezirk des Bundesstaats ist. Er befindet sich zudem in Utah County, das momentan die höchste Infektionsrate des Bundesstaats aufweist. Die eingeführten Richtlinien sehen vor, dass eine Schule erst schließt, wenn fünfzehn oder mehr positive Fälle entdeckt werden.

In Nevada demonstrierten am Dienstag 100 Lehrkräfte, Eltern und Schüler vor dem Gebäude der Schulbehörde von Washoe County gegen die geplante Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts. Die Oberschullehrerin Debra Harris erklärte gegenüber dem Reno Gazette Journal: „Das ist Wahnsinn. Solange Covid-19 da ist, kann es keine sicheren Bedingungen geben.“ Sie wies darauf hin, dass es in ihrem Beruf normalerweise um die Planung von Unterrichtsstunden gehe, jetzt jedoch ausschließlich um Hygiene: „Es geht nicht um Unterricht, weil es dieses Jahr nicht dazu kommen wird.“

In Louisiana sah sich der mit etwa 50.000 Schülern größte Schulbezirk des Landes, Jefferson Parish Schools, angesichts des immensen Drucks von Lehrkräften, Eltern und Schülern gezwungen, den Beginn des Schuljahrs um zwei Wochen auf den 26. August zu verschieben. Letzte Woche demonstrierten Hunderte während eines Treffens der Schulbehörde. Da sich Covid-19 in dem Bundesstaat rapide ausbreitet, entschieden sich fast die Hälfte aller Schüler in den Bezirken für Fernunterricht.

Brian Williams J.D., ein Lehrer aus Jefferson Parish, sprach mit der WSWS über den Widerstand gegen die Schulöffnung. Er erklärte, während des Treffens der Schulbehörde: „Die haben keinen Schimmer, was die Bedingungen vor Ort sind. Wenn sie glauben, die Schulen wären sicher, sollten sie ihre Jobs riskieren, so wie wir unser Leben riskieren. Versprecht uns, dass es sicher ist, indem ihr für den Fall, dass ihr falsch liegt, euren Rücktritt anbietet.“

Er wies auf den Zusammenhang zwischen der Schulöffnung und der Back-to-Work-Kampagne hin und erklärte: „Das hier sind Gemeinden, in denen viele Angehörige von Minderheiten und Menschen mit niedrigem Einkommen leben, systemrelevante Arbeiter. Jefferson Parish ist der größte Corona-Hotspot in ganz Louisiana. Wenn man von Schulöffnungen spricht, kann man sich nur denken, dass sie so dringend die Arbeit der Eltern brauchen, dass sie dafür unser Leben riskieren.“

Die Proteste der letzten Woche wurden zwar teilweise von der örtlichen Lehrergewerkschaft Jefferson Federation of Teachers organisiert, doch Williams zeigte sich enttäuscht über deren Vorgehen. Er erklärte, sie seien „unmotiviert, sehr langsam und sehr zögerlich“ und würden nicht zum Streik aufrufen.

Die oben genannten Proteste sind nur ein kleiner Teil von Dutzenden und möglicherweise Hunderten, die in den letzten Wochen im ganzen Land und fast jedem Bundesstaat stattfanden.

Die zentrale Aufgabe der Lehrkräfte besteht jetzt darin, Kampforganisationen aufzubauen, um ihre einzelnen Kämpfe miteinander zu verbinden und einen landesweiten Generalstreik gegen die Wiederöffnung der Schulen vorzubereiten. Sie werden dies nur unabhängig von den Gewerkschaften American Federation of Teachers (AFT) und National Education Association (NEA) durchsetzen können. Diese wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaften haben die Forderung nach einem landesweiten Streik abgelehnt, die allgemein auf breite Unterstützung trifft.

Die Initiative und der aktive Kampf der Lehrkräfte, Eltern und Lehrer muss soweit wie möglich ausgeweitet und vertieft werden. Um diese Kämpfe zu organisieren und zu koordinieren ruft die Socialist Equality Party (SEP) alle, die die tödliche Schulöffnung ablehnen, dazu auf, ein Netzwerk von miteinander verbundenen Sicherheitskomitees in allen Schulen und Stadtvierteln zu gründen.

Diese Komitees müssen Beziehungen zu möglichst vielen Teilen der Arbeiterklasse aufbauen: in der Produktions- und der Logistikbranche, dem Gesundheitswesen, der Verkehrsbranche und anderen, um einen gemeinsamen Kampf gegen beide Parteien des Großkapitals vorzubereiten. Republikaner und Demokraten werden zu allen Formen der Einschüchterung und staatlicher Repression greifen, um die Lehrer wieder in die Klassenzimmer zurück zu zwingen, ganz gleich wie viele dabei sterben.

Der Kampf gegen die Wiederöffnung der Schulen wird die politische Mobilisierung der ganzen Arbeiterklasse gegen beide Parteien des Großkapitals und gegen das kapitalistische System erfordern, das diese Parteien verteidigen. Die Arbeiterklasse muss sicherstellen, dass Billionen Dollar für moderne Online-Unterrichtsmaterialien für alle Lehrer, die vollständige Zahlung von Löhnen an Arbeiter, die ihre Kinder versorgen müssen, kostenlose und allgemeine Krankenversorgung und ein massives und regelmäßiges Test- und Kontaktverfolgungsprogramm ausgegeben und nicht an die Wall Street und die Kriegsmaschinerie des Pentagon verschwendet werden. Das ist der einzige Weg, um das tödliche Virus einzudämmen.

Wir rufen alle, die sich an diesem Kampf teilnehmen wollen, dazu auf, uns noch heute zu kontaktieren und die Entwicklungen über den WSWS Educators Newsletter zu verfolgen.

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