Perspektive

Britisch-russische Konfrontation im Schwarzen Meer: Eine düstere Warnung

Am Mittwoch befuhr ein britisches Kriegsschiff die von Russland beanspruchten Gewässer in der Nähe der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer. Ein russisches Grenzpatrouillenboot feuerte mehrere Warnschüsse ab und ein russischer Kampfjet bombardierte den Weg des britischen Zerstörers HMS Defender, erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau. Der Kreml hat inzwischen Bildmaterial von dem Vorfall veröffentlicht. Die britische Regierung bestreitet, dass die russische Seite Schüsse abgefeuert und eine Bombe abgeworfen habe und besteht darauf, dass aus dem Vorfall nicht viel Aufhebens gemacht werden sollte.

Ein F-35-Kampfjet startet vom britischen Flugzeugträger HMS Queen Elizabeth im Mittelmeer am Sonntag, den 20. Juni 2021. (AP Photo/Petros Karadjias)

Allerdings berief der Kreml die britische Botschafterin Deborah Bronnert ins Außenministerium ein und übergab eine Protestnote an den britischen Militärattaché. Russlands stellvertretender Außenminister Sergej Rjabkow warnte, dass, sollte sich ein solcher Vorfall wiederholen, „wir das Ziel […] bombardieren können.“

Die Konfrontation vom Mittwoch im Schwarzen Meer verdeutlicht die enorme Kriegsgefahr und ist eine ernste Warnung. Ähnliche Vorfälle haben in der Vergangenheit bereits zum Ausbruch von Kriegen geführt.

Die Krise im Schwarzen Meer ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen US-geführten imperialistischen Einkreisung Russlands nach der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991. Die imperialistischen Interventionen und die militärische Aufrüstung an Russlands Grenzen sind 2014 dramatisch eskaliert, als die USA und die EU einen rechtsextremen Putsch in Kiew unterstützten, der die pro-russische Regierung von Viktor Janukowitsch stürzte. Der Putsch löste einen anhaltenden Bürgerkrieg im Donbass in der Ostukraine sowie die Annexion der Krim durch Russland aus.

Im Februar hat die ukrainische Regierung Pläne zur „Rückgewinnung der Krim“ und des Donbass angekündigt und damit eine große militärische Krise in der Region provoziert. Im Mai veranstaltete die Nato die Großübung Defender 2021 in der Balkan- und Schwarzmeerregion, an der auch die Nicht-Nato-Mitglieder Ukraine und Georgien beteiligt waren.

Unter diesen Bedingungen hatte das Vorgehen des britischen Schiffes HMS Defender den Charakter einer Provokation. Das Schiff befand sich im Schwarzen Meer im Vorfeld der Marineübung Sea Breeze, die vom 28. Juni bis 10. Juli stattfinden soll. An der von der US-amerikanischen und ukrainischen Marine gemeinsam veranstalteten Übung werden sage und schreibe 32 Länder, 5.000 Soldaten, 32 Schiffe, 40 Flugzeuge und 18 Spezialeinheiten teilnehmen. Der Kreml hat die USA aufgefordert, die Übung abzusagen und vor einer ungewollten militärischen Konfrontation gewarnt.

An Bord der HMS Defender befanden sich am Mittwoch hochrangige ukrainische und britische Regierungsvertreter, darunter der stellvertretende Verteidigungsminister der Ukraine und der britische Minister für Verteidigungsbeschaffung. Sie unterzeichneten an diesem Tag ein bedeutendes bilaterales Marineabkommen, das umfangreiche Militärhilfen Großbritanniens für die ukrainische Marine und die Einrichtung neuer Marinestützpunkte im Schwarzen Meer vorsieht.

Der konservative britische Abgeordnete Tobias Ellwood betonte den Ernst der Krise und sagte im britischen Radio: „Wir sollten erkennen, dass dies ein gefährliches Spiel ist. Russische Su-24-Jets, die über Schiffen kreisen; es gibt ein großes Risiko für einen Unfall, eine Fehlinterpretation, die zu einem tatsächlichen kinetischen Einsatz führt, und es könnte eine Weile dauern, bis jemand das rote Telefon in die Hand nimmt und die Dinge beruhigt.“ Der stellvertretende russische Außenminister Alexander Grushko erklärte: „Diese Situation ist explosiv, auch wenn alle Parteien vorsichtig bleiben. Unbeabsichtigte Zwischenfälle, die zu einem echten Konflikt führen können, sind nicht ausgeschlossen.“

Seit dem Beginn der Corona-Pandemie haben die geopolitischen Spannungen deutlich zugenommen. Mit der Behauptung, es sei „kein Geld“ für die grundlegendsten Bedürfnisse der Arbeiter vorhanden, und der Weigerung, ernsthafte Maßnahmen zu ergreifen, um die Pandemie zu stoppen, haben die kapitalistischen Regierungen die weltweiten Militärausgaben bis 2020 auf atemberaubende zwei Billionen Dollar erhöht.

Vor allem der US-Imperialismus hat auf die Pandemie reagiert, indem er versucht, die wachsenden Klassenspannungen nach außen zu lenken. Die Biden-Regierung hat für dieses Jahr ein Rekord-Militärbudget von 753 Milliarden Dollar vorgeschlagen, darunter 24,7 Milliarden Dollar für die Modernisierung von Atomsprengköpfen. Das Vereinigte Königreich erhöht seinen Bestand an nuklearen Sprengköpfen um 40 Prozent.

Während es Anzeichen dafür gibt, dass die Biden-Regierung versucht, die Spannungen mit Moskau abzubauen, um sich auf die Kriegsvorbereitungen gegen China zu konzentrieren, gibt es über die Außenpolitik innerhalb der herrschenden Klasse der USA scharfe Konflikte. Ebenso kommt es zu wachsenden Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten und innerhalb der Nato. Der Vorschlag eines EU-Gipfels mit Russland, der von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufgebracht wurde, hat große Konflikte innerhalb der EU ausgelöst.

Unabhängig von den Absichten Einzelner, von wechselnden Allianzen und von taktischen Manövern ist die Kriegsgefahr objektiv in der Krise des kapitalistischen Weltsystems begründet. In einem Vortrag, der die Ursprünge des Zweiten Weltkriegs erläuterte, betonte David North, der Chefredakteur der internationalen Redaktion der WSWS und Vorsitzende der Socialist Equality Party (US):

Die herrschenden Klassen müssen noch nicht einmal den Krieg wollen. Aber sie sind nicht unbedingt in der Lage, ihn aufzuhalten. Wie Trotzki am Vorabend des Zweiten Weltkriegs schrieb, rasen die kapitalistischen Regimes geschlossenen Auges in die Katastrophe. Die kranke Logik des Imperialismus und des kapitalistischen Nationalstaatensystems, das Streben nach einem sicheren Zugang zu Märkten, Rohstoffen und billiger Arbeitskraft, das unablässige Streben nach Profit und persönlichen Reichtümern, führt unvermeidlich in Richtung Krieg.

Der Vorfall vom Mittwoch ereignete sich einen Tag nach dem 80. Jahrestag des Überfalls der Nazis auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Der imperialistische Vernichtungskrieg der Nazis forderte das Leben von mindestens 27 Millionen Sowjetbürgern, darunter schätzungsweise zwei Millionen sowjetische Juden und über drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene. Doch abgesehen von ein paar oberflächlichen Bemerkungen deutscher Politiker begegneten die imperialistischen Mächte dem Jahrestag des Beginns des blutigsten Krieges in der Geschichte der Menschheit mit ohrenbetäubendem Schweigen.

Die Politik des Regimes von Russlands Präsident Wladimir Putin, das zwischen der Suche nach Deals mit den Nato-Mächten und militärischen Drohungen schwankt, ist durch und durch reaktionär. Am Jahrestag der Nazi-Invasion veröffentlichte Putin einen Artikel in der Zeit, in dem er zunächst die Nato-Aggression in der Ukraine im Jahr 2014 anprangerte und dann an die europäischen imperialistischen  Mächte um Unterstützung appellierte. Dies folgte kurz nach Putins herzlichem Gipfeltreffen mit Biden, das die Botschafterbeziehungen wieder herstellte, die Moskau abgebrochen hatte, nachdem Biden Putin im März einen 'Mörder' genannt hatte.

Die Entscheidung des Kremls. dann eine Bombe in der Nähe eines britischen Kriegsschiffs abzuwerfen, öffnet den Weg zu einer Katastrophe. Es ist offensichtlich, dass, sollte Moskau bei einem zukünftigen Zwischenfall im Schwarzen Meer tatsächlich 'eine Bombe [...] auf das Ziel werfen', wie Rjabkow drohte, dies schnell zu einer umfassenderen militärischen Konfrontation zwischen den atomar bewaffneten Nato-Mächten und Russland eskalieren könnte.

Die Moskauer Politik, die beschwichtigende Aussagen mit rücksichtslosen Stunts kombiniert, offenbart den Klassencharakter des Putin-Regimes. Es ist der Erbe der stalinistischen Bürokratie, die 1991 den Kapitalismus restaurierte und die Sowjetunion zerstörte, was dem deutschen Imperialismus im Zweiten Weltkrieg nicht gelungen war. Dieses Regime, das gegen die Arbeiterklasse erbitterte Feindschaft hegt, stützt sich im Ausland auf enge Beziehungen zum imperialistischen Finanzkapital und im Innern auf nationalistische Tendenzen. Ein Vorfall wie dieser kommt ihr gerade recht, um nationalistische Stimmung zu schüren und den sozialen Widerstand im Innern von Russland abzulenken.

Die einzige gesellschaftliche Kraft, die in der Lage ist, gegen den imperialistischen Krieg zu kämpfen, ist die internationale Arbeiterklasse. Sie wird durch dieselben objektiven Widersprüche, die den Imperialismus in den Krieg treiben, in revolutionäre Kämpfe getrieben. Überall auf der Welt sind die Arbeiter durch Jahrzehnte der Austerität, des Krieges und die Erfahrung der Pandemie radikalisiert worden und beginnen zurückzuschlagen. Die entscheidende Aufgabe besteht jetzt darin, für die Errichtung einer trotzkistischen politischen Führung für diese Kämpfe in der Arbeiterklasse durch den Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale zu kämpfen.

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