Europäische Arzneimittelagentur bezeichnet Impfstoff von AstraZeneca als „sicher und wirksam“

Am Donnerstag erklärte die Direktorin der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), Emer Cooke, vor der Presse, dass es sich bei dem Impfstoff von AstraZeneca gegen das Covid-19-Virus um einen „sicheren und wirksamen Impfstoff“ handelt. Die Ankündigung war mit großer Spannung erwartet worden, war aber kaum überraschend. In den letzten zwei Wochen hatten nacheinander 13 europäische Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien, die Impfungen mit AstraZeneca ausgesetzt, weil Befürchtungen durch die Presse gingen, dieser könnte Blutgerinnsel auslösen.

Die britische Aufsichtsbehörde Medicines Health Regulatory Authority kam zu dem gleichen Ergebnis. Sie hatte selbst anhand von Daten eine Untersuchung durchgeführt, laut denen bei mehr als 11 Millionen mit AstraZeneca Geimpften in Großbritannien bei einer sehr geringen Zahl Blutgerinnsel auftraten.

Eine Ampulle mit dem Impfstoff AstraZeneca in einer Apotheke in Boulogne Billancourt außerhalb von Paris (AP Photo/Christophe Ena)

Doch obwohl mehrfach von der Aussetzung der Impfungen abgeraten wurde und mehrere nationale und internationale Gesundheitsbehörden, darunter auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), versicherten, dass die Zahl der Blutgerinnsel deutlich unter der allgemeinen Hintergrundbelastung lag, entschieden mehrere Staaten, darunter Deutschland, Italien und Frankreich, auf das Urteil der EMA zu warten.

Seit der Impfstoff per Notzulassung erlaubt wurde, sind in den letzten drei Monaten mehr als 20 Millionen Dosen davon verabreicht worden. Davon haben 37 Geimpfte innerhalb einiger Tage nach der Impfung Blutgerinnsel entwickelt, vier der Betroffenen sind gestorben: zwei Personen in Norwegen, eine in Dänemark und eine in Italien. Die Todesfälle werden derzeit untersucht.

Im Durchschnitt treten jährlich bei etwa einem von 1.000 Menschen Blutgerinnsel auf. Das bedeutet, unter den Geimpften wären 15.000 bis 20.000 Fälle zu erwarten gewesen. Um einen Eindruck von der Häufigkeit dieser medizinischen Komplikation zu vermitteln: In den USA entwickeln jedes Jahr etwa 300.000 bis 600.000 Menschen unabhängig von der Covid-Impfung derartige Symptome, die als tiefe Venenthrombose oder pulmonare Embolie bekannt sind.

Der Hämatologe Dr. Stephan Moll von der University of North Carolina erklärte gegenüber der New York Times: „Man müsste sich nur dann Gedanken über einen kausalen Zusammenhang machen, wenn die epidemiologischen Daten zeigen, dass eine höhere Rate vorliegt.“ Im Vergleich dazu sterben in Europa täglich etwa 3.500 Menschen an Covid-19.

Emer Cooke von der EMA fügte hinzu: „Die Vorteile [des Impfstoffs], Menschen vor Covid-19 und den damit verbundenen Risiken von Tod und Hospitalisierung zu schützen, überwiegen gegenüber möglichen Risiken.“ Sie erklärte weiter, dass der Expertenausschuss zu Arzneimittelsicherheit Folgendes herausgefunden hat: „Der Impfstoff wird nicht mit einem Anstieg des allgemeinen Risikos von Blutgerinnseln in Verbindung gebracht.“ Die Vorsitzende des Ausschusses, Dr. Sabine Straus, erklärte, wenn man Blutgerinnsel in Zusammenhang mit Covid-19-Infektionen bringt, dann reduziert der Impfstoff „insgesamt eher die Gefahr von Thrombosen“.

Allerdings machten sie einen Vorbehalt in Bezug auf eine „kleine Zahl seltener und ungewöhnlicher, aber sehr ernst zu nehmender Fälle von Blutgerinnungsstörung ... [die EMA] kann eine Verbindung“ zwischen diesen seltenen Fällen von Blutgerinnseln und dem Impfstoff „nicht vollkommen ausschließen“.

Damit sind die 18 bekannten Fälle von Hirnvenenthrombosen gemeint. Diese entwickeln sich in zerebralen Venen, durch die das Blut aus dem Gehirn abfließt. Derartige Komplikationen können zu Hirnblutungen oder schweren Schwellungen führen. Sie wurden jedoch auch bei Patienten beschrieben, die Komplikationen in Zusammenhang mit Covid-19-Infektionen aufweisen. Zudem kam es in sieben Fällen zu multiplen Blutgerinnseln.

Im Durchschnitt entwickeln 13 von einer Million Erwachsenen pro Jahr Hirnthrombosen, bei Frauen zwischen 31 und 50 Jahren ist diese Rate doppelt so hoch. Die meisten Fälle im Zusammenhang mit Impfungen gab es bei Menschen unter 55 Jahren, mehrheitlich Frauen. Die Untersuchungen dazu dauern noch an.

Die EMA hat dazu geraten, die Öffentlichkeit über diese möglichen Risiken aufzuklären und in der Packungsbeilage darauf hinzuweisen. Cooke erklärte abschließend: „Ich persönlich würde mich morgen impfen lassen. Aber ich will wissen, was ich tun soll, wenn mir nach der Impfung irgendetwas passieren sollte. Und das haben wir heute hier erklärt.“

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi erklärte nach der Ankündigung der EMA, er werde die Impfkampagne ab Freitag wieder aufnehmen. Der französische Premierminister Jean Castex sagte, er werde sich selbst mit AstraZeneca impfen lassen, um das Vertrauen in den Impfstoff wieder herzustellen. Er kündigte außerdem neue Beschränkungen in Paris und dem Umland zur Eindämmung der Covid-Neuinfektionen an.

Auch der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn rief zur Wiederaufnahme der Impfungen auf. Schweden erklärte gegenüber der BBC, dass in einigen Tagen eine Entscheidung getroffen werde. Die WHO kündigte für Freitag die Veröffentlichung der Ergebnisse ihrer unabhängigen Untersuchung an.

Dennoch ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Impfstoff von AstraZeneca möglicherweise irreparabel beschädigt. Die stockende Verteilung der Impfstoffe, die erbitterten Kämpfe zwischen der Europäischen Union (EU) und Großbritannien um die Versorgung und Verteilung und die unangemessene Behauptung, der Impfstoff würde Blutgerinnsel verursachen, haben das Vertrauen noch weiter untergraben. Laut Experteneinschätzungen und aktuellen Studien scheinen die Impfstoffe von Pfizer und AstraZeneca in gleichem Maße Hospitalisierungen zu verhindern. Diese Wirksamkeitstests, bei denen festgestellt wird, inwieweit die Impfstoffe schwere Erkrankungen und Todesfälle verhindern, sind von ebenso entscheidender Bedeutung wie weitere Sicherheitsstudien.

Doch politische Schachzüge der Regierungen und die Widersprüche bei der Organisation der Nationalstaaten auf kapitalistischer Grundlage, die die Pandemie gnadenlos offengelegt hat, verhindern die eigentlich notwendige Kooperation. Diese wäre für einen Kampf gegen die Ausbreitung der Krankheit und den Schutz von Leben und der Lebensgrundlage der Bevölkerung jedoch dringend notwendig.

In den 11 Monaten, seit der SARS-CoV-2-Virus erstmals identifiziert wurde, wurden in kürzester Zeit mehrere wirksame Impfstoffe entwickelt, um die Menschheit vor der Krankheit zu schützen. Eine solche Leistung hielten viele zuvor für unmöglich. Doch jetzt, wo diese lebensrettende Behandlung zur Verfügung steht, haben Profitstreben, nationale Interessen und gefährliche Rivalitäten die schnelle Auslieferung dieser Impfstoffe nach dem internationalen Prinzip von Gerechtigkeit und Bedarf verhindert.

Die Wissenschaft ist ein Opfer der Politik geworden. Die tiefere und konkrete Ursache der zögerlichen Impfbereitschaft liegt in der Degeneration der gesellschaftlichen Beziehungen im Kapitalismus, die die Wissenschaft von ihren inhärenten philosophischen Grundsätzen getrennt hat.

In Dänemark hat die Pandemie-Müdigkeit bereits zu Protesten gegen den Lockdown geführt. Sorgen wegen der Virusmutationen sowie die langsame Verteilung der Impfstoffe haben die sozialen Spannungen erhöht. In Frankreich, wo mehr Impfstoff von AstraZeneca eingesetzt wird als von Pfizer, vertrauen laut einer Umfrage von Elabe nur 20 Prozent der Bevölkerung dem AstraZeneca-Impfstoff. Deutschland muss sich angesichts der dritten Welle weiter auf AstraZeneca verlassen, wenn es sein Impfprogramm forcieren will. Viele Beschäftigte im deutschen Gesundheitswesen lehnen eine Impfung mit dem Vakzin von AstraZeneca ab.

Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten gibt es momentan 15 Millionen ungenutzte Impfstoffdosen, vor allem in Frankreich und Deutschland. Von den 62,2 Millionen gelieferten Dosen wurden 46,8 Millionen an Patienten verabreicht. Insgesamt haben neun Prozent der EU-Bevölkerung ihre erste Dosis erhalten. Die EMA ist momentan dabei, den russischen Impfstoff Sputnik V zu bewerten.

Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Ereignisse warnte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sie sei bereit zur Einführung von Notfallkontrollen bei der Produktion und Verteilung der Covid-19-Impfstoffe. So solle sichergestellt werden, dass die Bevölkerung so schnell wie möglich geimpft wird. Sie drohte sogar mit der Anwendung von Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, der ihr Notfallmaßnahmen zur Sicherung der notwendigen Impfstoffbestände erlaubt.

Die Financial Times schrieb dazu: „Die 27 Staats- und Regierungsoberhäupter der EU werden nächste Woche bei einem Gipfeltreffen über Impfstoffe sprechen.“ Diese Maßnahmen werden den Impfstoffnationalismus jedoch nur weiter verstärken und damit die Pandemie sowie das weltweite Elend und die geopolitischen Rivalitäten weiter hinziehen.

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