Perspektive

Präsident Biden beschuldigt Russland der „Einmischung“, schweigt aber zu Trumps Putschversuch

Am vergangenen Donnerstag erklärte US-Präsident Joe Biden im Hinblick auf die Beziehungen zu Russland den „nationalen Notstand“. Er behauptete, der Kreml habe sich 2020 in die amerikanischen Wahlen eingemischt. Zehn russische Diplomaten wurden bereits des Landes verwiesen und neue Wirtschaftssanktionen angekündigt.

Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Washington (Donnerstag, 15. April 2021) (AP Photo/Andrew Harnik)

„Wenn Russland sich weiterhin in unsere Demokratie einmischt, bin ich bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen“, sagte Biden. Die Wahlen in den USA seien „unantastbar“ und „Ausdruck des Willens des amerikanischen Volkes“. „Wir können nicht zulassen, dass sich eine ausländische Macht ungestraft in unsere demokratischen Prozesse einmischt“, so der Präsident.

Biden reagierte auf einen 15-seitigen Bericht, der am 10. März vom National Intelligence Council veröffentlicht wurde. Darin heißt es, dass Russland sich in die Wahl „eingemischt“ habe, indem es „unbegründete oder irreführende Behauptungen über Präsident Biden verbreitet hat“.

An dieser Stelle soll nicht weiter auf den Inhalt des Berichts eingegangen werden, da dieser – wie alle solchen Geheimdienstberichte – nicht auf Fakten basiert. Ohnehin wird darin zugegeben, dass Russland nicht versucht hat, das Ergebnis auch nur einer einzigen Abstimmung zu manipulieren. Es ist auch nicht nötig erneut zu betonen, dass die Vereinigten Staaten, nun mit Joe Biden an der Spitze, sich ungeniert in den „demokratischen Prozess“ jedes beliebigen Landes rund um den Erdball „einmischen“. Und dabei bleibt es meistens nicht.

Der wesentliche Punkt ist vielmehr, dass es tatsächlich einen Versuch gab, sich nicht nur in den „demokratischen Prozess“ der USA „einzumischen“, sondern ihn ganz abzuschaffen. Dieser Versuch ging jedoch nicht von Wladimir Putin aus, sondern von Ex-Präsident Donald Trump. Schuldig gemacht hat sich also nicht der Kreml, sondern ein Teil der amerikanischen herrschenden Klasse.

Um an der Macht zu bleiben, versuchte Trump, das Ergebnis der Wahl vom November 2020 zu kippen, indem er einen faschistischen Putsch anstiftete. Unterstützung erhielt er von der Republikanischen Partei sowie von Teilen des Militärs und der Polizei. Seit Biden zum Präsidenten gewählt wurde, hat er zu dieser Frage nahezu vollständig geschwiegen. Lediglich in seiner Antrittsrede äußerte er einige Banalitäten dazu.

Just in der Woche, als Biden die „Einmischung“ Russlands anprangerte, wurden zwei Berichte veröffentlicht, die das Ausmaß der Verschwörung rund um Trump aufdeckten. Es wurde deutlich, dass der Sturm auf das Kapitol durch die Untätigkeit der Polizei sowie durch eine militärische Befehlskette begünstigt wurde, die mit Trumps Verbündeten durchsetzt war.

Am Sonntag letzter Woche berichtete Associated Press, dass das US-Militär wiederholt Forderungen des damaligen US-Vizepräsidenten Mike Pence zurückwies, die Randalierer „am Kapitol aufzuhalten“. Es kam außerdem ans Licht, dass Mitglieder des Kongresses den nationalen Sicherheitsapparat beschuldigen, „von dem geplanten Angriff der Demonstranten auf das Kapitol gewusst zu haben“, nachdem der Aufmarsch begonnen hatte.

Am Mittwoch wurden dann Auszüge aus einem Bericht des Generalinspekteurs der Polizei von Washington, D.C. veröffentlicht. Aus ihnen geht hervor, dass das Kongressgebäude am 6. Januar angegriffen werden sollte und die Polizei darüber informiert war. Trotzdem war es ihr ausdrücklich untersagt, während der Erstürmung des Kapitols wirksame Maßnahmen oder polizeiliche Ausrüstung einzusetzen, um die Menge unter Kontrolle zu bringen.

In einer Gerichtsanhörung, die ebenfalls letzte Woche stattfand, berichteten Bundesstaatsanwälte, dass die Randalierer eine „schnelle Eingreiftruppe“ außerhalb des Geländes des Kapitols aufgestellt hatten. Diese war mit einer „beträchtlichen Menge an Waffen“ ausgestattet und wäre angriffsbereit gewesen, hätten die Randalierer ihr Ziel erreicht.

Der erste „Hauptanklagepunkt“ in dem Bericht über die „Einmischung“ Russlands lautet wie folgt: „Wir haben keine Hinweise darauf, dass ein ausländischer Akteur versucht hat, technisch in den Prozess der amerikanischen Wahlen 2020 einzugreifen; dazu zählen die Wählerregistrierung, die Stimmabgabe, die Auswertung der Stimmen sowie die Meldung der Ergebnisse.“

Russland hat also nichts von dem getan, was ihm vorgeworfen wird. Trump hingegen schon. Noch nie zuvor in der Geschichte der USA ist es zu einer derartigen Torpedierung demokratischer Wahlen gekommen. Trump hat nicht nur versucht, die Auszählung und Bestätigung der Stimmzettel im ganzen Land zu stören, sondern hat zudem einen gewaltsamen Aufstand inszeniert, dessen Ziel es war, die Bestätigung des offiziellen Wählergebnisses durch die Legislative zu verhindern.

Unzählige Wahlhelfer erhielten im Vorfeld von Trumps Putschversuch „Todesdrohungen, Gewaltandrohungen, Einschüchterungen“, so Gabriel Sterling, Wahlleiter des Bundesstaats Georgia. Trump und seine politischen Verbündeten versuchten die Gerichte zu zwingen, Zehntausende Stimmzettel wegen angeblichen Betrugs zu verwerfen.

Trotz seiner zentralen Rolle bei dem Putschversuch musste sich Trump bisher nicht vor Gericht verantworten, und auch in einem zweiten Amtsenthebungsverfahren erreichte der Senat keine Verurteilung des ehemaligen Präsidenten. Trump steht, genau wie seine Mitverschwörer innerhalb und außerhalb des Staatsapparats, nicht unter Anklage. Was die Randalierer angeht, berichtet das Magazin Politico, „werden viele von denen, die am 6. Januar in das Kongressgebäude eingedrungen sind, wahrscheinlich nur milde oder keine Gefängnisstrafen erhalten“.

Währenddessen macht es sich Präsident Biden, dessen Wahl die Putschisten zu kippen versuchten, zur Regel, den Namen Trumps nicht zu erwähnen. Als Antwort auf das gescheiterte Amtsenthebungsverfahren gegen Trump mahnte er, dass „wir diesen unzivilisierten Krieg beenden“. Er hat nie gefordert, dass die Verantwortlichen für den Putschversuch vor Gericht gestellt werden oder sonst irgendwelche Konsequenzen zu tragen haben. Stattdessen erklärte Biden: „Wir brauchen eine starke Republikanische Partei.“

Die Demokraten weigern sich, eine ernsthafte Untersuchung des Putschversuchs vom 6. Januar durchzuführen. Denn dabei kämen nicht nur die Machenschaften ihrer politischen Verbündeten in der Republikanischen Partei ans Licht, sondern auch die Verwicklung bedeutender Teile des Staatsapparats.

Die Demokratische Partei ist bekannt für ihre Rolle als Handlanger der Wall Street und des Militärs. Ihre größte Angst während und nach den Wahlen war und ist, sich ernsthaft mit den Geschehnissen selbst und mit den sozialen und politischen Kräften dahinter auseinanderzusetzen. Denn dann käme es zu Enthüllungen, die die gesamte kapitalistische Ordnung bedrohen würden. Unterdessen führt die Regierung Biden die Politik ihres Vorgängers im Wesentlichen fort, insbesondere was die Reaktion auf die Corona-Pandemie betrifft sowie die militärischen Drohungen gegen China.

Seit nunmehr fünf Jahren hält das politische Establishment der USA und ganz besonders die Demokratische Partei an der Behauptung fest, dass die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft sowie sämtliche sozialen Probleme im Land auf das Konto Russlands gingen. In Wirklichkeit war der Putschversuch Trumps das Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse, deren Ursache innerhalb der USA selbst liegt: im schwindelerregenden Wachstum der sozialen Ungleichheit inmitten von Kriegshetze und Angriffen auf demokratische Rechte. Diese Erscheinungen sind nicht der Fantasie des Kremls entsprungen und auch nicht auf dessen angeblich massive Einflussnahme auf die amerikanische Bevölkerung zurückzuführen. Es sind Tatsachen, die die demokratische Regierungsform in den Vereinigten Staaten sprengen.

Das, was von demokratischen Rechten in den USA noch übrig ist, wird nicht von Russland bedroht, sondern von der herrschenden Klasse und dem Wesen des amerikanischen Kapitalismus. Daher muss die Verteidigung demokratischer Rechte von einer sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse in die Hand genommen werden!

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