Streik der Amazon-Arbeiter in Italien

Am Montag fand in Italien der erste landesweite Streik bei Amazon statt, an dem sich Tausende Arbeiter und Lieferfahrer beteiligten.

Laut den nationalen Gewerkschaftsverbänden lag die Beteiligung bei etwa 75 Prozent, Amazon hingegen meldete eine Streikbeteiligung von lediglich 10 bis 20 Prozent. Berichten zufolge sind in Italien mehr als 9.500 Arbeiter unmittelbar bei Amazon angestellt, dazu kommt ein Netzwerk von Subunternehmen mit etwa 15.000 Arbeitern. Letztere sind nicht direkt bei Amazon beschäftigt, aber trotzdem dem Diktat der brutalen Quoten-Algorithmen unterworfen.

Amazon-Niederlassung im nordfranzösischen Douai am 16. April 2020 (AP Photo/Michel Spingler, Archiv)

In den USA versuchen die Gewerkschaften derzeit durch eine umfangreiche Kampagne in der Amazon-Niederlassung in Bessemer (Alabama) als Interessenvertretung anerkannt zu werden. Der demokratische Präsident Joe Biden hat die Kampagne öffentlich unterstützt und die Arbeiter in Bessemer aufgerufen, dafür zu stimmen. In diesem Kontext hat das Magazin Jacobin, das Sprachrohr der pseudolinken demokratischen Fraktion Democratic Socialists of America, ausführlich über den Streik in Italien berichtet. Es heißt, der Streik sei von „historischer Bedeutung für die Arbeiterbewegung“ und ein Zeichen für eine potenzielle „Erneuerung der Gewerkschaften“.

Der Streik in Italien verdeutlicht die enorme Opposition und den wachsenden Widerstand bei Amazon und in der Arbeiterklasse weltweit. Das Unternehmen hat seine Tätigkeiten in Italien in den letzten fünf Jahren erheblich ausgeweitet und u. a. sechs neue Logistikzentren gebaut.

In Interviews mit der Presse beschrieben streikende Arbeiter die brutalen Ausbeutungsbedingungen, die vor Ort herrschen. Francesca (30) erklärte gegenüber La Repubblica: „Wenn man als Picker [interne Bezeichnung für spezielle Lagerarbeiter] arbeitet, muss man in einem Käfig acht Stunden lang die gleiche Bewegung ausführen. Man verändert seine Position nicht. Nach ein paar Tagen hat man Schmerzen in den Armen, im Rücken und in den Knien. Am dritten Tag konnte ein Picker nicht mehr laufen, weil ihm die Beine wehtaten. ... Nach einem Monat tun einem die Sehnen am Handgelenk weh. Ab und zu wird jemand ohnmächtig.“

Gianpaolo (38) erklärt, er müsse eine Schiene um sein Sprunggelenk tragen, weil er während jeder Schicht mehr als 20 Kilometer zurücklegt: „Das System wird von einem Algorithmus angetrieben, der Ergebnisse fordert. Die Verantwortlichen interessiert es nicht, wie diese Ergebnisse erbracht werden. Die Macht liegt in den Händen dieser 25- bis 30-jährigen Manager, die gerade erst ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Manchmal benutzen sie ihre Macht sogar auf kompromisslose oder gefährliche Weise.“

Zwischen der Stimmung der Amazon-Arbeiter und den Interessen der Gewerkschaften, die am Montag zu dem Streik aufgerufen hatten, herrscht indessen ein scharfer Widerspruch. In ihren diversen Erklärungen zu dem Streik haben die Gewerkschaften nicht eine einzige konkrete Forderung in Bezug auf Löhne, Arbeitszeit oder Arbeitsbedingungen als Grund für ihren Streikaufruf genannt. Vielmehr war ihre zentrale Forderung, dass Amazon mit ihnen über die Bedingungen eines nationalen Tarifabkommens verhandelt und „stabile Beziehungen zu den Gewerkschaften“ aufbaut.

Drei nationale Gewerkschaften – Filt Cgil, Fit Cisl und Uiltrasporti – haben den Streik vor zwei Wochen angekündigt. Zuvor hatten sie erklärt, Amazon habe sich geweigert, weiter mit ihnen über einen nationalen Tarifvertrag für Paketzusteller zu verhandeln.

Die CGIL veröffentlichte am Montag eine Erklärung ihrer Sekretärin Tania Scaccheti, in der es hieß: „Heute ist ein sehr wichtiger Tag. Die Arbeiter der Amazon-Lieferkette haben beschlossen, für ein normales System der gewerkschaftlichen Beziehungen zu protestieren. ... In einem Unternehmen mit so hohem Umsatz ist es richtig, ein System von Beziehungen aufzubauen, das die Arbeiter mit einem Leistungsbonus und vertraglichen Bedingungen würdigt – ein System mit stabilen gewerkschaftlichen Verhältnissen.“

CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini erklärte, der Streik „verlangt Antworten von einem multinationalen Konzern und die sofortige Aufnahme von Verhandlungen“. Er forderte „konkrete Maßnahmen der Regierung und des Parlaments, um das Prinzip zu bekräftigen, dass man, um in unserem Land Geschäfte zu machen, das Recht auf nationale Verhandlungen sowie Tarifverhandlungen und ein korrektes System von Beziehungen mit den Gewerkschaften anerkennen muss.“

Diese Appelle machen deutlich, worum es den Gewerkschaften tatsächlich geht. Dabei liegt ihnen nichts ferner als die Verteidigung der Interessen der Amazon-Arbeiter.

Mit „stabilen Beziehungen mit den Gewerkschaften“ ist nichts anderes gemeint, als eine Einbindung der Gewerkschaften in die Strukturen der Konzernleitung, damit die Gewerkschaften als gut bezahlte Betriebspolizei gegen die Arbeiter agieren. Sie wären nicht für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Amazon zuständig, sondern für deren zunehmende Verschlechterung, die Erhöhung der Profite und die Unterdrückung von Streiks. Die Meinungsverschiedenheiten der Gewerkschaften mit Amazon beläuft sich im Wesentlichen auf die Frage, wie viel von dem Geld, das aus der Belegschaft herausgepresst wird, auf die Bankkonten der Gewerkschaften und ihrer gutbezahlten Führungskräfte überwiesen werden soll.

Das ist die Rolle, die Gewerkschaften weltweit spielen. Unter dem Einfluss der globalisierten Produktion und der Entwicklung multinationaler Konzerne verwandelte sich ihr ursprüngliches Programm begrenzter nationaler Reformen in eines, bei dem es darum geht, die Ausbeutung der Belegschaften zu verschärfen und die „weltweite Wettbewerbsfähigkeit“ ihrer jeweiligen Nationen zu vergrößern.

In ganz Europa wurden die Gewerkschaften während der letzten drei Jahrzehnte immer enger in die Strukturen des kapitalistischen Staats eingebunden. Das Resultat war eine durchgehende Katastrophe für die Arbeiterklasse und das kontinuierliche Anwachsen von sozialer Ungleichheit und Armut.

In den USA versuchen die Democratic Socialists of America (DSA), den Streik als Argument für eine Stärkung der Gewerkschaftsapparate zu nutzen. Jacobin veröffentlichte am Dienstag einen Artikel von Francesco Massimo mit dem Titel: „Der Amazon-Streik in Italien zeigt, wie sich Arbeiter über die Lieferketten hinweg vereinen können.“

Massimo schreibt: „In den letzten zwei Jahrzehnten gingen die Gewerkschaftsverbände in Italien durch einen Prozess der Institutionalisierung, nachdem sie sich ab den 1990ern zur Sozialpartnerschaft und zum Korporatismus bekannt hatten. Dies führte zu ihrer Einbindung in den italienischen Staat. Die Gewerkschaften erhielten Zugang zur politischen Entscheidungsfindung, stimmten aber als Gegenleistung Lohnsenkungen und einem Verzicht auf Arbeitskämpfe zu. Das hat vor allem die Fähigkeit der Gewerkschaften beeinträchtigt, die Peripherie des Arbeitsmarkts zu mobilisieren – nicht zuletzt in der sich entwickelnden Logistikbranche.“

Mit anderen Worten: Die Rolle der Gewerkschaft bei der jahrzehntelangen Senkung der Löhne und Unterdrückung der Streiks hat Millionen von Arbeitern abgestoßen, die keinen Grund sehen, Mitgliedsbeiträge an diese unternehmerfreundlichen Organisationen zu zahlen. Massimo gibt zu, dass es bei dem jüngsten Ausstand „Ziel [der Gewerkschaften] ist, Amazon – im Einklang mit ihrem beschränkten Konzept der Sozialpartnerschaft – zur Rückkehr an den Verhandlungstisch zu zwingen, um die normalen Beziehungen zu etablieren, wie sie in anderen Branchen existieren“.

Trotz des vernichtenden Bildes, das er von den Gewerkschaften zeichnet, schreibt Massimo als Befürworter der „Sozialpartnerschaft“ zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und der Konzernleitung. Seine Schlussfolgerung ist nicht, dass die Arbeiter mit den Gewerkschaften brechen und ihre eigenen unabhängigen Kampforganisationen gründen sollten. Stattdessen sollen sich die Arbeiter weiterhin diesen wirtschaftsfreundlichen Bürokratien unterordnen und hoffnungslose Versuche unternehmen, sie nach links zu drücken.

Er erklärte, der Streik am Montag sei von „historischer Bedeutung für die Arbeiterbewegung. Ob er jedoch eine allgemeine Erneuerung der Gewerkschaften auslösen kann, hängt davon ab, ob die Arbeiter den Kampf fortsetzen und auf andere Arbeiter ausweiten können...“

Pseudolinke Organisationen wie die DSA verteidigen die Gewerkschaften nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer arbeiterfeindlichen Politik. Sie sprechen für begüterte Teile des Kleinbürgertums, darunter die Gewerkschaftsfunktionäre, deren Vermögen durch die Sparmaßnahmen der letzten drei Jahrzehnte, die Unterdrückung von Streiks und die steigenden Aktienkursen aufgebläht wurden.

Die Sozialistische Gleichheitspartei ruft Arbeiter dazu auf, ihre eigenen, von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees bei Amazon und dessen Logistikzentren aufzubauen, die von den Arbeitern selbst unmittelbar kontrolliert werden. Solche Organisationen werden es den Arbeitern ermöglichen, sich mit ihren Kollegen überall auf der Welt in Verbindung zu setzen und sich mit ihnen zu vereinen. Nur auf dieser Grundlage ist ein erfolgreicher Kampf möglich.

Dies muss mit einer neuen politischen Strategie auf der Grundlage der internationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse für sozialistische Politik verbunden werden. Konzernriesen wie Amazon sollten dem Privateigentum entnommen und in öffentliche Versorgungsbetriebe umgewandelt werden, die von den Arbeitern demokratisch kontrolliert und für die rationale Organisation der Gesellschaft auf Grundlage sozialer Bedürfnisse eingesetzt werden.

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