Videokonferenz der Ministerpräsidenten zu Corona-Maßnahmen

Bund und Länder schützen Profite statt Leben

Am Donnerstag beschlossen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder in einer Videokonferenz, trotz steigender Infektionszahlen unvermindert an der gefährlichen Öffnungspolitik festzuhalten. Damit setzen sie die Forderungen der Konzerne um, dem Infektionsschutz unter keinen Umständen Vorrang vor ihren Profitinteressen zu geben.

Seit drei Wochen befinden sich die täglichen Infektionszahlen teilweise weit über der 1000er-Grenze. Am vergangenen Freitag erreichten sie sogar 2034 und waren damit so hoch wie seit Ende April nicht mehr. Nichtsdestotrotz wurden die Schulen und Kitas im ganzen Land ohne nennenswerte Sicherheitsmaßnahmen geöffnet und fast alle Beschränkungen für die Wirtschaft aufgehoben. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Produktion weiterläuft und die Gewinne der Unternehmen gesichert werden.

Merkel und der bayrische Ministerpräsident Markus Söder auf der Pressekonferenz am 27. August (Michele Tantussi/Pool Photo via AP)

Diesen Kurs setzen die Regierungen mit ihren Beschlüssen vom Donnerstag fort. So kündigten die Regierungschefs an, eine bundeseinheitliche Regelung zu treffen, dass eine „Entschädigung für den Einkommensausfall dann nicht gewährt wird, wenn eine Quarantäne aufgrund einer vermeidbaren Reise in ein bei Reiseantritt ausgewiesenes Risikogebiet erforderlich wird.“

Wenn also etwa Arbeiter aus Risikogebieten in Südosteuropa zu Besuch bei ihren Familien waren, erhalten sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland keine Entschädigung für die notwendige Quarantäne. Weil gerade diese Gruppen oft sehr niedrige Löhne erhalten und sich keinen Verdienstausfall leisten können, werden sie durch die Verschärfung regelrecht dazu gezwungen, die Quarantäne zu brechen und an ihre oft extrem gefährlichen Arbeitsplätze zurückzukehren. Eine rasante Verbreitung des Virus wie bereits in vielen Schlachthöfen geschehen, ist damit vorprogrammiert.

Außerdem sollen die Corona-Tests deutlich eingeschränkt werden. Bürger, die von Auslandsreisen in Nicht-Risiko-Gebiete zurückkehren, sollen sich ab dem 15. September nicht mehr kostenlos testen lassen dürfen. Wer einen Test machen will, muss dann eigens ein Testzentrum aufsuchen und die etwa 60 Euro aus eigener Tasche bezahlen, was gerade für Geringverdiener ein großes Hindernis darstellt. Reisende aus Risiko-Gebieten sollen ab dem 1. Oktober keiner Testpflicht mehr unterliegen, sondern lediglich zu einer zweiwöchigen Quarantäne verpflichtet werden, die nach fünf Tagen durch einen negativen Test verkürzt werden kann.

Begründet werden diese Einschränkungen damit, dass zu wenig Testkapazitäten zur Verfügung stünden. Tatsächlich aber müssten diese Kapazitäten deutlich ausgebaut werden, um das Pandemiegeschehen effektiv zu begrenzen. Mit 133.707 Tests je einer Million Einwohner steht Deutschland weltweit nur an 41. Stelle und damit hinter Ländern wie Russland oder Belarus. Auch innerhalb Europas ist Deutschland weit abgeschlagen. Allein Dänemark hat fast drei Mal so viel getestet wie Deutschland.

Bund und Länder bekräftigten außerdem, dass sie an der vollständigen Öffnung der Schulen und Kitas festhalten. „Dabei ist es von großer Bedeutung, dass die Hygienekonzepte auf der Grundlage der Cluster-Strategie so gestaltet werden, dass Schulschließungen und weitgreifende Quarantäneanordnungen möglichst vermieden werden können“, heißt es im Protokoll der Sitzung.

Was das bedeutet, bekommen Lehrer und Schüler gerade am eigenen Leib zu spüren: ohne Abstandsregeln, Masken oder ausreichende Belüftung werden sie in Klassenzimmern zusammengepfercht. Kommt es unter diesen Bedingungen zu Infektionen, werden diese nicht selten vertuscht oder Testungen aller Kontaktpersonen schlichtweg unterlassen.

Diese Politik soll auf alle Gesellschaftsbereiche ausgeweitet werden. Wie der bayrische Ministerpräsident Markus Söder auf der Pressekonferenz erklärte, sollen sogar Großveranstaltungen unter bestimmten Bedingungen wieder erlaubt werden können. Bisher waren diese als potentielle Superspreading-Events vollständig verboten.

Auch in Hinblick auf Partys und Familienfeiern, die in den letzten Wochen laut Robert-Koch-Institut eine wichtige Rolle beim Pandemie-Geschehen spielten, wurden keine weiteren Einschränkungen beschlossen. Die Bundesregierung hatte zunächst eine Begrenzung auf 25 bzw. 50 Personen angekündigt, die aber nicht beschlossen wurde.

An den Bußgeldern für die Verweigerung des Tragens eines Mund-Nase-Schutzes ändert sich wenig. Es wurde eine Mindestgebühr von 50 Euro für alle Bundesländer außer Sachsen-Anhalt festgelegt. Da die meisten Bundesländer ein solches oder ein deutlich höheres Bußgeld längst eingeführt hatten, trifft das nur wenige Bundesländer mit insgesamt 14 Millionen Einwohnern. Davon hatten einige wiederum ohnehin schon die Einführung von solchen Bußgeldern angekündigt.

Die Bundesregierung und die unterschiedlichen Landesregierungen aller Couleur setzen mit ihrer Öffnungspolitik einvernehmlich die tödlichen Forderungen der Banken und Konzerne in die Tat um. Um ihre Profite zu sichern, fordern diese seit Wochen, dass es unter keinen Umständen erneut zu größeren Einschränkungen für die Wirtschaft kommen dürfe. Fabriken, öffentliche Verkehrsmittel, Schulen und Kitas sollen offengehalten werden, auch wenn das den Tod von Tausenden bedeutet.

So erklärte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer, in der letzten Woche im Nachrichtenmagazin Focus, dass ein Lockdown „für die deutsche Wirtschaft verheerend“ sei.

Deshalb müssten auch die Schulen vollständig geöffnet werden. „Wer Kinder betreuen oder gar noch intensiv unterrichten muss, kann nicht zur gleichen Zeit parallel im Betrieb arbeiten. Für das Funktionieren betrieblicher Abläufe ist es deshalb wichtig, dass wir keine flächendeckenden Kita- und Schulschließungen mehr bekommen“, so Schweitzer.

In derselben Focus-Ausgabe erklärte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW), in einer ganzseitigen „Verlagssonderveröffentlichung“, dass ein „zweiter Lockdown unbedingt verhindert werden“ muss. „Wir sehen die ökonomische Zukunftsfähigkeit Deutschlands in Gefahr!“, heißt es in dem selbstbenannten „Brandbrief an die Kanzlerin und alle Ministerpräsidenten Deutschlands“.

Die Regierung dürfe „nicht erneut einem überzogenen Infektionsschutz den Vorrang vor dem angemessenen Schutz von Wirtschaft und Wohlstand geben“, so der Verband. Zu diesem Zweck sei die Öffnung der Schulen auch bei rasantem Anstieg der Infektionen „ohne Alternative“. Unabhängig vom Pandemiegeschehen müsse die Regierung einen weiteren Lockdown verbindlich ausschließen, schließt das Papier.

Das sind eindeutige Aussagen: auch wenn die Fallzahlen weiter rasant steigen, die Krankenhäuser zusammenbrechen und Hunderttausende sterben, muss den Profiten der Wirtschaft unbedingter Vorrang gegeben werden. Um die kapitalistische Profitmacherei und Bereicherungsorgie an den Börsen fortzusetzen, geht die herrschende Klasse buchstäblich über Leichen.

Im Juni veröffentliche ein britisches Forscherteam am Londoner Imperial College eine Studie, derzufolge allein durch den Lockdown in elf europäischen Ländern 3,1 Millionen Menschenleben gerettet werden konnten – 560.000 davon in Deutschland. Wenn Politik und Wirtschaft nun verkünden, dass es dazu nie wieder kommen dürfe, sprechen sie sich inmitten steigender Infektionszahlen dafür aus, diese Menschenleben in Zukunft für die Profite der Superreichen zu opfern.

Loading