Internationaler Roma-Tag: Berliner Senat gefährdet Roma-Denkmal

Zum internationalen Roma-Tag am 8. April in Berlin versammelten sich mehrere hundert Menschen am Roma-Denkmal in der Nähe des Reichstags, das 2012 errichtet wurde. In das Gedenken an die unter den Nazis ermordeten Roma-Angehörigen mischte sich dieses Jahr Wut und Protest.

Anfang des vergangenen Jahres war bekanntgeworden, dass der rot-rot-grüne Berliner Senat mit der Deutschen Bahn AG ein Verkehrsprojekt verhandelt, das den Gedenkort gefährdet. Unter dem Motto „Das Denkmal bleibt“ marschierte die Menge nach der Veranstaltung zum Gebäude des Verkehrssenats, der von den Grünen geleitet wird.

"Das Denkmal bleibt" – Demonstration am 8. April 2021 in Berlin (Foto WSWS)

Der diesjährige Welt-Roma-Tag würdigte den 1. internationalen Roma-Kongress vor 50 Jahren, der zum Startschuss der Roma-Bürgerrechtsbewegung wurde. In zahlreichen Ländern gedachten Veranstaltungen der Ermordung von über 500.000 Roma während der Nazi-Besatzung in Europa und protestierten gegen die erneut wachsende Diskriminierung von Sinti- und Roma-Angehörigen.

„Trotz ihrer Jahrhunderte alten Geschichte und trotz der Erfahrung des Holocaust“ seien Roma in vielen Teilen Europas „noch heute mit Apartheid und Gewalt konfrontiert“, klagte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.* Insbesondere in den Ländern Südost- und Mitteleuropas habe sich in der Corona-Krise „die rassistische Ausgrenzung der Roma in allen Lebensbereichen von der Gesundheitsversorgung über die Bildung bis zu den Wohnverhältnissen noch verstärkt“.

Das trifft auch auf Deutschland zu. Die institutionalisierte Heuchelei des Gedenkens, die derzeit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die ermordeten Juden und, etwas weniger prominent, auch für Sinti und Roma zelebriert – er verlieh am 7. April der Holocaust-Überlebenden und Sinteza Zilli Schmidt (96) einen Verdienstorden – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Diskriminierung und rassistische Angriffe zugenommen haben. Einer der Ermordeten von Hanau war ein Roma.

Zudem werden immer mehr Roma-Familien, die vor dem Balkan-Krieg geflüchtet sind und hier eine neue Existenz aufgebaut haben, von rücksichtslosen Abschiebemaßnahmen in osteuropäische Corona-Hotspots bedroht.

Eine besonders perfide Rolle übernimmt dabei die Berliner rot-rot-grüne Landesregierung. Im März verwies der Flüchtlingsrat Berlin darauf, dass im Unterschied zu allen anderen Bundesländern der Berliner Senat die Abschiebungen in der Corona-Zeit in vollem Umfang fortgeführt hat und im Jahr 2020 für fast 10 Prozent aller Abschiebungen bundesweit verantwortlich war. Ein Großteil davon betreffen Massenabschiebungen von Roma nach Moldawien, wo sie weder Perspektiven noch Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Unter den Abgeschobenen befinden sich „Menschen im Rollstuhl, in laufender Chemotherapie oder in Tuberkulosebehandlung“.

Eine neue Qualität erreichen diese Angriffe durch die Gefährdung des erst 2012 eingeweihten Roma-Denkmals. Der Kampf für das Denkmal und damit die Anerkennung von Roma und Sinti als rassistisch Verfolgte des Nazi-Regimes hatte Jahrzehnte gedauert und war bis zuletzt auf hartnäckigen politischen Widerstand gestoßen.

Seit einiger Zeit ist das Denkmal einem Bauvorhaben des rot-rot-grünen Senats im Weg. Die lange geplante neue S-Bahnlinie, die u.a. den Potsdamer Platz mit dem Hauptbahnhof verbinden wird, soll nach aktuellem Plan der Deutschen Bahn AG das Gelände unterqueren, auf dem sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Reichstag das Roma-Denkmal befindet. Von den ursprünglichen Abrissplänen des Denkmals erfuhr der fassungslose Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma im März 2020 erst aus zweiter Hand.

Seit die Baukommission des Bundestags einen Vorschlag der Deutschen Bahn abgelehnt hat (zu nah am Reichstag) und Variante 15, die weder Reichstag noch Denkmal tangiert, plötzlich nicht mehr diskutiert wird, konzentriert sich der Druck auf das Roma-Denkmal. Ein Aktionsbündnis „Das Denkmal bleibt unangetastet“, dem sich etliche Roma-Initiativen anschlossen, kämpft seitdem erfolglos dafür, das Denkmal zum „Zwangspunkt“ zu erklären, damit es wie der Reichstag nicht beeinträchtigt werden darf.

Auschwitz-Überlebende Zilli Schmidt

Das Denkmal ist für Sinti und Roma eine symbolische Grabanlage für die vielen Ermordeten, die nie ein Grab hatten. Die Auschwitz-Überlebende Zilli Schmidt erklärte, nie hätte sie geglaubt, dass die Deutsche Bahn, deren Vorgängerin Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert hatte, ihnen solche Schande bereiten würde. Der Erbauer des Denkmals, der israelische Künstler Dani Karavan, kündigte an, das Denkmal mit seinem Körper zu schützen, sollte man es anrühren.

Wer die Anlage besucht, den umfängt würdevolle Stille, aus der man scheinbar von irgendwoher den Ton einer Geige vernimmt, die der Musiker Romeo Franz eingespielt hat. Aus dem Spiegel der eingefassten Wasserfläche im Zentrum der Anlage, umrahmt von Bäumen, taucht jeden Tag eine frische Blume auf. Ist diese Atmosphäre des Unberührbaren zerstört, ist alles zerstört. Nicht auszudenken: das Denkmal über Monate oder Jahre inmitten von Baulärm, Baggern und Schutt.

Doch genau das wird vorbereitet. In die Verhandlungen im November 2020 waren auch die Vizepräsidentinnen des Bundestages Petra Pau (Linke) und Claudia Roth (Grüne) involviert. Im Januar 2021 erklärte die Verkehrssenatorin der Grünen, Regine Günther – die Holocaust-Gedenkveranstaltung war gerade vorbei –, die Trasse werde den Raum des Denkmals „berühren“. Man wolle aber den Ort „maximal schützen“.

Das 2012 errichtete Denkmal mit der Wasserschale

Darunter, so das Aktionsbündnis, sei jedoch lediglich zu verstehen, dass der Ort während der Bauarbeiten öffentlich zugänglich bleiben soll. Das Baufeld, heißt es, würde ungefähr sieben Mal 15 Meter betragen und bis 6,70 Meter an die Brunnenschale heranreichen. Auch würden den Baumaßnahmen 70 Bäume zum Reichstag hin zum Opfer fallen.

Das Deutsche Bahn Management und der Senat betonen immer wieder, es sei noch nichts entschieden, man sei in der Anfangsphase der Planung und der Baubeginn solle erst 2026 erfolgen. Doch dreht sich alles hartnäckig um die für das Denkmal ungünstige Trassen-Variante 12h. Die Frage der WSWS nach oben erwähnter Variante 15 blieb vom Verkehrssenat unbeantwortet. Eine Vertreterin der Initiative Sinti-Roma-Pride vermutet Kostengründe.

Hinter den Plänen des rot-rot-grünen Senats und der Bundesregierung steht wirtschaftliches Kalkül. Doch die zur Schau gestellte Geschichtsvergessenheit der Verantwortlichen geht weit darüber hinaus. Sie knüpft direkt an die soziale Verachtung an, die schon immer der ehemals als „Zigeuner“ diskriminierten Bevölkerungsgruppe entgegengebracht wurde. Auch heute sind die Roma meist sozial unterprivilegiert, in Osteuropa gehören sie zu den Ärmsten.

Schon die Einweihungsfeierlichkeit des Denkmals mit Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck 2012 war begleitet von der brutalen Auflösung eines Zeltlagers von rumänischen Roma vor dem Brandenburger Tor, die vor Arbeitslosigkeit und Diskriminierung nach Deutschland geflohen waren. Im Jahr 2016 gingen unmittelbar am Denkmal Polizisten gewaltsam gegen Roma vor, die vor ihrer geplanten Abschiebung hier Zuflucht gesucht hatten, in der falschen Hoffnung, man werde sie aus Respekt vor der Geschichte ihrer Eltern, die in deutschen KZs umkamen, unbehelligt lassen.

Polizei vertreibt protestierende Roma, 2016

Der Dokumentarfilm „The Awakening“ von Kenan Emini hält diese Szenen fest. Sie könnten aus der Endzeit der Weimarer Republik stammen: Polizeibeamte mit Hunden, ungerührt gegenüber dem Weinen verängstigter Frauen und Kinder, während anwesende Vertreter der „Demokratie“ sich zurückhalten, um dann die Roma aufzufordern, das Gelände zu verlassen, weil sie einen „heiligen Ort für die Toten“ störten. Heute planen dieselben Politiker, diesen Ort jahrelang mit Baulärm zu stören.

Seitdem mit der AfD erstmals seit den 20er Jahren eine rechtsradikale Partei im Bundestag sitzt, befürchten Sinti und Roma nun mit Recht, dass sich die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern wiederholen könnte. Mit dem Voranschreiten des Militarismus wird der deutschen Politik auch die historische Erinnerung an den Völkermord lästig. Der AfD-Politiker Björn Höcke konnte 2017 ungestraft das Holocaust-Denkmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnen.

Die Rolle der Linkspartei im Berliner Senat ist besonders zynisch. Um ein paar Phrasen zur Unterstützung der Anliegen der Roma ist sie nie verlegen. Zum diesjährigen Roma-Tag wurde neben anderen Berliner Rathäusern auch der Amtssitz des Pankower Bürgermeisters von der Linkspartei demonstrativ mit der Roma-Fahne beflaggt, und bei der Protestdemonstration am Roma-Denkmal und der anschließenden ROMADAY-Parade durch die Innenstadt beteiligten sich Vorstandsmitglieder der Linken.

Angekommen vor dem Sitz des Verkehrssenats schüttelte ein Mitglied der Linkspartei vor leerem Gebäude (alle hatten längst Feierabend) rhetorisch die Faust gegen die grüne Verkehrssenatorin und den Kapitalismus. Ihrer trauten Zusammenarbeit mit SPD und Grünen im Senat tut dies jedoch keinen Abbruch. Eine Verteidigung des Denkmals ist von dieser Partei, die sich seit ihrer Entstehung den kapitalistischen Interessen angedient hat, nicht zu erwarten.

Der Angriff auf das Sinti- und Roma Denkmal ist eine politische Provokation, die sich gegen alle Arbeiter richtet, unabhängig ihres ethnisch-kulturellen Hintergrunds. Die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen und die Verteidigung dieses und ähnlicher Gedenkorte ist gerade heute für alle wichtig. In der Corona-Pandemie beweisen die Spitzen der Wirtschaft und ihre Lakaien in Bundes- und Landesregierung, dass sie erneut bereit sind, für Profit über Leichen zu gehen.

* * *

* Der international gebräuchliche Begriff „Roma“ umfasst eine Vielzahl von Gruppen, darunter auch die deutschen Sinti, die seit 600 Jahren, und die deutschen Roma, die seit dem 19. Jahrhundert im deutschen Sprachraum ansässig sind. Seit 1997 werden sie als nationale Minderheit anerkannt. Als ihre gemeinsame Vertretung versteht sich der „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“. Unter den Nazis wurden Sinti und Roma die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Nach dem Krieg war es für die Überlebenden in der BRD schwer und demütigend, sie wieder zu erlangen, weil sie überall in den Amtsstuben auf ehemalige Nazis stießen.

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