Großbritannien: Schule oder Uni für fast jede zweite Corona-Infektion verantwortlich

Die Wiedereröffnung aller Schulen wirkt sich katastrophal auf Schüler und Lehrer aus. Das zeigen immer mehr Berichte und statistische Erhebungen. Die jüngsten Zahlen über die Epidemie, die die britische Behörde Public Health England (PHE) veröffentlicht hat, weisen nach, dass die Bildungseinrichtungen inzwischen für 45 % aller Covid-19-Infektionen verantwortlich sind.

Damit weisen Schulen und Universitäten die höchste Ansteckungsrate aller Gesellschaftsbereiche auf. Der Bericht, der in der 39. Kalenderwoche erschien, basiert auf Daten vom 21. August bis zum 26. September.

Wie die nationale Statistikbehörde am 2. Oktober bekanntgab, sind zurzeit etwa 30.000 Schüler infiziert. „Klare Hinweise“ deuteten demnach auf einen weiteren „Anstieg derjenigen Personen, die positiv auf Covid-19 getestet werden, wobei Teenager und junge Erwachsene die höchste Zuwachsrate aufweisen“. Den stärksten Anstieg weist die Altersgruppe der 7- bis 11-Jährigen, sowie der 12- bis 24-Jährigen - also der Kinder und Jugendlichen im Schulalter - auf.

Schüler der Kingsdale Foundation School, London, 3. September 2020: Übung in sozialer Distanz (AP-Foto/Kirsty Wigglesworth)

Die Twitter-Gruppe ToryFibs stellt täglich die Zahl der Infektionen an britischen Schulen zusammen, indem sie aktuelle Berichte von Schul-Websites, Lokalnachrichten und des National Health Service auswertet. Ihr zufolge gab es am letzten Samstag Covid-19-Fälle an 2.576 Schulen in ganz Großbritannien. Fast 2.000 davon (nämlich 1.909) wurden aus England, 337 aus Wales, 203 aus Schottland und 127 aus Nordirland gemeldet.

ToryFibs meldete 595 aktuelle Coronavirus-Cluster in Bildungseinrichtungen in ganz Großbritannien, darunter über 100 in der Hauptstadt. Ausgerechnet die Londoner Stadtbezirke haben genaue Zahlen verschwiegen, was zu einer starken Untererfassung von Schulinfektionen in der Hauptstadt geführt hat.

Auf der Website „Boykottiert unsichere Schulen“ wurde eine interessante Karte erstellt, auf der Infektionen an über 2.000 Schulen aus allen Teilen des Landes verzeichnet sind.

Laut den Manchester Evening News haben 369 Schulen im Großraum Manchester, dem drittgrößten Regionalbezirk in England, bestätigt, dass sich Schüler und Beschäftigte in Quarantäne befinden. Wie es dort heißt, sind das nur die bekannten Fälle: „Die wahre Zahl wird wahrscheinlich viel höher liegen.“

Diese schreckliche Situation ist das direkte Ergebnis der erzwungenen Wiedereröffnung der Schulen unter unsicheren Bedingungen. Die Regierung will, dass die gesamte Wirtschaft wieder läuft, obwohl die tödliche Pandemie in keiner Weise überwunden ist.

Die Times Educational Supplement (Bildungsbeilage der Times) hat in der zweitletzten Septemberwoche eine Umfrage unter britischen Lehrkräften durchgeführt. Fast die Hälfte der Befragten gab an, dass sie sich nur wenige Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres „ausgelaugt und erschöpft“ fühlten. Etwa ein Drittel der 7.582 befragten Schulmitarbeiter, darunter Lehrer, Lehrassistenten und leitende Angestellte, gaben an, sie schafften es „gerade noch so mit der Pandemie“, und 15 Prozent bezeichneten sich selbst als „körperlich und geistig am Abgrund“.

Ein Schulleiter sagte gegenüber TES: „Wir befinden uns in einem Klima, in dem alle nervös und gestresst sind und sich die ganze Zeit über Sorgen machen. Wenn ich bis Weihnachten noch in diesem Job bin, würde mich das wundern. Ich habe die Nase voll.“

Karte der Gruppe „Boykottiert unsichere Schulen“ mit Ausbrüchen an über 2.000 britischen Schulen

Sinéad Mc Brearty, CEO der gemeinnützigen Organisation Education Support, sagte, ihre eigenen Ergebnisse auf der Grundlage einer am 17. September veröffentlichten YouGov-Umfrage hätten ergeben, dass die Hälfte der Lehrer seit Beginn der Pandemie stärkere psychische Probleme hätten als zuvor. Die Ergebnisse wurden aus Untersuchungen mit über 3.000 Bildungsfachleuten an Schulen und Hochschulen gewonnen.

Zum Versagen der Regierung, ein funktionierendes Test- und Rückverfolgungssystem zu entwickeln, sagte Mc Brearty: „Den Schulen bleibt es überlassen, die Scherben aufzusammeln, während das Personal und die Schüler gezwungen sind, sich selbst zu isolieren und auf das goldene Los für einen Testtermin zu warten ... Wer mit der Gesundheit des Bildungspersonals Raubbau treibt, kann nicht erwarten, dass Kinder und Jugendliche noch die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um dieses schwierige Jahr zu überstehen.“

Am 14. September warnte das Chartered College of Teaching (Standesorganisation der Lehrer) bei einem Treffen im Bildungsministerium, dass Lehrer und Schulleiter bereits zwei Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres erschöpft seien. Bedenken wurden bezüglich der Covid-19-Tests, der Fehlzeiten von Mitarbeitern und Schülern und der unsicheren bevorstehenden Abschlussprüfungen geäußert. Im Realschul- und Gymnasialbereich gaben neun von zehn Lehrern an, dass ihre Schüler ins Hintertreffen geraten seien, und viele forderten die Verschiebung der Prüfungstermine.

In der letzten Septemberwoche führte die Lehrergewerkschaft NASUWT eine Umfrage unter fast 6.500 Mitgliedern durch. 86 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass ihre Arbeitsbelastung stark zugenommen habe. Vor allem werde von ihnen erwartet, dass sie zusätzlich zu ihren derzeitigen Aufgaben den Unterricht aus der Distanz entwickeln würden. Über die Hälfte gab an, dass sie jetzt ohne regelmäßige Pausen arbeiten. Nicht weniger als 83 Prozent waren der Meinung, dass die Regierung während der Pandemie nicht die notwendige Unterstützung leiste.

Am 3. Oktober ergab eine Umfrage der National Education Union (NEU), dass 84 Prozent der Befragten nicht darauf vertrauten, dass die Regierung ihrer Verantwortung nachkomme. Sie sorge weder ausreichend für die Sicherheit an der Schulen und den Schutz der Beschäftigten, noch für die Unterstützung gefährdeter oder benachteiligter Kinder. Auch im Zusammenhang mit Prüfungen und Beurteilungen sorge sie weder für angemessene Sicherheit noch für die notwendigen Ressourcen.

Was die Gewerkschaften angeht, so sind sie dafür mitverantwortlich, und sie berichten über das Ergebnis ihres eigenen Verrats. Im Bündnis mit der Labour Party haben sie die entscheidende Rolle bei der Durchsetzung der Schulöffnung der Tory-Regierung gespielt.

In den letzten Tagen hat die Regierung die Zuteilung der rationierten Laptops für Schüler durch erdrückende Bedingungen weiter erschwert. Wenn eine Schule den Unterricht im Rotationssystem betreibt oder weniger als 15 Schüler hat, die durch Selbstisolation dem Unterricht fernbleiben müssen, dann kann sie nun nicht mehr auf Laptops oder andere staatlich finanzierte Geräte zugreifen. Die Regierung droht sogar damit, im Rahmen des drakonischen Coronavirus-Gesetzes gegen Schulen vorzugehen, die den Kampf um ein angemessenes Niveau fürs Fernlernen aufnehmen wollen!

Die jüngsten Umfragen und Studien widerlegen die gefährliche und trügerische Propagandakampagne der Regierung, die betont, dass Schulen „Covid-sicher“ seien. Während das Leben in den Schulen immer unerträglicher wird, weil immer mehr Schüler und Mitarbeiter erkranken oder sich selbst isolieren müssen, bedeutet die staatliche Politik der „Herdenimmunität“, dass das Virus sich unkontrolliert in der Gesellschaft ausbreiten kann.

Die Socialist Equality Party (SEP) und ihre Schwesterparteien sind gegen die Wiedereröffnung unsicherer Schulen. Sie schlagen ein Programm vor, mit dem Pädagogen und Schüler gemeinsam gegen die Bedrohung ihres Lebens kämpfen können.

Am 8. August hat die SEP ihre Erklärung, „Für einen Generalstreik, gegen die Wiedereröffnung von Schulen“, veröffentlicht. Darin forderte sie alle Beschäftigten im Bildungswesen auf, gegen die Poitik der Regierung Johnson zu mobilisieren, die im September trotz der Bedrohung für Gesundheit und Leben alle Schulen öffnen ließ. „Nur eine unabhängige Mobilisierung kann diese unverantwortliche Politik stoppen“, heißt es dort. „Die Beschäftigten im Bildungswesen müssen sich mit allen Teilen der Arbeiterklasse in einer gemeinsamen Bewegung zusammenschließen und für einen Generalstreik gegen die herrschende Elite kämpfen.“

In der Erklärung hieß es weiter: „Die herrschende Elite vergießt Krokodilstränen, um Schulen in Verwahranstalten zu verwandeln, damit die Eltern unter unsicheren Bedingungen zurück in die Betriebe geschickt werden können. Den Preis dafür werden auch die Beschäftigten des Bildungswesens und die Kinder zahlen, deren Umgebung genauso gefährlich sein wird wie öffentliche Verkehrsmittel, Fabriken, Büros und Geschäfte. Es wird keine soziale Distanzierung und keine persönliche Schutzausrüstung (PSA) geben: Es wird Grundschulklassen mit 30 Schülern und an den Mittelschulen größere Gruppen bis zu 240 Schülern geben, und auch bei Ausbrüchen werden die Schulen nicht geschlossen werden, während Eltern, die das nicht akzeptieren, mit Geldstrafen rechnen müssen."

Die SEP rief zur Vorbereitung eines Generalstreiks auf und forderte:

  • Haltet alle Schulen geschlossen, bis das Virus ausgerottet ist! Da das Virus in ganz Großbritannien außer Kontrolle gerät, kann es keinen sicheren Präsenzunterricht geben.
  • Volle Finanzierung von staatlicher Bildung und Online-Unterricht! Jeder Schüler muss Zugang zu High-Speed-Internet, zur Verteilung von Mahlzeiten, zu Beratung und psychischer Hilfe, zu Unterstützung im Sonderschulbereich und zu allen Ressourcen haben, die für einen qualitativ hochwertiges Fern-Unterricht erforderlich sind. Das gilt auch für jeden Mitarbeiter im Schulwesen.

Die SEP hat in Übereinstimmung mit den Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale ein Sicherheitskomitee für Pädagogen, das Educators Rank-and-File Committee, eingerichtet, das den Kampf gegen die mörderische Politik der herrschenden Klasse aufnimmt. Wir rufen Lehrer, Schüler und Eltern auf, sich diesem Aktionskomitee anzuschließen und an unseren Online-Meetings teilzunehmen.

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