Infektionen am Arbeitsplatz tragen stark zur Verbreitung von Covid-19 bei

Über drei Millionen Menschen haben sich in Deutschland seit dem Beginn der Pandemie mit Covid-19 infiziert, über 80.000 sind der Krankheit zum Opfer gefallen, und viele leiden an den Langzeitauswirkungen einer Infektion, für die kaum Behandlungsmöglichkeiten erforscht sind.

Betriebe, Schulen und Kitas tragen maßgeblich zur Ausbreitung der Pandemie bei, was anfangs systematisch geleugnet wurde. Bundes- und Landes-Regierungen, Unternehmen und Gewerkschaften taten alles, um die Betriebe offen zu halten, damit der Profit nicht eingeschränkt wurde. Schulen und Kitas blieben offen, damit die Eltern weiter zur Arbeit gehen konnten. Diese „Profite-vor-Leben“-Politik ist verantwortlich für die hohe Zahl von Infizierten und Toten.

Doch nun bröckelt die Lügen-Fassade. Dass sich das Virus auch über Kinder und Jugendliche stark ausbreitet, ist inzwischen durch zahlreiche Studien belegt. Über Infektionen in Industrie und Betrieben liegen dagegen nach wie vor keine umfassenden Zahlen vor, da diese von den Unternehmen und den Gewerkschaften verheimlicht werden, selbst gegenüber den Arbeitern in den betroffenen Betrieben. Nur wenn größere Ausbrüche nicht mehr verschwiegen werden können, berichten regionale Medien.

Eine neue Studie der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Düsseldorf bestätigt nun, dass Arbeitsplätze und Wirtschaft bei der Ausbreitung der Pandemie eine wichtige Rolle spielen. Die Professoren Nico Dragano und Morten Wahrendorf haben den Verlauf der Covid-19 Inzidenzen auf regionaler Ebene mit Zahlen zur Erwerbstätigkeit verglichen.

Sie haben in 401 Kreisen und kreisfreien Städten die wöchentlichen Covid-19-Inzidenzen der Bevölkerung im Erwerbsalter untersucht und mit den Indikatoren zur Erwerbstätigkeit und zur Größe von Wirtschaftszweigen verglichen. Die Untersuchung umfasst den Zeitraum von Anfang Februar 2020 bis Ende März 2021.

Die Studie gelangt zum Ergebnis, dass Produktionsbetriebe bei Infektionen mit Covid-19 eine zentrale Rolle spielen: „Die Auswertung nach Wirtschaftszweigen zeigte einen auffälligen Befund. Kreise mit einem hohen Anteil Erwerbstätiger in der Produktion hatten und haben im Durchschnitt höhere Inzidenzen im Vergleich zu Kreisen mit einem weniger ausgeprägten Produktionssektor.“

In Regionen mit hohen Anteilen an Erwerbstätigen in der Produktion stiegen die Inzidenzen in allen drei Wellen früher, schneller und höher als in Regionen mit geringerem Anteil. Nach der Verhängung eines Lockdowns gingen sie später zurück. „Aktuell sind die Inzidenzen in Regionen mit einem hohen Anteil von Produktionsarbeit wieder deutlich erhöht.“

Auch wenn man andere mögliche Einflussgrößen wie die Anzahl der Pendler, die Größe der Wohnungen und die Dichte der Besiedlung berücksichtige, blieben die ursprünglich erkannten Zusammenhänge sichtbar, heißt es in der Studie.

Das „genaue Ausmaß des Beitrags der Arbeit zum gesamten Infektionsgeschehen“ sei „in der aktuellen Pandemie nach wie vor unbekannt und nicht direkt untersucht worden“, schreiben die Forscher. „Überhaupt ist die Studienlage zur Rolle von Beruf und Erwerb in der Pandemie überraschend dünn, so dass zudem nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, welche Berufe oder Branchen besonders hohe Risiken haben.“

Ausnahmen bilden Studien zu offensichtlichen Hochrisikoberufen So ist klar belegt, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, insbesondere wenn sie direkten Kontakt zu Patienten haben. Auch Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter, Beschäftigte in der Logistik und im Transportwesen (insbesondere im Personenverkehr) sind stark gefährdet. Zudem berichten einige Studien über erhöhte Infektionsrisiken in manuellen Berufen, z.B. in der Lebensmittelindustrie und in Schlachthöfen.

Eine Coronainfektion am Arbeitsplatz gilt als Arbeitsunfall. Leidet der Infizierte an Spätfolgen, kann er unter Umständen eine Rente der Berufsgenossenschaft beziehen, was nicht der Fall ist, wenn er sich privat ansteckt. Bisher wird Covid-19 aber fast nur bei Gesundheitsberufen als Berufskrankheit anerkannt.

Trotzdem haben allein im Januar und Februar 47.000 Arbeiterinnen und Arbeiter, die an Covid-19 erkrankt sind, ihrer Berufsgenossenschaft oder gesetzlichen Unfallversicherung eine Infektion am Arbeitsplatz gemeldet, wie Der Spiegel berichtet. Das sind 50 Prozent mehr als im gesamten Jahr 2020. Damit rücken die Arbeitsplätze immer mehr ins Zentrum der Infektionen.

Besonders hoch ist die Ansteckungsgefahr in Arbeitsbereichen, wo Menschen auf engem Raum zusammenarbeiten, sei es in Schlachthöfen, Fabriken, Logistiklagern, Auslieferdiensten, Supermärkten, Callcentern, Schulen, Kitas, Krankenhäusern, Pflegeheimen und im Öffentlichen Nah- und Fernverkehr.

Das RKI, das Corona-Ausbrüche am Arbeitsplatz erst registriert, wenn mindestens fünf Personen betroffen sind, meldet einen Anteil von 10 bis 15 Prozent an allen gemeldeten Infektionen. Dabei muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da nicht alle Infektionen entdeckt und nicht alle entdeckten Infektionen gemeldet werden.

Laut einer Pressemitteilung der AOK Nordost vom 17. März 2021 waren Busfahrer in Berlin im Jahr 2020 rund 70 Prozent häufiger wegen einer Covid-19-Infektion krankgeschrieben als der Durchschnitt aller Beschäftigten. Sie haben auch ein höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken, als ihre Berufskollegen in Brandenburg.

In Berlin waren in allen Berufsgruppen Erzieherinnen und Erzieher am häufigsten von Arbeitsunfähigkeit wegen einer Covid-19-Infektion betroffen. Von März bis Dezember meldeten sich rund 4,5 Prozent der AOK-versicherten Erzieherinnen und Erzieher wegen dieser Diagnose krank. Dieser Wert liegt fast dreimal so hoch wie der Durchschnitt aller Beschäftigten in Berlin.

Die Düsseldorfer Studie ist ein wichtiger Beitrag, um das Augenmerk bei der Verbreitung von Covid-19-Infektionen auf die Betriebe zu lenken. Sie unterstreicht die Notwendigkeit, alle nicht lebensnotwendigen Betriebe zu schließen, bis die Pandemie unter Kontrolle ist. Trotzdem weigern sich die Regierungen in Bund und Ländern, dies auch nur in Erwägung zu ziehen. Die sogenannte „Bundesnotbremse“, die am Dienstag vom Bundestag verabschiedet wurde, sieht für Betriebe keine Einschränkungen vor.

Loading