Tarifabschluss bei der Deutschen Bahn AG

Gewerkschaft vereinbart Lohnverzicht für Eisenbahner und Zugbegleiter

In allen Tarifauseinandersetzungen, die gegenwärtig stattfinden, spielen die Gewerkschaften eine Schlüsselrolle, um Niedriglöhne und den Abbau von Sozialstandards durchzusetzen.

Gerade hat Verdi den Arbeitskampf bei der Deutschen Post AG abgewürgt und einem Abschluss zugestimmt, der nur als Hohn auf die Postler, Verteiler und Kuriere bezeichnet werden kann. Im Öffentlichen Dienst sind die Warnstreiks Bestandteil eines festen Drehbuchs. Den Ausverkauf im Oktober haben Verdi und die Kommunen schon fest eingeplant.

Ein weiteres sprechendes Beispiel ist der Tarifabschluss bei der Bahn AG. Die Eisenbahnergewerkschaft EVG hat sich am 17. September still und heimlich mit der Deutschen Bahn auf einen Vertrag bis 2023 geeinigt. Der Abschluss für 215.000 Zugbegleiter, Eisenbahner und Lokführer sieht lediglich „Lohnerhöhungen“ von 0,5 – 1,5 Prozent vor, das ist faktisch eine Reallohnsenkung. Darüber hinaus enthält der neue Vertrag keinen einzigen Punkt, der zum besseren Schutz vor der Corona-Pandemie beitragen würde.

Die EVG hatte überhaupt nur 1,5 Prozent Lohnerhöhung gefordert, im Gegensatz zu 2018, als sie noch eine Forderung nach 7,5 Prozent erhoben hatte. Die Gewerkschaft stimmt zu, dass die Deutsche Bahn AG innerhalb von drei Jahren zwei Milliarden Euro an den Personalkosten einspart.

Das abgekartete Spiel wurde Ende Mai dieses Jahres an einem Treffen im Verkehrsministerium abgesprochen, an dem außer dem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und dem Bahn-Vorstand auch die Gewerkschaft EVG und der Konzernbetriebsrat teilnahm. Dort wurde ein „Bündnis für unsere Bahn“ geschmiedet, das dazu dienen soll, den hoch verschuldeten Konzern als Global Player am Weltmarkt zu sanieren.

Der üble so genannte „Sanierungs-Tarifabschluss“, der die Kosten dafür dem Personal aufdrückt, wurde eigens um mehrere Monate vorgezogen. Gerade noch als „Corona-Helden“ gefeiert, sind die Eisenbahner, Lokführer und Zugbegleiter jetzt diejenigen, die verzichten müssen.

Schlimmer noch: Sie werden auf übelste Weise der Gefahr einer Corona-Infektion ausgesetzt. Die Zielmarken für eine wirtschaftliche Sanierung sehen volle Züge vor und sind mit sozialer Distanzierung bei Bahnreisen nicht vereinbar. Schon seit Ende der Ferienzeit werden die Züge von ICE und InterRegio deshalb wieder bis zum Anschlag vollgestopft.

Dabei wird selbst die versprochene Maskenpflicht in den Zügen immer lascher gehandhabt. Die Zugbegleiter sind oft täglich tausendfach mit den verschiedensten Passagieren konfrontiert. Dabei gibt es auch unter ihnen zahlreiche Kollegen mit Vorerkrankungen.

Wie der Alltag konkret aussieht, darüber berichteten vor kurzem zwei Zugbegleiterinnen dem Spiegel. Sie sind mittlerweile offiziell wieder verpflichtet, genau wie vor der Pandemie die Tickets zu kontrollieren, selbst in gefährlich überfüllten Zügen.

Eine 48-jährige Zugbegleiterin berichtete: „Ich habe die Fahrkartenkontrolle eingestellt, auch wenn wir das inzwischen wieder machen sollen – weil mir meine Gesundheit wichtig ist. Ich kann den Abstand nicht einhalten, weil zwischen den Sitzreihen keine 1,50 Meter frei sind. Ich weiß nicht, wer welche Krankheiten hat, und dann jetzt noch die ganzen Urlaubsrückkehrer. Wir wissen auch nicht, wohin wir uns im Zug zurückziehen oder wie wir die Hygiene einhalten können.“

Weder Bahn-Management noch EVG haben diese Probleme auch nur eine Sekunde ernst genommen. Stattdessen strafen sie die Beschäftigten noch zusätzlich mit Lohnverzicht ab, obwohl der grassierende Personalmangel die Arbeitsbelastung ständig steigert und oft Mehrarbeit verlangt wird. Seit Mitte der 90er Jahre die privatisierte Bahn kaputtgespart und in Einzelteile zerschlagen wurde, um das ehemals staatliche Unternehmen an die Börse zu bringen, hat sich die Situation für die Beschäftigen ständig verschlechtert.

Jetzt hat die Unternehmensleitung eine so genannte „Personaloffensive“ angekündigt und erklärt medienwirksam, sie wolle 25.000 neue Beschäftigte anheuern. Zu welchen Einstiegslöhnen und Konditionen wird nicht gesagt. Stattdessen behauptet die EVG, der gegenwärtige Tarifabschluss und die geringe Erhöhung sei auch Ausdruck der Solidarität für Neueinstellungen.

Die rechte Politik der EVG und ihre enge Zusammenarbeit mit dem Bahn-Management und der Bundesregierung ist seit Jahren bekannt. Der Vorläufer der EVG, Transnet, hatte gemeinsam mit der DB AG den Börsengang der Bahn vorbereitet, bevor die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise diesem Plan einen Strich durch die Rechnung machte. Seit der Bahnreform 1994 wurde unter Mitwirkung der Gewerkschaft die Belegschaft halbiert.

Der Bahnvorstand stützte sich bei all diesen Angriffen stets auf die enge Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und den so genannten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die für ihre Komplizenschaft fürstlich belohnt werden. Bekannt ist der „Fall Norbert Hansen“. Der ehemalige Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft wechselte 2008 als Personalchef in den Vorstand und kassierte ein Millionengehalt.

Das war keine Ausnahme. Auch in der jüngsten Tarifverhandlung saß der EVG auf der Arbeitgeberseite ein Gewerkschaftsfunktionär gegenüber. Denn der aktuelle Personalchef der Bahn, Martin Seiler, begann seine berufliche Laufbahn als Betriebsrat bei der Deutschen Bundespost. Nachdem er über 15 Jahre im Betriebsrat und später als Funktionär der Postgewerkschaft bzw. Verdi (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) tätig war, stieg er ins Management auf und kassiert jetzt Millionen.

Mit diesem korrupten Milieu aus aufgestiegenen Gewerkschaftsbürokraten, die auf beiden Seiten des Verhandlungstischs sitzen, werden die ständigen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und die Niedriglöhne durchgesetzt.

Viele enttäuschte EVGler sind zur Spartengewerkschaft GdL (Gewerkschaft der Lokführer) gewechselt, die anfangs als militantere Gewerkschaft auftrat. Doch wie die Corona-Krise deutlich zeigt, steht auch die GdL auf der Unternehmerseite.

Zwar ist sie am schändlichen „Sanierungstarifvertrag“ nicht beteiligt. Doch das begründet sie vor allem damit, dass sie gültige eigene Verträge mit der Bahn noch bis 2021 habe. Auch die GdL unterstützt den Standpunkt der Bundesregierung und vertritt eine völlig nationalistische Perspektive.

Als die Eisenbahner in Frankreich vor wenigen Monaten erbittert für ihre Rechte streikten, hat die GdL-Führung keinen Finger gerührt, um sie zu unterstützen. Stattdessen verteidigt sie die Deutsche Bahn AG gegen ihre französische Konkurrenz.

Die Sozialistische Gleichheitspartei ruft dazu auf, dass sich Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften in Aktionskomitees zusammenschließen, um einen Generalstreik zur Verteidigung von Gesundheit und Leben vorzubereiten. „Es ist dringend notwendig, die Arbeiterklasse in ganz Europa und international in einem Generalstreik zu mobilisieren, um das Wiederaufleben der Corona-Pandemie zu stoppen“, heißt es in einem gemeinsamen Aufruf der SGP und ihrer europäischen Schwesterparteien, Socialist Equality Party (UK), Parti de l’égalité socialiste (Frankreich) und Sosyalist Eşitlik (Türkei).

Das Statement bezeichnet die Covid-19-Pandemie als „auslösendes Ereignis, das die politischen Probleme, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist, in aller Deutlichkeit offenbart“. Die Gewerkschaftsbürokratie wird ganz klar an der Seite der Back-to-Work-Politik der Herrschenden verortet. Das Statement erinnert daran, dass der DGB und die wichtigsten Gewerkschaftsverbände Frankreichs das jüngste EU-Rettungspaket für Banken und Großkonzerne in Höhe von 750 Milliarden Euro ausdrücklich unterstützt haben. Keine Gewerkschaft hat sich von der tödlichen EU-Politik der „Herdenimmunität“ auch nur in Worten distanziert.

Deshalb rufen die europäischen Sektionen des IKVI und dessen sympathisierende Gruppe in der Türkei zu einem „internationalen politischen Kampf gegen das kapitalistische System und eine von der Finanzaristokratie bewusst verfolgte Politik des Massensterbens“ auf. Ihr Statement schließt mit den programmatischen Sätzen: „Die Arbeiterklasse in Europa mobilisiert und radikalisiert sich in wachsendem Maße. Sie ist nun mit der Aufgabe konfrontiert, die von der herrschenden Klasse in Jahren obszöner Rettungsaktionen gestohlenen Ressourcen zu beschlagnahmen, die EU-Regierungen und das kapitalistische System zu stürzen und die reaktionäre EU durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu ersetzen.“

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