Todesfalle Pflegeheim: Berliner Behörden und Heime vertuschen Corona-Ausbrüche

In der rot-rot-grün regierten Hauptstadt werden immer mehr Pflegeheime zu Todesfallen für ältere und pflegebedürftige Menschen. Zahlreiche Corona-Ausbrüche in Berliner Pflegeheimen kommen nur ans Licht, weil Angehörige und Journalisten sie bekannt machen. Die Heimleitungen sowie die Senats- und Bezirksverwaltungen vertuschen die Fälle und geben nur widerwillig oder gar keine Auskunft.

Laut dem Tagesspiegel, der sich auf Angaben des Senats beruft, waren seit Pandemiebeginn 295 Pflegeeinrichtungen betroffen. Schon von Mitte November bis Anfang Dezember hatte sich die Anzahl der infizierten Heimbewohner in Berlin auf 2.050 verdoppelt. Jetzt sind seit Monatsbeginn nochmal fast 1.400 dazu gekommen. Seit Beginn der Coronakrise haben sich demnach über 3.400 Bewohner und mehr als 1.600 Pflegekräfte in den Berliner Heimen mit Corona infiziert. Bereits im Frühjahr hatte die WSWS über Ausbrüche berichtet.

Gestern meldete Berlin auch eine Rekordzahl von 53 neuen Corona-Toten innerhalb eines Tages. Dabei gehe jeder zweite Todesfall auf ein Pflegeheim zurück, so der Tagesspiegel. 492 Bewohner sind bislang an Corona gestorben. Die Gesamtzahl der Corona-Opfer in Berlin nähert sich mit knapp 900 Todesfällen der Tausender Marke.

In dem privaten Gesundheits- und Pflegezentrum „Goldenherz“ mitten im Berliner Arbeiterbezirk Wedding wurde am Montag mit über 150 Infektionen der bislang größte Ausbruch in der Hauptstadt gemeldet. 22 Bewohner und ein Mitarbeiter seien dort bereits an Covid-19 gestorben. Tatsächlich war der Ausbruch von den Behörden schon im November registriert, aber nicht öffentlich gemacht worden. Der Tagesspiegel berichtet, dass er erst Ende letzter Woche über einen „Insider“ davon erfahren habe und die Heimleitung keine Auskunft geben wollte.

Inzwischen habe auch eine Pflegerin mit der Zeitung Kontakt aufgenommen. Sie berichtet: „Vor dem Ausbruch bis zum 20. November wurden keine Hygienemaßnahmen durchgesetzt und von der Leitung wurden keine weiteren Maßnahmen wie die Maskenpflicht durchgehend kontrolliert. Mitarbeiter arbeiteten ohne Schutzkleidung oder Handschuhe und traten den Dienst trotz Erkältung an, durch Anweisung der Heimleitung.“

Auch ein Pflegeheim im Nordberliner Bezirk Reinickendorf ist zum Corona-Brennpunkt geworden. Im Seniorenheim Domicil an der Techowpromenade waren bis Sonntag 80 Bewohner und 30 Mitarbeiter positiv getestet; 14 Menschen erlagen bis Dienstag dem Virus.

Covid-19 breitet sich dort bereits seit dem 20. November aus, doch der Fall ist erst jetzt öffentlich geworden, weil ein Angehöriger eines Todesopfers den Tagesspiegel informiert hat. Sein kerngesunder Schwiegervater sei in nur zehn Tagen an einer Corona-Infektion gestorben.

Die Zustände in der Einrichtung Domicil haben eine rasante Ausbreitung geradezu befördert. Das Personal sei zu knapp und müsse zwischen den Etagen hin und her wechseln. Auch wurden positiv getestete Bewohner in Doppelzimmern nicht von ihren Zimmernachbarn getrennt, was die Heimleitung mit dem Verweis auf die „Belegung“ rechtfertigte.

Das Duschen sei eingestellt worden, „da die Wasserdämpfe inklusive der Viren durch die FFP2-Masken dringen können“, zitiert der Tagesspiegel. Das Essen habe man offenbar auf Fertiggerichte mit Einweggeschirr reduziert. Viele Demenzkranke hätten daraufhin die Nahrungsaufnahme verweigert und seien völlig ausgemergelt.

Der Angehörige erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: „Wir sind schockiert, dass es solche Zustände in einem Staat wie Deutschland geben kann.“ Der Mann habe am Telefon geweint und das Schweigen der Behörden angeprangert. Er sei sich sicher, dass die „Dunkelziffer noch viel höher ist in der Stadt“.

Ähnlich verlief ein Fall in der Seniorenwohnanlage Rosenhof im südwestlichen Bezirk Zehlendorf. Dort sind im Oktober elf Menschen an Corona verstorben, was erst öffentlich wurde, nachdem ein Leser den Tagesspiegel kontaktierte. Auf Nachfrage rechtfertigte die Bezirksstadträtin für Gesundheit, Carolina Böhm (SPD), die Vertuschungspolitik der Behörden. Es gehe um den „Schutz der Einrichtung“ vor Presseanrufen und verzerrter Berichterstattung, behauptete sie. Böhm machte keine genauen Angaben zur aktuellen Situation der Pflegeheime in ihrem Bezirk, aber gab zu, dass es jeden Tag Fälle gebe, was mittlerweile zum „traurigen Alltag“ gehöre.

So argumentiert auch der Gesundheitsrat im Bezirk Friedrichshain, Knut Mildner-Spindler von der Linkspartei. Dort sind im Pflegeheim „Haus an der Spree“ mittlerweile über 80 Bewohner und Mitarbeiter infiziert. Wachkoma-Patienten mussten bereits ins Krankenhaus verlegt werden, weil nicht mehr genug Personal für die Versorgung vorhanden war. Trotzdem spielte Mildner-Spindler die Situation als „nicht so dramatisch“ herunter. Es sei „alles übersichtlich und im Griff“, erklärte der Linkspartei-Politiker vor einer Woche gegenüber dem Tagesspiegel. Auch er verwies darauf, dass die Ausbrüche jetzt zum Alltag gehörten.

Was Berliner Politiker lapidar als „traurigen Alltag“ bezeichnen, ist politisch gewollt und wird jeden Tag bewusst herbeigeführt. Das Mantra der letzten Monate, man müsse „mit dem Virus leben lernen“, zeigt jetzt seine grausame Konsequenz. Die Bundesregierung und alle Landesregierungen unter CDU/CSU, SPD, Grünen, Linkspartei und FDP haben eine echte Eindämmung der Pandemie verhindert und dadurch die Ausbreitung des Virus bis in die Risikogruppen dramatisch beschleunigt.

Medienberichte über Senioren, die in den Heimen dahinraffen, sind unerwünscht, weil sie ein Schlaglicht auf die „neue Realität“ und „Normalität“ werfen: den frühzeitigen Tod von Großeltern und Eltern, die Auslese und Triage von Menschen, die aus Sicht der kapitalistischen Profitwirtschaft keinen Wert mehr haben und dem Gesundheitssystem auf der Tasche liegen.

Aus Kostengründen werden auch Tests und Hygienemaßnahmen nur zögerlich oder überhaupt nicht durchgesetzt. Der Berliner Zeitung zufolge rechtfertigte die Berliner Gesundheitsverwaltung die fehlende Teststrategie mit dem Hinweis, dass die Tests „grundsätzlich nur eine Momentaufnahme“ seien und daher „nur bedingt geeignet, Einrichtungen vor Eintragung des Virus durch Besucher zu schützen“.

Laut offiziellen Angaben wurden letzte Woche rund 62.600 Tests in Berlin durchgeführt – etwa 16.000 weniger als noch vor sechs Wochen. Grund seien schwankende Laborkapazitäten, wobei der Senat mit Verweis auf die „Geschäftsgeheimnisse“ der privaten Labore nicht verrät, woran das liegt. Fakt ist, dass in Berlin in einer Vielzahl von begründeten Corona-Verdachtsfällen keine Tests durchgeführt werden oder die Getesteten mehrere Tage auf ihr Ergebnis warten müssen.

Gleichzeitig sind die Berliner Krankenhäuser zunehmend überlastet. Der Chef der Charité, einer der größten Universitätskliniken Europas, schlug vergangenen Donnerstag Alarm. In den Tagesthemen sagte er: „Wir sind schon sehr bald an der Grenze des Machbaren.“

Die Kapazitäten auf den Intensivstationen werden immer knapper. Laut dem DIVI-Intensivregister, das die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten in Deutschland täglich dokumentiert, hat Berlin im bundesweiten Vergleich den niedrigsten Anteil an freien Intensivbetten. Am Dienstag waren mit 118 Betten nur 10,3 Prozent von insgesamt 1.142 Betten frei. Etwa 32 Prozent der Intensivbetten sind mit Covid-Patienten belegt. In ganz Deutschland sind gegenwärtig 4.735 Corona-Kranke in intensivmedizinischer Behandlung, 57 Prozent von ihnen müssen invasiv beatmet werden.

Angesichts der kochenden Wut in der Bevölkerung über die sozialen und gesundheitlichen Folgen der Krise versuchen die Parteien, ihre Hände in Unschuld zu waschen und von ihrer Verantwortung abzulenken. SPD-Politiker Ephraim Gothe, Gesundheitsstadtrat in Berlin-Mitte, behauptete gegenüber dem Tagesspiegel, man habe keine Kapazitäten, um die einzelnen Fälle in Pflegeheimen zu rekonstruieren und öffentlich zu diskutieren. „Es ist nicht die Zeit, die Schuldfrage zu stellen“, so Gothe.

Tatsächlich setzt der rot-rot-grüne Senat im Wesentlichen den Kurs fort, der in die Katastrophe geführt hat. Schon jetzt macht die neue Corona-Verordnung des Berliner Senats vom 14. Dezember deutlich, dass der angeblich „harte“ bundesweite Lockdown (ab heute bis zum 10. Januar) völlig unzureichend und durch Ausnahmen und Lücken nicht ansatzweise darauf ausgerichtet ist, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen.

So sind noch immer Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen im Freien und bis zu 50 Personen in geschlossenen Räumen erlaubt. Die angebliche Schließung von Kindertagesstätten wird durch die Hintertür aufgehoben, weil Eltern ihre Kinder trotzdem in die „Notbetreuung“ geben können, wenn sie keine andere Lösung finden. Da es keine Schließung der Betriebe und Entlastung der Eltern gibt, führt das automatisch dazu, dass die Kitas letztlich doch gefüllt sind. „Die Senatsverwaltung für Jugend vertraut in diesen Fällen auf die Lösungs- und Handlungskompetenz von Einrichtungen und Eltern“, heißt es in einer Pressemitteilung. Sprich: Der Senat schiebt die Verantwortung auf die Arbeiterklasse ab, die weiterhin gezwungen wird, zwischen Gesundheit und Job zu entscheiden.

Auch in anderen Bildungseinrichtungen werden Präsenzveranstaltungen trotz „Lockdown“ umgesetzt. An Berliner Universitäten dürfen „Praxisformate, die nicht digital durchführbar sind, und Prüfungen“ in Präsenz stattfinden; dabei „soll“ (!) die Zahl der Studierenden 25 nicht überschreiten. Klassenarbeiten und Klausuren an Schulen werden nicht etwa angesichts der Gesundheitskatastrophe verschoben, sondern dürfen in Präsenz durchgeführt werden; Lehrer und Dienstkräfte müssen im Dienst sein. Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat angekündigt, dass es eine Notbetreuung für jüngere Kinder sogar während der Weihnachtsferien geben wird. Ab dem 11. Januar sollten die Schulen dann wieder vollständig öffnen und in den Präsenzunterricht übergehen.

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