SZ-Kolumnist Heribert Prantl hetzt gegen Lockdown

Tiefe gesellschaftliche Krisen werden in der Regel von heftigen politischen und ideologischen Schwankungen begleitet, die stürmische Klassenkämpfe vorwegnehmen. Die Mittelschichten, die in ruhigen Zeiten als Dämpfer und Kitt zwischen den beiden Hauptklassen der Gesellschaft dienen, zerfallen. Vor allem wohlhabendere Elemente reagieren auf die sich abzeichnende Radikalisierung der Arbeiterklasse, indem sie scharf nach rechts rücken.

Heribert Prantl (Bild: Superbass / CC-BY-SA-4.0)

In diesem Zusammenhang muss der Auftritt von Heribert Prantl, des langjährigen Innenredakteurs der Süddeutschen Zeitung, in der Sendung „Talk im Hangar 7“ des Privatsenders Servus TV gesehen werden. Prantl galt lange Zeit als Stimme der liberalen Demokratie. Der promovierte Jurist erhielt für seine Leitartikel, Kommentare und Bücher zu diesem Thema über zwanzig Preise und Auszeichnungen. Doch nun hetzt er in einem notorisch rechten Sender gegen die Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung.

Servus TV gehört zum Red-Bull-Firmenimperium des österreichischen Multimilliardärs Dietrich Mateschitz, der auch als Geschäftsführer des Senders firmiert und politisch der rechtsextremen FPÖ nahesteht. Die Sendung „Talk im Hangar 7“ lädt regelmäßig Rechtsextreme ein; neben anderen traten der Chef der Identitären Martin Sellner, der neurechte Ideologe Götz Kubitschek und der rechtsextreme Historiker Jörg Baberowski als Talkgäste auf. Weitere Formate des Senders – „Corona-Quartett“, „Wegscheider“ – widmen sich der Verharmlosung der Corona-Pandemie. Selbst die Süddeutsche, für die Prantl weiter eine regelmäßige Kolumne schreibt, bezeichnet ServusTV als „Heimatsender des österreichischen Rechtspopulismus“.

Die Talkshow vom 21. Januar stand unter dem Thema „Politik am Volk vorbei?“. Während im Hintergrund Großaufnahmen einer Corona-Leugner-Demonstration in Wien gezeigt und von Moderator Michael Fleischhacker wohlwollend kommentiert wurden, brandmarkte Prantl die in Deutschland geltenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens als Verstoß gegen das Grundgesetz. Der Lockdown sei „eine brutale Phantasielosigkeit“, schimpfte er. „Wir werden einen Zusammenbruch von Geschäften erleben, wie wir ihn uns jetzt nicht ausmalen können. Wir schlagen im Moment das gesamte gesellschaftliche Leben tot.“

Unterstützt wurde Prantl vom Medienmanager Helmut Thoma und der neurechten Autorin Cora Stephan. Letztere schreibt regelmäßig für den rechten Blog „Achse des Guten“. Sie gehört zu den Erstunterzeichnern der flüchtlingsfeindlichen „Gemeinsamen Erklärung 2018“ und zu dem rechtsextremen Kreis um Jörg Baberowski, Thilo Sarrazin, Matthias Mattusek, Vera Lengsfeld und Junge-Freiheit-Chefredakteur Dieter Stein. Thoma hat als langjähriger Chef des Privatsenders RTL das Niveau der Fernsehunterhaltung auf einen Tiefstpunkt gesenkt.

Während der gesamten Sendung spornten sich Prantl, Stephan und Thoma gegenseitig an. Selbst als Thoma die mörderischen Konsequenzen ihrer Linie brutal aussprach, störte dies Prantl nicht, der sich sonst gern als Moralist gibt. Der 82-Jährige Medienmanager pries das schwedische Herdenimmunitäts-Modell sowie dessen Urheber Anders Tegnell in den höchsten Tönen und forderte das Publikum auf, sich an Millionen Tote zu gewöhnen.

„Wir haben in den hundert Jahren so viele Epidemien gehabt,“ sagte Thoma. „Es gab eine Asiatische Grippe mit eineinhalb bis zwei Millionen Toten, es gab danach die Hongkong-Grippe, die hat auch über eine Million Tote gebracht. Es gibt so vieles, allein HIV hat glaube ich 36 Millionen Tote verursacht. Und niemandem ist eingefallen, alles stillzulegen. Da regt sich niemand auf. Das wird hingenommen.“ Die Wirtschaft, so sein Fazit, müsse in Ruhe gelassen werden. Sonst seien die Kollateralschäden zu groß.

Prantl verurteilte die mit dem Lockdown verbundenen Einschränkungen als Angriff auf grundgesetzlich garantierte Freiheitsrechte – als seien das Recht auf Leben und der Schutz vor Ansteckung, dem die Maßnahmen dienen, keine Grundrechte. Er kritisierte Widersprüche in der Politik der Regierung, weil sie die Bevölkerung verunsicherten und aufbrächten, trat aber nicht für einen konsequenteren Lockdown, sondern für dessen weitgehende Aufhebung ein.

Als ihm der Salzburger Professor Christian Zeller widersprach, verlor Prantl zunehmend die Fassung, brüllte seinen Widersacher an und bekannte sich offen zu den sozial-darwinistischen, anti-wissenschaftlichen Konsequenzen seiner Haltung. Zeller unterstützt die Petition „#ZeroCovid“, die für einen europäischen Shutdown mit sozialen Begleitmaßnahmen eintritt, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen.

Als Zeller sagte, es sei mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder das Virus weitertrügen, herrschte ihn Prantl an: „Jetzt tun sie doch nicht so, als hätten sie die Studien gepachtet.“ Er plädierte dafür, mit dem Virus zu leben. „Zero Covid bedeutet Zero Grundrechte,“ behauptete er: „Da sage ich Nein, das geht nicht!“ Zeller gehe davon aus, dass Gesundheit die völlige Abwesenheit von Krankheit sei. „Das ist eine Definition, die ich nicht toleriere. Gesundheit heißt auch, ich muss irgendwo mit der Krankheit leben. Ich muss auch in Covid-Zeiten lernen, mit der Krankheit zu leben.“

Auf Zellers Erwiderung, „Wie viele Tote wollen sie in Kauf nehmen?“, antwortete Cora Stephan. „Was mich erschreckt ist diese unfassbare Hybris: Wir können das alles managen, wir können das alles machen, mit Maßnahmen und mit Zügel anziehen,“ sagte sie. „Ich fürchte mich vor Hybris, die da heißt: Wir retten das Klima, wir schützen die Menschen vor einem Virus, was den Menschen in Tausenden von Jahren noch nicht gelungen ist. Wir müssen in der Tat mit Viren leben, auch der Tatsache, dass sie sich verändern.“

Den Befürwortern eines Shutdowns warf Stephan vor, sie wollten die Krise nutzen, um die Bevölkerung mit Panik kirre zu machen, die Rüstungs- und die Autoindustrie plattzumachen und ein „ökosozialistisches Paradies“ aufzubauen. Sie könne das Wort „Solidarität“ nicht mehr hören, stöhnte sie. „Covid als Trägerrakete für einen radikalen Umbau des Gesellschaftssystems,“ ergänzte der Moderator.

In früheren Jahren hatte Prantl das Asylrecht, die Meinungsfreiheit und andere demokratische Grundrechte in Artikeln und Büchern gegen übermäßige Eingriffe des Staates verteidigt. Doch inzwischen ist seine Beschwörung von Grundrechten zu einer verlogenen hohlen Floskel verkommen, die dem Schutz der Privilegien einer reichen Minderheit dient und sich gegen die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse richtet. Dabei tut er sich mit islamophoben Rechten wie Cora Stephan zusammen, die von der AfD gefeiert wird und aus ihrer Sympathie für autoritäre Bewegungen kein Geheimnis macht.

Die Corona-Politik der Bundesregierung geht vom Grundsatz aus, dass Profite wichtiger sind als Menschenleben. Sie treibt die Aktienkurse mit Milliardenhilfen für Konzerne und Banken auf Rekordhöhen, während es in Krankenhäusern und Schulen am Nötigsten mangelt. Sie weigert sich strikt, nicht lebenswichtige Betriebe, Schulen und Kitas vollständig zu schließen, obwohl dies nach Ansicht von Experten dringend nötig wäre, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Der Lockdown, den sie beschlossen hat, ist völlig ungenügend. 55.000 Menschen sind im ersten Jahr der Pandemie gestorben.

Doch Prantl greift diese Politik von rechts an. Ihm geht es nicht um die demokratischen Grundrechte der breiten Bevölkerung, die ohne das Recht auf Leben und auf Schutz vor einer tödlichen Pandemie wertlos sind. Ihm geht es um das „Recht“ der Konzerne, auch unter Pandemie-Bedingungen Arbeiter auszubeuten, und um die Privilegien einer kleinen Minderheit, die genügend Geld auf dem Konto hat, um sich im Notfall die beste medizinische Behandlung zu leisten. Gefragt, welche Grundrechte er meine, nannte Prantl die Gewerbefreiheit und die Bewegungsfreiheit.

Es ist mehr als zynisch, dass er sich am Ende der Sendung als Anwalt der Pflegekräfte ausgab, die am meisten unter der Pandemie leiden und ihre Gesundheit und sogar ihr Leben opfern, um anderen zu helfen. Prantl schlug vor, ihnen ein Denkmal zu setzen und sie in Zukunft besser zu bezahlen. Das erinnert an einen Brandstifter, der die Feuerwehrleute für ihren lebensgefährlichen Einsatz beim Löschen eines Hauses lobt, das er selbst in Brand gesteckt hat.

Prantls Marsch nach rechts hat vor langer Zeit begonnen und ist Ausdruck einer breiteren gesellschaftlichen Entwicklung. Bereits 2015 hatte er die Verabschiedung eines drastischen Spardiktats für Griechenland durch den Bundestag als „guten Tag für die parlamentarische Demokratie“ gefeiert.

„Dass das neue Sparpaket für Griechenland einen Meilenstein auf dem Weg zur Abschaffung demokratischer und sozialer Rechte in ganz Europa bedeutet, ist ihm gleichgültig,“ kommentierten wir damals und zogen den Schluss:

Das ist keine individuelle Frage. Die Krise des europäischen Kapitalismus und die damit einhergehende soziale Polarisierung in Arm und Reich haben ein Ausmaß erreicht, das sich nicht mehr mit demokratischen Herrschaftsformen vereinbaren lässt. Die formale Demokratie ist zu einer Hülle verkommen, hinter der sich die nackte Diktatur des Finanzkapitals verbirgt.

Die Verteidigung demokratischer Rechte ist untrennbar mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft verbunden, die nicht der Bereicherung einer kleinen Minderheit dient, sondern alle vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten zur Lösung der großen gesellschaftlichen Probleme einsetzt.

Sechs Jahre später und nach einem Jahr Pandemie ist „die Krise des europäischen Kapitalismus und die damit einhergehende soziale Polarisierung in Arm und Reich“ ungleich schärfer – und Prantl macht gemeinsame Sache mit Corona-Leugnern und Rechtsextremen.

Sein Rechtsruck ist symptomatisch für Vertreter der wohlhabenden Mittelschichten, die auch die Führung der Linkspartei, der SPD und vor allem der Grünen dominieren, für die Prantl seit langem Sympathien hegt. Erst kürzlich hat er die Grünen in seiner SZ-Kolumne als neue Partei der „bürgerlichen Mitte“ gepriesen, die im Herbst mit der Union eine Regierungskoalition bilden werde, „die dem Zeitgeist entspricht“. Mit Katrin Göring-Eckardt, so Prantl, würden die Grünen auch die nächste Bundespräsidentin stellen.

Die Grünen hatten ihre Lippenbekenntnisse zum Pazifismus und zur Demokratie bereits 1998 aufgegeben, als sie in die Bundesregierung eintraten. Als Regierungspartei organisierten sie dann die ersten internationalen Kriegseinsätze der Bundeswehr in Jugoslawien und Afghanistan und trieben den Sozialabbau unter Schröders „Agenda 2010“ voran. Inzwischen lässt sich die Partei in Fragen des Militarismus und einer aggressiven Weltmachtpolitik von keiner anderen Partei mehr übertreffen. Dasselbe gilt für die Aufrüstung der Polizei und die Zensur des Internets. Prantls Auftritt bei Servus TV ist eine Warnung, was von diesen Elementen zu erwarten ist.

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