EZB forciert Bereitstellung von ultrabilligem Geld

Die Zentralbanken weltweit scheinen auf jede Wirtschaftslage in derselben Weise zu reagieren: Sie pumpen mehr Geld in das Finanzsystem, damit Investoren und Spekulanten dank der ultraniedrigen Zinssätze weiter Riesenprofite anhäufen können.

Wenn die Wirtschaft schwächelt, muss sie mit noch mehr Geld stimuliert werden. Wenn sie wieder wächst, muss mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, damit die Zinsen nicht steigen und den Aufschwung gefährden.

Beispielhaft für diesen Modus Operandi war die Ankündigung der Europäischen Zentralbank vom Donnerstag, den Kauf von Anleihen im Rahmen ihres Pandemie-Notfallankaufprogramms (PEPP) in Höhe von 1,85 Billionen Euro deutlich zu beschleunigen.

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde [Quelle: Bernd Hartung/ Europäische Zentralbank]

Die EZB erklärte in ihrer jüngsten Grundsatzerklärung, die Christine Lagarde auf einer Pressekonferenz erläuterte, der EZB-Rat gehe davon aus, „dass die Ankäufe im Rahmen des PEPP während des nächsten Quartals deutlich umfangreicher ausfallen werden als während der ersten Monate dieses Jahres“.

Lagarde wiederholte die Formulierung auf Nachfrage von Journalisten mehrmals und erklärte, in der Frage herrsche völliger Konsens. Damit versuchte sie, alle Spekulationen abzublocken, Deutschland oder andere Kritiker hätten Widerstand gegen den geldpolitischen Lockerungskurs geleistet.

Lagarde erklärte nicht, welche tatsächlichen Beträge für die Forcierung des Ankaufprogramms aufgewandt werden, machte aber deutlich, dass es passieren werde. Auf die Frage, ob die EZB mehr tun sollte, erklärte sie: „Wenn ich Ihnen sage, dass wir schon morgen aktiv werden, dann entspricht das den Anforderungen."

Lagarde machte auch deutlich, dass der „Gesamtumfang“ von 1,85 Billionen Euro der EZB, von denen noch etwa eine Billion Euro übrig sind, notfalls ausgeweitet werden könnte. Sie erklärte, aus der Stellungnahme der EZB gehe „sehr deutlich“ hervor, dass die EZB den Gesamtumfang zwar bei guter Entwicklung nicht vollständig nutzen werde, allerdings könnte er auch ausgeweitet werden, um günstige Finanzierungsbedingungen aufrecht zu erhalten. Die EZB werde dies tun, wenn sie es müsse.

Genau wie in den USA, wo es Bedenken gibt wegen der Folgen von Inflation und steigenden Zinssätzen auf dem Anleihemarkt, war auch die Entscheidung der EZB von den steigenden Zinsen auf den europäischen Anleihemärkten motiviert.

In der Erklärung der EZB hieß es, „günstige Finanzierungsbedingungen beizubehalten“ sei essenziell. Weiter hieß es, der Anstieg der Marktzinsen seit Beginn des Jahres stelle ein Risiko für die allgemeinen Finanzierungsbedingungen dar.

Die Banken haben die risikofreien Zinssätze für Wertpapiere als Grundlage für die Festlegung von Zinssätzen benutzt. Deshalb könnten „beträchtliche und dauerhafte Erhöhungen“, wenn sie unkontrolliert bleiben, „zu einer vorschnellen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen in allen Sektoren der Wirtschaft führen“.

Die gleiche Problematik existiert in den USA. Letzten Monat kam es an den Märkten zu einem Abverkauf, nachdem der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, die Reaktion der Fed auf einen Anstieg der Zinsen nicht in den Griff bekommen konnte. Seither hat die Wall Street ihren Höhenflug fortgesetzt, nachdem die Turbulenzen auf dem Anleihemarkt sich im Verlauf der letzten Woche wieder gelegt hatten. Sie waren in Folge einer Auktion von Staatsanleihen mit siebenjähriger Laufzeit im Wert von 68 Milliarden Dollar entstanden, die um 40 Prozent unterzeichnet waren.

Die Auswirkungen der Anleihezinsen auf den Aktienmarkt und damit auf die Geldpolitik der großen Zentralbanken verdeutlicht, wie grundlegend sich die Wirtschaftspolitik verändert hat.

In der Vergangenheit war ein Anstieg der Zinsen auf den Anleihemärkten ein Anzeichen für Wirtschaftswachstum und Inflation. Da es das erklärte Ziel der EZB und der Fed ist, Wachstum zu fördern und die Inflation auf über zwei Prozent anzuheben, könnte man erwarten, dass sie diese Entwicklung begrüßen würden.

Doch die früheren Bedingungen, für die dieses Szenario gültig gewesen wäre, existieren nicht mehr. Der Geldfluss von den Zentralbanken in die Finanzmärkte, der nach der globalen Krise von 2008 begann und sich als Reaktion auf die Pandemie beschleunigte, hat einen Berg von fiktivem Kapital geschaffen. Deshalb könnte ein rapider Anstieg der Marktzinsen eine neue Finanzkrise auslösen.

Deswegen wird gefordert, dass die Zentralbanken auch dann intervenieren und noch mehr Wertpapiere aufkaufen müssen, um die Renditen und Zinsen niedrig zu halten, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen verbessern.

Laut der Financial Times hatte Fabio Panetta, Mitglied des Vorstands der EZB, in einer Rede im Vorfeld des EZB-Treffens gewarnt: „Wir erleben bereits ein unerwünschtes Übergreifen steigender Zinsen aus den USA ... die nicht mit unserer eigenen Perspektive übereinstimmen und unserem Aufschwung abträglich sind.“ Weiter erklärte er, die Marktzinsen hätten sich seit Dezember erhöht, was „unerwünscht ist und bekämpft werden muss“.

Panettas Äußerungen wurden allgemein als Forderung an die EZB gewertet, auf die Zinskurve Einfluss zu nehmen. Zu diesem Zweck kauft die Zentralbank Anleihen auf, um die Zinsen auf bestimmte Anleihen auf einem festgelegten Niveau zu halten. Dies wird in Japan und, in begrenztem Umfang, von der Reserve Bank of Australia praktiziert. Auch die Fed diskutiert darüber und studiert angeblich die Erfahrungen in Australien.

Da Lagarde weiß, dass Deutschland und vermutlich auch andere nordeuropäische Mitgliedsstaaten der EZB mit Widerstand reagieren würden, wies sie diese Forderung in ihrer Pressekonferenz zurück.

Auf die Frage, ob die EZB wieder zu den Marktzinsen vom Dezember zurückkehren will, antwortete sie: „Es wird keinerlei Kontrolle der Zinskurve erwähnt – wenn das die Frage ist, auf die sie hinauswollen. Wir betreiben keine Kontrolle der Zinskurve.“

Lagarde betonte, die EZB bemühe sich um die Aufrechterhaltung günstiger Bedingungen im Hinblick auf „die bestehende Inflationsprognose“.

Die Anspielung auf die Inflation ist eine der Fiktionen, mit denen die EZB ihre Politik rechtfertigt. Sie werden vorgebracht, um zu behaupten, die offizielle Zielvorgabe sei eine Inflation von etwa zwei Prozent.

Tatsächlich ist in Finanz- und Medienkreisen allgemein bekannt, dass die Politik der EZB kaum oder nichts mit der Beeinflussung der Inflation zu tun hat. Sie ist vielmehr darauf ausgerichtet, den Zustrom von ultrabilligem Geld an die Finanzmärkte zu gewährleisten.

Ein Journalist von Le Monde versuchte, diese Fiktion zu widerlegen und erklärte: „Das Problem ist natürlich, dass Sie Ihre Intervention mit der Behauptung rechtfertigen, Sie hätten in der Vergangenheit die Inflation erhöhen müssen. Womit werden Sie Ihre Interventionen rechtfertigen, wenn die tatsächliche Inflation auf zwei Prozent steigt?"

Darauf gab Lagarde eine aufschlussreiche Antwort: „Es ist durchaus möglich, dass die Inflation in diesem Jahr, vor allem zum Jahresende hin, tatsächlich die Marke von zwei Prozent erreicht. Aber ich sage Ihnen etwas: das wird einen sehr eindeutigen Grund haben. Die Inflation wird aller Voraussicht nach nämlich möglicherweise aus technischen und temporären Gründen auf zwei Prozent steigen.“

Mit anderen Worten, wenn die Inflation die Zielvorgabe der EZB erreichen sollte, würde sie dies vollständig ignorieren, da es ihr eigentliches Ziel ist, weiterhin Geld in die Taschen der Finanzoligarchie zu schaufeln, der sie und die anderen Zentralbanken in Wirklichkeit dienen.

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