Thyssenkrupp-Stahl: IG Metall organisiert Arbeitsplatzabbau

Die IG Metall und ihre Betriebsräte drängen bei Thyssenkrupp-Stahl tausende Arbeiter aus dem Betrieb. Sie führen zu diesem Zweck zahlreiche Einzelgespräche mit Stahlarbeitern, die der Konzern loswerden will. Ältere Stahlarbeiter aus Duisburg berichten der WSWS von dem enormen Druck, den die Betriebsräte auf sie ausüben.

Die IG Metall und der Betriebsrat treiben auf diese Weise die Zerschlagung des Konzerns voran, die sie Ende Mai gemeinsam mit den Eigentümern im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG beschlossen haben. Der Stahlbereich des Konzerns soll mit einem anderen Stahlkonzern fusioniert oder vollständig verkauft werden. Um den Preis dafür hochzutreiben, arbeiten die IGM-Betriebsräte eifrig daran, 3000 Arbeitsplätze abzubauen, wie es Gewerkschaft und Konzern im März vereinbart haben.

ThyssenKrupp-Stahlfabrik in Duisburg (Foto: Rob Dammers CC-BY-SA 2.0)

Der gemeinsame Plan sah vor, dass bis Anfang August 1000 Beschäftigte den Betrieb mit einer Abfindung oder über eine Transfergesellschaft verlassen. Bisher haben sich aber nur etwas mehr als 300 Stahlarbeiter dazu bereit erklärt. Angesichts von 34.000 Arbeitslosen (eine Rate von 13 Prozent) und 50.000 Kurzarbeitern allein in Duisburg sowie den unabsehbaren Folgen der Corona-Krise fürchten viele, nie wieder einen Job zu bekommen.

Jetzt wird zum 1. September das so genannte „Freiwilligenprogramm“ erneut in Kraft gesetzt. Danach erhalten Arbeiter 19 Monate Transfergeld, das sich auf insgesamt 85 Prozent des letzten Nettolohns beläuft. Davon zahlt die Bundesagentur für Arbeit 60 bzw. 67 Prozent (wenn Kinder im Haushalt leben), der Konzern stockt den Restbetrag auf.

Wer sich auf das Transfergeld einlässt, erhält anschließend nur eine äußerst geringe Abfindung von 20 Prozent des Monatsbruttogehaltes pro Beschäftigungsjahr. Eine Abfindung in Höhe von 50 Prozent des letzten Monatsbruttolohns pro Beschäftigungsjahr, wie sie von jedem Arbeitsgericht anerkannt wird, erhalten nur Beschäftigte, die den Arbeitsplatz verlassen, ohne in die Transfergesellschaft zu gehen. Sie ist außerdem auf Jahrgänge ab 1964 – also Beschäftigte unter 56 Jahren – beschränkt.

Ältere, rentennahe Beschäftigte ab 60 Jahren fallen nicht unter diese Regelungen. Da bereits während des kontinuierlichen Arbeitsplatzabbaus der letzten Jahre vor allem jüngere Beschäftigte über Sozialpläne ausschieden, gibt es allein in Duisburg rund 4000 Arbeiter über 60 Jahre. Das ist fast jeder Dritte.

Da für sie auch keine Altersteilzeitregelung mehr greift, werden sie nun nach und nach zu Personalgesprächen in die Personalabteilung einbestellt. Dort üben dann Konzernvertreter und IG Metall-Betriebsräte Druck auf sie aus: Sie seien alt, häufig krank und könnten nicht mehr die notwendige Leistung abliefern. Ein Betriebsratsmitglied erklärte einem 63-jährigen Stahlarbeiter, er sei für den Konzern „nicht mehr tragbar“.

Da diese älteren Arbeiter ohnehin kurz vor der Rente stehen, sollen sie mit einer symbolischen Abfindung von 6000 bis 9000 Euro aus dem Betrieb geworfen werde. Diese stockt ihr Arbeitslosengeld angeblich bis zum Renteneintritt auf 85 Prozent des letzten Nettogehalts auf.

Arbeiter berichteten der WSWS, sie seien selbst im Urlaub angerufen und zu Personalgesprächen eingeladen worden. Teilweise hätten Betriebsräte ältere Arbeiter sogar zuhause aufgesucht und gedrängt, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Viele hätten unterschrieben, „um endlich einen Schlussstrich zu ziehen“.

„Überflüssige Mitarbeiter zu billigsten Kosten und zum Nachteil der Arbeiter loswerden wollen“, schrieb ein Arbeiter wütend der WSWS. „Wenn du nicht interessiert bist, setzen sie dich unter Druck.“

Ein anderer berichtet, wenn man drei Angebote nicht annehme, werde mit betriebsbedingter Kündigung gedroht. Die IGM-Betriebsräte argumentierten unter anderem, die älteren Kollegen würden jüngeren Kollegen den Arbeitsplatz wegnehmen. Denn die Arbeitsplätze würden abgebaut – so oder so.

Während den Arbeitern Daumenschrauben angelegt und sie mit allen Mitteln aus Arbeit und Lohn gedrängt werden, darf Betriebsrat Peter Trube noch über sein reguläres Rentenalter hinaus Geld einstreichen. Der freigestellte Betriebsrat aus dem Stammwerk Hamborn-Beeck sollte eigentlich im November ohne Abzüge in seine reguläre Altersrente gehen. Nun ist sein Arbeitsvertrag bis zur nächsten Betriebsratswahl im April 2022 verlängert worden. Der 67-jährige scheidende Betriebsrat Helmut Schuckardt erhält als Rentner einen „Berater-Vertrag“ bis zum Jahresende.

Die IGM-Funktionäre setzen inzwischen im Rahmen der gesetzlich geregelten Mitbestimmung die Angriffe auf die Arbeiter derart offen durch, dass sie problemlos und ohne jegliche Hemmungen ins Lager des Managements wechseln können. Gerade in der Stahlindustrie ist dies inzwischen üblich. So ist der ehemalige IG-Metall-Sekretär und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp, Markus Grolms, seit April dieses Jahres Personalvorstand bei Thyssenkrupp-Stahl. Er ist im Vorstand für den Arbeitsplatzabbau zuständig und arbeitet dabei eng mit seinen ehemaligen Kollegen in IG Metall und Betriebsrat zusammen.

Schon im Mai 2019, also noch als IGM-Sekretär, hatte Grolms erklärt, dass „der Umbau von Thyssenkrupp leider unvermeidbar“ sei. Das werde „ein schwerer, aber leider notwendiger Weg für das Unternehmen und die Beschäftigten“. Die Arbeitnehmer seien „bereit, dafür Schmerzen zu ertragen“, so der Einkommensmillionär. Nun erfahren die Stahlarbeiter am eigenen Leib, was Grolms damit meinte.

Die IGM-Funktionäre und -Betriebsräte vollstrecken die Entlassungs- und Abbaupläne des Konzerns aber nicht nur, weil sie käuflich und korrupt sind – auch wenn dies auf nicht wenige von ihnen zutrifft. Der tiefere Grund ist ihre bedingungslose Verteidigung des kapitalistischen Profitsystems, von dem sie als gutbezahlte Funktionäre nicht schlecht leben. Ganz wie das Management und die Aktionäre sind sie der Auffassung, dass Arbeitsplätze, Löhne und soziale Errungenschaften nur erhalten werden können, wenn der Konzern hohe Umsätze und Gewinne erzielt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Wirtschaft rasch wuchs, konnten sie den Arbeitern auf dieser Grundlage einige Brosamen der Unternehmen vermitteln. Mit der Internationalisierung der Produktion in den 80er Jahren und der Verschärfung der wirtschaftlichen Konkurrenz hatte dies ein Ende.

Die Gewerkschaften haben darauf mit Wirtschaftsnationalismus und ihrer Verwandlung in direkte Agenturen der Konzerne reagiert. Sie verteidigen die Wettbewerbsfähigkeit „ihrer“ Konzerne durch Angriffe auf die Belegschaften. Die Sanierungskonzepte werden in den Thinktanks der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung ausgearbeitet, in den Vorstandsetagen der Gewerkschaften konkretisiert und von Heerscharen von Betriebsräten in den Unternehmen durchgesetzt.

Die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und anderen Errungenschaften kann daher nur Erfolg versprechen, wenn sie sich der marktwirtschaftlichen Logik und ihrer Sachzwänge widersetzt. Sie muss antikapitalistisch, also sozialistisch sein. Nicht die Gewinne der Unternehmen sind maßgeblich für die Organisation der Wirtschaft, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Belegschaften, ihrer Familien und der Gesellschaft.

Die Arbeiter stehen dabei in offenem Konflikt mit den Gewerkschaften. Sie müssen sich in neuen, von den Gewerkschaften politisch und organisatorisch unabhängigen Aktionskomitees zusammenschließen und für eine antikapitalistische, sozialistische Antwort auf die jetzigen Angriffe eintreten.

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