Wachsende Wut über Krise im Gesundheitswesen

Steigende Covid-19-Infektionszahlen und mehr Einweisungen in Kliniken führen zu dramatischen Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pflegekräfte. Immer mehr Beschäftigte im Gesundheitswesen infizieren sich selbst und werden teilweise sogar zur Arbeit gezwungen, obwohl sie infiziert sind. Viele Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen reagieren mit Wut und Ärger auf diese untragbaren, von der Politik verantworteten Zustände.

Die Kliniken in Deutschland geraten an ihre Grenzen. „In einzelnen Ländern wie Sachsen ist die Zahl der Intensivpatienten fünfmal so hoch wie im April. Dort geraten Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen oder haben diese bereits überschritten“, erklärte Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), in der Welt am Sonntag.

Am Mittwoch meldete das RKI mit 590 Toten innerhalb eines Tages die höchste Zahl seit Beginn der Pandemie. Damit sind in Deutschland über 20.000 Menschen an den Folgen der Infektion gestorben. Die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen hat am Freitag erstmals die Marke von 4000 überschritten. Laut DKG befinden sich derzeit rund 40 Prozent mehr mit dem Virus infizierte Patienten auf den Intensivstationen als während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr. Weitere 16.000 Fälle werden außerdem in den normalen Stationen der Krankenhäuser medizinisch versorgt.

Krankenpflegeausbildung in Suhl (Foto: SRHSUhl / CC BY-SA 4.0)

Wie dramatisch die Situation ist, zeigte sich am Montagabend in Berlin, wo bereits seit Wochen die Intensivbetten knapp werden. Die Notaufnahme der Neuköllner Vivantes-Klinik musste die Berliner Feuerwehr um Amtshilfe bitten, da sie völlig überlastet war und keine Patienten mehr aufnehmen konnte. Daraufhin wurden mindestens neun Patienten in andere Krankenhäuser gebracht, damit sie dort weiter versorgt werden können, sagte Feuerwehr-Sprecher Björn Radünz der Berliner Zeitung. „Man erklärte uns, dass die Notaufnahme in Neukölln überlastet war.“

Dem rot-rot-grünen Senat ist seit Jahren bekannt, dass die Notaufnahmen der Hauptstadt schon in gewöhnlichen Zeiten hoffnungslos überlaufen sind. Wenn sie kein akuter Fall sind, müssen Patienten dort in der Regel stundenlang warten, bis sie untersucht werden. SPD, Grüne und Linke unternahmen nichts, um die Missstände zu beheben, die jetzt in der Pandemie katastrophale Folgen haben.

Vor diesem Hintergrund ist das fortgesetzte Herunterspielen der Krise durch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nahezu kriminell. Erneut hat sie öffentlich betont, dass ausreichend Kapazitäten vorhanden seien und man in Berlin sogar noch ein Reservekrankenhaus für den Fall habe, dass alle Betten überlaufen. Der Senat weiß allerdings genau, dass für dessen Betrieb nicht annähernd ausreichend Personal vorhanden ist.

Immer mehr Kliniken in Deutschland erreichen ihre Grenzen. Das Städtische Klinikum Dresden hat ebenfalls mitgeteilt, es könne keine Corona-Patienten mehr aufnehmen. Wie Sprecherin Viviane Piffczyk erklärte, sind die Kapazitäten erschöpft. Derzeit würden 119 Covid-19-Patienten behandelt, 30 davon auf den Intensivstationen. Das Klinikum sei „sehr hoch belastet“.

Während im Frühjahr kleinere, ungenügend ausgerüstete Kliniken schwerkranke Covid-19-Patienten an die großen Kliniken in den Ballungszentren überweisen konnten, sind diese nun zum Teil selbst nicht mehr in der Lage, Patienten aufzunehmen, und geraten an ihre Grenzen, wie Gernot Marx von der Uniklinik Aachen erklärte. „Nicht die Intensivbetten sind der limitierende Faktor, sondern das entsprechend qualifizierte Personal“, betonte Marx.

Dieser eklatante Mangel an Personal stößt auch in der Öffentlichkeit immer mehr auf Kritik. „Walther“ bemerkte in einem Leserkommentar im Bayrischen Rundfunk (BR): „Es wird immer nur von der Kapazität der freien Intensivbetten gesprochen, aber das ist falsch. Man muss vielmehr von der Kapazität der freien Intensivpfleger sprechen, und die ist bei nahezu null.“

„Dass die Intensivstationen voll und überlastet sind“, sei „nichts Neues“, erklärte die Krankenpflegerin Nina Böhmer in einem Social-Media-Beitrag. „Für diese Entwicklung könnt ihr euch bei der Kanzlerin und ihrer Koalition aus CDU/CSU und SPD bedanken, aber auch bei allen 16 Landesregierungen, an denen sämtliche demokratische Parteien beteiligt sind.“

Durch unsichere Arbeitsbedingungen erkranken immer mehr Pflegekräfte. So sind im Pflegeheim Marienstift Roßla im Südharz 34 von 52 Beschäftigten wegen einer Corona-Infektion nicht arbeitsfähig. Viele leiden unter den Symptomen, drei befinden sich sogar in stationärer Behandlung. Die wenigen verbleibenden Mitarbeiter können die Versorgung der knapp 70 Bewohner kaum aufrechterhalten. Unter diesen Bedingungen sind weitere Infektionen so gut wie vorprogrammiert.

Woher dies kommt, ist völlig klar. „Deutschland fehlt nicht erst seit der Corona-Pandemie Krankenhaus-Personal! Der Sparkurs in der Vergangenheit rächt sich jetzt brutal. Die Misere ausbaden muss letztendlich nun das Krankenhauspersonal“, kommentiert „Fox“ im BR und „olluver“ ergänzt: „Seit Krankenhäuser Gewinne machen müssen, wurde massiv Personal abgebaut. Das rächt sich jetzt.“

Auch Heimleiter „Tobias1972“ kommentierte einen Bericht der Tagesschau: „Ich kann nur sagen, dass wir am Limit arbeiten. Wir versuchen gerade, die Weihnachtsbesuche zu organisieren. Das stellt die Mitarbeiter/innen vor neue Herausforderungen. Und obendrein sollen wir die Besucher noch alle testen. Wie wir das alles schaffen sollen, ist schleierhaft.“

Über die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen gibt auch eine jüngst erschienene Covid-19-Pflegestudie der Diakonie Auskunft. Danach beklagen 53 Prozent der Mitarbeiter den Personalmangel in der stationären Altenhilfe, der sich weiter verschärft habe. Auch das Arbeitsvolumen habe zugenommen, gaben 69 Prozent an. Kolleginnen und Kollegen von 70 Prozent der Befragten mussten bereits wegen eines Coronaverdachts in Quarantäne. Auch eigentlich selbstverständliche Dinge, wie regelmäßige Corona-Tests und ausreichend Schutzkleidung, werden gefordert.

Beim ersten Lockdown im März habe es schlicht „an allem gemangelt“. Aber auch jetzt gebe es noch Engpässe, besonders bei hochwertigen FFP2- und FFP3-Masken und bei Schnelltests. In Bezug auf die „systemischen Unwuchten“ im Pflegebereich sei nach wie vor „kein Land in Sicht“, erklärte der Leiter der Studie Daniel Hirsch.

In sozialen Medien, in denen sich Pflegekräfte austauschen, kritisierten mehrere, dass man es noch nicht einmal geschafft habe, „überall Schnelltests für Mitarbeiter einzuführen“. Man habe wahrscheinlich „Angst davor, dass der eine oder andere Test positiv ausfällt und dann keine Mitarbeiter mehr zur Verfügung stehen“, so die berechtigte Vermutung.

Es ist allgemein bekannt, dass jahrzehntelanger Wettbewerb und Sparpolitik im Gesundheitswesen diesen Zustand verursacht haben. „Ottski73“ kritisiert die „Einsparungen im Pflegebereich seit Jahren, schlechte Bezahlung und menschenunwürdige Arbeitszeiten“. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass „schon oft genug außerhalb der Pandemie am Limit gearbeitet“ wird.

„Und woran liegt es, dass die Personaldecke so dünn ist?“, fragt „morpheus80153“. Seine Antwort: „Schlechte Bezahlung, Profitgier von privaten Trägern der Krankenhäuser, Gewinnmaximierung und damit verbunden eine Ausbeutung vom Pflegepersonal.“

„Pflegegeld“ zieht den Schluss: „Die bittere Wahrheit ist, solange in Krankenhäusern versucht wird, gewinnorientiert zu arbeiten, wird sich nichts ändern. Ein Krankenhaus, das eine Rundumversorgung anbietet, kann dies schlicht nicht. Diese Krankenhäuser müssen dann auch nicht profitable Behandlungen durchführen, und dann wird gespart, vor allem an der Pflege.“

In ganz Europa leiden Kliniken, Beschäftigte und Patienten unter den untragbaren Bedingungen. Das macht ein Beitrag von zwei Pflegekräften aus einer Wiener Klinik deutlich, der in der österreichischen Tageszeitung Die Presse erschien. Sie beschreiben, dass der Virus sie „voll im Griff“ habe. „Wir sehen jeden Tag, was mit den Menschen passiert, die es erwischt. Junge Menschen oder Kollegen, die an eine Lungenmaschine müssen, weil sie sonst sterben würden. Menschen, die es elendig dahinrafft.“

Schon seit Jahren kämpfe man um bessere Arbeitsbedingungen und um mehr Personal. Viele Pflegekräfte blieben aufgrund der Bedingungen nur kurz im Job. „Eine Diplomierte Krankenpflegeperson verbleibt durchschnittlich sechs Jahre im Beruf. Geringe Bezahlung angesichts der Verantwortung, Schichtdienste, Personalknappheit, extreme Arbeitssituationen, hoher Stresslevel sowie fehlende Wertschätzung innerhalb des Systems lassen viele gut ausgebildete Kolleginnen und Kollegen frustriert aussteigen“, bemerken die Pflegekräfte.

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