Italien: Allparteienregierung gegen die Arbeiterklasse

Präsident Sergio Mattarella hat am Samstag den neuen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und sein Kabinett vereidigt. Der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank hat in der Rekordzeit von eineinhalb Wochen eine Regierung zusammengestellt, der neben acht sogenannten Experten oder Technokraten sämtliche Parteien von nationaler Bedeutung angehören, die insgesamt 15 Minister stellen.

Regierungsübergabe von Giuseppe Conte an Mario Draghi (Bild: governo.it/CC-BY-NC-SA 3.0 IT)

Die Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos (M5S), die rechtsextreme Lega Matteo Salvinis, die Forza Italia des früheren Premiers Silvio Berlusconi, die sozialdemokratischen Demokraten (PD) und ihre Abspaltungen Liberi e Uguali und Italia Viva, die sich in den vergangenen Jahren erbittert gestritten hatten, sitzen nun vereint am Kabinettstisch.

Einzige Ausnahme bilden die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Die Partei, die in der Tradition von Benito Mussolinis faschistischer Bewegung steht, wird nun zur führenden italienischen Oppositionspartei. Sie hatte bei der letzten Parlamentswahl 2018 lediglich 4,4 Prozent der Stimmen erthalten, lag aber in den Umfragen bereits vor der jüngsten Regierungskrise bei 17 Prozent.

Was die zerstrittenen Parteien zusammenbringt, ist ihre Feindschaft gegen die Arbeiterklasse. Italien steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise und steht am Rande einer sozialen Explosion. Die Wirtschaftsleistung des Landes ist im vergangenen Jahr um neun Prozent eingebrochen, die Staatsverschuldung hat mit 160 Prozent des BIPs einen neuen Rekord erreicht, Arbeitslosigkeit und Armut steigen und der Corona-Pandemie sind über 93.000 Menschen zum Opfer gefallen.

Unter diesen Bedingungen schließen sich alle Parteien hinter einem Regierungschef zusammen, der wie kein anderer die Interessen des Finanzkapitals verkörpert. Als Chef der Europäischen Zentralbank (2011-2019) war Draghi für eine Politik verantwortlich, die die Finanzmärkte mit Billionen überflutete, während sie den Lebensstandard der Arbeiterklasse in Griechenland, Spanien, Italien und anderen Ländern durch Spardiktate dezimierte.

Draghis wichtigste Aufgabe als Regierungschef besteht nun darin, die italienische Wirtschaft und Verwaltung zu „modernisieren“ – d.h. alle sozialen Rechte, Errungenschaften und Sicherheiten zu schleifen, die seine Vorgänger noch nicht zerstört haben. Die verheerenden Folgen der Corona-Pandemie und die 209 Milliarden Euro, die die Europäische Union Italien als Corona-Hilfe zugesagt hat, dienen dabei als Druckmittel.

Die bisherige Regierung von Giuseppe Conte war am Streit über diese Gelder zerbrochen. Draghi hat nun sechzig Tage Zeit, der EU ein Investitionsprogramm vorzulegen, damit sie ausbezahlt werden. Dafür hat er sich weitgehend freie Hand verschafft. Er verhandelte mit den Parteien einzeln hinter verschlossenen Türen, ohne die Öffentlichkeit über das Ergebnis zu informieren. Die Minister, auch die aus den Parteien, bestimmte er selbst. Medienberichten zufolge blieben die Parteizentralen bis zuletzt im Dunkeln über Draghis Ministerliste. Schlüsselressorts besetzte er mit parteilosen Vertrauensleuten der Wirtschaft.

So wird der Generaldirektor der italienischen Zentralbank, Daniele Franco, neuer Finanzminister. Als Chefbuchhalter im Finanzministerium hatte Franco von 2013 bis 2018 für die Einhaltung der Haushaltsdisziplin gesorgt. An der Spitze eines neuen „Super-Ministeriums für den ökologischen Wandel“, das Draghi auf Verlangen der Fünf Sterne schuf, steht der Physiker Roberto Cingolani, der bislang die Abteilung für technologische Innovation beim italienischen Luft- und Raumfahrtkonzern Leonardo leitete. Und das Ministerium für Innovation ging an den ehemaligen Vodafone-Chef Vittorio Colao.

Das Justizministerium besetzte Draghi mit der früheren Präsidentin des Verfassungsgerichts, Marta Cartabia, die das italienische Justizsystem auf Tempo trimmen soll. Innenministerin bleibt die parteilose Luciana Lamorgese, eine frühere Spitzenbeamtin und Präfektin mehrerer italienischer Provinzen, die dieses Amt schon in der letzten Regierung bekleidete.

Auch einige weitere bisherige Minister bleiben im Amt. So führt Roberto Speranza (Liberi e Uguali), unter dessen Verantwortung sich 2,7 Millionen Italiener mit Corona infizierten, weiterhin das Gesundheitsministerium. Lorenzo Guerini (PD) bleibt Verteidigungsminister und Luigi Di Maio (M5S) Außenminister.

Di Maios Verbleiben im Amt gilt als Zugeständnis an die Fünf Sterne, die fast ein Drittel der Parlamentsabgeordneten stellen. Die Partei hatte 2018 mit einer Kampagne gegen die von Draghi verkörperten politischen Eliten die Parlamentswahl gewonnen. Inzwischen liegt sie in den Umfragen allerdings nur noch bei 15 Prozent. Sie hat nach inneren Auseinandersetzungen erst am vergangenen Donnerstag in einer Mitgliederbefragung einer Regierungsbeteiligung zugestimmt.

Forza Italia, die seit zehn Jahren in der Opposition saß, besetzt im neuen Kabinett drei Ministerposten. Eine wichtige Rolle fällt Renato Brunetta zu, der für die öffentliche Verwaltung zuständig ist und diese durch den Abbau von Arbeitsplätzen gründlich umbauen soll. Er hatte dieses Amt schon unter Silvio Berlusconi inne.

Draghis Regierungsübernahme ist von den europäischen Regierungen begrüßt worden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel schrieb: „Italien und Deutschland arbeiten gemeinsam für ein starkes, geeintes Europa und für einen Multilateralismus, der unserer Jugend eine bessere Zukunft bietet.“ Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron erklärte auf Twitter, dass Frankreich und Italien nun gemeinsam ein stärkeres und solidarischeres Europa aufbauen.

In Italien jubelten vor allem die angeblich linken Parteien. PD-Chef Nicola Zingaretti schrieb auf Facebook, seine Partei unterstütze die Regierung „mit Loyalität und Überzeugung“.

Dass die PD mit der rechtsextremen und hysterisch ausländerfeindlichen Lega und der Forza Italia des Gangsters Silvio Berlusconi eine gemeinsame Regierung bildet, kennzeichnet ein neues Stadium des Niedergangs dieser Partei, die vor dreißig Jahren aus der stalinistischen Kommunistischen Partei hervorging. Es zeigt, dass es auf der Rechten keine politische Grenze gibt, die sie nicht überschreiten würde.

Die arbeiterfeindliche Politik der Regierung Draghi wird unweigerlich zu einer weiteren Verschärfung der sozialen Gegensätze führen. Angesichts der rechten Politik der PD und ihrer pseudolinken Satelliten besteht die Gefahr, dass rechte Demagogen und Faschisten von der wachsenden Verzweiflung profitieren. Lega und Fratelli d’Italia kommen in den Umfragen schon jetzt auf 40 Prozent.

Dieser Gefahr kann nur durch den Aufbau einer neuen Partei begegnet werden, die die Arbeiterklasse für ein sozialistische Programm mobilisiert und international vereint – einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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