Indien: Millionen Arbeiter im Generalstreik gegen die Angriffe der Modi-Regierung

Am Donnerstag beteiligten sich in ganz Indien hunderte Millionen Arbeiter an einem eintägigen Generalstreik gegen die investorenfreundlichen Wirtschaftsreformen und die damit einhergehenden Austeritätsmaßnahmen der Regierung von Premierminister Narendra Modi und seiner Bharatiya Janata Party (BJP).

Laut den Veranstaltern nahmen 250 Millionen Menschen an dem Streik teil. Diese enorme Mobilisierung ist Ausdruck der wachsenden Wut der Massen, nicht nur auf die Modi-Regierung, sondern auf die gesamte bürgerliche Herrschaft in Indien. Sie zeigt die Bereitschaft der Arbeiter, sich gegen die Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne, Arbeits- und Lebensbedingungen zu wehren.

Demonstranten blockieren am 26. November während eines landesweiten Streiks in Indien eine Eisenbahnstrecke in Kolkata. (AP Photo/Bikas Das)

Die Streikenden forderten eine monatliche Zahlung von 7.500 Rupien (etwa 100 US-Dollar) an alle Familien, die aufgrund ihrer Armut keine Einkommenssteuer zahlen, die Rücknahme von Gesetzen, die Bauern benachteiligen, die Rücknahme von Verschlechterungen des Arbeitsrechts, eine allgemeine Sozialversicherung, einen monatlichen, automatisch an die Inflation angepassten Mindestlohn von 21.000 Rupien für alle Beschäftigten – d.h. auch für Leiharbeiter – die verpflichtende Registrierung von Gewerkschaften innerhalb von 45 Tagen nach Eingang der Anmeldung, die Abschaffung der Zwangspensionierung im öffentlichen Dienst und bei Regierungsbehörden, eine Krankenversicherung für alle und die Bereitstellung von sechs Prozent des BIP für das Gesundheitswesen und fünf Prozent des BIP für das öffentliche Bildungswesen.

Zu dem Streik hatten zehn Gewerkschaftsverbände aufgerufen, darunter das Centre of Indian Trade Unions (CITU) und der All-India Trade Union Congress (AITUC). Sie sind die Gewerkschaftsverbände der beiden größten stalinistischen Parteien – der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) bzw. KPM und der Kommunistischen Partei Indiens (KPI).

Weitere beteiligte Gewerkschaftsverbände waren der Indian National Trade Union Congress (INTUC), d.h. der gewerkschaftliche Flügel der oppositionellen Kongresspartei, und die Labour Progressive Front (LPF), die mit der Dravida Munnetra Kazhagam (DMK) aus Tamil-Nadu verbündet ist. Der Gewerkschaftsflügel der regierenden BJP, die Baharatiya Mazdoor Sangh (BMS), nahm nicht teil.

Die Beteiligung schwankte zwar nach Branchen, Berufszweigen und Regionen, beteiligt waren aber jedenfalls Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst, den Banken, Ölraffinerien, Stahlwerken, Kraftwerken, Kohlegruben und Rüstungsbetrieben. Sie alle forderten die Rücknahme von Modis Privatisierungsmaßnahmen, der Förderung von Leiharbeit und der reaktionären „Arbeitsmarktreform“, die das Streikrecht einschränkt.

In den südindischen Bundesstaaten Kerala, Telangana und Puducherry, im östlichen Bundesstaat Odisha und im nordöstlichen Assam legten Millionen die Arbeit nieder, was zur vollständigen Stilllegung der Betriebe führte und sich auf viele weitere Bundesstaaten auswirkte. In vielen Großstädten des Landes, u.a. in Delhi, fanden Protestveranstaltungen statt.

Kerala kam völlig zum Erliegen. Die Regierungskoalition Left Democratic Front (LDF), die von der stalinistischen KPM dominiert wird, unterstützte den Streik. Die Busse des staatseigenen Verkehrsbetriebs KSRTC fuhren nicht, ebenso wenig wie die privaten Busse, Motorrikschas und Taxis. Behörden und große Unternehmen blieben geschlossen.

Auch der Zugverkehr kam zum Erliegen, ebenso der Pkw-Verkehr in vielen Städten des ostindischen Bundesstaates Westbengalen, u.a. in Jadavpur, Garia und Dakshin Barasat. Die Bundesstaatsregierung, die von der antikommunistischen Partei Trinamool Congress (TMC) und Ministerpräsidentin Mamata Banerjee angeführt wird, war zwar früher mit harten juristischen Bandagen, Polizei und Schlägern gegen Streikende vorgegangen, versuchte aber diesmal nicht, den Ausstand zu verhindern. Dem rechten TMC steht nächstes Jahr eine Bundesstaatswahl bevor, in der die BJP ihr wichtigster Gegner ist.

In Odisha schlossen sich staatliche Beschäftigte dem Streik an, obwohl die Bundesstaatsregierung unter der Biju Janatha Dal (BJP) versucht hatte, den Ausstand mithilfe des Gesetzes über die Aufrechterhaltung wesentlicher Dienste zu verbieten.

Im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu legten Arbeiter aus verschiedenen Branchen die Arbeit nieder, u.a. bei Konzernen wie Salem Steel, und anderen Großunternehmen wie MRF und Ashok Leyland in den Außenbezirken von Chennai, in Textilwerken in Tirupur, der Feuerwerksindustrie in Sivakasi und in IT-Unternehmen.

Dass die Medien kaum über den Streik berichteten, verdeutlicht die Angst der Unternehmerelite vor Massenaktionen der Arbeiterklasse angesichts der Wut der Bevölkerung über die katastrophalen Bedingungen, die die Corona-Pandemie geschaffen hat.

Die Führer des Provisorischen Komitees der Maruti Suzuki Workers Union (MSWU) veranstalteten am Donnerstag eine Protestaktion in Gurgaon. Sie erklärten gegenüber der WSWS, die wichtigsten Gewerkschaften in der riesigen Industrieregion Gurgaon-Manesar in den Außenbezirken von Delhi, eine der Hochburgen der Arbeitermilitanz, habe ihre Mitglieder nicht zum Streik aufgerufen. Die MSWU wurde von Arbeitern des Maruti-Suzuki-Autowerks in Manesar gegründet, nachdem das Unternehmen eine gelbe Gewerkschaft eingesetzt hatte.

In den Jahren 2011 bis 2012 hatte die MSWU eine Reihe von militanten Kämpfen gegen die sklavenartigen Arbeitsbedingungen des Unternehmens organisiert. Das Unternehmen und die Bundesstaatsregierung hatten als gemeinsame Racheaktion 13 dieser militanten Arbeiter, darunter alle 12 Mitglieder des MSWU-Exekutivkomitees, in einem fingierten Mordprozess angeklagt und im Jahr 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Der Streik von Donnerstag ging über alle Grenzen von Sprache, Religion und Kastenzugehörigkeit hinweg und hat damit auf eindrucksvolle Weise die objektive Einheit der indischen Arbeiterklasse gezeigt. Das war ein schwerer Schlag gegen die unablässigen Versuche der Modi-Regierung, Hindu-Chauvinismus zu propagieren und gegen Muslime und andere religiöse Minderheiten zu hetzen, sowie gegen die ständigen Versuche der herrschenden Elite, Spaltungen zwischen Ethnien, Regionen, Kasten und Gemeinschaften zu schüren.

Zeitgleich mit dem Generalstreik vom Donnerstag protestierten die Bauern im ganzen Land für zwei Tage. Daneben rief das All India Kisan Sangharsh Coordination Committee (AIKSCC), eine Dachorganisation von über 300 Bauernvereinigungen, zu einem „Delhi Chalo“-Marsch auf. Ihre Hauptforderung war die Abschaffung von drei die Landwirtschaft betreffenden Gesetzen, die die Modi-Regierung vor Kurzem erlassen hat. Durch diese Maßnahmen sind die Bauern auf Gedeih und Verderb den riesigen Agrarkonzernen ausgeliefert, die den Anbau, den Handel, die Lagerung und die Preise von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, darunter Getreide als Grundnahrungsmittel, dominieren.

Die von der BJP regierten Bundesstaaten Haryana, Madhya Pradesh und Uttar Pradesh setzten paramilitärische Kräfte und die Polizei ein, um den „Delhi Chalo“-Marsch und andere koordinierte Protestaktionen zu verhindern.

In Haryana wurde die Polizei eingesetzt, um die Grenzen zum National Capital Territory (NCT), nach Delhi, Punjab und Uttar Pradesh zu blockieren. Straßensperren wurden errichtet, damit die Bauern das NCT nicht erreichen konnten. Die BJP-Regierung von Haryana ordnete außerdem nächtliche Razzien an, bei denen Hunderte Bauern verhaftet wurden. Auch Modis Zentralregierung setzte Polizei und paramilitärische Kräfte an der Grenze zwischen Delhi und Haryana ein.

Von den zehn Gewerkschaftsverbänden und mehreren anderen Gewerkschaftsorganisationen, die zu dem Streik aufgerufen hatten, spielten die stalinistischen Gruppierungen CITU und AITUC die Hauptrolle.

Während die Arbeiter entschlossen sind, Widerstand gegen die Angriffe der Modi-Regierung zu leisten, haben die stalinistischen Gewerkschaften nur zum Streik aufgerufen, um Dampf abzulassen und den wachsenden Widerstand der Arbeiter in Stadt und Land vor den Karren opportunistischer Bündnisse mit der Kongresspartei und diversen regionalen kapitalistischen Parteien zu spannen. Im Einklang mit diesen Plänen haben die CITU und der AITUC mit dem INTUC und der LPF, den Gewerkschaftsverbänden der Kongresspartei und der tamilisch-nationalistischen DMK, zusammengearbeitet und diese bürgerlichen Parteien als „Freunde der Arbeiter“ dargestellt.

Die Stalinisten, die eine lange und üble Geschichte der Zusammenarbeit mit dem Kongress und der DMK haben, hatten sich bei der Wahl 2019 mit diesen Parteien verbündet. Anfang November waren sie außerdem zusammen mit der Kongresspartei und der korrupten, kastenbasierten bürgerlichen Regionalpartei Rastriya Janatha Dal zur Wahl im Bundesstaat Bihar angetreten. Nächstes Jahr wollen sie zusammen mit der Kongresspartei zu den Bundesstaatswahlen in Tamil Nadu, Westbengalen und Assam antreten.

Der Widerstand der Arbeitermassen gegen Modis BJP-Regierung war bereits in den Monaten vor dem schlecht vorbereiteten Lockdown im März angewachsen.

Bereits am 8. Januar fand ein ähnlicher landesweiter Generalstreik mit Millionen Teilnehmern statt, der sich die Wirtschaftsreformen der Regierung richtete. Dazu kamen Demonstrationen und Proteste von Angehörigen aller Ethnien gegen eine reaktionäre Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, die sich gegen die muslimische Bevölkerungsgruppe richtet. Diesen Aktionen ging eine Welle von Streiks in der Autoindustrie voraus.

Die heftigen Proteste gegen die Staatsbürgerschaftsreform hatten die Modi-Regierung vorübergehend zum Rückzug gezwungen. Allerdings konnte Modi die gefährlichen Bedingungen, die die Pandemie geschaffen hat, als Vorwand benutzen, um die Proteste zu unterdrücken.

Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Katastrophe, ausgelöst durch die katastrophale Reaktion der Regierung auf die Pandemie, meldet sich die Bewegung der Arbeiterklasse und der unterdrückten Landarbeiter nun mit verstärkter Kraft zurück.

Die indische Arbeiterklasse muss sich politisch und organisatorisch aus dem Würgegriff der Stalinisten und ihrer maoistischen Variante befreien, die allesamt das Profitsystem verteidigen. Und sie muss die Bauernschaft und die unterdrückten Massen im Kampf gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische und internationalistische Perspektive hinter sich vereinen.

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