Sahra Wagenknechts nationalistische Hetzschrift

Teil 2: Wirtschaftsnationalismus

„Die Selbstgerechten“, [1] das jüngste Buch von Sahra Wagenknecht, ist eine völkisch-nationalistische Hetzschrift. Das führende Mitglied der Linkspartei wettert gegen Kosmopolitismus und Weltoffenheit, denunziert Migranten und Flüchtlinge als Lohndrücker, Streikbrecher und kulturfremde Elemente und treibt einen Keil zwischen Arbeitende mit und ohne Hochschulabschluss. Es gibt Absätze in dem Buch, die sich fast wörtlich auch in Texten der AfD und der Nazis wiederfinden, wie wir im ersten Teil dieser Kritik gezeigt haben.

Wirtschaftsnationalismus

Auch in der Wirtschaftspolitik knüpft Wagenknecht an den Nationalismus der extremen Rechten an. Sie tritt für De-Globalisierung, Schutzzölle und andere protektionistische Maßnahmen ein, um deutsche Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen und Wertschöpfungsketten zurück ins Land zu holen. Gleichzeitig will sie an der Exportorientierung der deutschen Wirtschaft festhalten, die mit einer Exportquote von nahezu 50 Prozent eine internationale Spitzenstellung einnimmt.

„Eine De-Globalisierung würde unseren Wohlstand erhöhen und unsere Wirtschaft weniger krisenanfällig machen,“ behauptet sie. Dabei gehe es „nicht um den Abschied vom internationalen Handel“, sondern um „globale Wertschöpfungsketten“, den „Umstand, dass 80 Prozent dieses Welthandels heute innerhalb der Fertigungskette großer multinationaler Konzerne stattfinden“. (310/312)

Sahra Wagenknecht 2017 (Bild: Jakob Huber / CC BY-SA 2.0)

„Nicht Freihandel, sondern Protektionismus“ habe Deutschland und die USA „reich gemacht,“ schreibt Wagenknecht und verlangt: „Wir müssen die Regeln so verändern, dass jedes Land wieder größere Spielräume zur Gestaltung seiner Wirtschaftspolitik bekommt. … Wer sich schutzlos Importen aussetzt, die die eigenen Standards unterlaufen, ist nicht weltoffen, sondern dumm. … Arbeitnehmer und heimische Anbieter vor Billigimporten und feindlichen Übernahmen zu schützen ist so gesehen demokratische Pflicht.“ (314-315)

Ein einfaches Mittel dafür seien Schutzzölle. „Wir müssen industrielle Wertschöpfung zurück nach Europa holen und in Schlüsselbranchen wie der Digitalwirtschaft unsere Abhängigkeit überwinden. … je höher die Wertschöpfung im Land, desto größer ist der vorhandene Wohlstand.“ (315)

Die Behauptung, Zollmauern und andere protektionistische Maßnahmen dienten dem Schutz der sozial Benachteiligten und dem wirtschaftlichen Wohlstand, ist inhaltlich falsch und politisch reaktionär.

Die absolute und aktive Vorherrschaft der Weltwirtschaft über alle nationalen Volkswirtschaften ist eine grundlegende Tatsache des modernen Lebens. Die Globalisierung der Produktion, verbunden mit bahnbrechenden technologischen Fortschritten im IT-, Kommunikations- und Transportbereich, hat zu einer historisch bespiellosen Integration der Weltwirtschaft geführt und die Produktivität der Arbeit deutlich erhöht.

Wissenschaftlicher Fortschritt, moderne Technik und globale Arbeitsteilung haben die Voraussetzungen geschaffen, um alle grundlegenden gesellschaftlichen Probleme lösen und das Leben und die Kultur der gesamten Menschheit enorm zu bereichern. Doch dazu müssen die Produktivkräfte von den Fesseln des Privateigentums und des Nationalstaats befreit werden, auf denen der Kapitalismus beruht.

Die Unterordnung aller Aspekte des wirtschaftlichen Lebens unter private Profitinteressen führt zur paradoxen Situation, in der die Erhöhung des gesellschaftlichen Reichtums zu einem Anwachsen der Armut führt. Eine Handvoll Milliardäre schwelgt in sagenhaftem Luxus, während die überwiegende Mehrheit kaum über die Runden kommt oder in bitterer Armut lebt.

Die Konzentration der Wirtschaft unter der Kontrolle des Finanzkapitals und einer Handvoll Monopole verschärft den globalen Kampf der imperialistischen Mächte um Märkte, Profite und Rohstoffe bis zum offenen, militärischen Konflikt. Wirtschaftsnationalismus und Handelskrieg sind weltweit auf dem Vormarsch. Alle imperialistischen Mächte, einschließlich Deutschlands, rüsten massiv auf. Milliarden werden in die Erneuerung der nuklearen Arsenale gesteckt. Die Kriegsvorbereitungen, insbesondere gegen China, sind weit fortgeschritten.

Nur eine internationale Offensive der Arbeiterklasse, der Sturz des Kapitalismus und die Reorganisation der Weltwirtschaft auf sozialistischer Grundlage können die soziale Ungleichheit überwinden, das Potential der modernen Produktivkräfte für den gesellschaftlichen Fortschritt nutzen und einen dritten Weltkrieg verhindern.

Die objektiven Voraussetzungen für eine solche sozialistische Offensive entwickeln sich schnell. Die Reihen der internationalen Arbeiterklasse sind enorm gewachsen. Allein seit Beginn des Jahrhunderts ist die weltweite Zahl der Erwerbstätigen nach ILO-Angaben von 2,6 auf 3,3 Milliarden gestiegen. Erstmals lebt die überwiegende Mehrheit der Menschheit in Städten. Ganze Weltregionen, die früher vorwiegend agrarisch geprägt waren, sind in den globalen Produktionsprozess integriert.

Wagenknechts Wirtschaftsnationalismus dient dazu, die internationale Arbeiterklasse zu spalten und die deutsche Bourgeoisie im Handelskrieg und den Kriegsvorbereitungen gegen China, die USA und andere Rivalen zu unterstützen. Ihr Bemühen, die globale Wirtschaft in den Käfig des Nationalstaats zu sperren, richtet sich gegen die Arbeiterklasse, deren Existenz untrennbar mit den modernen Produktivkräften verbunden ist.

Auch hier stützt sich Wagenknecht auf rechtsextreme Vorbilder. Bereits Mussolini und Hitler hatten der Weltwirtschaft die Schuld für die tiefe Rezession der 1930er Jahre gegeben und eine nationalistische Wirtschaftspolitik verfolgt. Leo Trotzki schrieb dazu 1933: „Versuche, die Wirtschaft zu retten, indem man sie mit dem Leichengift des Nationalismus impft, führen zu jener Blutvergiftung, die den Namen Faschismus trägt. … Anstatt der modernen Technik den ihr angemessenen Raum zu schaffen, hacken und schneiden die Herrschenden den lebendigen Organismus der Wirtschaft in Stücke.“ [2]

Trotzki warnte, der faschistische Nationalismus bereite „nicht die Besänftigung der Wirtschaft im nationalen Rahmen, sondern vulkanische Ausbrüche und grandiose Zusammenstöße vor, Alles, was wir da während der letzten dreißig Jahre erlebten, wird sich als eine idyllische Ouvertüre erweisen im Vergleich mit der höllischen Musik, die uns erwartet.“

Es dauerte nur sechs Jahre, bis Trotzkis Warnung bestätigt wurde. 1939 überfiel Deutschland Polen und begann einen Krieg, der – wie er vorausgesagt hatte – die „vollständige Verwüstung“ der Wirtschaft und „den Zusammenbruch unserer gesamten Kultur“ bedeutete.

Vom Stalinismus zum rechten Nationalismus

Sahra Wagenknecht begann ihre politische Karriere in den 1990er Jahren als Sprecherin der Kommunistischen Plattform der PDS, der Vorgängerpartei der Linken. Sie bediente sich damals eines marxistischen Vokabulars und pilgerte regelmäßig zur Gedenkstätte Rosa Luxemburgs, deren Aussehen sie imitierte. Als Zwanzigjährige hatte sie sich kurz vor dem Mauerfall der stalinistischen SED angeschlossen, der Staatspartei der DDR, deren Erbe die PDS 1990 antrat.

Die damalige marxistische Phraseologie ist aus Wagenknechts Buch verschwunden. Selbst die Begriffe „Sozialismus“ und „sozialistisch“ vermeidet sie sorgfältig; eine elektronische Suche ergibt keinen einzigen Treffer. Stattdessen wirbt sie explizit für den Kapitalismus – für einen Kapitalismus ohne Globalisierung, für „eine echte Leistungsgesellschaft“, wo „der Wettbewerb funktioniert“ und „privates Eigentum und Gewinnstreben den technologischen Fortschritt voranbringen“ und in der „echtes Leistungseigentum“ den Unternehmern das Leben erleichtert. (291-293)

Oberflächlich betrachtet hat Wagenknecht eine Wende um 180 Grad vollzogen, doch dieser Anschein täuscht. Ihre Entwicklung folgt einer politischen Logik. Die Kommunistische Plattform war ein Zusammenschluss alter Stalinisten. Sie verteidigte nicht das vergesellschaftete Eigentum der DDR und die damit verbundenen sozialen Errungenschaften, sondern die SED-Diktatur und deren Unterdrückung der Arbeiterklasse – einschließlich der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 und des Mauerbaus.

Der Stalinismus hatte sich in den 1920er Jahren in der Sowjetunion entwickelt. Stalins Diktatur verkörperte die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie, die aufgrund der Isolation und wirtschaftlichen Rückständigkeit des ersten Arbeiterstaats ein außerordentliches Gewicht gewonnen und die Sowjetmacht usurpiert hatte. Da sie ihre Privilegien auf das von der Oktoberrevolution geschaffene vergesellschaftete Eigentum stützte, sah sich die Bürokratie gezwungen, an der marxistischen Phraseologie der Revolution festzuhalten – verfälschte sie aber in ihr Gegenteil.

Stalin (Bundesarchiv, Bild 183-R80329 / CC-BY-SA 3.0)

Im Zentrum des stalinistischen Angriffs auf den Marxismus standen ein vehementer Nationalismus und eine erbitterte Feindschaft gegen die sozialistische Weltrevolution. 1924 verkündete die Stalin-Fraktion die Theorie vom „Aufbau des Sozialismus in einem Land“, die in diametralem Gegensatz zum proletarischen Internationalismus stand. Sie wurde zum Ausgangspunkt für einen Feldzug gegen revolutionäre Marxisten, der 1937/38 im Großen Terror gipfelte. Ihm fielen Hunderttausende zum Opfer, die in der Oktoberrevolution, in den ersten Jahren der Sowjetrepublik und in der Kommunistischen Internationale eine führende Rolle gespielt hatten. Leo Trotzki, der Führer der Linken Opposition, wurde 1940 im mexikanischen Exil ermordet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übertrug Stalin die Herrschafts- und Eigentumsformen der Sowjetunion auf Osteuropa und den östlichen Teil Deutschlands, um die Sowjetunion durch eine Kette von Pufferstaaten gegen einen erneuten imperialistischen Angriff zu schützen. Andres als die Sowjetunion waren diese Staaten, einschließlich der DDR, nicht das Ergebnis einer proletarischen Revolution. Die Enteignung von Kapital- und Großgrundbesitz bedeutete zwar einen gesellschaftlichen Fortschritt, doch das SED-Regime unterdrückte jede selbständige politische Regung der Arbeiterklasse.

Obwohl der Stalinismus und der Faschismus auf völlig anderen gesellschaftlichen Grundlagen beruhten – der Stalinismus war ein parasitäres Krebsgeschwür am Arbeiterstaat, der Faschismus verkörperte die Diktatur des Finanzkapitals – gab es zwischen beiden doch Ähnlichkeiten. Beide hatten panische Angst vor einer revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse.

Leo Trotzki schrieb in seinem Buch „Verratene Revolution“: „Die Erstickung der Sowjetdemokratie durch die allmächtige Bürokratie geht ebenso wie die Zerschlagung der bürgerlichen Demokratie durch den Faschismus auf ein und dieselbe Ursache zurück – die Verspätung des Weltproletariats bei der Lösung der ihm von der Geschichte gestellten Aufgabe. Stalinismus und Faschismus stellen trotz der tiefen Verschiedenheit ihrer sozialen Unterlagen symmetrische Erscheinungen dar. In vielen Zügen sind sie einander erschreckend ähnlich. Eine siegreiche revolutionäre Bewegung in Europa würde sofort nicht nur den Faschismus, sondern auch den Sowjetbonapartismus erschüttern.“ [3]

Trotzki sagte in der „Verratenen Revolution“ auch voraus, dass die Bürokratie unweigerlich den Kapitalismus wieder einführen werde, wenn die Arbeiterklasse sie nicht rechtzeitig durch eine politische Revolution stürze. Das bestätigte sich 1989/90, als die stalinistischen Herrscher in Osteuropa, der Sowjetunion und China das Privateigentum einführten, das Staatseigentum raubten und die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse zerschlugen.

Auch die SED/PDS unterstützte die kapitalistische Restauration. Sie hielt 1989 den „Weg zur Einheit für unumgänglich notwendig“ und beschritt ihn „mit Entschlossenheit“, wie ihr letzter Ministerpräsident Hans Modrow in seinen Erinnerungen schrieb. Gregor Gysi, der langjährige Vorsitzende der PDS, bekundete später seinen Stolz, die „Ost-Eliten – einschließlich der mittleren Funktionärsebene – in die deutsche Einheit … geführt zu haben“.

Viele ehemalige Stalinisten verwandelten sich im Verlauf der kapitalistischen Restauration in offene Faschisten. In Russland und vielen osteuropäischen Ländern ist der Übergang zwischen neostalinistischen und faschistischen Organisationen bis heute fließend. Auch in Griechenland hatte Syriza, die Schwesterpartei der Linken, keine Probleme, 2015 ein Regierungsbündnis mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen zu bilden, um das brutale Spardiktat der Troika gegen den erbitterten Widerstand der Arbeiterklasse durchzusetzen.

Wagenknecht ist also nur eine von vielen Stalinisten, die zu Rechten geworden sind.

Korporatismus und „starke Gewerkschaften“

Wagenknechts rechter Nationalismus ist Bestandteil einer scharfen Rechtswende des gesamten gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Milieus. Seit den 2000er Jahren orientiert sie sich stark an Oskar Lafontaine, ihrem heutigen Ehemann, der nach einer vierzigjährigen Karriere in der SPD eine Gruppe abtrünniger Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre mit der PDS zur Linkspartei vereinte.

Für Lafontaine hatte die wichtigste Aufgabe der SPD darin bestanden, den „sozialen Frieden zu bewahren“ – d.h. den Klassenkampf zu unterdrücken und die Stabilität der kapitalistischen Herrschaft zu sichern. 1999 war er als SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister zurückgetreten, weil er der Ansicht war, die Politik von Bundeskanzler Schröder untergrabe die Fähigkeit der SPD, die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten. Die Linkspartei, die Lafontaine in den ersten Jahren gemeinsam mit Gregor Gysi führte, sollte nach seiner Vorstellung die SPD als Stabilitätsanker der kapitalistischen Gesellschaft ablösen.

Wagenknecht begann nun ein Loblied auf Markt und Leistungsgesellschaft zu singen und die ordoliberale Wirtschaftspolitik der Adenauer-Ära zu preisen. 2011 erschien ihr Buch „Freiheit und Kapitalismus“ und 2016 „Reichtum ohne Gier“. Viele Motive, die sich auch in ihrem jüngsten Buch wiederfinden, tauchen hier schon auf. So heißt es in „Reichtum ohne Gier“: „Wir brauchen, was die Neoliberalen sich so gern auf die Fahne schreiben, aber in Wirklichkeit zerstören: Freiheit, Eigeninitiative, Wettbewerb, leistungsgerechte Bezahlung, Schutz des selbst erarbeiteten Eigentums.“

Auch in „Die Selbstgerechten“ führt Wagenknecht die „Bundesrepublik der fünfziger bis späten siebziger Jahre“ als Vorbild an. Sie beschreibt sie als „‚nivellierte Mittelstandgesellschaft‘, in der es keine krassen sozialen Gegensätze mehr gibt und jeder, der sich anstrengt und an Regeln hält, die Chance auf sozialen Aufstieg und ein Leben in solidem Wohlstand erhält“; in der „Werte wie Leistung, Fleiß, Disziplin, Ordnung, Sicherheit, Stabilität und Normalität, von der Arbeiterschaft wie von den traditionellen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten geteilt wurden“; in der die Gesellschaft „als eine gemeinsame Angelegenheit betrachtet wurde, in der sozialer Zusammenhalt, Gemeinsinn und Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere zählen“. (63)

Die Grundlage dieses kapitalistischen Schlaraffenlands bildeten laut Wagenknecht „starke Gewerkschaften“ und ein Staat, der „dem Gewinnstreben Regeln und Beschränkungen“ auferlegte. „Der Kapitalismus funktioniert also am besten in wettbewerbsintensiven Industrien, in denen Gesetze und starke Gewerkschaften für steigende Löhne und hohe Sozial- und Umweltstandards sorgen“, folgert sie. (274)

Das ist eine groteske Verfälschung der geschichtlichen Realität. Die Nachkriegsära war vom Kalten Krieg und einem Klima der gesellschaftlichen Reaktion geprägt. In den Spitzen von Wirtschaft, Politik, Staat und Universitäten wimmelte es von alten Nazis. Die sozialen Errungenschaften jener Zeit waren das Ergebnis erbitterter, auch internationaler Klassenschlachten.

Septemberstreiks 1969 bei Hoesch in Dortmund

So erkämpften die schleswig-holsteinischen Metallarbeiter 1956/57 in einem 16-wöchigen Streik die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In Frankreich traten 1968 zehn Millionen Arbeiter in den Generalstreik und brachten die bürgerliche Herrschaft an den Rand des Zusammenbruchs. 1969 brachten spontane Massenstreiks in der deutschen Stahl-, Metall- und Textilindustrie die miserablen Tarifabschlüsse der Gewerkschaften zu Fall. Anfang der 1970er Jahre erzielten umfangreiche Arbeitskämpfe in der Chemie-, Metall-, Druck- und Stahlindustrie sowie im Öffentlichen Dienst substantielle Lohnerhöhungen, sechs Wochen Jahresurlaub und vieles mehr.

Die Gewerkschaften waren nicht die Initiatoren dieser Kämpfe. Sie arbeiteten im Rahmen der Mitbestimmung eng mit Unternehmern und Regierung zusammen und achteten sorgfältig darauf, dass die Arbeitskämpfe den Kapitalismus nicht gefährdeten. Wenn sie trotzdem erhebliche soziale Verbesserungen erzielten, dann nur, weil die Unternehmen sie aufgrund des Nachkriegsaufschwungs leicht verkraften konnten.

Das änderte sich nach der ersten tiefen Rezession im Laufe der 1970er Jahre. Die Gewerkschaften verwandelten sich in offene Gegner der Arbeiter. Durch die Globalisierung der Möglichkeit beraubt, im nationalen Rahmen Kompromisse auszuhandeln, arbeiteten sie im Namen von „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Standortverteidigung“ die Entlassungs- und Rationalisierungspläne aus und zwangen sie den Arbeitern auf.

Heute sind die Gewerkschaften tief in den Staat und die Wirtschaft integriert. Ihre Funktionäre und Betriebsratsfürsten verdienen das Vielfache eines einfachen Arbeiters, wechseln nahtlos von Gewerkschafts- auf Vorstands- und Regierungsposten und agieren als Co-Manager und Betriebspolizisten. Sie unterstützen fast ausnahmslos die innere und äußere Aufrüstung. Nicht wenige sympathisieren mit der AfD.

Wagenknechts Forderung nach „starken Gewerkschaften“ zielt darauf, diese reaktionären, korporatistischen Apparate zu stärken. Sie lobt die Gewerkschaften in den höchsten Tönen. Während sie die „Linksliberalen“ für alle negativen Folgen der Globalisierung verantwortlich macht, schweigt sie sich über die Rolle der Gewerkschaften und ihrer Funktionäre aus, die den Abbau von Millionen Arbeitsplätzen unterzeichnet, empfindliche Lohnsenkungen vereinbart und als Minister für die Kürzung von Arbeitslosengeld, Renten und anderen Sozialleistungen gesorgt haben.

Mit ihrem Eintreten für korporatistische Gewerkschaften erfindet Wagenknecht nichts Neues. Die Tendenz zur Zusammenarbeit mit Unternehmen und Staatsgewalt kennzeichnet die Gewerkschaften seit langem. Insbesondere in Krisen- und Kriegszeiten verschmelzen sie mit dem Staat. Der Faschismus führte den Korporatismus zu seiner letzten Konsequenz, indem er die Gewerkschaften in Organe des Staates verwandelte.

Fazit

Die politische Entwicklung Wagenknechts und der Linkspartei kann nur vor dem Hintergrund objektiver gesellschaftlicher Veränderungen verstanden werden. Der Klassenkampf und die Spannungen zwischen den Großmächten haben eine Schärfe erreicht, die keine Halbheiten mehr zulässt. Sie zwingen alle politischen Tendenzen, Farbe zu bekennen.

Der Kapitalismus befindet sich in der tiefsten internationalen Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Profite-vor-Leben-Politik, mit der die herrschenden Klassen auf die Corona-Pandemie reagierten, hat Millionen Todesopfer gefordert und massives Elend erzeugt, ohne dass ein Ende der Pandemie in Sicht wäre. Gleichzeitig klettern die Börsenkurse und die Vermögen der Milliardäre von Rekord zu Rekord. Weltweit kündigen sich explosive Klassenkämpfe an, die unweigerlich in eine internationale und sozialistische Richtung neigen werden.

Darauf reagiert die Linkspartei mit einem scharfen Ruck nach rechts. Die Vorstellung, diese Partei könne einen Beitrag zum Sozialismus leisten, die von pseudolinken Strömungen in ihren Reihen und in ihrem Umfeld geschürt wird, war immer ein kolossaler Betrug. Historisch wurzelt Die Linke im Stalinismus, einem erbitterten Gegner des Sozialismus. Sozial stützt sie sich auf Mitglieder der Mittelklasse und der bürokratischen Apparate, die einen Aufstand der Arbeiter als Bedrohung ihrer privilegierten Stellung und ihrer Bankkonten fürchten. Politisch ist sie eine verlässliche Stütze der kapitalistischen Herrschaft.

Die griechische Schwesterpartei der Linken, Syriza, hatte bereits 2015 der ganzen Welt vor Augen geführt, wo sie tatsächlich steht. Als Regierungspartei vor die Alternative gestellt, das Spardiktat der Troika zu akzeptieren oder den Kampf dagegen zu führen, missachtete sie das von ihr selbst organisierte Referendum und erzwang gegen den erbitterten Widerstand der Arbeiter einen bespiellosen sozialen Kahlschlag.

Die herrschende Klasse reagiert auf die globale Krise des Kapitalismus überall mit der Hinwendung zu Militarismus und Diktatur. Schwindelerregende soziale Ungleichheit, immer neue Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne, Millionen vermeidbare Corona-Tote und massive Kriegsvorbereitungen vertragen sich nicht mit Demokratie.

In den USA ist Donald Trump dabei, die Republikanische Partei in eine faschistische Bewegung umzuwandeln, und die Biden-Administration arbeitet eng mit ihr zusammen. In Deutschland jagt ein reaktionäres Polizeigesetz das nächste, in den Sicherheitskräften breiten sich rechtsterroristische Netzwerke aus und mit der AfD sitzt eine rechtsextreme Partei im Bundestag, die von den anderen Parteien hofiert wird. Wagenknechts Buch macht deutlich, dass die Linkspartei Bestandteil dieser rechten Front ist.

Eine sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse kann nur gegen die Linkspartei und die pseudolinken Strömungen in ihren Reihen und in ihrem Umfeld aufgebaut werden. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, dem die Sozialistische Gleichheitspartei angehört, wurde 1953 gegründet, um das Programm der sozialistischen Weltrevolution gegen alle zu verteidigen, die sich an den Stalinismus, an die Sozialdemokratie und an den kleinbürgerlichen Nationalismus anpassten.

Heute gewinnt der politische und theoretische Kampf des IKVIs große Bedeutung. Während sich die Arbeiterklasse weltweit radikalisiert und ihr Kampf internationale Dimensionen annimmt, bewegen sich Die Linke und andere pseudolinke Organisationen rasant nach rechts, wie Wagenknechts Buch unterstreicht. Wer ernsthaft für eine sozialistische Perspektive kämpfen will, muss sich dem IKVI und der SGP anschließen und ihren Kampf unterstützen, die internationale Arbeiterklasse für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu mobilisieren.

Anmerkungen

[1] Sahra Wagenknecht, „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“, Campus Verlag Frankfurt am Main, 2021. Zahlen in Klammer geben die Seitenzahl in der Printausgabe an.

[2] Leo Trotzki, „Nation und Weltwirtschaft“, in: „Schriften über Deutschland“, Band II, S. 639 f., Frankfurt 1971

[3] Leo Trotzki, „Verratene Revolution“, Essen 1997, S. 299

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