Ein mörderischer Pakt

Die EU will Flüchtlinge künftig abschieben statt verteilen

Der „Asyl- und Migrationspakt“, den die EU-Kommission am Mittwoch vorgestellt hat, ist derart zynisch und menschenverachtend, dass einem die Worte dafür fehlen. Verpackt in süßliche Phrasen über „Werte“, „Verantwortung“ und „Solidarität“ hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Plan präsentiert, der für Hunderttausende Abschiebung, Elend oder den sicheren Tod bedeutet.

Günter Burkhardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl nannte den Plan „einen teuflischen Pakt der Entrechtung“. „Von Rechtspopulisten getrieben, verrät die EU-Kommission das Asylrecht und die Menschenrechte von Schutzsuchenden,“ kommentierte er.

Von der Leyen bezeichnete den Pakt als „Neuanfang“, nachdem der Umgang mit den Flüchtlingen, die vor den Kriegen in Nahost und Afrika Zuflucht in Europa suchen, immer wieder zu heftigem Streit innerhalb der EU geführt hat. „Europa muss wegkommen von den Ad-hoc-Problemlösungen und hin zu einem berechenbaren und zuverlässigen System für das Migrationsmanagement“, sagte die Präsidentin der EU-Kommission.

Dieses „Management“ konzentriert sich darauf, Flüchtlinge, denen es gelungen ist, die Grenzen der Festung Europa unter Lebensgefahr zu überwinden, im Hauruckverfahren wieder rauszuwerfen. Elementare Grundsätze des Asylrechts und der Menschenrechte bleiben dabei auf der Strecke.

„Keine Flüchtlingsquoten, dafür knallharte Abschiebungen“, fasst der Spiegel den Kern des Plans zusammen. Die taz schreibt: „Schnellere Erfassung, schnellere Entscheidung, schnellere Abschiebung möglichst schon an den Außengrenzen – das sind die wichtigsten Neuerungen, die die EU-Kommission in ihrem ‚Migrations- und Asylpakt‘ vorschlägt.“ Migrationskommissarin Ylva Johansson, die den Pakt zusammen mit von der Leyen vorstellte, sagte: „Die Botschaft lautet: Du wirst zurückkehren.“

Um dies zu erreichen, sieht der Plan vor allem zwei Neuerungen vor: „Screening“-Verfahren und „Abschiebe-Partnerschaften“.

Im Screening-Verfahren werden Flüchtlinge, die europäische Küsten erreichen, innerhalb von fünf Tagen erfasst und vorsortiert („gescreent“). Wer aus einem Land kommt, aus dem bisher weniger als 20 Prozent der Asylsuchenden anerkannt wurden, kommt in das sogenannte Grenzverfahren und wird binnen zwölf Wochen wieder abgeschoben.

In der Praxis kommt dies der Abschaffung des Asylrechts gleich. Während des Screening- und Grenzverfahrens gelten die Flüchtlinge als nicht eingereist. Sie haben keinen Zugang zu europäischen Gerichten und können nicht gegen einen ablehnenden Bescheid klagen. Die Entscheidung bleibt der Willkür von Einwanderungsbeamten überlassen, die oft politisch rechts stehen und den Weisungen ihrer Regierung unterworfen sind. Ein faires Asylverfahren ist nicht gewährleistet.

Um das Screening- und Grenzverfahren zu ermöglichen, müssen die Auffanglager an der europäischen Grenze zu riesigen Gefängnissen umgebaut werden, aus denen es kein Entrinnen gibt. Das abgebrannte Lager Moria auf Lesbos, das derzeit als Zeltlager wiederaufgebaut wird, dient dafür als Pilotprojekt. Eine „Taskforce“ aus Brüssel soll auf Lesbos ein „Modellprojekt“ errichten, in dem die Pläne der Kommission als Erstes Anwendung finden. Griechenland habe bereits in ein „gemeinsames Pilotprojekt“ eingewilligt, sagte von der Leyen.

Flüchtlingslager Moria (Foto: Tim Lüddemann)

Das neue Lager in Moria ist rechtliches Niemandsland. Journalisten ist der Zugang ebenso verwehrt wie Rechtsanwälten. Die Insassen dürfen das Camp nicht verlassen. Sie leben unter unbeschreiblichen Bedingungen. Wasser wird rationiert in Flaschen verteilt, Duschen gibt es keine. Der Zugang zum benachbarten Meer ist durch Stacheldraht versperrt.

Die „Abschiebe-Partnerschaften“, die zweite Neuerung des EU-Pakts, sind eine neu erfundene, perverse Form der „europäischen Solidarität“. Staaten, die sich weigern, eine festgelegte Quote anerkannter Flüchtlinge aufzunehmen, können sich freikaufen und ihre „Solidarität“ beweisen, indem sie ersatzweise eine entsprechende Zahl nicht anerkannter Flüchtlinge abschieben.

Die Staaten könnten künftig „zwischen Aufnahme und Hilfe bei der Abschiebung wählen“, sagte Migrationskommissarin Johansson. Gelingt ihnen die Abschiebung nicht innerhalb von acht Monaten, etwa wegen Krankheit oder Weigerung des Herkunftslandes, müssen sie die Betreffenden selbst aufnehmen.

In der Praxis bedeutet dies, dass Staaten wie Ungarn, die bisher am brutalsten mit Flüchtlingen umgingen, die Aufgabe des Türstehers und Rausschmeißers für die Festung Europa übernehmen. Was das für die betroffenen Flüchtlinge bedeutet, kann man sich leicht vorstellen – kein Mittel wird zu barbarisch sein, um sie außerhalb der EU zu schaffen. Die EU selbst will dabei die Regie übernehmen. Zu diesem Zweck soll ein „EU-Koordinator für Rückführungen“ benannt werden.

Von der Leyens Migrationsplan, dem das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten noch zustimmen müssen, lässt alle Mechanismen bestehen, die in den vergangenen Jahren zehntausende Flüchtlinge zum Ertrinkungstod im Mittelmeer, zum Verdursten in der Sahara oder zur Versklavung durch EU-finanzierte Menschenhändler verurteilt haben. Er sieht weder eine Wiederaufnahme der Seenotrettung, noch ein Ende der Zusammenarbeit mit der berüchtigten libyschen Küstenwache vor. Stattdessen soll die Grenzschutzagentur Frontex weiter gestärkt werden, um die Außengrenzen Europa noch hermetischer abzuschotten.

Bereits 2019 hatten es nur noch 140.000 Flüchtlinge geschafft, in der EU einen Asylantrag zu stellen, von denen bestenfalls ein Drittel anerkannt werden. Aber selbst diese Zahl – ein Asylberechtigter pro 1000 Einwohner – ist der EU zu viel.

Offiziell stammt der „Asyl- und Migrationspakt“ von der EU-Kommission, die tatsächlichen Autoren sitzen aber im Berliner Kanzleramt und Innenministerium. Die Vorschläge wurden mit Kanzlerin Angela Merkel abgestimmt, die derzeit den EU-Vorsitz innehat. Die Kommission übernimmt damit im Wesentlichen ein Konzept der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Innenminister Horst Seehofer hatte schon im vergangenen November ein entsprechendes Papier verbreitet, das als eine Art Fahrplan für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte von 2020 galt. Es trat für „verbindliche Vorprüfungen“ von Asylgesuchen in Internierungslagern an den EU-Außengrenzen ein, aus denen Flüchtlinge mit „unbegründeten Anträgen“ direkt wieder abgeschoben werden. Die Lager sollten einen exterritorialen Charakter haben. Die EU sollte sich mit einer eigenen Asylbehörde und Frontex direkt an der Vorprüfung und Abschiebung beteiligen. Diese Pläne finden sich jetzt im EU-Papier wieder.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der sich Berlin und Brüssel über elementare Grundrechte und das Leben von Flüchtlingen hinwegsetzen, muss als Warnung verstanden werden. Dieselbe Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschenleben legen sie in der Corona-Pandemie an den Tag, wo sie bewusst den Tod von Hunderttausenden in Kauf nehmen. Obwohl die Infektionszahlen explodieren, bleiben Betriebe und Schulen offen, um die Profite der Wirtschaft und die Vermögen der Reichen nicht zu gefährden.

Konfrontiert mit der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren und wachsendem Widerstand von Seiten der Arbeiterklasse und der Jugend, wendet sich die herrschende Klasse überall autoritären Herrschaftsmethoden zu. Von der Leyens „Asyl- und Migrationspakt“ könnte auch in der Parteizentrale der deutschen AfD, der italienischen Lega oder des französischen Rassemblement National verfasst worden sein. Alles was diese rechtsextremen und neofaschistischen Organisationen seit Jahren fordern, wird darin umgesetzt.

Die Arbeiterklasse muss die Flüchtlinge und ihr Grundrecht auf Asyl bedingungslos verteidigen. Nur dann kann sie auch ihre eigenen demokratischen und sozialen Rechte verteidigen. Das erfordert den Aufbau einer unabhängigen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse, die für den Sturz des Kapitalismus – der Ursache von Faschismus, Krieg und Armut – und für ein sozialistisches Programm kämpft.

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