Ein Jahr Corona: Biden gaukelt Trugbild der USA vor

In seiner Fernsehansprache am Donnerstagabend gaukelte Biden ein Trugbild über den Fortgang der Corona-Pandemie in den USA vor und ging mit keinem Wort auf die Ursachen des Virus oder die zu erwartenden Folgen einer weiteren Verbreitung ein.

Seine Redenschreiber hatten offenbar die Vorgabe, die ersten zehn Minuten mit möglichst vielen rührseligen Banalitäten zu spicken, um jenes „Mitgefühl“ vorzutäuschen, das seinem Amtsvorgänger gänzlich fehlte. Denn Trump hatte es offenkundig nicht im Geringsten interessiert, dass in den USA Hunderttausende an Covid-19 gestorben sind.

US-Präsident Joe Biden mit dem Vorstandschef von Johnson & Johnson, Alex Gorsky, und dem Merck-Vorstandschef, Kenneth Frazier, auf dem Campus des Weißen Hauses am 10. März (AP Photo/Andrew Harnik)

Bei allem Gerede über Verlust, Leid und Opfer ignorierte er die brutale Tatsache, dass ein Teil der amerikanischen Gesellschaft – die Superreichen – in den 12 Monaten der Jahrhundertpandemie keinerlei Verluste erlitten haben.

Während bislang 527.000 Amerikaner am Coronavirus gestorben sind, konnten die Milliardäre des Landes ihr Gesamtvermögen um 1,4 Billionen Dollar mehren. Auch als die Wirtschaft zusammenbrach, Millionen ihre Arbeit verloren und Hunderttausende kleinere Unternehmen aufgeben mussten, stiegen die Aktienkurse auf ein neues Rekordniveau. Bis heute ist dieser Zustand unverändert.

Biden erklärtes Ziel ist die „nationale Einheit“, und er verlor kein Wort über die Klassenspaltungen, die die Pandemie so deutlich gemacht hat. Er sagte auch kaum etwas über das massive wirtschaftliche Leid, das durch die Pandemie ausgelöst wurde, und erwähnte nur ein einziges Mal den American Recovery Act. Dieses Gesetz soll den völligen Zusammenbruch der privaten Konsumausgaben bis zum Ende des Sommers hinausschieben und dem amerikanischen Kapitalismus so eine Atempause verschaffen.

Besonders auffällig an Bidens Rede war die nationalistische Ausrichtung. Er sprach vom Coronavirus, als gäbe es keine globale Pandemie, die jedes Land der Welt betrifft. Vielmehr könnte man meinen, das Virus sei wie ein Meteor vom Himmel herabgestürzt und habe nur die USA getroffen.

Dass in Europa 800.000 Menschen gestorben sind und in Lateinamerika beinahe genauso viele, erwähnte Biden ebenso wenig wie die steigende Zahl der Todesopfer in Indien und ganz Asien – abgesehen von China, dem Ursprungsland der Pandemie.

Auf diese Weise konnte Biden der Frage ausweichen, wie sich Covid-19 in den USA zu einer solchen Katastrophe entwickelt konnte. Im Vergleich zu anderen großen kapitalistischen Ländern stehen sie mit 30 Millionen Infektionen und mehr als einer Viertelmillion Toten am schlechtesten da.

Am Mittwoch berichtete die Seuchenschutzbehörde (CDC), Covid-19 habe die Todesrate um 15 Prozent in die Höhe getrieben. 2020 sind drei Millionen Amerikaner gestorben, mehr als in jedem anderen Jahr in der amerikanischen Geschichte. Bereits zuvor war ein Bericht erschienen, laut dem die Lebenserwartung in den USA 2020 um ein ganzes Jahr gesunken ist.

Zu Beginn seiner Rede erklärte Biden: „Vor einem Jahr erreichte uns ein Virus, auf das mit Schweigen reagiert wurde und das sich ungehindert ausbreiten konnte. Dass es tage-, wochen- und monatelang geleugnet wurde, führte zu mehr Infektionen, mehr Belastung und mehr Einsamkeit.“

Biden verschwieg jedoch, welche Entscheidungen zu diesem kolossalen Versagen geführt hatten und von welchen wirtschaftlichen und finanziellen Interessen sie motiviert waren. Denn diese stehen in direktem Widerspruch zum Hauptargument seiner Rede, Amerikaner könnten vereint alles erreichen.

Noch wichtiger ist jedoch, dass der globale Charakter der Pandemie Bidens Behauptung widerlegt, es gäbe eine nationale Lösung für die Krise. In seinem Märchen werden alle Amerikaner rechtzeitig geimpft, die Pandemie besiegt, Großeltern können ihre Enkel wieder umarmen und die Bevölkerung versammelt sich am 4. Juli fröhlich zu den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag – natürlich nur im kleinen Kreis.

Doch selbst wenn es dazu käme, hätte die Pandemie noch immer eine kolossale globale Kraft und würde ständig neue Varianten des Virus hervorbringen. Genau wie der ursprüngliche Virus würden auch diese unweigerlich die USA erreichen. Es ist unmöglich, die Pandemie in einem einzigen Land zu besiegen, da alle Länder Teil der globalen Wirtschaft sind. Deshalb wird die Virus-Variante, die sich letzten Endes weltweit durchsetzt, unweigerlich überall auftauchen – vor allem in einem Land, das so eng mit dem Rest der Welt verbunden ist wie die USA.

Natürlich ist die Darstellung einer vereinigten Reaktion des ganzen Landes auf die Pandemie reine Fantasie. Nur einen Tag vor Bidens Rede hatte der Gouverneur von Texas offiziell alle Einschränkungen für die Wirtschaft sowie die geltende Maskenpflicht abgeschafft. In 17 Bundesstaaten – einem Drittel der USA – gibt es derzeit keine Maskenpflicht mehr, sodass dem Virus Tür und Tor geöffnet sind.

Während Biden von Fortschritten bei der Herstellung und Verteilung des Impfstoffs sprach, will sich rund ein Viertel der Bevölkerung unter dem Einfluss republikanischer Demagogen und Impfgegner nicht impfen lassen. Der Präsident erwähnte dies nur am Rande, indem er andeutete, falls die Bevölkerung nicht zusammenhält und „die Bedingungen sich ändern, müssen wir wieder Einschränkungen einführen“.

Bidens Forderungen nach „nationaler Einheit“ richten sich gegen einen viel größeren Gegner als die ultrarechten Trump-Anhänger. Er sprach besorgt über das „schwindende Vertrauen, dass unsere Regierung und unsere Demokratie die Erwartungen erfüllen können“.

Die Biden-Regierung ist mit dem wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse und in der Jugend konfrontiert. Hunderttausende Lehrer und Schüler wehren sich gegen die Bestrebungen, die Schulen und Universitäten wieder zu öffnen, da dies in allen großen Städten neue Infektionsherde schaffen würde.

Im Gegensatz zu Bidens optimistischem Bild fröhlicher Feiern zum Unabhängigkeitstag wird die Öffnung der Schulen zu einer neuen Welle von Masseninfektionen und zahllosen Todesopfern führen. Der Sommer könnte noch schlimmer werden als die Wintermonate, in denen zeitweise mehr als 3.000 Menschen pro Tag dem Virus zum Opfer fielen.

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