Neue Enthüllungen über rechtsextreme Terrornetzwerke in der Polizei

Ein Neonazi-Netzwerk, das sich in der deutschen Polizei formiert hat, versendet seit mehr als zwei Jahren unter dem Kürzel „NSU 2.0“ Gewaltdrohungen an Personen des öffentlichen Lebens. Die Täter greifen dabei in der Regel auf intime Personendaten zu, die aus behördlichen Datenbanken stammen. Zu den überwiegend weiblichen Opfern zählen Anwälte, Politiker, Journalisten, Studierende und Künstler – die Rede ist von mindestens 71 Drohschreiben an 27 Personen und Institutionen in acht Bundesländern.

Seinen Anfang nahm die Terrorserie mit den Angriffen auf die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız – eine Verteidigerin von Opfern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Die erste der mehr als ein Dutzend Nachrichten, die Başay-Yıldız bislang zugestellt wurden, kündigte an, ihre damals zweijährige Tochter zu „schlachten“. Nur eineinhalb Stunden zuvor waren die persönlichen Daten der Anwältin und ihrer Familie an einem Dienstcomputer der Frankfurter Polizei abgefragt worden.

Inhaberin des Rechners war die hessische Polizistin Miriam D., die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und vier weiteren rechtsextremen Polizisten eine Chatgruppe unterhielt, in der unter anderem strafrechtlich relevante Nazi-Propaganda geteilt wurde. Die Mitglieder der Gruppe verspotteten Behinderte, KZ-Häftlinge, Dunkelhäutige, Flüchtlinge und Juden und verhöhnten den Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, dessen Leichnam 2015 in der Türkei an Land gespült worden war und der zum Symbol der menschenfeindlichen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union wurde.

In den vergangenen fünf Jahren wurden mindestens 38 interne Verfahren gegen rechtsradikale hessische Polizisten eingeleitet – doch angesichts der Tatsache, dass die deutschen Polizeibehörden in dieser Frage gegen sich selbst ermitteln, dürfte die Anzahl faschistischer Staatsbeamter um ein Vielfaches größer sein. Wie die World Socialist Web Site wiederholt aufgezeigt hat, vertuschen Politik, Geheimdienste und Ermittler das Ausmaß der rechtsextremen Verschwörung im deutschen Staatsapparat systematisch.

Selbst offizielle Informationen belegen mittlerweile, dass nicht nur die hessische Polizei in die Erstellung der „NSU 2.0“-Drohschreiben verstrickt ist. Wie die Süddeutsche Zeitung und der WDR am Montag berichteten, wurden kürzlich vier Polizeibeamte aus Hamburg und Berlin als Verdächtige vernommen.

In Hamburg sollen demnach ein Mann und eine Frau unabhängig voneinander ihren Zugang zu Polizeicomputern genutzt haben, um ohne dienstlichen Grund persönliche Daten der Journalistin Hengameh Yaghoobifarah abzurufen. Die taz-Autorin hatte im Juni vor dem Hintergrund der Massenproteste gegen Polizeigewalt einen satirischen Artikel über die deutsche Polizei verfasst und daraufhin ebenfalls Drohschreiben von „NSU 2.0“ mit intimen personenbezogenen Informationen erhalten.

In Berlin sollen zwei Beamte aus den Revieren Spandau und Neukölln die Kabarettistin İdil Baydar ausgespäht und ihre privaten Daten abgefragt haben. Dies, so die Medienberichte, sei am selben Tag wie eine andere entsprechende Abfrage in Wiesbaden geschehen. Zehn Tage später erhielt Baydar eine Droh-SMS, in der der Vorname ihrer Mutter genannt wurde. Bis heute wurde keiner der Beamten von der Ausübung seiner Dienstgeschäfte entbunden.

Die Süddeutsche bemerkt, bereits 2017 habe es „in Berlin anonyme Drohschreiben unter anderem an Angehörige der linken Szene und an Journalisten gegeben, die auf Daten aus Polizeidatenbanken fußten“. Der Spiegel berichtet von einem Hauptkommissar der Berliner Polizei, der die Mitglieder einer rechten Chatgruppe mit vertraulichen Dienstinformationen versorgte – darunter ein Verdächtiger in den Ermittlungen um rechtsextreme Brandanschläge in Neukölln.

Das Nachrichtenmagazin nennt weiter den Polizeibeamten Roland G., den die Ermittler zum Umfeld eines Verdächtigen im Falle des Bombenanschlags auf die Dresdner Fatih-Moschee zählen. Der Hauptmeister, der zuletzt die Schießanlage der städtischen Polizeidirektion betreute, habe den Reichsbürgern nahegestanden, den Holocaust geleugnet und eine Bürgerwehr für „Deutschritter“ gründen wollen. Obwohl er wegen Volksverhetzung zu 4000 Euro Strafe verurteilt wurde, steht er nach wie vor im Dienst des Polizeiverwaltungsamts und verfügt dort unter anderem über Zugang zu Dienstfahrzeugen.

Im bayrischen Landshut wurde Ende Juli der ehemalige Polizist Hermann S. von bayerischen und hessischen LKA-Beamten gemeinsam mit seiner Ehefrau vorübergehend festgenommen, da er unter Tatverdacht stand, Mitverfasser der Drohschreiben des „NSU 2.0“ zu sein. Bei der Hausdurchsuchung des gut vernetzten, neurechten Aktivisten fanden Ermittler einen illegalen Waffenbestand, darunter zwei Pistolen, Schlagstöcke, Pfefferspray und eine Pumpgun. Ein Datenträger wurde beschlagnahmt, der gegenwärtig ausgewertet werden soll.

„Gruppe S.“ – Verbindung zwischen Rechtsterroristen und Polizei

Auch im Falle der mutmaßlichen rechtsextremen Terroristen von der „Gruppe S.“ existieren neue Indizien, die in Richtung der Polizeibehörden weisen. Wie die World Socialist Web Site berichtete, hatten die zwölf Männer Waffen und Munition gehortet und planten, in einer konzertierten „Kommando“-Aktion zeitgleich in ganz Deutschland Moscheen zu überfallen und Menschen beim Gebet zu töten. Ziel sei es gewesen, Gegenreaktionen und einen „Bürgerkrieg“ zu provozieren, um die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik zu „erschüttern“ und zu „überwinden“, erklärte die Bundesanwaltschaft damals.

Ein V-Mann der Ermittlungsbehörden wurde als einziges Gruppenmitglied nicht verhaftet, obwohl der Mann laut Ermittlern zum engsten Kreis der Verschwörer zählte.

Laut Tagesschau-Informationen herrschte unter den Gruppenmitgliedern die Ansicht, dass 2020 das Jahr werde, in dem es „keine Ausreden mehr“ gebe. Vielmehr müsse jetzt „gehandelt“ werden. Ein Unterstützer der Gruppe war der Neonazi Thorsten W., ein Beamter im Polizeipräsidium von Hamm in Nordrhein-Westfalen, der laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung „jahrelang offen seine rechtsextreme Gesinnung“ zeigte. Er hatte der Gruppe 5000 Euro, „wenn nötig auch noch mehr“, für Waffen in Aussicht gestellt und soll bei einem Treffen der Gruppe eine Pistole bestellt haben.

Der Polizeibeamte, der seit Februar in Untersuchungshaft sitzt, habe „mit der Dienstwaffe gegen ‚Gesindel‘“ vorgehen wollen, berichtete die Süddeutsche am Montag. In einer WhatsApp-Gruppe habe W. demnach gemeinsam mit einem Polizeihauptkommissar und einem weiteren Beamten über Jahre hinweg „rassistische Sprüche und NS-Propaganda“ ausgetauscht und gewitzelt, „Ausländer erschießen zu wollen“. Gegen die drei Männer ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. W. soll außerdem auf ein vertrauliches Lagebild der Polizei zur Reichsbürger-Szene zugegriffen haben.

Obwohl W.‘s rechtsextreme Gesinnung seit Jahren offenkundig war, wurden keinerlei disziplinarische Maßnahmen ergriffen. Sein Büro in der Polizeiwache Bockum-Hövel wurde erst durchsucht, als W. bereits unter Terrorverdacht stand. Dort fanden die Ermittler unter anderem Nazi-Merchandise und stapelweise Ausgaben einer rechtsextremistischen Monatszeitung.

Wie das Nachrichtenportal t-online im August schrieb, waren die „Anschlagspläne der Gruppe S. (…) bereits weiter vorangeschritten als bisher bekannt“. Demnach sei eine Kalaschnikow samt Munition bereits bestellt worden. Der Geldbetrag lagerte in bar bei einem der mutmaßlichen Unterstützer – kurz vor dessen Verhaftung wurde das Geschäft plötzlich abgesagt.

Im Juli schließlich wurde ein mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe S. tot in der Justizvollzugsanstalt Dortmund aufgefunden – er soll der Gruppe 50.000 Euro für Waffenkäufe versprochen haben. Der Mann bewegte sich Medienberichten zufolge in der Reichsbürgerszene und verfügte über Waffen und selbstgebaute Handgranaten. Die Todesumstände des Terrorverdächtigen „seien noch nicht abschließend ermittelt“, zitierte der Spiegel einen Gefängnissprecher.

Eine Spiegel-Umfrage unter den Behörden der Bundesländer nennt mindestens 18 Fälle von „Reichsbürgern in Uniform“ in Bayern, sowie 12 bei der Bundespolizei. Insgesamt habe es in den Ländern seit 2014 mindestens 340 rechtsextreme Verdachtsfälle gegeben – eine viel zu niedrig angesetzte Zahl, die unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass Kräfte wie der Verfassungsschutz mit ihrer Definition von Rechtsextremismus das politische Spektrum stetig weiter nach rechts rücken.

So hatte der deutsche Inlandsgeheimdienst in seinem jüngsten Verfassungsschutzbericht erklärt, „bei den allermeisten Szeneangehörigen [der Reichsbürger] sind rechtsextremistische Ideologieelemente (…) nur gering bis gar nicht auszumachen“ – und dies nur wenige Wochen, bevor hunderte Rechtsextremisten unter der Führung von Reichsbürgern versuchten, den Bundestag zu stürmen. Die Bilder von Reichskriegsflaggen vor dem deutschen Parlamentsgebäude gingen um die ganze Welt.

„Nordkreuz“ und Hannibal-Netzwerk

Ähnliche internationale Aufmerksamkeit hatte zuletzt Marko G. erregt, der Führer der Preppergruppe „Nordkreuz“. Der ausgebildete Scharfschütze, ex-Elitesoldat und langjährige SEK-Beamte hatte gemeinsam mit mehreren Komplizen aus dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommerns auf seinem Privatgrundstück einen umfangreichen Kriegswaffenbestand angelegt, darunter eine Uzi-Maschinenpistole samt Schalldämpfer, sowie 40.000 Schuss Munition.

Mitglieder der Gruppe wurden Ende letzten Jahres vorübergehend verhaftet, nachdem umfangreiche Listen politischer Feinde und Bestelllisten für Ätzkalk und Leichensäcke an die Öffentlichkeit gekommen waren. G. – ein AfD-Mitglied – wurde suspendiert, befindet sich heute aber auf freiem Fuß. Das Landgericht Schwerin hatte G.s illegale Bürgerkriegsvorbereitungen als „einmalige – wenn auch zeitlich und inhaltlich sehr ausgedehnte – Verfehlung“ bezeichnet und ihn mit einer Bewährungsstrafe davonkommen lassen.

Wie der Spiegel berichtet, war G. im Landeskriminalamt spätestens seit 2009 auf hohen Ebenen als Rechtsextremist bekannt. In einem Vermerk an seinen Vorgesetzten hieß es laut dem Nachrichtenmagazin, „G. interessiere sich auffällig für den Nationalsozialismus und insbesondere für die SS, ‚ohne die nötige Distanz‘ erkennen zu lassen“. Mitglieder der Nordkreuz-Gruppe – darunter ein Anwalt und ein Kriminaloberkommissar – diskutierten Pläne, „den ‚Tag X‘ zu nutzen, um linke Flüchtlingsunterstützer ‚zu sammeln und umzubringen‘“, berichtete ein Zeuge. Gegenüber dem Spiegel gab G. an, „Nordkreuz“ sei „bis heute aktiv“.

Nordkreuz ist Bestandteil des sogenannten „Hannibal“-Netzwerkes, das sich laut Insider-Aussagen auf einen bewaffneten Umsturz vorbereitet, über 2000 Unterstützer in Europa sowie Verbindungen zu den Bundeswehr-Spezialkräften und der NPD verfügt und Mitglieder aus allen Teilen des Staatsapparats rekrutiert.

Es stützt sich auf den Verein „Uniter“, der Waffenhändler, Sicherheitsdienste und Elitesoldaten vernetzt, Privatpersonen im Häuserkampf unterweist und eine eigene nichtstaatliche Kampfeinheit ausbildet. Gegründet wurde er von einem Verfassungsschutzagenten sowie André S. alias „Hannibal“, einen ehemaligen Ausbilder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und Auskunftsperson des Militärischen Abschirmdiensts (MAD).

Ende Mai dieses Jahres wurden nach einer Presseanfrage des Stern Disziplinarverfahren gegen zwei Beamte der Polizei Brandenburg eingeleitet, die Uniter angehörten. Den beiden Vollzugsbeamten werden illegale Datenabfragen vorgeworfen: Einer der Verdächtigen, so das Magazin Heise, „recherchierte im Einsatzdokumentationssystem“, der andere habe polizeiliche Erkenntnisse zu seiner eigenen Person und seinem familiären Umfeld sowie zu einem anderen ehemaligen Mitglied von Uniter eingeholt. Den Verein hätten die Polizisten mittlerweile verlassen – suspendiert wurden sie nicht.

Bereits Ende letzten Jahres war in Brandenburg die Uniter-Mitgliedschaft eines Dozenten der Polizei-Hochschule bekannt geworden. Nach Informationen der taz war der Dozent als „Distriktleiter Ost“ Bestandteil der Führungsriege des Hannibal-Vereins und stand ebenfalls im Verdacht, polizeiliche Datenbanksysteme missbraucht zu haben. Das Innenministerium wies diesen Verdacht im Juni zurück. Die rechtsextremen Netzwerke können deshalb so aggressiv auftreten, weil sie systematisch von höchsten Stellen in Staat und Politik gedeckt werden.  

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