Deutschland: 1900 Neuinfektionen in 24 Stunden

Am Dienstag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 1901 Neuinfektionen mit dem Corona-Virus in den letzten 24 Stunden; das sind fast 500 mehr als am Montag (1407 Fälle). Allein in den beiden Bundesländern NRW und Bayern wurden jeweils weit über 400 neue Fälle registriert.

Auch der Sieben-Tage-Schnitt, der meldebedingte Schwankungen im Wochenverlauf ausblendet, erreichte am Dienstag mit 1399 den höchsten Wert seit dem 30. April.

Dieser Anstieg ist umso alarmierender, als die systematischen Tests von Reiserückkehrern bereits stark reduziert worden sind. Wie das RKI schreibt: „Der Anteil der Covid-19 Fälle unter Reiserückkehrern nimmt seit Kalenderwoche 34 ab, während die absoluten Fallzahlen konstant bleiben. Dies zeigt, dass sich zunehmend wieder Personen innerhalb von Deutschland anstecken.“

Für Schlagzeilen sorgt ein Ausbruch in Garmisch-Partenkirchen, bei dem eine Infizierte 26 weitere Personen ansteckte, weil sie unter Menschen ging, ohne ihr Testergebnis abzuwarten. Über Dutzende weiterer Fälle wird jedoch kaum berichtet.

In einem Seniorenheim in Berlin-Schöneberg haben sich vor einigen Tagen 15 Bewohner und 6 Mitarbeiter neu angesteckt. Die Zahl der aktuell infizierten Pflegekräfte in Berliner Pflegeheimen steigt damit auf 21. Mehrere Senioren wurden mit akuten Atemwegsproblemen in ein Krankenhaus eingewiesen. Seit Pandemiebeginn sind allein in Berlin schon an 75 Pflegeheimen Corona-Ausbrüche bekannt geworden. Das Virus wurde bei fast 300 Bewohnern und 168 Pflegekräften festgestellt, 64 Bewohner sind daran gestorben.

Die anrollende Grippewelle schafft nun zusätzlich große Gefahren. Unter Ärzten kursiert ein internes Papier, das vor einem Mangel an Grippe-Impfstoff warnt. Darin empfiehlt die Ständige Impfkommission des RKI (Stiko) einerseits, gerade in Zeiten von Sars-CoV-2 alle Menschen aus Risikogruppen auch auf Grippe zu impfen. Dazu würden 40 Millionen Dosen Impfstoff benötigt. Andererseits gibt es laut Stiko für diese Saison nur rund 25 Millionen Dosen – also 15 Millionen zu wenig.

Diese Meldung lässt aufhorchen: Demnach rechnet eine dem RKI angegliederte Gesundheitsbehörde bundesweit offenbar mit bis zu 40 Millionen Menschen, die den Risikogruppen angehören. Diese 40 Millionen sind entweder im Seniorenalter, vorerkrankt, schwanger oder berufsbedingt besonders gefährdet. Die Risikogruppe ist besonders durch Sars-CoV-2 gefährdet. Dies lässt die aktuelle Öffnungsstrategie aller Parteien erneut in grellem Licht erscheinen. Unter Bedingungen der Pandemie kann diese Durchseuchungspolitik nur als kriminell bezeichnet werden.

In ganz Europa steigen die Corona-Zahlen wieder an, wobei Spanien, Frankreich und Tschechien die stärksten Zunahmen verzeichnen. Die Stadt Wien hat die Maskenpflicht gerade wieder eingeführt, weil die Infektionszahlen die kritische Marke von 50 pro 100.000 Einwohner übersteigen. In Israel sieht sich die Regierung in dieser Woche gezwungen, einen zweiten Lockdown auszurufen. Weltweit haben sich seit Beginn der Pandemie fast 30 Millionen infiziert, das sind mehr als doppelt so viel wie noch vor sieben Wochen.

Die Zahl der weltweiten Corona-Toten nähert sich bereits der Millionengrenze. In Deutschland sind bis gestern nachweislich 9368 Corona-Patienten verstorben. „Die Sterberaten werden noch steigen“, warnt der Sprecher der WHO Hans Kluge, und fügt hinzu, Europa stehe vor einem harten Herbst.

Trotz dieser Alarmzeichen halten die Regierungen von Bund und Ländern eisern an der Öffnung aller Schulen und Kitas fest. Darüber hinaus wollen sie mit dem Bundesliga-Start am kommenden Freitag sogar die Fußball-Stadien eingeschränkt wieder öffnen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte der Bild, sehr bald hätten die Zuschauer wieder Zutritt zu allen deutschen Fußball-Stadien: „Da bin ich sehr optimistisch, dass das flächendeckend gelingt.“

Gleichzeitig hat das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg angekündigt, ausgerechnet jetzt die Zahl der bereitgehaltenen Intensivbetten drastisch herunterfahren. Am 10. September beschloss die Landesregierung von Winfried Kretschmann (Die Grünen), die bisherige Freihaltequote an Intensiv- und Beatmungsplätzen von 35 auf 10 Prozent zu reduzieren. Ähnliche Beschlüsse gibt es in NRW. Dort stützt sich die Landesregierung unter Armin Laschet (CDU) auf einen Beschluss vom Juni, der die epidemische Lage für „beendet“ erklärte. Diesen Schritt hat nicht nur die mitregierende FDP unterstützt. Auch die SPD und die Grünen haben ihm zugestimmt.

Die Behauptung, die Pandemie sei im Abklingen und die Bereitstellung so vieler Notfallbetten völlig unnötig, ist eine durchsichtige Propagandalüge. Die Stadt Marseille zum Beispiel hat gerade davor gewarnt, dass die Intensivstationen ihrer Krankenhäuser in Kürze an ihre Grenzen stoßen. In Wirklichkeit setzen sich im deutschen Gesundheitswesen die Interessen privater Klinikkonzerne durch, die seit langem aggressiv die Schließung unrentabler Krankenhäuser betreiben. Selbst unter Pandemie-Bedingungen werden deshalb besonders im ländlichen Raum die weniger lukrativen Stationen rücksichtslos geschlossen.

Inzwischen häufen sich seit Tagen die Meldungen über immer neue Corona-Ausbrüche an den Schulen, die gerade erst wieder aufgemacht worden sind. Diese Ausbrüche widerlegen eindrucksvoll die absurde Behauptung, dass Kinder keine Pandemie-Treiber seien. Vor einigen Wochen hatte der sächsische Kultusminister Christian Piwarz (CDU) Kinder als „Pandemie-Bremsklötze“ bezeichnet. Wie sich jetzt zeigt, weist alles darauf hin, dass sich Schulklassen im Frontalunterricht leicht in „Superspreading-Events“ verwandeln können.

Beim bisher größten Ausbruch haben sich in Hamburg mindestens 36 Schüler und drei Schulbeschäftigte mit Sars-CoV-2 infiziert. Doch die betroffene Heinrich-Hertz-Schule in Hamburg Winterhude mit 1400 Schülern ist bisher nicht geschlossen worden. Aktuell verzeichnet Hamburg 79 Infektionsfälle an 34 Schulen, darunter zehn Mitglieder des Personals.

Ein weiterer großer Ausbruch wird aus Gießen (Hessen) gemeldet. An der Gießener Liebigschule haben sich nachweislich 14 Schüler mit Covid-19 infiziert, dreizehn davon in ein und derselben neunten Klasse. Mittlerweile gibt es bereits weitere Ausbrüche in zwei Gruppen der nahegelegenen Thomas-Morus-Kita, wo auch eine Erzieherin Corona-positiv getestet wurde.

In Bayern sind eine Woche nach Öffnung der Schulen 135 Schüler und 40 Lehrer infiziert, 5 Schulen und 22 Klassen sind in Quarantäne. In München wurden 28 Kitas wegen Verdachts- oder Infektionsfällen geschlossen. In dieser Woche nähert sich die relative Infektionszahl in der bayrischen Hauptstadt mit über 43 pro 100.000 Einwohner dem kritischen Grenzwert von 50 Infizierten.

Die verantwortlichen Politiker, die sehenden Auges auf eine medizinische und soziale Katastrophe zusteuern, üben sich derweil in Pfeifen im Walde. Fast unisono verkünden alle Landesschulminister, der Start in den Präsenzunterricht für alle Schüler sei „geglückt“. Auch Ties Rabe (SPD), Schulsenator im stark betroffenen Hamburg, und die nordrhein-westfälische Kultusministern Yvonne Gebauer (FDP) behaupten laut, eine „positive Bilanz“ aus dem Schulbeginn zu ziehen. In NRW gehen sie nicht auf den Offenen Brief besorgter Schulleiter ein, die unsichere Schulöffnungen anprangern.

In Krefeld hat die Schulleitung einer städtischen Gesamtschule mit über 1200 Schülern jetzt mitgeteilt, dass bereits eine große Zahl der vorerkrankten älteren Kollegen in Quarantäne, krank gemeldet oder als Risikopatient vom betriebsärztlichen Dienst freigestellt worden sei. Das Kollegium wurde aufgefordert, sich auf eine mögliche Umstellung auf Fernunterricht vorzubereiten. Allerding fehlt es dazu an allem, was für das Distance-Learning notwendig wäre: Weder sind ausreichend moderne Laptops vorhanden, noch sind die Lehrer pädagogisch und technisch darauf vorbereitet.

Wie der WSWS berichtet wurde, wird aus dem Kultusministerium massiv Druck auf die Betriebsärzte ausgeübt. Sie sollen auch Personal aus der Risikogruppe zurück in den Präsenzunterricht schicken, Das hat eine schwangere Lehrerin berichtet, die vom betriebsärztlichen Dienst nur unter größter Mühe vom Präsenzunterricht freigestellt worden war. Der für sie zuständige Betriebsarzt ließ sie wissen, dass eine ausdrückliche Anweisung des Dienstherrn vorliege, bei Schwangeren keine Arbeitsunfähigkeitsmeldungen auszustellen. Der Arzt sagte, er sei selbst wütend darüber, denn das Virus sei eine Bedrohung für jede Schwangere und ihr Kind.

Loading