Indische Bauern weiten Proteste gegen „Reform“ im Interesse der Agrarindustrie aus, Modi bereitet Unterdrückung vor

Die indische Zentralregierung unter Führung der Bharatiya Janata Partei (BJP) hat angekündigt, sie werde die drei wirtschaftsfreundlichen Landwirtschaftsgesetze nicht zurücknehmen, die sie im letzten September durch das Parlament gepeitscht hatte. Als Reaktion darauf drohen die indischen Bauern nun mit einer Ausweitung ihrer Proteste.

Hunderttausende von Bauern der Bewegung Delhi Chalo (Auf nach Delhi) campieren derzeit an vier Zugängen zum Nationalen Hauptstadtterritorium Delhi, das der indischen Zentralregierung direkt unterstellt ist. Viele von ihnen haben ihre Frauen und Kinder mitgebracht und harren dort seit dem 27. November aus. Premierminister Narendra Modi und seine BJP-Regierung haben ein Großaufgebot von Sicherheitskräften mobilisiert, um sie daran zu hindern, Aufruhr in der Hauptstadt zu verbreiten.

Am Dienstag beteiligten sich Millionen Menschen in ganz Indien an einem Bharat Bandh (gesamtindischen Ausstand), zu dem die Bauernverbände aufgerufen hatten. Laut dem Koordinationskomitee des Kisan Morcha (Bauernmarsch) nahmen mehr als fünf Millionen Menschen an dem vierstündigen Ausstand teil. In 22 der 28 Bundesstaaten des Landes fanden insgesamt 20.000 Protestveranstaltungen statt.

Unterstützer der Bauern skandieren in Mumbai Parolen während des landesweiten Ausstands am 8. Dezember (AP Photo/Rajanish Kakade)

Im Punjab, dem Zentrum der Bauernbewegung, kam der Alltag zum Erliegen. In Haryana, das zwischen Punjab und Delhi liegt, gab es ebenfalls Proteste. Märkte wurden geschlossen, und mehrere Straßen und Autobahnen besetzt. Arbeiter von Maruti Suzuki, Hero Motorcycle und anderen Autowerken in der Industrieregion Gurgaon-Manesar in den Außenbezirken von Delhi organisierten eine Demonstration zur Unterstützung der Bauern.

Am Dienstagabend leitete Heimatminister Amit Shah, Modis führender Handlanger, bei einem hastig organisierten, vierstündigen Treffen mit einigen Vertretern der Dutzenden Bauernverbände, die die Protestbewegung anführen, die Delegation der Regierung. Shah wiederholte die früheren Angebote seiner Regierung, kleinere Korrekturen der drei Gesetze vorzunehmen. Die Bauern fordern, die drei Gesetze zurückzunehmen, doch das lehnte er kurzerhand ab. Die Gesetze höhlen das System der staatlich regulierten Märkte aus und reduzieren Einschränkungen für Vertragsanbau und Landbesitz bzw. schaffen sie ab. Damit wird indischen und transnationalen Konzernen Zugang zur indischen Landwirtschaft ermöglicht.

Die großen Konzerne begrüßten die „Landwirtschaftsreformen“ und die dazugehörige „Arbeitsrechtsreform“, die Streiks weitgehend verbietet und „Flexibilität“ des Arbeitsmarkts propagiert. Sie forderten die BJP-Regierung auf, hart zu bleiben. Zum einen betrachten sie die „Modernisierung“ der indischen Landwirtschaft auf Kosten der Kleinbauern als zentrales Element im Konkurrenzkampf mit China um Investitionen. Zum anderen fürchten sie, dass ein Rückzieher der Regierung aufgrund von Bauernprotesten den sozialen Widerstand stärken wird.

Am 26. November, dem ersten Tag der Delhi-Chalo-Proteste, veranstalteten Dutzende Millionen von Arbeitern in ganz Indien einen eintägigen Generalstreik gegen die investorenfreundliche Wirtschaftspolitik der Regierung. Außerdem forderten sie Nothilfen für hunderte Millionen Menschen, die seit Beginn der Corona-Pandemie und ihren katastrophalen wirtschaftlichen Folgen auf sich allein gestellt waren.

Am Mittwochmorgen traf sich das von der BJP dominierte Regierungskabinett und genehmigte formell ein Neun-Punkte-„Angebot“ an die Bauern. Dieses „Angebot“ sieht vor, einige der provokantesten Klauseln in zwei der drei neuen Gesetze zu streichen. Das betrifft u.a. die Klausel, laut der private Märkte im Gegensatz zu den staatlichen Mandis keine Steuern zahlen müssen. Ferner soll eine Klausel gestrichen werden, die es Bauern verbietet, vor Gericht Entschädigung in Angelegenheiten einzuklagen, die von den Landwirtschaftsreformen geregelt werden, sofern Vertreter der Regierung oder der Unternehmen „in gutem Glauben“ gehandelt haben.

Die Regierung erklärt mittlerweile auch ihre Bereitschaft, „schriftlich zu versichern, dass das bestehende System der Mindeststützpreise (MSP) bestehen bleibt“. Die Bauern wollen die MSP jedoch als Gesetz verankern, da sie den Versprechungen der Regierung nicht trauen. Das MSP-System ist durch die „marktwirtschaftsfreundliche“ Politik der Zentralregierung und der Bundesstaatsregierungen – unabhängig davon, ob sie von der BJP und ihren Verbündeten oder den angeblich „bauernfreundlichen“ Oppositionsparteien kontrolliert werden – ohnehin schon weitgehend zusammengebrochen.

Die Bauernorganisationen haben das Angebot der BJP-Regierung zurückgewiesen und drohen jetzt mit einer Blockade der Autobahnen von Delhi nach Jaipur, Agra und weiteren Städte. Diese soll spätestens am 12. Dezember beginnen. Das bereits erwähnte Kisan Morcha Koordinationskomitee erklärte in einer Pressemitteilung: „Modis Regierung behandelt die Forderungen der Bauern mit Unaufrichtigkeit und Arroganz. Alle Bauern weisen zu Recht die alten Vorschläge zurück, die lediglich neu verpackt wurden.“

Die Bauernorganisationen haben außerdem zu einer landesweiten Sitzblockade der Transportrouten am 14. Dezember aufgerufen, sind jedoch weiterhin zu Gesprächen mit der Regierung bereit.

Die Militanz der Bauern hat Modi und seine Regierung offenkundig aufgeschreckt.

Sie sucht weiterhin nach einem Weg, um die Krise zu entschärfen. Zu diesem Zweck bietet sie minimale Zugeständnisse an und versucht, die Spaltungen innerhalb der Bauernorganisationen auszunutzen. Deren Anführer rekrutieren sich größtenteils aus privilegierteren Bauernschichten und pflegen Beziehungen zu unterschiedlichen Fraktionen des politischen Establishments. Obwohl die BJP sehr aggressiv gegen die Oppositionsparteien auftritt – oft in bösartiger, kommunalistischer Manier – weiß sie doch, dass sie sich auf deren Hilfe verlassen kann, damit sich die Bauernproteste nicht zu einem Katalysator sozialer Wut in der Arbeiterklasse entwickeln.

Letzte Woche traf sich Amit Shah zu privaten Verhandlungen mit dem Chief Minister von Punjab, Amarinder Singh von der Kongresspartei. Zum Abschluss der Gespräche forderte der Vorsitzende der Kongresspartei die Regierung und die Bauern dazu auf, einen Kompromiss zu schließen, um die „nationale Sicherheit“ nicht zu gefährden.

Dennoch ist offensichtlich, dass die Regierung die politischen und technischen Vorbereitungen für eine gewaltsame Unterdrückung der Bauernproteste einleitet. Es wurde deutlich, dass Verteidigungsminister Rajanth Singh immer anwesend war, wenn die ranghöchsten BJP-Minister die Reaktion der Regierung auf die Bauernproteste diskutierten.

Es muss außerdem daran erinnert werden, dass die Regierung zunächst mit massiven Unterdrückungsmaßnahmen reagierte. Am 26. und 27. November organisierten die Zentralregierung und die BJP-geführten Bundesstaatsregierungen in Haryana, Uttar Pradesh und Madhya Pradesh eine massive Operation der Sicherheitskräfte, um die Bauern daran zu hindern, auch nur in die Nähe von Delhi zu kommen. Es kam zum Einsatz von paramilitärischen Kräften, Tränengas und Wasserwerfern. In wurden alle Versammlungen von mehr als vier Personen verboten und Hunderte Demonstranten verhaftet. Doch trotz dieses Aufgebots konnten Zehntausende Bauern die Stadtgrenze von Delhi erreichen und wurden dort mit einer noch größeren Machtdemonstration empfangen.

Bei der Veranstaltung am Dienstag lieferte die Regierung einen Vorgeschmack darauf, welche Maßnahmen zukünftig durchgesetzt werden sollen. In Delhi und dem ganzen Bundesstaat Gujarat wurden Zusammenkünfte von mehr als vier Personen verboten. Die Polizei von Delhi, die direkt dem Heimatminister Amit Shah unterstellt ist, stellte Arvind Kejriwal, den Chief Minister von Delhi und Vorsitzenden der Aam Aadmi Party (AAP), unter Hausarrest, nachdem er sich an der Grenze zum Stadtgebiet in Singhu mit protestierenden Bauern getroffen hatte.

In Uttar Pradesh ordnete der Chief Minister und fanatische Hindu-Chauvinist Yogi Adityanath von der BJP die vorläufige Inhaftierung seines wichtigsten politischen Rivalen, Akhilesh Yadav, und weiterer Mitglieder der Partei Samajwadi an, während sie sich anschickten, an der Bharat-Bandh-Kundgebung teilzunehmen. Ebenfalls verhaftet wurde der Führer der Bhim Army, Chandrashekhar Azad, der sich für die Rechte von Dalits (Unberührbaren) einsetzt, damit er sich nicht an den Bauernprotesten beteiligen kann.

Am Donnerstag versuchten Landwirtschaftsminister Narendra Singh Tomar und Verbraucherschutzminister Raosaheb Danve, die unmittelbar für die „Landwirtschaftsreformen“ verantwortlich sind, die Bauernproteste als Hochverrat zu verunglimpfen. Hierbei handelt es sich um einen offenkundigen Versuch, einen Vorwand für ihre gewaltsame Unterdrückung zu schaffen.

Danve erklärte bei einem öffentlichen Auftritt in Maharashtra: „Die Agitation geht nicht von den Bauern aus. Dahinter stecken China und Pakistan... Es ist eine Verschwörung, die von anderen Ländern angeführt wird.“ Landwirtschaftsminister Tomar rief die Medien später auf, zu untersuchen, wer hinter den Bauernprotesten steht.

„Die Medien haben scharfe Augen, und sie werden alles herausfinden.“

Dass die Modi-Regierung noch Spielraum für Manöver hat, liegt an der verräterischen Rolle der Organisationen, die behaupten, sie würden für die Arbeiterklasse sprechen: die Gewerkschaften und die stalinistischen Parlamentsparteien, die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) (KPM) und die Kommunistische Partei Indiens (KPI).

Sie sind entschlossen, eine Intervention der Arbeiterklasse in die politische Krise als unabhängige Kraft zu verhindern. Eine solche Bewegung könnte die Masse der Landbevölkerung – vor allem Landarbeiter und landlose Bauern – in einem Kampf gegen die Modi-Regierung und den indischen Kapitalismus hinter sich vereinen.

Genau wie die anderen Gewerkschaften riefen die stalinistischen Gewerkschaften, der KPM-nahe CITU und der KPI-nahe AITUC, die Arbeiter dazu auf, während der Bharat-Bandh-Proteste am Dienstag die Arbeit fortzusetzen und ihre Unterstützung für die Bauern auf die Teilnahme an Protestveranstaltungen zu beschränken.

Die KPM und die KPI versuchen bereits seit Langem, den Widerstand der Massen gegen Modi vor den Karren verschiedener rechter regionaler und kastenbasierter Parteien sowie der Kongresspartei zu spannen. Die Kongresspartei war bis vor Kurzem die bevorzugte Regierungspartei der indischen Bourgeoisie und hatte auch die Vorreiterrolle bei der Einführung von investorenfreundlicher Politik gespielt.

Letzten Sonntag veröffentlichten die stalinistischen Parteien gemeinsam mit der Kongresspartei, der DMK aus Tamil Nadu, der Nationalist Congress Party (NCP) aus Maharashtra und anderen rechten Parteien eine Erklärung, in der sie sich scheinheilig hinter die Bauernproteste von Dienstag stellten. Am Mittwochabend äußerten KPM-Generalsekretär Sitaram Yechury und KPI-Chef D. Raja gemeinsam mit dem ehemaligen Führer der Kongresspartei Rahul Gandhi und weiteren Oppositionsführern gegenüber Präsident Ram Nath Kovind, einem Handlanger der BJP, Bedenken wegen der Landwirtschaftsgesetze.

Yechury und Raja machten deutlich, dass sie die Entstehung einer Massenbewegung und einen politischen Generalstreik zum Sturz des verhassten Modi-Regimes ablehnen und dass sie die Proteste der Bauern nicht „politisieren“ wollen.

Yechury erklärte: „Es ist unsere bewusste Entscheidung, den Protesten fernzubleiben. Die Bauernorganisationen haben uns selbst gesagt, dass sie es so wollen. Deshalb haben wir keine Parteifahnen bei den Protesten.“ Raja von der KPI äußerte sich noch offener: „Wir brauchen [die Proteste der Bauern] nicht zu politisieren.“

Gleichzeitig wächst in der herrschenden Klasse angesichts der Angst vor der Zunahme des sozialen Widerstands, und vor allem der Möglichkeit einer explosiven Intervention der Arbeiterklasse, die Unterstützung für staatliche Unterdrückung und autoritäre Herrschaftsmethoden. Amitabh Kant, der Leiter der regierungsnahen Denkfabrik NITI Aayog, erklärte am Dienstag in einer Onlineveranstaltung, Indien müsse noch „viele weitere Reformen durchführen“, wenn es mit China als „Industrienation konkurrieren will“. Er klagte weiter, „harte“ Reformen seien im „indischen Kontext sehr schwierig, weil wir zu viel Demokratie haben“.

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