Diskussion mit einem jungen Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas

Die Kommunistische Partei Chinas: „Eine Organisation mit einem sehr hohen Grad an Bürokratisierung“

Dieses Interview auf Chinesisch: 中文.

Die World Socialist Web Site sprach kürzlich mit einem jungen Mann in China, der sich für den Trotzkismus interessiert. Er ist auf lokaler Ebene Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Er sprach mit der WSWS darüber, was es bedeutet, Mitglied der KPCh zu sein, wie die politischen Diskussionen innerhalb dieser Partei beschaffen sind, was ihn dazu bewog, die Werke Leo Trotzkis zu lesen, und wie er über den Kampf für den Sozialismus in China denkt. Aufgrund seiner Bedrohung durch das repressive chinesische Regime wurde sein Name für das Interview geändert, das Peter Symonds von der australischen Socialist Equality Party führte.

Peter Symonds: Vielen Dank, dass du dich zu diesem Gespräch bereit erklärt hast. Du bist einer von 91 Millionen Chinesen, die der Kommunistischen Partei Chinas angehören und darin nur auf lokaler betrieblicher Ebene aktiv sind. Deine Erfahrungen werfen ein gewisses Licht auf den Charakter der Partei, die ansonsten keinen Einblick in ihr Innenleben zulässt. Ich möchte mit der Frage beginnen, wann und warum du der Kommunistischen Partei Chinas beigetreten bist.

Fu Hong: Ich bin der Kommunistischen Partei Chinas als Schüler beigetreten, vor allem wegen meiner beruflichen Zukunft. Ich habe meine Freunde nie gefragt, warum sie der Partei beigetreten sind, aber es ist nicht schwer zu erraten. In den meisten Fällen treten die Leute der Partei aus materiellen Interessen bei. Wenn du in einer Behörde arbeitest, macht es keinen allzu großen Unterschied, ob du beitrittst oder nicht. Aber als Parteimitglied kann man auf höhere Posten befördert werden. Wenn man sich weigert, der Partei beizutreten, wird man nicht befördert.

PS: An welchen Arten von Aktivitäten nimmst du als KPCh-Mitglied teil? Sitzungen? Konferenzen? Was bedeutet es, Mitglied der KPCh zu sein?

FH: Meistens geht es um Treffen am Arbeitsplatz. Aber bei diesen Treffen hört man meistens nur zu. Andere Aktivitäten finden nicht statt. Auf diesen Treffen kommen in den meisten Fällen nur führende Mitglieder zu Wort. Sie vermitteln uns den Kern der politischen Linie des Parteizentrums und Anweisungen anderer Führer. Diskussionen unter den Teilnehmern finden nicht statt. Über solche Themen wird grundsätzlich nicht diskutiert. Niemand hat je eine Frage gestellt. Wir diskutieren nie über politische Fragen.

PS: Welchen Rang hat der Funktionär, der bei dem Treffen spricht? Ist es ein Provinzleiter? Ein lokaler Führer? Eine Führungskraft im Betrieb? Wird er gewählt?

FH: Ich habe immer nur Führungskräfte von meinem Betrieb sprechen gehört. Es gibt zwar Wahlen, aber die meisten Führer werden nicht gewählt. Sie werden meist von höheren Funktionären auf ihre Posten befördert. Natürlich gibt es vor der Beförderung eine Periode, in der auf öffentlichen Treffen Meinungen zu dieser Ernennung eingeholt werden. Im Grunde ist es so, dass Führungskräfte von höheren Funktionären befördert werden und Wahlen nur pro forma stattfinden.

PS: Das würde ich als eine sehr bürokratische Organisation bezeichnen. Was antwortest du darauf?

FH: Ich denke, es handelt sich im Wesentlichen um eine Organisation mit einem sehr hohen Grad an Bürokratisierung. Zunächst einmal ist die Bürokratie nicht erst heute entstanden. Es gibt sie zumindest seit der Zeit von Mao. In der Zeit unmittelbar nach der Gründung der Volksrepublik China schrieb Mao viele Artikel über die Abschaffung von Dingen wie Bürokratie und Korruption. Aber die Bürokratie existiert bis heute.

PS: Warum ist das deiner Meinung nach so?

FH: Unmittelbar nach der Gründung dieses Landes im Jahr 1952 dachte Mao, dass die Bürokratie den volksfeindlichen Gedanken und Haltungen der reaktionären Klassen aus der Vergangenheit entstamme, einschließlich einiger Überbleibsel der Kuomintang. Dies hielt Mao für den Ursprung der Bürokratie. Aber heute hat die Bürokratie eine völlig neue soziale Grundlage: die privaten Eigentumsverhältnisse. Die neu entstandene bürgerliche Klasse wird immer stärker, und auch der Klassengegensatz spitzt sich zu.

PS: In China hatte die Entstehung einer Bürokratie nach der Revolution ihren Ursprung in der Roten Armee. Sie stand der Arbeiterklasse – jeder Regung der Arbeiterklasse – feindlich gegenüber. Die Bürokratie entstand als eine privilegierte Schicht und verteidigte ihre Interessen. Sie erstickte die Beteiligung nicht nur der Arbeiter, sondern im weiteren Sinne auch der Bauernmassen. Ich stimme zu, dass sich die sozialen Spannungen und der Klassengegensatz mit der Restauration des Kapitalismus in China verschärft haben, aber die Bürokratie hat seit jeher die Arbeiterklasse und die Massen niedergehalten.

FH: Was die Arbeiterklasse anbelangt, so stützte sich die Bürokratie früher auf verstaatlichte Eigentumsverhältnisse und zog daraus ihre Privilegien. Doch seit sich die Eigentumsverhältnisse geändert haben, muss sich der Grad der Bürokratisierung vertiefen. Nur so können die Machthaber ihre Privilegien im Rahmen der privaten Eigentumsverhältnisse aufrechterhalten.

PS: Glaubst du, dass sich unter Präsident Xi etwas geändert hat? Glaubst du, dass die Menschen nun weniger Möglichkeiten haben, ihre Meinung zu äußern? Gibt es weniger Raum für politische Diskussionen?

FH: Zunächst einmal ist die Kontrolle über die Redefreiheit tatsächlich verschärft worden. Was die politischen Diskussionen anbelangt, so weiß ich nicht, wie es früher war, aber jetzt werden wichtige nationale Maßnahmen immer noch von einigen wenigen Führern diskutiert und beschlossen. Normale Menschen haben in diesen Angelegenheiten kein politisches Mitspracherecht. Und das gilt auch für gewöhnliche Parteimitglieder.

Präsident Xi Jinping in der Großen Halle des Volkes in Peking im März 2018. (Quelle: Xinhua)

PS: Was hältst du von der Einsetzung von Präsident Xi und der Tatsache, dass er die Begrenzung auf zwei Amtszeiten für den Präsidenten und den Vizepräsidenten aufgehoben hat?

FH: Ich denke, für Xi war die Entscheidung, die Amtszeitbegrenzung aufzuheben, wirklich zwingend. Das heißt, er hatte keine andere Wahl. Allgemein gesprochen war diese Entscheidung das Ergebnis der scharfen Konflikte innerhalb und außerhalb des Landes. Er muss diesen Schritt machen. Es ist also nicht auf seine persönliche Machtbesessenheit zurückzuführen, sondern darauf, was er in der gegenwärtigen objektiven Situation tun musste. Es könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass sich das gegenwärtige System seinem Ende nähert.

PS: Dem stimme ich voll und ganz zu. Während Xi vor allem in den westlichen Medien als allmächtige Figur dargestellt wird, steckt die Partei in einer tiefen Krise, und die Gesellschaft ist von extremen sozialen Spannungen zerrüttet. Xi, so haben wir ihn auf der World Socialist Web Site charakterisiert, fungiert als bonapartistische Figur, die versucht, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb der Partei herzustellen. Die Partei ihrerseits versucht, die Gegensätze zwischen den verschiedenen Klassen auszutarieren.

FH: Das denke ich auch.

PS: Als Xi zum ersten Mal Präsident wurde, leitete er eine große Antikorruptionsaktion ein, die eine gewisse Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausübte, da Korruption auf allen Ebenen der Bürokratiee weit verbreitet ist. Er benutzt die Antikorruptionskampagne als Waffe gegen seine Rivalen. Schon im Vorfeld seiner Amtseinführung wurden Schritte gegen seinen potenziellen Rivalen Bo Xilai unternommen. Er wurde wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert. Wie denkst du über diese Art der Korruptionsbekämpfung?

FH: Ich denke, wir müssen zunächst verstehen, welcher Klasse diese Antikorruptionsmaßnahmen dienen. Der Kampf gegen-Korruption dient im Wesentlichen den Interessen der Kapitalistenklasse. Denn die Korruption hat innerhalb dieser Klasse viel Unzufriedenheit hervorgerufen. Die Korruption der Bürokratie erschwert es den Kapitalisten, die administrativen Prozesse zu rationalisieren. Aus diesem Grund dient die Korruptionsbekämpfung im Wesentlichen den Interessen der Kapitalistenklasse und zur Verteidigung der privaten Eigentumsverhältnisse.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Korruption das Knüpfen von Verbindungen zwischen bestimmten Bürokraten und Kapitalisten erleichtert, was eine politische Bedrohung [für Xi] darstellt. Ein weiteres Ziel von Xis Korruptionsbekämpfung ist also die Beseitigung dieser politischen Bedrohung. Außerdem verschärft die Korruption die Konflikte innerhalb der Bürokratie.

Auf der einen Seite ärgern sich natürlich Massen von Menschen über die Korruption. Doch die Antikorruptionskampagne hat zwei Hauptziele: erstens, die Unzufriedenheit der Kapitalistenklasse aufzulösen, und zweitens, die Verbindungen zwischen der Kapitalistenklasse und den Bürokraten innerhalb der Partei zu kappen. Natürlich werden solche Verbindungen auch geschmiedet, um die Interessen der Kapitalistenklasse und ihr Privateigentum zu verteidigen.

PS: Nach dem, was du sagst, gibt es innerhalb der KPCh sehr wenig politische Diskussion, zumindest in den Betrieben. Hat in den Jahren, die du in der Partei verbracht hast, je einmal jemand eine Frage gestellt oder auf diesen Treffen im Betrieb irgendeinen Standpunkt geäußert? Wie sehen die Menschen außerhalb der Partei die Politik? Äußern sie ihre Meinung unter vier Augen? Gibt es andere Möglichkeiten der politischen Diskussion? Haben jemals Leute dir gegenüber Kritik an der Regierungspolitik geäußert, oder kennst du jemanden, der so etwas gehört hat?

FH: Im Allgemeinen haben die meisten Menschen noch kein politisches Erwachen erlebt. In China erhält man selten eine politische Bildung. Die Menschen wissen wohl noch gar nicht, wie man politische Phänomene diskutiert und beschreibt. Sie sind möglicherweise auch gar nicht in der Lage, politische Fragen innerhalb und außerhalb des Landes zu verstehen. In breiten Schichten der Bevölkerung herrscht Unzufriedenheit über die gegenwärtige Situation, aber sie wissen nicht, wie sie diese äußern sollen.

Ein weiterer Punkt ist, dass in den letzten Jahrzehnten, seit dem Übergang Chinas zur Marktwirtschaft, die offizielle Linie war, dass man sich auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren sollte. So wurde die Aufmerksamkeit der Menschen auf [die Verfolgung] materieller Interessen gelenkt und darauf, wie man mehr Geld verdienen kann. Die Menschen haben noch nicht begonnen, die Gesellschaft mit politischen Augen zu sehen. Dennoch denke ich, dass sich mit dem Rückgang der Wirtschaft das politische Erwachen beschleunigen wird und sie beginnen werden, sich für politische Fragen zu interessieren.

PS: Du musst also eine Ausnahme sein, denn du hast Interesse an Trotzki und am Trotzkismus bekundet. Könntest du erklären, wann und warum du begonnen hast, dich für Leo Trotzki und seine Schriften zu interessieren?

FH: Ich stieß im Zusammenhang mit der Niederlage der chinesischen Revolution von 1925 bis 1927 auf Trotzki. Auch in Bezug auf die Geschichte der Sowjetunion erfuhr ich von Trotzki. Natürlich war es in gewisser Hinsicht Zufall, dass ich auf seine Schriften gestoßen bin und mich für diese Dinge zu interessieren begann, aber in gewisser Weise war es auch unvermeidlich. Meiner Ansicht nach hat der Marxismus seit seiner Entstehung viele verschiedene Fraktionen und Tendenzen hervorgebracht. Wenn der Marxismus jedoch eine Wissenschaft und die Wahrheit ist, muss es eine gewisse Kontinuität geben. Es läuft eine ununterbrochene Linie von Marx über Lenin bis hin zu Trotzki und verbindet sie. Im Vergleich zu anderen Tendenzen hat er [der Trotzkismus] diese Linie vollständig übernommen. Mit anderen Worten, er führt die wissenschaftlichen Prinzipien [des Marxismus] weiter.

Was bei all dem eine wichtige Rolle spielt, ist Lenin und der Leninismus. Beispielsweise rief die Kommunistische Partei Chinas aus Anlass des 200. Geburtstags von Marx zu einer Konferenz auf, aber zum Gedenken an Lenin hat sie nie eine Veranstaltung durchgeführt. Das zeigt, dass sie nicht in dieser Kontinuität steht und nicht von Marx zu Lenin weitergegangen ist. Außerdem fördern sie stark die Frühschriften von Marx, die weniger ausgereift sind. Aus dieser Perspektive denke ich, dass die Entwicklung des Marxismus zum Trotzkismus einen unvermeidlichen Charakter hat.

PS: Was hat dich zuerst veranlasst, etwas über Trotzki zu lesen? Sind seine Werke in China erhältlich?

FH: Ich habe zufällig angefangen, seine Werke zu lesen. Ich sah ein Buch von ihm in der Bibliothek. Ich hatte schon früher von ihm gehört, begann aber erst, seine Werke zu lesen, nachdem ich dieses Buch gesehen hatte. Ich glaube, seine Bücher werden weithin verkauft. Ich weiß nicht genau, wie viele Menschen seine Werke lesen, aber ich glaube, seine Bücher verkaufen sich gut. Seine Autobiografie und die Geschichte der Russischen Revolution wurden viele Male neu aufgelegt.

PS: Wann bist du auf die World Socialist Web Site aufmerksam geworden?

FH: Ich glaube, letztes Jahr. Tatsächlich erschien bereits 2011 ein Buch in chinesischer Sprache, das verschiedene internationale trotzkistische Organisationen vorstellt. Das Buch hat einen Anhang, in dem die Geschichte der einzelnen Organisationen und ihre jeweiligen Websites kurz beschrieben sind. Also habe ich damals einen Blick [auf die WSWS] geworfen. Man muss VPN-Software verwenden, um diese Website zu öffnen. Ohne VPN kommt man nicht dran.

PS: Ich verstehe. Um auf das zurückzukommen, was du über den Trotzkismus als die Weiterführung des Marxismus gesagt hast: Wenn ich dich fragen würde, welches Grundprinzip sich durch Marx, Engels, Lenin, Trotzki zieht, welches politische Prinzip würdest du dann nennen?

FH: Die erste wäre eine klare Klassenorientierung. Sie sind immer glasklar in dem Punkt, dass sie nur die historischen Interessen des Proletariats vertreten, nicht die historischen Interessen anderer Klassen. Dies ist der erste Punkt. Das zweite wäre die Perspektive einer tiefgreifenden sozialen Revolution. Diese Perspektive ist für alle von ihnen von zentraler Bedeutung.

PS: Ich möchte nur eine Sache hinzufügen, die meines Erachtens für den Marxismus grundlegend ist, und das ist der Internationalismus. Das Kommunistische Manifest endet mit einem Aufruf an die Arbeiter aller Länder, sich zu vereinigen. Der Internationalismus zieht sich durch die Politik von Marx, Engels, Lenin und Trotzki.

FH: Das denke ich auch.

PS: Ich weiß, dass sicherlich einige Menschen, die unzufrieden sind und sich zum Sozialismus hingezogen fühlen, auf die Zeit Maos als wahren Sozialismus zurückblicken. Es gibt in Chinas verschiedene neo-maoistische Tendenzen. Am bekanntesten im Westen ist „Utopia“. Es gibt aber noch andere. Warum fandest du diese Tendenzen nicht anziehend?

FH: Erstens wegen ihrer Haltung gegenüber der Kapitalistenklasse. Sie sagen immer, dass sie den Patriotismus nutzen müssen, um die Kapitalistenklasse zu erziehen. Diese Perspektive ist von Mao bis Xi unverändert geblieben. Über diese Perspektive wird jetzt immer noch gesprochen. In einer Rede vor nicht allzu langer Zeit erklärte Xi, dass die Unternehmen und das Marketing zwar keine nationalen Grenzen respektieren, die Unternehmer jedoch ein Heimatland haben. Er setzt nach wie vor auf Patriotismus, um die Unternehmer zu erziehen. Dies steht zunächst einmal im völligen Gegensatz zu den Vorstellungen von Marx. Marx hat bereits gesagt, dass die Arbeiter kein Vaterland haben.

Der zweite Grund ist ihr Nationalismus. Alle ihre Sätze beginnen immer mit „die chinesische Nation“. Sie sind der Meinung, dass die chinesische Nation einen besonderen Vorzug hat oder dass China seine eigenen besonderen Bedingungen aufweist, sodass es eine Ausnahme von den allgemeinen Regeln der internationalen sozialistischen Bewegungen bildet. Das sind die beiden Gründe, warum ich mich nicht für die Theorien von Mao interessiere. Oder besser gesagt, Trotzkis Theorien sind einfach logischer. Er beherrscht in der Tat die Methode des dialektischen Materialismus, während die Maoisten dies nicht tun. Mit anderen Worten, wenn wir ihre Theorien nebeneinanderhalten würden, würde ich die Theorien Trotzkis wählen.

Ein weiterer Punkt ist, dass sie alle, von Mao bis Xi, die Theorie verachten. Mao erklärte in seinen eigenen Schriften, dass er nicht besonders viel in den Werken von Marx und Lenin lese. Nur Experten würden Marx und Lenin lesen. Er meinte, dass nur professionelle Intellektuelle diese Bücher lesen würden. Was Mao am meisten las, waren die klassischen Bücher über die alte chinesische Geschichte. Das heißt, die Vierundzwanzig Dynastiegeschichten. Auch Deng Xiaoping hatte gesagt, dass es sinnlos sei, die Werke von Marx und Lenin ausgiebig zu lesen. Er selbst kannte nur das Kommunistische Manifest und das ABC des Kommunismus. Sie halten die Theorie für belanglos, was in völligem Widerspruch zu der Tradition steht, die von Marx bis Trotzki reicht. [Von Marx bis hin zu Trotzki,] sie halten die Theorie für sehr wichtig und gehen sehr akribisch an theoretische Fragen heran. Von Mao bis Xi hatte keiner eine solche Haltung.

Nachdem Xi an die Macht gekommen war, zitierte er viele Male die Aussage von Engels, dass es bei der marxistischen Weltanschauung nicht um Dogmen, sondern um eine Methode geht. Er zitierte diesen Satz nur, um die Tatsache zu verschleiern, dass er die grundlegenden Prinzipien des Marxismus völlig über Bord geworfen hat. Xi hat auch gesagt, dass man den Marxismus nicht benutzen sollte, um die Realität zurechtzustutzen. Aber er benutzt in Wirklichkeit Nationalismus und Opportunismus, um den Marxismus bis zur Unkenntlichkeit zurechtzustutzen. In den aktuellen Theorien von Xi findet man nicht einmal einen Hauch von Marxismus.

PS: Das ist sehr wahr. Wenn die Arbeiterklasse international die monumentalste Veränderung der Geschichte vollziehen will, dann muss sie sich auf die höchste Stufe der Theorie stützen. Das wird nicht spontan vor sich gehen. Die World Socialist Web Site veröffentlichte zu Beginn des Jahres einen Leitartikel mit dem Titel „Das Jahrzehnt der sozialistischen Revolution ist angebrochen“. Überall auf der Welt lebt der Klassenkampf wieder auf. Die Arbeiterklasse ist eine internationale Klasse. Prozesse, die in einem Land ablaufen, sind zwar nicht unbedingt überall gleich, spiegeln sich aber in jedem anderen Land wider. Auch in China ist eine gewisse Radikalisierung im Gange, und wir sehen Anzeichen dafür. Wie schätzt du die Aussichten auf eine sozialistische Revolution in China ein?

FH: Als entschiedener Sozialist sehe ich diese Aussichten sehr positiv und optimistisch. Außerdem muss diese Revolution, wenn sie erfolgreich sein soll, von einer echten Partei der Arbeiterklasse geführt werden. Ohne diese Prämisse kann es spontane Aufstände geben, aber sie können nicht siegen. Natürlich wäre die Aussicht auf eine erfolgreiche sozialistische Revolution China vielversprechender, wenn die Geschichte einen einigermaßen günstigen Verlauf nimmt, wenn zum Beispiel in den entwickelten westlichen Ländern eine sozialistische Revolution ausbricht und sich durchsetzt. Die Massen in China radikalisieren sich. Ihr Denken wird immer radikaler. Die Reihenfolge, in der die Revolutionen ausbrechen werden, und die Form, die sie annehmen werden, ist daher im Moment schwer vorhersehbar. Was China anbelangt, so steht jedenfalls fest, dass sich die Menschen radikalisieren.

Loading