Albanien: Regierung setzt Militär gegen streikende Fluglotsen ein

Am Mittwoch beendete die albanische Regierung einen Streik der Fluglotsen in der Hauptstadt Tirana mit einem massiven Aufgebot von Militär- und Polizeikräften. 28 Streikende wurden vorübergehend verhaftet. Die Fluglotsen protestierten für eine Erhöhung ihrer Gehälter und gegen die Entlassung von Kollegen.

Polizeifahrzeuge fahren am Flughafen von Tirana auf

Insgesamt 65 Fluglotsen legten am Dienstagabend für 24 Stunden die Arbeit nieder. Da der Flughafen Tirana der einzige internationale und für Passagierflüge verfügbare Flughafen des Landes ist, wirkte sich der Streik sofort aus. Mehr als ein Dutzend Flüge mussten gestrichen werden. Teile des Flughafens werden auch militärisch genutzt. Um den Streik zu brechen, heuerte das Infrastrukturministerium Fluglotsen aus der Türkei und Griechenland an.

Die Arbeitsniederlegung richtete sich gegen die brutalen Lohnkürzungen und Entlassungen, die die Betreiberfirma AlbControll im letzten Jahr verfügt hatte. AlbControll war 1992 als staatliches Unternehmen gegründet und 1999 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Seit Beginn der Corona-Pandemie im letzten Jahr hat sie die Gehälter der Fluglotsen um fast 70 Prozent gekürzt und zuletzt fünf Beschäftigte entlassen. Die Streikenden forderten eine Rückkehr zur vereinbarten Bezahlung und die Wiedereinstellung der entlassenen Kollegen.

Die Auseinandersetzung begann, nachdem sich fünf Beschäftigte wegen Stress vorübergehend dienstunfähig gemeldet hatten. Unmittelbar darauf wurden zwei von ihnen entlassen. Daraufhin erklärten sich 30 weitere Kollegen aus Solidarität ebenfalls für dienstunfähig.

Bereits davor hatte das Unternehmen den Beschäftigten immer wieder Sanktionen angedroht, falls sie die Lohnkürzungen nicht hinnehmen. Eine Woche zuvor war eine Verhandlung mit dem Ministerium für Infrastruktur und Energie ohne Ergebnis geblieben, weil die Regierung die Lohnsenkungen rechtfertigte und unterstützte.

Der Einsatz von Militär und Polizei beendete den Ausstand. Drei Fluglotsen wurden vorübergehend verhaftet. Die Staatsanwaltschaft eröffnete Verfahren wegen Amtsmissbrauch. Mindestens 24 wurden stundenlang von der Polizei verhört, wie ihr Anwalt Rezart Kthupi mitteilte. Zwei sind noch immer in Haft, einer in Hausarrest.

Regierung und Oppositionsparteien verurteilten den Streik gleichermaßen. Mehrere Politiker bezeichneten den Ausstand als „Gefährdung der nationalen Sicherheit“. Premierminister Edi Rama nannte ihn „illegal“ und geiferte auf einer Veranstaltung gegen die Streikenden: „Diese zerstörerischen Kräfte, diese völlig blinden Kräfte, diese Kräfte der Vergangenheit, die das Land mit allen Mitteln in Geiselhaft nehmen wollen, haben keine Chance uns aufzuhalten.“

Präsident Ilir Meta äußerte sich ähnlich. Auch Infrastrukturministerin Belinda Balluku erklärte: „Niemand wird unser Land als Geisel nehmen.“ Sie verlangte, die Streikenden mit voller Härte zu bestrafen, da sie die Sicherheit der Bevölkerung gefährdet hätten.

Der Anwalt der Fluglotsen betonte hingegen, die Beschäftigten hätten in Übereinstimmung mit geltenden Gesetzen und Richtlinien gehandelt. Ein Fluglotse erklärte Fax News TV, er fühle sich von Ballukus Äußerungen bedroht. „Ich weiß nicht, wie ich so weiterarbeiten kann.“ Der Verband europäischer Fluglotsen ATCEUC zeigte sich „entsetzt“ über die Ereignisse und forderte die sofortige Freilassung der inhaftierten Kollegen.

Mit dem brutalen Vorgehen gegen die Fluglotsen soll ein Exempel gegenüber jedem statuiert werden, der es wagt, gegen Ausbeutung und Unterdrückung aufzubegehren. Die große Mehrheit der Bevölkerung des Balkanlandes befindet sich in einer verzweifelten Lage.

Bereits vor der Corona-Pandemie betrug der Durchschnittslohn im Land umgerechnet gerade einmal 500 Euro. Seither wurden Tausende entlassen oder ihre Löhne gekürzt. Auch viele der rund eine Millionen Albaner, die wegen der katastrophalen Lage im Ausland arbeiten, verloren ihr Einkommen und konnten kein Geld an ihre Familien überweisen.

Laut den offiziellen Erhebungen zur Arbeitslosigkeit, die nicht sehr aussagekräftig sind, ist die Zahl der Arbeitslosen im letzten Jahr um 36.000 Menschen gestiegen. Hunderte kleine Geschäfte waren zur Aufgabe gezwungen. Staatliche Hilfen gibt es für die einfache Bevölkerung nicht. Der IWF hat kürzlich seine Wachstumsprognose gegenüber dem Oktober um 1,1 Prozentpunkte nach unten korrigieren. 2020 schrumpfte die Wirtschaft um 3,5 Prozent und das BIP sank um 3,3 Prozent.

Die Skrupellosigkeit der politischen Elite zeigt sich in der Pandemie besonders deutlich. Seit November letzten Jahres stieg die Zahl der Infektionen ständig an. In dem Land mit 2,8 Millionen Einwohnern erreichte sie im Februar täglich fast 1200. Die ohnehin maroden Kliniken des Landes waren völlig überfordert. Erst dann verhängte die Regierung einige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung.

Auch Impfungen werden erst seit Kurzen in größerem Umfang bereitgestellt. Dies aber nur mit der Absicht, in der Sommersaison wieder Touristen empfangen zu können. Deshalb sollen Beschäftigte in der Tourismusbranche mit Priorität geimpft werden. Am 11. April wurden noch immer 12 Tote und 529 Neuinfektionen gemeldet.

Sämtliche Parteien sind vollkommen diskreditiert. Der Wahlkampf zu den Parlamentswahlen am 25. April besteht im Wesentlichen aus politischen Schlammschlachten. Obwohl die Parteien verschiedene Wurzeln haben, unterscheidet sich ihr Wahlprogramm kaum. Keine Partei thematisiert die dramatische soziale Lage, stattdessen versprechen alle Steuersenkungen, Wirtschaftsförderung und Kampf gegen Korruption.

Die Sozialistische Partei (PS) von Regierungschef Edi Rama gewann die letzte Wahl mit großem Vorsprung und konnte alleine regieren. Die PD (Demokraten) und die LSI (Sozialistische Bewegung für Integration) wurden abgestraft und sind seither in der Opposition.

Vor allem Ramas PS und die LSI setzten zuletzt verstärkt auf die nationalistische Karte. Rama brachte erneut eine Union mit dem Kosovo ins Spiel, was zu heftigen Konflikten und möglicherweise einem Krieg mit Serbien führen könnte, das die Unabhängigkeit des Kosovo nie anerkannt hat. Befeuert wurde dies durch die Absage der Beitrittsverhandlungen der EU mit Albanien im letzten Jahr, nachdem sich die niederländische Regierung dagegen ausgesprochen hatte.

Die politische Elite des Landes fürchtet Streiks und Proteste der arbeitenden Bevölkerung. Oppositionsführer Lulzim Basha (PD) versprach deshalb vergangene Woche den Bergarbeitern ein neues Gesetz zum Arbeitsschutz, sollte seine Partei die Wahlen gewinnen.

Allein in den letzten drei Jahren kamen in Albanien 19 Bergarbeiter bei der Arbeit ums Leben. Die Anzahl der Verletzten ist nicht bekannt, da Vorfälle, die nicht tödlich enden, erst gar nicht gemeldet werden. Dabei wurde kein einziges Unternehmen zur Verantwortung gezogen. 2019 hatten Bergarbeiter in Bulqiza ihre eigene Gewerkschaft gegründet und waren in den Streik getreten. Sie beschuldigten die Regierung und die etablierten Gewerkschaften, im Interesse der privaten Bergbauunternehmen zu arbeiten.

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