Französisches und spanisches Krankenhauspersonal protestiert, während sich Covid-19 in ganz Europa ausbreitet

Unter den Beschäftigten des Gesundheitswesens in ganz Europa wächst die Wut. In Spanien und Frankreich haben Pflegekräfte und Ärzte diese Woche für dringend benötigte Mittel für den Kampf gegen die Corona-Pandemie und gegen die Politik der „Herdenimmunität“ demonstriert, welche die Grundlage der Reaktion der europäischen Staaten auf das Virus bildet.

Im Hintergrund der Proteste entwickelt sich Europa erneut zu einem globalen Hotspot der Pandemie. Frankreich, Großbritannien und Spanien verzeichnen europaweit die meisten Fälle.

Am Donnerstag demonstrierten französische Pflegekräfte vor Krankenhäusern und in Innenstädten. Die größten Demonstration fand in Paris statt; die Teilnehmer forderten Lohnerhöhungen, mehr Krankenbetten und mehr Personal.

Fußgänger auf einem Boulevard im spanischen Barcelona Anfang des Jahres (AP Photo/Emilio Morenatti)

In den Medien und den sozialen Netzwerken haben Pflegekräfte die Bedingungen in Krankenhäusern scharf kritisiert. Es herrscht u.a. ein Mangel an Schutzausrüstung, während das Personal europaweit wieder mit überlasteten Notaufnahmen konfrontiert ist. Sophie, eine Pflegerin aus Val-de-Marne, erklärte gegenüber Le Parisien: „Dafür habe ich mich nicht beworben. Wir dürfen den Druck und die unbezahlten Überstunden nicht mehr hinnehmen.“

Christina (46) erklärte gegenüber der Zeitung: „Wir nennen uns untereinander ‚die Unsichtbaren‘. Die Epidemie hat das Fass zum Überlaufen gebracht. ... Man hat uns applaudiert, aber dann nichts unternommen.“

Der 33-jährige Pfleger Arthur schrieb auf Twitter: „Unser Gesundheitssystem bricht zusammen. Wir brauchen jetzt echte Taten.“

In einer Umfrage der Organisation Order of Nurses unter 60.000 Pflegekräften, deren Ergebnisse am 10. Oktober von Le Parisien veröffentlicht wurden, erklärten 33 Prozent der Pflegekräfte, sie hätten bereits vor der Krise einen Burnout gehabt. Mittlerweile ist diese Zahl auf 57 Prozent angestiegen.

Zu dem Aktionstag hatte eine Gruppe von Gewerkschaften aufgerufen, darunter die Confédération générale du travail (CGT), Sud und die Confédération générale du Management, sowie die Organisation Inter-Urgences, die Beschäftigte der Notaufnahmen vertritt.

Die CGT und die anderen großen Gewerkschaften spielen eine besonders zynische Rolle. Erst vor vier Monaten, am 10. Juli, hatten sie eine Einigung mit der Macron-Regierung über einen Gesundheitsetat ausgehandelt, durch den sich die Bedingungen in den Krankenhäusern verschlechtert haben. Das gleiche Gesetz wird jetzt von Beschäftigten im Gesundheitswesen allgemein verurteilt. Es sieht eine unzureichende Lohnerhöhung von 180 Euro pro Monat für Pflegekräfte vor, allerdings keine Verpflichtung zur Wiederherstellung von Bettenkapazitäten, von denen in den letzten sechs Jahren mehr als 17.000 abgebaut wurden. Zudem wurde die Garantie der 35-Stunden-Woche für Pflegekräfte aufgeweicht.

Die CGT hat das Abkommen nicht unterzeichnet, weil es bereits mit den Unterschriften der Gewerkschaftsverbände CFDT, UNSA und FO durchgesetzt werden konnte. Allerdings versuchte sie, jede Mobilisierung der Beschäftigten im Gesundheitswesen gegen den Deal zu verhindern und erklärte in einer Mitteilung: „Selbst wenn die Regierung uns enttäuscht, müssen wir dennoch zugeben, dass wir diese Lohnerhöhung dank der Mobilisierung des Personals in den letzten Jahren und dank der Gewerkschaften durchsetzen konnten.“

In Spanien wurden in den letzten Wochen Proteste von Ärzten und anderen Beschäftigten des Gesundheitswesens organisiert. Am Dienstag streikten in Katalonien Hunderte von Ärzten für bessere Arbeitsbedingungen.

Dr. Natalia Ross, die am Dienstag an einer Protestveranstaltung in Barcelona teilnahm, erklärte gegenüber Swiss Info: „Wir bitten um Hilfe, weil wir den Leuten nicht die Mittel geben können, die sie brauchen, um während dieser Pandemie behandelt zu werden.“ Berichten zufolge nahmen 5.900 Ärzte aus ganz Katalonien an der Veranstaltung teil.

Während im Gesundheitswesen die Wut zunimmt, breitet sich das Virus in Frankreich, Spanien und ganz Europa rapide aus. Das Krankenhauspersonal ist wieder mit der Aussicht auf überfüllte Notaufnahmen konfrontiert. Diese Ausbreitung ist das vorhersehbare – und auch vorhergesehene – Ergebnis der Politik der europäischen Regierungen, die ihre Wirtschaft wieder in Betrieb genommen und Millionen zur Rückkehr an die Arbeitsplätze und in die Schulen gezwungen haben, um den Fluss der Profite an die privaten Konzerne wieder in Gang zu bringen. Durch diese Politik konnte sich das Virus wieder ausbreiten.

Am Montag meldete Aurélien Rousseau von der regionalen Gesundheitsbehörde der Ile-de-France um Paris, dass siebzehn Prozent der Test dort positiv seien, was der bisher höchste Stand war. 474 Menschen liegen wegen Covid-19 in Reanimationsbetten im Krankenhaus, was 42 Prozent der Gesamtzahl dieser Betten entspricht.

Rousseau erklärte, allein am Montag habe es in Paris „unter 20- bis 30-jährigen etwa 800 positive Fälle pro 100.000 Einwohner gegeben. Vor allem haben sich diese Zahlen in den letzten drei Tagen unter Älteren rapide erhöht.“

Er erklärte: „Wir wissen, was in den nächsten fünfzehn Tagen passieren wird, vor allem dass wir mehr schwere Fälle haben werden.“ Er wies darauf hin, dass sich alle Krankenhäuser im „Krisenmodus“ befinden.

In Frankreich ist die Zahl der Corona-Fälle vom 15. September bis zum 13. Oktober um 362.000 angestiegen. In Europa liegt Frankreich an erster Stelle, gefolgt von Spanien und Großbritannien mit 295.000 bzw. 249.000 neuen Fällen im gleichen Zeitraum. Bei der Zahl der Fälle auf 100.000 Einwohner liegt Tschechien mit 800 an erster Stelle, gefolgt von Spanien, Belgien, den Niederlanden und Frankreich.

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