Corona: 15 Tote in Pflegeheim in Berlin-Lichtenberg

Mit dem Ansteigen der Infektionsfälle - gestern meldete das RKI mit 23.684 Fällen binnen eines Tages einen neuen Höchststand - breitet sich die Corona-Pandemie immer stärker in Alten- und Pflegeeinrichtungen aus, wo die betagten und gesundheitlich vorbelasteten Bewohner und das Personal besonders gefährdet sind. Hier werden täglich neue Hotspots gemeldet.

Allein in Hessen sind in den ersten zweieinhalb Wochen dieses Monats 174 Menschen in Alten- und Pflegeheimen an oder mit Covid-19 gestorben. Das geht aus der Statistik des Regierungspräsidiums Gießen hervor, das die Aufsicht über alle Heime im Land hat. Im gleichen Zeitraum gab es in Hessen insgesamt 272 Tote in Zusammenhang mit Corona. Das bedeutet, dass zwei von drei Corona-Toten derzeit auf Altenheime entfallen. Während der ersten Corona-Welle waren es „nur“ 40 Prozent.

Auch in der Hauptstadt breitet sich das Virus massiv in Pflegeheimen aus. Rund ein Drittel der Menschen, die in Berlin seit Beginn der Pandemie nach einer Infektion starben, sind Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, wie aktuelle Daten der Gesundheitsverwaltung zeigen. Demnach starben bis Montag 132 Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen im Zusammenhang mit dem Virus. Die Gesamtzahl der Todesfälle in Berlin lag am Donnerstag bei 422.

Seit Beginn der Pandemie haben 183 stationäre Pflegeeinrichtungen in Berlin bestätigte Infektionsfälle gemeldet. Betroffen waren 1021 Bewohner sowie 603 Mitarbeiter dieser Einrichtungen.

Bezeichnend ist der Ausbruch in einem Pflegeheim in Berlin-Lichtenberg, wo die Zahl der Toten mittlerweile auf 15 gestiegen ist. Zurzeit gibt es 30 infizierte Bewohner in der Einrichtung sowie 17 infizierte Mitarbeiter in Quarantäne. Letzte Woche wurden 14 Bewohner in andere Einrichtungen evakuiert. Seither prüft der Amtsarzt, ob Hygieneregeln in dem Heim eingehalten wurden. Möglicherweise wurden die betagten Bewohner durch infiziertes Personal angesteckt.

Nach Recherchen des rbb lagen bereits Ende Oktober positive Testergebnisse von 30 Bewohnern und 16 Pflegern vor. Warum es nicht schon zu diesem Zeitpunkt zu einer Teilevakuierung oder anderen Maßnahmen kam, ist unklar. Der private Betreiber des Pflegeheims, Kursana, der zur Dussmann-Gruppe gehört, äußerte sich bis dato nicht dazu.

Wie der Tagesspiegel unter Berufung auf einen Experten berichtete, wurden Informationen zum Infektionsgeschehen in dem Heim seitens des Betreibers möglicherweise nicht weitergegeben und der Fall eskalierte deshalb. Auch von einem „Vertuschungsmechanismus“ innerhalb des Trägers wurde in diesem Zusammenhang berichtet. Das Bezirksamt geht davon aus, „dass nicht alle Auflagen eingehalten wurden“.

Die Pflegesituation in der Einrichtung war offenbar derart angespannt, dass dies die Infektionen begünstigte. Im Heim seien derzeit viele Pfleger auf Leasingbasis tätig, der Pflegeschlüssel sei nicht eingehalten worden, haben laut Tagesspiegel Angehörige von Bewohnern berichtet. Auch eine Notärztin wird zitiert, die erklärte, die Bewohner seien unzureichend mit FFP2-Schutzmasken ausgestattet gewesen.

Einrichtungen des Trägers hatten schon häufiger in der Kritik gestanden, weil Personalvorgaben nicht eingehalten wurden und sich die Qualität der Versorgung als überaus mangelhaft herausstellte.

Kursana betreibt allein in Deutschland 100 Einrichtungen und verzeichnete 2018 428 Millionen Euro Jahresumsatz. Das Unternehmen gehört damit zu den größten Anbietern in der stationären und ambulanten Altenpflege. Der Umsatz der Muttergesellschaft Dussmann stieg nach eigenen Angaben 2019 um 6,3 Prozent auf 2,13 Milliarden Euro, während der weltweite Gesamtumsatz um 2,4 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro wuchs. Die Dussmanns gehörten schon 2017 mit einem geschätzten Vermögen von 0,9 Milliarden Euro zu den reichsten Familien Deutschlands.

Die Rendite des Unternehmens geht zulasten der Beschäftigten, die niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen. Von den rund 400 Berliner Pflegeheimen, Kurzzeit- und Tagespflegeeinrichtungen waren Ende 2017 nach Angaben des Statistischen Landesamtes knapp die Hälfte in privater Hand, Tendenz steigend.

Nicht nur die Beschäftigten leiden unter dem Profitstreben, sondern auch die Qualität der Versorgung. Die Berliner Morgenpost zitiert den Charité-Professor Michael Ewers, die Gewinne würden zum Teil über die Immobilien erzielt, „aber oft wird auch aus den Mitarbeitern herausgepresst, was nur irgendwie geht“.

Eine Studie des Gesundheitssystemforschers Prof. Dr. Max Geraedts von der Universität Witten/Herdecke untersuchte 2015 den Zusammenhang von Preis, Qualität und Profitorientierung. Dabei stellte sich heraus, dass profitorientierte Pflegeheime in Deutschland im Vergleich zu nicht-profitorientierten insgesamt eine geringere Qualität bieten. Eine bewusste Verringerung der Qualität in Pflegeheimen könne zur Gewinnmaximierung beitragen, so die Studie.

Besonders heuchlerisch ist die Reaktion des rot-rot-grünen Senats auf die Todesfälle in Lichtenberg. „Pflegeheime sind keine reinen Renditeobjekte, sondern sie haben Verantwortung für das Wohlergehen der Bewohner zu tragen“, dozierte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) gegenüber dem Tagesspiegel. Die vorliegenden Hygienekonzepte müssten von jedem eingehalten werden. Sie erwarte überdies „von allen Verantwortlichen in den Bezirken, dass der Schwerpunkt auf die vulnerablen Gruppen gelegt wird“.

Tatsächlich sind SPD, Grüne und Linkspartei in Berlin ebenso wie die große Koalition auf Bundesebene verantwortlich für die katastrophalen Bedingungen in Pflegeheimen und Kliniken. Öffentliche Einrichtungen in den Bereichen Gesundheit und Pflege sind rücksichtslos privatisiert und öffentliche Gelder gekürzt worden. Die Rolle des Vorreiters spielte dabei der rot-rote Senat in Berlin, der von 2002 bis 2011 regierte.

Heute stellen sich die Parteien ausdrücklich gegen jede wirksame Maßnahme zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie. SPD, Grüne und Linke sprechen sich kategorisch gegen jede Forderung nach Schulschließungen aus. Die Vorsitzende der Linkspartei in Berlin, Katina Schubert, hat sich im letzten Monat gegen jede Kontaktbeschränkung gewandt. Sie stellte sich ausdrücklich hinter den thüringischen Ministerpräsident Bodo Ramelow, der für das „schwedische Modell“ und die „Herdenimmunität“, also die mörderische Durchseuchung der Bevölkerung mit dem Coronavirus, eintritt.

Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, kritisierte, dass die Politik Pflegebedürftige und Personal einer gefährlichen Situation aussetze. „Es sind auch Pflegekräfte und Mediziner, die das Virus über die Hintertür in die Einrichtungen einbringen“, so Brysch gegenüber dem Tagesspiegel. Tägliche Schnelltests vor jedem Schichtbeginn wären hier ein probates Mittel, zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten rasch zu unterscheiden. Doch selbst dafür zu sorgen, sei die Regierung nicht gewillt. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lasse nur 20 Tests im Monat pro Bewohner für alle Mitarbeiter, Besucher und Pflegebedürftigen bereitstellen, so Brysch.

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