Die Pandemie hat die Lebenserwartung in den USA im Jahr 2020 um 1,5 Jahre verringert

Die US-Seuchenschutzbehörde CDC veröffentlichte diese Woche einen Bericht, laut dem die Lebenserwartung in den USA im Jahr 2020 um 1,5 Jahre gesunken ist. Es handelt sich um den größten Rückgang innerhalb eines Jahres seit 1943, als täglich junge Männer auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs starben. Der steile Rückgang setzt einen seit 2015 anhaltenden Abwärtstrend fort und beschleunigt ihn.

Die Lebenserwartung ist eine Schätzung der durchschnittlichen Zahl von Jahren, die ein Mensch leben wird, der in einem bestimmten Jahr geboren wurde. Die Metrik ist keine präzise Prognose der tatsächlichen Lebensspanne, sondern ein Maßstab für die allgemeine Gesundheit einer Gesellschaft. Der drastische Rückgang im Jahr 2020 verdeutlicht die Beschleunigung des Zerfalls der amerikanischen Gesellschaft unter dem Druck der Corona-Pandemie, die sich aufgrund der Durchseuchungspolitik beider Parteien ungehindert ausbreitet. Mehr als 35 Millionen Infizierte und mehr als 625.000 Todesopfer waren bislang die Folge.

Angehörige der Nationalgarde helfen bei der Aufnahme von Corona-Toten in einem provisorischen Lagerhaus des Medical Examiner-Coroner Office von LA County in Los Angeles, 12. Januar 2021 (LA County Dept. of Medical Examiner-Coroner via AP)

Laut dem Bericht würde ein Kind, das heute in den USA geboren wird und sein ganzes Leben unter den Bedingungen des Jahres 2020 leben würde, mit 77,3 Jahren sterben. Im Jahr 2019 lag die Lebenserwartung noch bei 78,8 Jahren. Bei Männern sank die Lebenserwartung von 2019 bis 2020 um 1,8 Jahre, bei Frauen im gleichen Zeitraum um 1,2 Jahre. Laut dem National Center for Health Statistics war die Lebenserwartung in den USA seit 2003 nie so niedrig.

Dem Bericht zufolge haben die Pandemietoten etwa 74 Prozent des Rückgangs der Lebenserwartung ausgemacht. Forscher haben Disparitäten zwischen ethnischen Gruppen entdeckt: Unter Menschen lateinamerikanischer Herkunft ist das Virus zu 90 Prozent für den Rückgang der Lebenserwartung verantwortlich, unter der weißen Bevölkerung zu 68 Prozent, unter Afroamerikanern zu 59 Prozent. Über Amerikaner asiatischer Herkunft und andere ethnische Gruppen enthielt der Bericht keine Daten.

Daten der CDC zufolge werden schwarze Amerikaner 2,9-mal so häufig mit Covid-19 ins Krankenhaus eingewiesen wie weiße Amerikaner und sterben zweimal so häufig daran. Nicht-weiße Hispanoamerikaner werden 2,8-mal so häufig ins Krankenhaus eingewiesen wie Weiße und sterben 2,3-mal so häufig daran. Laut Daten der US-Bundesregierung ist die Lebenserwartung von Schwarzen seit der Großen Depression Mitte der 1930er Jahre nicht mehr so stark gesunken. Bei Hispanics verzeichneten die Gesundheitsbehörden die Lebenserwartungsdaten noch nicht so lange, doch der Rückgang im Jahr 2020 war auch in dieser Gruppe der größte innerhalb eines Jahres.

Die Verfasser des Berichtes und bürgerliche Medien wie die New York Times und die Washington Post beeilten sich, die Diskrepanz unter ethnischen Gruppen auf „systemischen Rassismus“ zu schieben, der in der amerikanischen Gesellschaft angeblich inhärent sei. In Wirklichkeit sind diese Differenzen Ausdruck der unverhältnismäßig starken Auswirkung der Pandemie auf die Arbeiterklasse und die Armen. Minderheiten sind mit größerer Wahrscheinlichkeit in Jobs beschäftigt, die von der herrschenden Klasse als „systemrelevant“ bezeichnet werden und sind deshalb einem größeren Risiko ausgesetzt, sich mit der tödlichen Krankheit zu infizieren.

Arme Arbeiter benutzen häufiger öffentliche Verkehrsmittel, wo sie mit jeder Fahrt eine Ansteckung riskieren, oder sie leben eingeengt in Mehrgenerationenhaushalten, in denen sich das Virus leichter ausbreiten kann. Experten zufolge sind Hispanics möglicherweise auch deshalb stärker betroffen, weil nicht gemeldete Immigranten keinen Anspruch auf staatliche Pandemiehilfen oder Arbeitslosenhilfe haben. Zudem haben sie mit Hindernissen beim Zugang zu Coronavirus-Tests, medizinischer Behandlung und Impfstoffen zu kämpfen.

Im allgemeinen Rückgang der Lebenserwartung äußern sich die massiven Auswirkungen der Pandemie auf die amerikanische Gesellschaft und ihre allgemeinen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung – darunter eine Rekordzahl von Toten durch Überdosierung von Drogen und andere „Verzweiflungstode“. Im Jahr 2020 starben mehr als 93.000 Amerikaner durch Drogenüberdosis, d.h. mehr als zehnmal so viel wie die 9.000 Drogentoten, die die CDC 1988 auf dem Höhepunkt der Crack-Epidemie verzeichnete.

Experten sagen, dass der Rückgang zu etwa elf Prozent auf Unfälle oder unbeabsichtigte Verletzungen zurückgeht. Todesfälle durch Drogenüberdosis, die während der Pandemie um 30 Prozent anstiegen, machten im Jahr 2020 etwa ein Drittel der unbeabsichtigten Verletzungen aus. Der Bericht weist auch auf einen Anstieg der Tötungsdelikte und Diabetes hin, die zusammen für etwa 5,5 Prozent des Rückgangs der Lebenserwartung verantwortlich sind. Chronische Lebererkrankungen und Zirrhose, die auf eine Zunahme von Alkoholismus hindeuten, sind für 2,5 Prozent des Rückgangs verantwortlich.

Diese „Verzweiflungstode“ sind untrennbar mit den allgemeinen Auswirkungen der Pandemie verbunden. Da die Krankenhäuser mit Corona-Patienten überfüllt sind, wurde bei der Suchttherapie und anderen psychiatrischen Programmen gekürzt, obwohl sie aufgrund der sozialen Isolation und finanziellen Isolation in Folge der Pandemie am dringendsten gebraucht werden. Die Belastungen und Depressionen durch den Verlust von Arbeitsplätzen, Wohnungssicherheit und die Pandemie selbst haben das Problem Drogenmissbrauch verschlimmert. Laut der American Medical Association haben mehr als 40 Bundesstaaten seit Beginn der Pandemie einen Anstieg von Todesfällen in Zusammenhang mit Opioiden verzeichnet.

Forscher haben darauf hingewiesen, dass die sozioökonomischen Auswirkungen der Pandemie noch jahrelang spürbar sein werden, selbst wenn die Zahl der Toten durch Covid-19 im Jahr 2021 zurückgeht. Laut einer Studie der Virginia Commonwealth University vom Juni hat die Pandemie die Kluft in der Lebenserwartung zwischen den USA und sechzehn anderen Ländern mit hohem Einkommen vergrößert, von 3,05 Jahren im Jahr 2018 auf 4,69 Jahre 2020.

Bisher sind in diesem Jahr mehr als 225.000 Amerikaner an Covid-19 gestorben, doch diese Zahl wird sich vermutlich deutlich erhöhen, wenn sich tödliche Varianten weiter in der Bevölkerung ausbreiten. Dieser massive Verlust von Menschenleben ist nicht einfach das Ergebnis der tödlichen Krankheit, sondern die Folge einer bewussten Politik von kapitalistischen Regierungen auf der ganzen Welt.

Seit Beginn der Pandemie haben Regierungen weltweit auf die größte Gefahr für die öffentliche Gesundheit seit einem Jahrhundert reagiert, indem sie Billionen in die Aktienmärkte und Konzerne gepumpt haben, um den globalen Kapitalismus aufrechtzuerhalten. Um dieses Geld aus der Arbeiterklasse herauszupressen, haben die Regierungen die Arbeiter in unsichere Betriebe zurückgeschickt, um die Produktion fortzusetzen. Die herrschenden Klassen dieser Welt haben jedoch nicht nur zugelassen, dass sich das Virus ausbreitet, sondern sein tödliches Wüten im Rahmen der katastrophalen Politik der „Herdenimmunität“ sogar begrüßt.

Die Reaktion auf die Pandemie wurde vollständig von den Vorrechten der reichsten Teile der Gesellschaft angeleitet. Die Milliardäre der Welt konnten ihr Gesamtvermögen im ersten Jahr der Pandemie um mehr als vier Billionen Dollar steigern. Im gleichen Zeitraum sind fast drei Millionen Menschen an dem Virus gestorben. Unter den Opfern befinden sich, unabhängig vom Alter, unverhältnismäßig viele Arbeiter und Arme.

Die Pandemie hat die grauenhafte Realität des Kapitalismus entlarvt, der alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens dem Streben nach Profit unterordnet. Sie zeigt außerdem die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, mit einer globalen Krise fertigzuwerden.

Die Arbeiterklasse muss der kapitalistischen Politik des Elends und Massensterbens ein sozialistisches Programm entgegensetzen, in dessen Mittelpunkt die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung stehen. Der einzige Weg vorwärts führt über die unabhängige politische Intervention der Arbeiterklasse. Sie muss als internationale soziale Kraft mobilisiert werden, um die Pandemie zu bezwingen und Millionen Menschenleben zu retten.

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