Regionalwahlen in Russland: Wenig Stimmengewinne für Oppositionsparteien

Bei den russischen Regionalwahlen vom letzten Wochenende erzielten die regierende Partei Einiges Russland (ER) und ihre politischen Verbündeten umfassende Mehrheiten. Die vom Kreml unterstützten Kandidaten konnten in den 83 Regionen des Landes, in denen Wahlen stattfanden, ihre Gouverneursposten und die Kontrolle über die Regionalparlamente verteidigen.

Trotz der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Reaktion der Regierung auf die Corona-Pandemie, der Wut über die Wirtschaftskrise im Land und die zunehmenden Anzeichen für politischen Widerstand in Teilen Russlands konnten sich die Kandidaten der Opposition nur in einigen sibirischen Gemeinden durchsetzen.

Frau mit Maske nach der Stimmabgabe, Luppolovo bei St.Petersburg, Region Leningrad, Sonntag, 13. September 2020 (AP-Foto/Dmitri Lovetsky)

Bei der Gouverneurswahl in der Region Archangelsk, in der gegen die Errichtung einer großen Mülldeponie in einem ökologisch empfindlichen Gebiet protestiert wurde, erhielt der vom Kreml unterstützte Kandidat 69 Prozent der Stimmen.

In der Republik Komi, ein benachbartes Föderationssubjekt, auf dessen Gebiet sich ein Teil der geplanten Mülldeponie befinden soll, gewann die stalinistische Kommunistische Partei (KPRF) nur 14 Prozent der Stimmen für die Regionalversammlung, trotz ihrer Position als stärkster Herausforderer. Obwohl der Stimmanteil für Einiges Russland im Vergleich zu 2015 um die Hälfte sank, ist die Partei noch immer die beherrschende Kraft im Staatsrat von Komi. Grund dafür ist der Wahlsieg von verbündeten Kandidaten und die Rolle von so genannten „Störparteien“, d.h. von neuen Gruppierungen, die mit Unterstützung des Kremls gegründet wurden, um der KPRF Stimmen abzujagen.

Im sibirischen Irkutsk setzte sich der vom Kreml unterstützte Amtsinhaber, Gouverneur Igor Kobsew, mit 70 Prozent der Stimmen gegen einen weiteren Kandidaten der Kommunistischen Partei durch. Kobsew wurde vom Kreml nach der „erzwungen freiwilligen“ Absetzung des vorherigen KPRF-Führers eingesetzt.

In der Republik Tatarstan wird der amtierende Präsident Rustam Minnichanow sein Amt behalten. Alexei Nawalnys Antikorruptionsorganisation hatte noch kurz vor der Wahl am letzten Wochenende Details über ihre Untersuchung der Immobilientätigkeiten von Minnichanows Familie veröffentlicht, die jedoch im Hinblick auf die Wahlen weitgehend folgenlos blieben.

Die Versuche des Kreml-Gegners Nawalny bei der Wahl Einfluss zu gewinnen, führten nur in zwei Regionen zu bescheidenem Erfolg. In den südwestsibirischen Städten Nowosibirsk und Tomsk gewann eine Handvoll von Kandidaten, die von Nawalny unterstützt wurden, Sitze in Gemeinderäten. Nawalny selbst liegt momentan in Deutschland wegen einer mutmaßlichen Vergiftung im Krankenhaus, für die westliche Regierungen und Medien die Putin-Regierung verantwortlich machen.

Die allgemein niedrige Wahlbeteiligung im ganzen Land war ein Ausdruck der Angst der Bevölkerung wegen des Coronavirus sowie der Desillusionierung angesichts des politischen Systems, den Machthabern und ihren angeblichen Gegnern. In Nowosibirsk gaben nur 28 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, in Tomsk waren es sogar nur 19 Prozent. In Archangelsk, Irkutsk und der Republik Komi lag die Beteiligung zwischen 28 und 30 Prozent.

Die „offiziellen“ und „inoffiziellen“ Gegner der Putin-Regierung – eine Mischung aus Stalinisten, rechtsextremen Nationalisten, Kreml-Insidern und prowestlichen Anhängern der freien Marktwirtschaft – konnten bisher keine nennenswerte aktive politische Massenunterstützung mobilisieren. Trotz des Abscheus gegenüber dem russischen Präsidenten und seinen politischen Anhängern in den Regionen, erkennen Millionen Menschen instinktiv, dass die KPRF, die rechtsextreme LDPR, die „oppositionelle“ Partei Gerechtes Russland und alle anderen politischen Gruppierungen ihnen wenig Alternativen zu bieten haben.

Die so genannte „liberale“ Opposition um Nawalny und andere Gruppen wie die Partei Jabloko werden auch weiterhin zurecht als Verbündete des westlichen Imperialismus und Befürworter von rechter, sozioökonomischer Politik wahrgenommen. Deren wichtigstes Ziel besteht nicht darin, den arbeitenden Massen Russlands zu Wohlstand zu verhelfen, sondern Teilen der Kapitalistenklasse Profite zu ermöglichen. Dass Nawalny vor Kurzem erkrankt und fast gestorben ist, was vor allem die deutsche Regierung als Anlass für Angriffe auf Präsident Putin genutzt hat, brachte ihm keine Sympathien bei den Wählern ein. Nawalnys Programm der „intelligenten Stimmabgabe“, bei dem die Wähler aufgerufen wurden, „jeden außer Putin“ zu wählen, und man ihnen eine Liste der zu wählenden Kandidaten vorlegte, scheint derzeit kaum Auswirkungen auf das Wahlverhalten zu haben.

Das russische Parlament, die Staatsduma, hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, die am Mittwoch erklärte, sie habe Beweise für ausländische Einmischung in die Regionalwahlen entdeckt. Diese sollen von „Wahlbetrug“ über „Desinformation in den sozialen Medien“ bis hin zu „ganztägigen Hackerangriffen auf die Zentrale Wahlkommission“ reichen. Der Vorsitzende der Kommission, Wasili Piskarew, erklärte: „NGOs aus Deutschland, Frankreich und Polen haben eine Reihe von Online-Seminaren und Bildungskursen durchgeführt, an denen amerikanische und litauische Politikstrategen beteiligt waren. Dabei ging es u.a. um die Organisation von Provokationen während der Wahlbeobachtung.“

Der Wahlsieg von Einiges Russland vom letzten Wochenende wird Putins politische Krise jedoch nicht lösen. Die Zahl der Corona-Fälle steigt wieder an, alleine von Freitag auf Samstag lag sie bei über einer Million registrierter Infektionen und fast 6.000 Toten. Die mörderische Politik der „Herdenimmunität“ wird in Russland genauso umgesetzt wie im Rest der Welt – die Folgen sind absehbar. Anfang der Woche wurde bekannt, dass die bekannte russische Opernsängerin Anna Netrebko an Covid-19 erkrankt ist und ins Krankenhaus eingeliefert wurde, nachdem sie Anfang September mehrfach im Moskauer Bolschoi-Theater aufgetreten war. Im ganzen Land wurden die Schulen wieder geöffnet, ohne dass Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden oder ein Plan für einen potenziellen Übergang zu Online-Unterricht ausgearbeitet wurde.

Gleichzeitig ist Russland mit einem immer schärferen geopolitischen Druck wegen des angeblichen Giftanschlags auf Nawalny und des Ausbruchs von regierungsfeindlichen Protesten bei seinem Verbündeten Belarus konfrontiert. Diese Woche kündigte die Europäische Union an, sie werde Alexander Lukaschenko nach Ablauf seiner Amtszeit im November nicht mehr als legitimen Präsidenten von Belarus anerkennen.

Loading