Perspektive

Nach dem Putschversuch vom 6. Januar: US-Republikaner verstärken Angriff auf Wahlrecht

Am 25. März unterzeichnete der Gouverneur des US-Bundesstaats Georgia, Brian Kemp, unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Gesetz, das einen grundlegenden Angriff auf das Wahlrecht darstellt. Es zielt darauf ab, armen Bevölkerungsgruppen, Minderheiten und Arbeitern die Stimmabgabe zu verweigern. Kemp hatte es eilig: Nur wenige Stunden zuvor war das Gesetz mit dem irreführenden Namen Election Integrity Act (Wahlintegritätsgesetz) in beiden Kammern des Parlaments von Georgia mit der Mehrheit der Republikaner beschlossen worden.

12. Oktober 2020, Hunderte stehen in der Stadt Marietta (Georgia) Schlange, um vorzeitig ihre Stimme abzugeben (AP Photo/Ron Harris, Datei)

Georgia ist nur einer von 43 Bundesstaaten, in denen Gesetze eingebracht wurden, die das Wahlrecht – das grundlegendste aller demokratischen Rechte – angreifen. In den meisten Parlamenten dieser Bundesstaaten haben die Republikaner die Mehrheit. Seit dem Scheitern von Donald Trumps Versuch, die Wahl 2020 zu kippen und als De-facto-Diktator an der Macht zu bleiben, werden diese Vorhaben mit Hochdruck vorangetrieben. Georgia ist der erste Bundesstaat, in dem nun ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde.

Grundlage für Trumps verfassungswidrigen Plan war die Behauptung, die Wahl sei gefälscht worden, um ihn um den Sieg zu bringen. Diese Lüge wurde praktisch von der gesamten Republikanischen Partei aufgegriffen. Den Höhepunkt der Verschwörung bildete der faschistische Angriff auf das US-Kapitol am 6. Januar mit Unterstützung Trumps und der von ihm ernannten Führer des Pentagons. Dabei misslang es nur um Haaresbreite, Abgeordnete als Geiseln zu nehmen und die Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden durch den Kongress zu verhindern.

Georgia ist ein Bundesstaat, in dem früher Rassentrennung herrschte und Lynchjustiz weit verbreitet war. Vor diesem Hintergrund hat es eine unheilvolle Symbolik, dass die dunkelhäutige Abgeordnete Park Cannon verhaftet wurde, als sie Zutritt zu Gouverneur Kemps Büro verlangte, um gegen die Rücknahme wichtiger Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung zu protestieren.

Georgia war einer der fünf „Swing States“, die bei den Präsidentschaftswahlen 2020 von den Republikanern zu den Demokraten übergingen, was Biden einen deutlichen Vorsprung bei den Wahlmännern sicherte und zu seiner klaren Mehrheit von 8 Millionen Stimmen beitrug.

Wie in den gesamten USA erreichte auch in Georgia die Wahlbeteiligung eine Rekordhöhe. Dies gilt insbesondere für Schwarze und Wähler der Demokraten aus der Arbeiterklasse, die wegen der Pandemie per Briefwahl abstimmten.

Auf Trumps Wahlniederlage im November folgte Anfang Januar der Sieg der demokratischen Herausforderer in der Stichwahl um die zwei Sitze Georgias im Senat in Washington. Auch dieser Ausgang war auf die hohe Wahlbeteiligung unter jungen und schwarzen Wählern zurückzuführen. Auf diese Weise ging die Mehrheit im Senat von den Republikanern auf die Demokraten über, die seither in beiden Kammern des Kongresses und im Weißen Haus das Sagen haben.

Der Election Integrity Act, der jetzt mit den Stimmen der Republikaner in Georgia verabschiedet wurden, steht im Einklang mit Trumps Forderungen an Behörden und Gerichte, die Ergebnisse der Wahl 2020 zu kippen. Trump war Kemp und den Wahlleiter von Georgia wütend angegangen, weil diese seine Behauptungen über Wahlbetrug zurückgewiesen und sich geweigert hatten, Bidens Sieg für ungültig zu erklären.

In dem neuen Gesetz ist vorgesehen, dass die Registrierung für Briefwähler erschwert, die Antragsfrist für Briefwahl verkürzt, die Aufstellung von Wahlurnen begrenzt und mobile Wahllokale verboten werden. Solche mobilen Lösungen waren insbesondere im Großraum Atlanta eingesetzt worden, wo ein Großteil der Bevölkerung dunkelhäutig ist und die Demokraten wählt.

Nach dem Gesetz ist es sogar illegal, in der Schlange wartenden Wählern etwas zu essen und zu trinken anzubieten. Dafür erhält jeder Einwohner des Bundesstaats das Recht, die Registrierung und Berechtigung einzelner Wähler in unbegrenzter Zahl anzufechten. Außerdem dürfen die Parlamentarier künftig die „Election Boards“, die auf lokaler Ebene Wahlhelfer organisieren und insgesamt für die Durchführung der Wahlen zuständig sind, auflösen und sich selbst an ihre Stelle setzen. Mit dieser rechtlichen Handhabe können sie verhindern, dass in Wahlbezirken, in denen vorwiegend arme Menschen, Minderheiten und Arbeiter wohnen, Wahlsiege der Demokraten bestätigt werden. Eben dies war Trumps Ziel, als er widerrechtlich intervenierte, um die Ergebnisse in Städten wie Atlanta und Detroit zu kippen.

Ähnliche Bestimmungen sind in Gesetzentwürfen vorgesehen, die in anderen Bundesstaaten eingebracht wurden – von Arizona über Mississippi, South Carolina, Florida und Texas bis hin zu nördlichen, industriell geprägten Staaten wie Michigan. Einige dieser Entwürfe enthalten Vorschriften, die noch offenkundiger verfassungswidrig sind. Beispielsweise sollen bundesstaatliche Parlamente die Befugnis erhalten, ihre Wahlleute – d. h. die Vertreter des Bundesstaats, die zur Wahl des Präsidenten entsandt werden – unabhängig vom Wahlergebnis zu bestimmen.

Die gesamte Arbeiterklasse muss sich zusammenschließen, um diesen Angriff auf das Wahlrecht abzuwehren. Die erste Voraussetzung für einen solchen Kampf besteht in der Erkenntnis, dass man kein Vertrauen in die Demokraten setzen kann, um das Wahlrecht zu verteidigen. Sie sind lediglich eine weitere Partei der amerikanischen Konzern- und Finanzoligarchie.

Trump und die Republikaner sprechen für die gierigsten Teile der herrschenden Klasse, die am stärksten dem Faschismus zuneigen. Sie holen zum Angriff auf die demokratischen Errungenschaften aus, die von Millionen Arbeitern aller Hautfarben gemeinsam erkämpft wurden. Was sie dazu ermutig hat, ist die klägliche und doppelzüngige Reaktion von Biden und den Demokraten auf den Putschversuch vom 6. Januar.

Anstatt die strafrechtliche Verfolgung von Trump und seinen republikanischen Mitverschwörern zu fordern, flehen die Demokraten ihre „republikanischen Kollegen“ unaufhörlich um Einigkeit und Geschlossenheit an. Gleichzeitig vertuschen sie das massive Ausmaß der Verschwörung und die Rolle der Republikanischen Partei und hochrangiger Staatsbeamter in Militär, Polizei und Geheimdienst. Sie haben bislang nur eine Handvoll öffentlicher Anhörungen abgehalten. Dabei verzichteten sie auf die Vorladung der Pentagon-Beamten, die stundenlang die Entsendung von Truppen der Nationalgarde zum Schutz des Kapitols vor dem faschistischen Mob verzögerten.

Auf seiner ersten Pressekonferenz am 23. März, als das Gesetz in Georgia gerade durchs Parlament gepeitscht wurde, wiederholte Biden den Aufruf zu „Einigkeit“. Er widersetzte sich dem Vorschlag, gegen die undemokratischen Methoden der Republikaner vorzugehen, die durch Dauerreden die Verabschiedung von Bestimmungen zum Schutz des Wahlrechts sabotierten. Verteidiger des Wahlrechts und einige Demokraten hatten gefordert, dieser „Filibustern“ genannten Taktik mithilfe der Mehrheit der Demokraten im Kongress ein Ende zu setzen.

Der aktuelle Angriff auf das Wahlrecht ist die Eskalation eines Angriffs, der seit Jahrzehnten andauert und gegen den die Demokratische Partei keinen ernsthaften Widerstand geleistet hat. Diese Partei zeigte schon im Jahr 2000, dass sie nicht bereit ist, sich ernsthaft für die Verteidigung des Wahlrechts einzusetzen. Damals akzeptierten der Präsidentschaftskandidat der Demokraten Al Gore und die gesamte Partei das Urteil des Obersten Gerichtshofs, das eine erneute Auszählung der Stimmen in Florida stoppte und George W. Bush zum Wahlsieger erklärte, obwohl er weniger Stimmen erhalten hatte als sein Gegner.

Im Jahr 2013 holte der Oberste Gerichtshof zum nächsten großen Angriff auf das Wahlrecht aus. Er entschied mit 5 zu 4 Stimmen, Paragraph 5 des bahnbrechenden Wahlrechtsgesetzes von 1965 zu streichen. Dieses Gesetz war die wichtigste Errungenschaft der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre, und laut Paragraph 5 musste in den ehemals von Rassentrennung geprägten Südstaaten jede Änderung des Wahlverfahrens vorab von der US-Bundesregierung genehmigt werden. Dieser Mechanismus zur Durchsetzung des Wahlrechtsgesetzes wurde mit dem Urteil von 2013 abgeschafft.

Das Wahlrechtsgesetz beendete den systematischen Ausschluss der Schwarzen von den Wahlen, der in erster Linie mithilfe von Bombenanschlägen des Ku Klux Klan und der Ermordung von Bürgerrechtlern, weißen wie schwarzen, durch die „Strafverfolgungsbehörden“ durchgesetzt wurde. Diese Schreckensherrschaft hatte die stillschweigende Unterstützung des FBI unter J. Edgar Hoover, das den Kampf für Bürgerrechte zu einem kommunistischen Komplott erklärt hatte. All dies geschah unter der Ägide der Demokratischen Partei, die ihre politische Macht in den Südstaaten auf die rücksichtslose Durchsetzung der Rassentrennung stützte.

Das Wahlrechtsgesetz wurde der Johnson-Regierung um den Preis des Lebens von Hunderten Toten und Verletzten abgerungen. Zum Beispiel wurden drei junge Aktivisten, zwei Weiße und ein Schwarzer, die sich im Sommer 1964 der Aktion zur Registrierung schwarzer Wähler in Mississippi anschlossen, vom Ku Klux Klan und der örtlichen Polizei ermordet. Der Verabschiedung des Gesetzes waren 1965 die Wahlrechtsmärsche von Selma nach Montgomery vorausgegangen. Eine Reihe von Teilnehmern und Unterstützern wurden von der Polizei und FBI-Informanten umgebracht.

Weder die Obama-Regierung noch die Demokraten im Kongress unternahmen irgendetwas, um die Durchsetzungsbestimmungen des Wahlrechtsgesetzes wiederherzustellen. Damit ermutigten sie die Republikaner, ihren Versuch auszuweiten, in immer mehr Bundesstaaten Wählern aus der Arbeiterklasse Steine in den Weg zu legen.

Man kann nicht auf die Demokratische Partei vertrauen, um das Wahlrecht zu verteidigen. Was die Demokraten antreibt, ist vor allem ihre Angst vor dem Entstehen einer linken, antimilitaristischen und sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse außerhalb des Zweiparteiensystems. Wenn es darum geht, Parteien auf der Linken, vor allem sozialistischen Parteien, von den Wahllisten fern zu halten, verhalten sie sich gegenüber demokratischen Rechten nicht weniger verächtlich als die Republikaner.

Bei der Präsidentschaftswahl 2020 spielten demokratische Gouverneure, Wahlbeamte und Richter die Hauptrolle dabei, den Kandidaten der Socialist Equality Party (SEP) die Teilnahme zu verwehren. Die demokratischen Gouverneure von Michigan und Kalifornien lehnten die Anträge der SEP und ihrer Kandidaten Joseph Kishore und Norissa Santa Cruz ab, die ohnehin undemokratischen Anforderungen zum Sammeln von Unterstützungsunterschriften während der Pandemie auszusetzen. Sie bestanden darauf, dass in Michigan 12.000 und in Kalifornien 200.000 Unterschriften gesammelt werden mussten, obwohl dies die Gesundheit sowohl der SEP-Anhänger als auch der Öffentlichkeit stark gefährdet hätte.

Mit diesem Argument – man könnte ja durchaus gegen die Lockdown-Bestimmungen verstoßen und sein Leben aufs Spiel setzen – verweigerten sie den SEP-Kandidaten die Wahlzulassung, obwohl die Infektionsraten und die Zahl der Todesfälle in die Höhe schnellten.

Der demokratische Justizminister von Kalifornien argumentierte, dass die Zulassung der SEP zu einem „unübersichtlichen und überfüllten Stimmzettel“ und damit zu „Wählerverwirrung“ und „Frustration über den demokratischen Prozess“ führen würde. Das war natürlich Unsinn. Die Demokraten waren und sind entschlossen zu verhindern, dass Wähler aus der Arbeiterklasse die Möglichkeit erhalten, für eine sozialistische Alternative zu den kapitalistischen Politikern zu stimmen.

Wie die WSWS erklärt hat, ist die Pandemie ein auslösendes Ereignis, das die globale Krise des Kapitalismus verschärft und den Drang der herrschenden Klassen zu Krieg und Diktatur verstärkt. Dabei handelt es sich um einen internationalen Prozess. Die kriminelle und inkompetente Reaktion der kapitalistischen Regierungen weltweit auf die Pandemie bringt das gesamte System in den Augen der Arbeiterklasse in Misskredit. Millionen Menschenleben werden geopfert, um die Profite der Reichen und Superreichen zu schützen und ihren Reichtum zu mehren.

Überall reagiert die herrschende Klasse mit der Hinwendung zu Faschismus und Diktatur. Keine der sozialen und demokratischen Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts kann im Rahmen eines Systems verteidigt werden, das eine soziale Ungleichheit von ungeheuerlichen Ausmaßen hervorbringt.

Das Wahlrecht kann nicht verteidigt werden, ohne mit der Demokratischen Partei zu brechen und eine sozialistische Massenbewegung der Arbeiterklasse aufzubauen. Millionen von Arbeitern auf der ganzen Welt werden begreifen, dass es heute ohne Sozialismus keine Demokratie mehr geben kann. Unter der revolutionären Führung der SEP und ihrer Schwesterparteien in der trotzkistischen Weltbewegung werden sie entsprechend handeln.

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