Der globale Anstieg der Fallzahlen und Todesopfer durch Covid-19 erfordert eine sofortige internationale Antwort

Der leitende Direktor des Notfallprogramms der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Mike Ryan, erklärte letzte Woche im Rahmen der WHO-Pressekonferenz: „Wir befinden uns nicht in einer epidemiologisch stabilen Situation. Das Virus breitet sich noch immer in der Weltbevölkerung aus. Ein Großteil der Menschheit ist weiterhin dafür anfällig. Es ist auch nicht abgeklungen oder hat ein Muster angenommen, das wir vorhersagen könnten.“ Er betonte auch, dass ein Großteil der Bevölkerung noch immer für das Virus anfällig sei, das zurzeit in ganz Europa und Nordamerika wütet.

Gedenkwand für Covid-19-Opfer auf dem Friedhof Green Wood Cemetery in Brooklyn, New York City, am 28. Mai (AP Photo/Mark Lennihan)

Diese Woche erreichte der Anstieg der weltweiten Infektionen und Todesfälle ein Rekordniveau. Am Mittwoch starben 13.579 an der Infektion, am Donnerstag und am Freitag stieg die Zahl der Infektionen täglich um fast eine Dreiviertelmillion. Insgesamt haben sich bisher 77 Millionen Menschen infiziert, 21,4 Millionen davon sind aktive Fälle, mehr als 107.000 befinden sich in kritischem Zustand. Die Zahl der Todesopfer liegt bei 1,69 Millionen.

Europa verzeichnete insgesamt 22,884 Millionen Fälle. Nach einem scharfen Anstieg im Oktober erreichte der tägliche Anstieg der Infektionen am 7. November mit 333.344 seinen Höhepunkt. Begrenzte Beschränkungen und einzelne nicht-pharmazeutische Interventionen zur Abflachung der Kurve scheinen zu einer Stabilisierung um etwa 244.663 Infektionen pro Tag geführt zu haben. Seit dem 9. November starben pro Woche mehr als 30.000 Menschen, seit dem 23. November wöchentlich mehr als 35.000.

Deutschland, das lange Zeit als Vorbild für seine europäischen Nachbarstaaten galt, ist mittlerweile zum europäischen Epizentrum der Pandemie geworden. Am Freitag erreichte die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit 33.777 Fällen ein Rekordhoch. Auch die Zahl der Todesfälle ist dramatisch gestiegen. Allein am 16. Dezember gab es 925 Todesfälle, der Sieben-Tages-Durchschnitt liegt bei über 500 pro Tag.

Nachdem in Deutschland das Gesundheitssystem im Frühjahr intakt geblieben war, verhängte die Regierung während des Anstiegs im Winter nur einen sehr milden Lockdown. Geschäfte, Büros und Fabriken, sowie Schulen, Kitas und öffentliche Verkehrsbetriebe blieben geöffnet. Dadurch wurde das Land anfällig für die verheerenden Folgen des Erregers. Der Notfallarzt Christian Kleber aus Dresden, der für die Verteilung von Covid-Patienten in der Region zuständig ist, erklärte gegenüber dem Wall Street Journal, die Krankenhäuser seien an den Grenzen der Belastbarkeit angelangt. Bei dem Tempo, in dem die Zahl der Infektionen derzeit ansteigt, wird das Gesundheitssystem vermutlich bald seine Kapazitätsgrenzen erreichen. In Hanau werden Leichen bereits in Kühlcontainern gelagert, da die Leichenhallen ausgelastet sind. Die Regierung hat am 13. Dezember einen „härteren“ Lockdown vom 16. Dezember bis zum 10. Januar angekündigt.

Infektions- und Todeszahlen pro Woche in Europa

Am Mittwoch verzeichneten die USA mit 250.173 Infektionen und 3.561 Toten den bisher schlimmsten Tag. Die Gesamtzahl der Fälle beträgt 17,8 Millionen, die Zahl der Toten ist rapide auf 320.000 gestiegen. Dennoch wird nichts Ernsthaftes unternommen, um diese landesweite Flut von Todesfällen einzudämmen. Bei der Verteilung der lebensrettenden Impfstoffe, die als Allheilmittel gegen das Virus dargestellt werden, treten zunehmend Probleme auf. Einige Bundesstaaten haben erfahren, dass sie nächste Woche von Pfizer weniger Dosen des Impfstoffs erhalten werden. Das bedeutet, dass sie ihre Pläne zur Auslieferung der Impfstoffe umdisponieren müssen.

Gouverneurin Gretchen Whitmer (Michigan) klagte: „Wo sind unsere Impfstoffdosen? Was hält sie auf? Es gibt Millionen Impfstoffdosen von Pfizer, die nur auf die Auslieferung warten – viele davon befinden sich direkt hier in Portage (Michigan). Aber die Bundesbehörden ziehen aus irgendeinem Grund, der mir nicht genannt wird, den Prozess der Übermittlung von Adressen an Pfizer in die Länge.“

Kalifornien verzeichnete derweil einen beispiellosen Anstieg der Fälle, der zu neuen täglichen Höchstständen geführt hat. In Südkalifornien sind alle Intensivpflegebetten besetzt. Am Donnerstag wurden fast 400 Todesfälle gemeldet, am Mittwoch mehr als 60.000 neue Infektionen. Mehr als 15.000 Menschen sind hospitalisiert, mehr als 3.000 davon auf Intensivstationen. Im ganzen Bundesstaat sind nur noch weniger als 1.300 Intensivpflegebetten verfügbar. Dr. Brad Spellberg, der oberste Amtsarzt des LA County und USC Medical Center, erklärt: „Wir werden zermalmt. Ich will nichts beschönigen. Wir werden zermalmt.“

Infektions- und Todeszahlen pro Woche in den Vereinigten Staaten

In Mexiko kam es trotz eines langsamen Rückgangs nach den Sommer-Peaks zu einem rapiden Anstieg, der zu neuen Höchstständen geführt hat. Insgesamt gab es dort fast 1,3 Millionen registrierte Fälle und mehr als 116.000 Todesopfer. Der gleitende Sieben-Tages-Durchschnitt der Todesopfer ist auf 600 täglich angestiegen, allerdings sind diese Zahlen nachweislich viel zu niedrig angesetzt.

Der Generaldirektor des nationalen Instituts für öffentliche Gesundheit, Juan Rivera, erklärte bei einer Pressekonferenz in Mexico City, Seroprävalenz-Studien im Rahmen einer offiziellen Erhebung deuteten darauf hin, dass ein Viertel der mexikanischen Bevölkerung, d.h. etwa 31 Millionen Menschen, mit dem Virus in Kontakt gekommen seien. Die Bluttests, bei denen Antikörper für das Coronavirus gefunden wurden, stammen aus dem Zeitraum zwischen August und November und umfassten 9.400 Haushalte.

Angesichts der rapide steigenden Fallzahlen wird Mexico City die nicht systemrelevanten Aktivitäten ab diesem Wochenende bis zum 10. Januar erneut einstellen. Die Maßnahmen werden vor dem Hintergrund beschlossen, dass 75 Prozent der Krankenhausplätze belegt sind und die begrenzten Maßnahmen die Krankenhauseinweisungen und Todesfälle nicht eindämmen konnten. Dr. Marta Patricia Mancilla, die im Ajusco Medio-Krankenhaus in Mexico City arbeitet, einem der wenigen ausschließlich für Covid-19 zuständigen Krankenhäuser, erklärte: „Das Schlimmste steht uns erst noch bevor. Und leider werden wir dann sehr erschöpft sein.“ Die Auslastung mit Patienten liegt bei 122 Prozent, die bei Intensivpflegebetten bei 116 Prozent, in Notaufnahmen bei 100 Prozent. Zudem sind fast 2.000 mexikanische Pflegekräfte bisher an Covid-19 gestorben.

In Brasilien hat sich gezeigt, dass das Virus kaum jahreszeitlich bedingt ist. Mit dem Herannahen des Sommers erreichen die Fallzahlen jetzt ihre Rekordzahlen aus dem Juli. Am Mittwoch wurden mehr als 70.000 neue Fälle gemeldet. Die tägliche Todeszahl ist entsprechend gestiegen und erreichte erst am Freitag den Höchststand von über 1.000. Dieser erschütternde Wert wurde zuletzt am 15. September erreicht. Landesweit gab es während der Pandemie 7,16 Millionen Fälle und 185.650 Todesopfer.

Diese Zahlen beinhalten nicht die Daten aus dem Bundesstaat São Paulo, die wegen technischer Probleme nicht hochgeladen wurden. São Paulo ist die bevölkerungsreichste Region des Landes und war auch das Epizentrum dieser Welle. Dass sich die Regierung bisher geweigert hat, Lockdowns oder Einschränkungen zu verfügen, hat zur derzeitigen Krise beigetragen.

Der Oberste Gerichtshof von Brasilien hat per Verordnung zeitliche Begrenzungen eingeführt, in denen Bars und Restaurants Kunden bedienen dürfen. Es wies außerdem darauf hin, dass Personen, die die Impfung verweigern, sanktioniert oder in ihren Freiheiten eingeschränkt werden können. Der faschistische Präsident Jair Bolsonaro, der mit dem Gericht im Streit liegt, hat öffentlich wiederholt erklärt, er werde sich nicht impfen lassen und hat auch eine Impfpflicht für die Bevölkerung ausgeschlossen.

Wie in den USA ist auch im Rest des amerikanischen Doppelkontinents Covid-19 zur häufigsten Todesursache geworden. In Brasilien, Chile, Ecuador und Panama sterben daran mehr Menschen als an koronaren Herzkrankheiten. Auf Lateinamerika entfallen 48 Prozent der Todesopfer durch Covid-19. Die endemische Armut, die beengten Lebensverhältnisse und die unterfinanzierten und kaputten Gesundheitssysteme sind die wichtigsten Faktoren bei diesen Entwicklungen.

Die Leiterin der Pan-Amerikanischen Gesundheitsorganisation, Carissa Etienne, erklärte gegenüber NPR: „Die Millionen Beschäftigten im informellen Sektor der Wirtschaft haben nicht die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben. Und für marginalisierte Menschen und Bewohner abgelegener Gebiete – etwa unsere indigenen Gemeinden und Migranten – war oft keine angemessene Gesundheitsversorgung verfügbar.“

Südkorea und Japan, die als Beispiele für den Einsatz energischer Schutzmaßnahmen im öffentlichen Gesundheitswesen dargestellt wurden, sehen sich einem plötzlichen Wiederaufleben des Coronavirus in ihrer Bevölkerung gegenüber. In Südkorea sind die Infektionen auf über 1.000 am Tag gestiegen, in Japan wurde am Freitag mit 3.000 ein neuer Tages-Höchstwert erreicht.

Am tödlichsten Tag seiner Pandemie-Erfahrung verzeichnete Südkorea dennoch nur 22 Tote. Doch die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Entwicklungen schnell eskalieren können. Es gibt 12.209 aktive Fälle, 242 befinden sich in ernstem oder kritischem Zustand. Die Mehrheit dieser Fälle gibt es in der dicht besiedelten Metropolregion Seoul. AP schrieb dazu: „Dem Wiederaufleben des Virus gingen monatelange Pandemiemüdigkeit, Selbstzufriedenheit und Versuche der Regierung voraus, die stagnierende Wirtschaft wieder in Gang zu bringen“ (Hervorhebung hinzugefügt). Die Regierung zögert, Einschränkung zu verhängen, von denen mehr als 1,2 Millionen Unternehmen betroffen wären. Gleichzeitig deuten die Zahlen des Gesundheitsministeriums darauf hin, dass die Kapazitäten für die Versorgung kritischer Fälle im Großraum Seoul nahezu ausgelastet sind.

Die Regierung der Metropolregion Tokio hat die höchste Alarmstufe für das Gesundheitswesen ausgerufen, da die Zahl der neuen Fälle ein Tageshoch erreicht hat. Unterdessen entschuldigte sich der japanische Premierminister Yoshihide Suga dafür, sich trotz des rapiden Anstiegs der Fälle mit Freunden und Prominenten zum Essen getroffen zu haben.

Der stellvertretende Vorsitzende der Tokyo Medical Association, Masataka Inokuchi, erklärte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gouverneur Yurike Koike: „Wir befürchten, dass in zwei Wochen, am 31. Dezember, eine ernsthafte Dysfunktion des Gesundheitssystems bevorsteht, wenn die Zahl der täglichen Neuinfektionen weiter im derzeitigen Tempo ansteigt.“

Laut den jüngsten Prognosen des IWF werden 170 der 190 Volkswirtschaften zum Ende des Jahres 2020 ein negatives Pro-Kopf-Wachstum aufweisen. Die Brookings Institution veröffentlichte im November einen Bericht, laut dem die „globale Verbraucherklasse“ zum ersten Mal seit 50 Jahren „schrumpfen wird“. Noch beunruhigender ist, dass die extreme globale Armut zum ersten Mal seit 20 Jahren steigen wird, womit laut Schätzungen 27 Millionen Menschen zusätzlich, d.h. insgesamt 115 Millionen, ins Elend gestürzt werden. Aufgrund des Wirtschaftsabschwungs wird diese Zahl im Jahr 2021 vermutlich sogar auf 150 Millionen steigen.

Der derzeitige weltweite Anstieg der Infektionen und Todesopfer ist das Ergebnis der Aufhebung der Wirtschaftsbeschränkungen in allen großen Nationen, deren Wirtschaft die Stagnation droht. Laut der Weltbank könnte „die Pandemie und die weltweite Rezession dazu führen, dass mehr als 1,4 Prozent der Weltbevölkerung in extreme Armut abgleitet“. Nur die internationale Arbeiterklasse hat die Mittel, die Pandemie und das soziale Elend zu bekämpfen, von dem die Weltbevölkerung bedroht ist.

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