Ukrainischer Präsident Selenskyj trifft Erdogan und droht Russland

In einer Situation wachsender Spannungen zwischen Moskau, Kiew und Washington traf sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende in Istanbul mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Die Drohungen aus Kiew und vor allem der Biden-Regierung in Washington sorgen für eine gefährliche militärische Eskalation. Nachdem Biden den russischen Präsidenten Wladimir Putin letzten Monat als „Mörder“ bezeichnet hatte, billigte der ukrainische Präsident ein strategisches Dokument mit dem Titel „Krim-Plattform“, in dem er ankündigte, die russische Marinebasis in Sewastopol auf der Krim zu erobern. Ankara bestätigte am Freitag, dass die USA zwei Kriegsschiffe durch die türkischen Meerengen ins Schwarze Meer schicken werden.

In den herrschenden Kreisen der Türkei bestehen große Unstimmigkeiten über die Beziehungen zur Nato und zu Russland. Letzte Woche brach innerhalb des Staatsapparats ein erbitterter Konflikt über die mögliche Abschaffung des Montreux-Abkommens aus, in dessen Folge zehn ehemalige türkische Admiräle verhaftet wurden. Das Montreux-Abkommen von 1936 regelt den Schiffsverkehr zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Die Türkei, die Mitglied der Nato ist, hat auch enge Beziehungen zur Ukraine aufgebaut und mehrere Waffengeschäfte abgeschlossen, u.a. über den Verkauf türkischer Drohnen.

Der ukrainische Präsident Wolodymr Selenskyj schüttelt am 8. April 2021 die Hand eines Soldaten in der ostukrainischen Region Donbass. (Pressestelle des ukrainischen Präsidenten via AP)

Diese Konflikte fanden ihren Ausdruck in Erdogans besorgten und etwas unklaren Äußerungen auf dem Treffen. Während die Ukraine und Russland ihre jeweiligen Truppen an der gemeinsamen Grenze zusammenziehen, erklärte er: „Wir hoffen, dass die beunruhigende Eskalation, die wir in letzter Zeit erlebt haben, so schnell wie möglich endet, und dass der Waffenstillstand fortgesetzt und der Konflikt über einen Dialog auf der Grundlage des Minsker Abkommens gelöst werden kann.“

Erdogan stimmte zwar militärischen Beziehungen zur Ukraine zu, betonte aber, diese Kooperation richte sich nicht gegen ein anderes Land.

Gleichzeitig unterstützte Erdogan die Ukraine jedoch hinsichtlich der Krim: „Wir haben unsere prinzipienfeste Haltung bekräftigt, die Annektierung der Krim nicht anzuerkennen.“ In einer gemeinsamen Erklärung unterstützte die Türkei Selenskyjs „Krim-Plattform“ als „neues Format zur Lösung der Frage der illegalen und illegitimen Annektierung der Krim“.

Die Nato-Mächte und die Ukraine heizen den Konflikt an, der im Jahr 2014 mit dem Putsch in Kiew begann. Dieser wurde von Washington und Berlin unterstützt und von rechtsextremen Gruppen wie der Miliz "Rechter Sektor" und der Swoboda-Partei angeführt. Angesichts der Drohungen gegen die russischstämmige Bevölkerung, die von der ukrainischen extremen Rechten ausgingen, spalteten sich die russischsprachigen Gebiete, darunter die Region Donbass und die Krim, von der Ukraine ab. Die Krim, eine Halbinsel im Schwarzen Meer, stimmte im Jahr 2014 für die Wiederangliederung an Russland, und der Donbass wird seither von Separatisten mit russischer Unterstützung kontrolliert.

Kiews Ankündigung, es plane die Rückeroberung der Krim und des Donbass, bedeutet faktisch, dass sich das Land auf einen Krieg mit Russland vorbereitet. In Folge der Ankündigung kam es zu neuen Gefechten zwischen den Separatisten und dem ukrainischen Militär in der Ost-Ukraine.

Kiew und Ankara verpflichteten sich in ihrer gemeinsamen Erklärung außerdem dazu, „die Lebensbedingungen der ukrainischen Bürger zu verbessern, vor allem der Krimtataren, die aufgrund der vorübergehenden Besetzung ihre Heimat, die Krim, verlassen mussten“. Die türkische Regierung kündigte am Samstag außerdem an, sie werde beim Bau von 500 Häusern für Krimtataren in der Ukraine helfen.

Die Krim war ein Vasallenstaat des Osmanischen Reichs, bis sie 1783 unter Katharina der Großen vom Russischen Reich annektiert wurde. Auf der Halbinsel leben etwa 250.000 Krimtataren (11,4 Prozent der Bevölkerung), die sprachlich und kulturell Verbindungen mit den Türken haben.

Wie Erdogan im Jahr 2016 deutlich machte, betrachtet er die Krim als Teil der „Großtürkei“ und erklärte: „Die Türkei darf ihre Verwandten in Westthrakien, auf Zypern, der Krim und in anderen Gebieten nicht vergessen.“ Im gleichen Jahr warnte er, das Schwarze Meer verwandle sich in ein „russisches Gewässer“.

Die ethnischen Spannungen auf der Krim auszunutzen, ist schon seit langem ein elementarer Bestandteil der imperialistischen Strategie in der Region. Das Nazi-Regime hat während seines völkermörderischen Überfalls auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg auf diese Strategie gesetzt, danach der US-Imperialismus während des Kalten Kriegs. Damals unterstützte die Türkei die Versuche des US-Imperialismus, nationalistische antikommunistische Kräfte unter der Minderheit der Krimtataren zu fördern, um die Sowjetunion zu destabilisieren. Diese Bestrebungen wurden durch die Verbrechen des stalinistischen Regimes an den Krimtataren begünstigt.

Selenskyj und die Biden-Regierung appellieren eindeutig an Erdogans reaktionären türkischen Nationalismus, um Ankara dazu zu bringen, ihr aggressives Vorgehen zu unterstützen. Selenskyj twitterte nach dem Gipfeltreffen: „Wir und die Türkei haben gemeinsame Werte, darunter den Schutz von Menschenleben und gegenseitige Unterstützung.“

Die USA, der wichtigste militärische Unterstützer der Ukraine, spielt eine zentrale Rolle in diesem Konflikt. Es deutet zudem vieles darauf hin, dass sie hinter den Kulissen großen Druck auf Kiew ausüben. Bezeichnenderweise hat sich Biden erst am 2. April, mehr als zwei Monate nach seiner Amtseinführung, persönlich bei Selenskyj gemeldet. Er rief ihn erst an, nachdem der ukrainische Präsident gegen die pro-russischen Oppositionskräfte in der Ukraine vorgegangen war, pro-russische Medien zum Schweigen gebracht hatte und Pläne für die Eroberung der Krim angekündigt hatte.

US-Außenminister Antony Blinken drohte am Sonntag in einem Interview mit der NBC-Sendung „Meet the Press“, es werde für Moskau „Konsequenzen“ haben, wenn es weiterhin Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht: „Präsident Biden hat sich klar geäußert. Wenn Russland leichtsinnig oder aggressiv handelt, wird das Kosten und Konsequenzen zur Folge haben.“

Diese Woche findet ein persönliches Treffen zwischen US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu Diskussionen über die Ukraine statt. Gestern hat Austin außerdem die US-Truppen in Deutschland besucht und sich mit Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer getroffen, die Russland vor Kurzem in einem Interview gedroht hatte. Die USA benutzen diese Krise, um die europäischen Mächte zu neuen Wirtschaftssanktionen zu drängen, während die Nato-Mächte einen immer größeren Aufmarsch gegen Russland organisieren.

Evelyn N. Farkas, unter der Obama-Regierung stellvertretende Abteilungsleiterin im Verteidigungsministerin für Russland/Ukraine/Eurasien, schrieb am Sonntag in der Washington Post: „Die Sanktionen kommen, und das ist ein guter Anfang.“ Farkas behauptete, wenn die Ukraine nicht gegen Russland gestärkt würde, wäre dies auch eine Ermutigung für China.

Seit dem Putsch von 2014 hat die Ukraine US-Militärhilfen in Milliardenhöhe erhalten. Zudem versucht die Selenskyj-Regierung durch das Schüren eines selbstmörderischen Konflikts mit Russland, das einen regionalen oder globalen Krieg auslösen könnte, von der brisanten sozialen und politischen Unzufriedenheit abzulenken, die sich im Land aufbaut. Der Bürgerkrieg im Osten, der seit sieben Jahren andauert, ist zutiefst unpopulär. Selenskyjs falsches Versprechen, den Bürgerkrieg zu beenden, und die bösartige anti-russische Politik seines Vorgängers Petro Poroschenko, waren die Hauptgründe für seinen Wahlsieg im Jahr 2019.

Etwa sieben bis neun Millionen junge Ukrainer arbeiten zumindest für einen Teil des Jahres in der EU oder Russland. Viele junge Männer verlassen die Ukraine – um nicht nur der Armut zu entkommen, sondern auch dem Wehrdienst.

Das ukrainische Regime äußert sich zwar kaum zu diesem brisanten Thema, aber scheinbar herrscht in der Bevölkerung kaum Rückhalt für das Militär, die meisten melden sich nur des Geldes wegen. Eine Ausnahme bilden die Angehörigen rechtsextremer paramilitärischer Gruppen wie dem Asow-Bataillon und dem Rechten Sektor.

Im Jahr 2015, kaum ein Jahr nach dem Beginn des Bürgerkriegs im Donbass, gab ein ukrainischer Regierungsvertreter bekannt, dass 16.000 ukrainische Soldaten Fahnenflucht begangen hätten, und viele davon hatten ihre Waffen mitgenommen. Die ukrainische Regierung erließ daraufhin ein Gesetz, das es Kommandanten erlaubt, Deserteure zu erschießen.

Laut offiziellen Statistiken vom Januar 2019 gelten 9.300 Ukrainer als fahnenflüchtig, die tatsächliche Zahl ist vermutlich noch viel höher. In den letzten Jahren hat das ukrainische Militär keine Wehrpflichtigen mehr in Kampfoperationen eingesetzt, sondern schickt nur noch Berufssoldaten an die Bürgerkriegsfront.

In der Ukraine haben sich fast 1,9 Millionen Menschen mit Covid-19 angesteckt, mehr als 37.000 sind gestorben; zudem hat der Bürgerkrieg in Folge des Putsches von 2014 die Industrie des Landes zerstört und die Bevölkerung in die Armut gestoßen. Unter diesen Umständen herrscht in der ukrainischen Arbeiterklasse kein Rückhalt für einen selbstmörderischen Krieg gegen Russland.

Dennoch ist die Gefahr eines solchen Kriegs durchaus akut, und er birgt die Gefahr eines regionalen und sogar globalen Kriegs. Der Lauf der Ereignisse entlarvt die katastrophalen militärischen und politischen Folgen der Auflösung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus 1991, vor dreißig Jahren, durch das stalinistische Regime. Um den Kriegskurs aufzuhalten, muss die Arbeiterklasse eine internationale sozialistische Bewegung gegen Krieg, Imperialismus und das gesamte kapitalistische System aufbauen.

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