Fragen nach der Verantwortung für die Folgen der Flutkatastrophe werden immer lauter

Von Tag zu Tag wird deutlicher, dass die schweren Folgen der Flutkatastrophe vor drei Wochen nicht einfach das Ergebnis einer Naturkatastrophe „unvorstellbaren Ausmaßes” waren, sondern der Verantwortungslosigkeit von Politikern und Behörden in Bund, Ländern und Kommunen. Allein in Rheinland-Pfalz und Nordrheinwestfalen sind bisher 185 Todesopfer bestätigt worden. Die Zerstörungen an Häusern, Wohnungen, Unternehmen, Straßen, Brücken und zentraler Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung sind verheerend.

Aufräumarbeiten im Ahrtal (Foto WSWS)

Auch in Belgien hat die Flutkatastrophe, die vom 14. auf den 15. Juli durch extrem hohe Starkregenmengen vor allem Teile Walloniens unter Wasser setzte, mindestens 41 Menschenleben gefordert.

Die WSWS hat bereits in früheren Artikeln und Statements aufgezeigt, dass die Katastrophe kein unvermeidliches Naturereignis war. Dass die Flut so viele Menschen getötet und solch verheerende Schäden angerichtet hat, ist eine direkte Folge der kriminellen Untätigkeit der Regierungen auf Bundes- und Landesebene.

Als die Menschen von den tödlichen Wassermassen überrascht wurden, waren Regierungen und Behörden längst gewarnt. Doch sie blieben untätig und weigerten sich, Evakuierungen und Schutzmaßnahmen einzuleiten. Sie informierten die Bevölkerung nicht einmal über die heraufziehende Gefahr.

Im Ahrtal in Rheinland-Pfalz, wo die Hochwasserflut besonders viele Menschenleben gefordert hat, sind bis heute 138 Todesopfer zu beklagen, 59 Menschen werden noch vermisst.

Am Montag gab die Staatsanwaltschaft Koblenz bekannt, dass sie „die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung“ aufgenommen habe. Konkret geht es um den Landkreis Ahrweiler: Haben die zuständigen Behörden zu spät vor den drohenden, aber absehbaren Überschwemmungen gewarnt und sind dadurch Menschen zu Schaden und zu Tode gekommen?

Bereits am Wochenende berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass der Kreis Ahrweiler präzise vor der Flut gewarnt worden war. Für die Nacht vom 14. auf den 15. Juli wurde für die Ahr – normalerweise ein kleiner friedlicher Fluss – ein Pegelstand von fast sieben Metern prognostiziert. Die Warnungen kamen vom Landesamt für Umwelt in Rheinland-Pfalz. Trotzdem rief der Kreis bis in den späten Abend nicht den Katastrophenfall aus und leitete keine Evakuierung der bedrohten Wohngebiete ein.

Als er den Krisenfall dann um 23 Uhr ausrief, war es für Evakuierungen schon zu spät. Die hereinstürzende Flut schwemmte zahlreiche Häuser weg, überflutete viele andere und riss zahlreiche Menschen mit in den Tod, darunter zwölf, die in einer Einrichtung für Schwerbehinderte in Sinzig im Erdgeschoss in ihren Zimmern ertranken.

Der Krisenexperte Frank Gottlieb sagte der Rhein-Zeitung: „Viele Opfer hätten verhindert werden können.“ Er macht vor allem den Landrat für den Kreis Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), für das Versagen im Katastrophenschutz und die fehlende rechtzeitige Warnung der Bevölkerung verantwortlich.

Gottlieb lässt auch das gewaltige Ausmaß der Flut nicht als Entschuldigung gelten. „Beim Hochwasser vor 200 Jahren waren die Dimensionen etwa noch gewaltiger.“ Vor 100 Jahren sei es ähnlich gewesen. Zudem habe es frühzeitig Warnungen gegeben. Deshalb gäbe es keinen Grund, an diesem Abend nicht vorbereitet gewesen zu sein.

Der Krisenexperte gibt die Hauptverantwortung dem Landrat. Aber auch das Innen- und Umweltministerium sowie die gesamte Landesregierung von Rheinland-Pfalz und die Bundesregierung können nicht von ihrer Verantwortung für die zahlreichen Todesopfer und die Zerstörungen, die die Flut angerichtet hat, ausgenommen werden.

Die Klima- und Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, Anna Spiegel von den Grünen, erklärte kurz nach der Katastrophe in einem Interview mit dem Handelsblatt arrogant, man könne sich nicht vor jedem Extrem-Wetterereignis schützen.

Gefragt nach der Hochwasservorsorge, behauptet Spiegel, die auch stellvertretende Regierungschefin in Rheinland-Pfalz ist: „Aber man muss auch ganz klar sagen: Bei dem Ereignis, das wir jetzt hatten, hilft auch kein Hochwasservorsorgekonzept mehr.” Im weiteren Verlauf des Interviews spielt sie immer wieder auf die finanziellen Grenzen des Landeshaushalts an und fordert mehr Hilfe vom Bund.

In Wirklichkeit kommen in ihren Aussagen, die voller Verachtung für die Bedürfnisse der Bevölkerung sind, die wirklichen Prioritäten der kapitalistischen Politiker auf allen Ebenen zum Ausdruck. Es sind nicht die Interessen der Arbeiterklasse, der großen Mehrheit der Bevölkerung, nach sicheren Arbeits- und Lebensbedingungen. Wie in der Pandemie gilt für die kapitalistische Politik auch hier: Profit vor Leben.

Während hunderte Milliarden Euros auf die Konten von Banken und Konzernen und in die Vermögen der Superreichen gepumpt und für Aufrüstung und Krieg ausgegeben werden, ist für den Schutz der Bevölkerung vor Katastrophen, vor der Pandemie, den Kampf gegen Armut und soziale Ungleichheit und für die notwendige massive Unterstützung der von der Flutkatastrophe schwer betroffenen Menschen angeblich kein Geld da.

Die Situation in Nordrhein-Westfalen, wo 47 Menschen bei der jüngsten Flutkatastrophe ihr Leben verloren und Tausende mit der Zerstörung ihrer Existenz und großen Schäden an Häusern, Betrieben, Schulen, Krankenhäusern, Straßen und Brücken zu kämpfen haben, gleicht der in Rheinland-Pfalz.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) war bei seinen jüngsten Besuchen im Hochwassergebiet mit der Kritik und der Wut der vom Hochwasser betroffenen Menschen konfrontiert. Unter anderem wurde er als „Versager” beschimpft. Er reiste am Montag nach Swisstal bei Bonn und nach Schleiden. Am Dienstag besuchte er Stollberg bei Aachen. Um die Einheit der herrschenden Klasse zu demonstrieren, ließ er sich dabei von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) begleiten, seinem Konkurrenten im Kampf um das Kanzleramt.

Bislang habe er weder Unterstützung von der Landesregierung noch von der örtlichen Verwaltung gesehen, klagte ein Mann in Swisstal. Geholfen hätten sich die Menschen nur gegenseitig, und freiwillige Helfer, vor allem junge Leute hätten beim Aufräumen geholfen.

Dieselbe Erfahrung – völliges Fehlen von staatlicher Warnung und Vorsorge und, nach Eintritt der Katastrophe, von staatlicher Hilfe und Unterstützung – haben auch die Flutopfer in Ahrweiler gemacht. Das haben mehrere Anwohner und Betroffene der Flutkatastrophe in einer Video-Reportage der World Socialist Web Site bestätigt.

„Die hätten ab 5 Uhr durchfahren können: Dann hätten wir hier keine Toten!” erklärt Alwin. Bettina berichtet, dass absolut nichts getan wurde, um zu warnen und zu evakuieren. Sie führt es auf Sparmaßnahmen und andere Prioritäten der Politiker, zum Beispiel für Aufrüstung zurück. Alle Betroffenen schildern das Unvermögen und den Unwillen der politisch Verantwortlichen, die Menschen zu warnen, zu helfen und Leben zu retten. Evakuierungsaufforderungen kamen so spät, dass sie nicht mehr umzusetzen waren.

Flutkatastrophe: „Die hätten ab 5 Uhr durchfahren können. Dann hätten wir hier keine Toten!“

Das Video, das seit dem 30. Juli online ist, wurde inzwischen von über 185.000 Menschen angesehen. Viele haben die Aussagen der betroffenen Anwohner und freiwilligen Helfer zustimmend kommentiert. Offensichtlich weil sie ihnen aus dem Herzen sprechen und den Nagel auf den Kopf treffen.

So schreibt Games & More: „Laut Aussagen der Verantwortlichen wurden alle gewarnt. Hier sind hunderte Zeugen, die das Gegenteil bezeugen können. Wem glaubt man? Demjenigen, der die Nachbarn hat sterben sehen/hören, oder dem Verantwortlichen, der ein persönliches Interesse hat, die Schuld von sich zu weisen, damit er weiterhin sein Amt behalten kann und seine Bezüge nicht verliert?“

Pheuer one schreibt: „Die Frau am Anfang hat zu 100% Recht. Man hat nichts unternommen, weil die Regierung kein Geld für Evakuierungen etc. ausgeben wollte.“

Bin online schreibt: „Ich schaue mir Euren Bericht das zweite Mal an, er ist einfach authentisch. Solche Beiträge findet man im Mainstream vergeblich, wenn, dann nur kurz zusammengeschnitten. Ich sitze gerade auf der Terrasse unter dem Sonnensegel und es fängt an zu regnen. Langsam wird der Regen stärker und es schaudert mich, wie es den Menschen im Ahrtal in dieser Nacht erging. Liebe Grüße aus Südthüringen und viel Kraft an alle Betroffenen.“

Brauche Benutzername schreibt: „Danke für den Bericht über das vollständige Totalversagen von Politik, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Verwaltung bei der Warnung der Bevölkerung. Für das Versagen im Ahrtal höchstverantwortlich ist Malu Dreyer von der SPD! Früher sind Lautsprecherwagen gefahren und haben vor der Flut gewarnt. Jetzt nichts! Auch vom Hubschrauber aus kann man mit sehr lauten Lautsprechern warnen. Nichts hat es gegeben!“

Die Tatsache, dass die heftigen Unwetter und der Starkregen eine so hohe Opferzahl forderten und verheerende Schäden an Häusern, Straßen, Brücken und weiterer Infrastruktur angerichtet haben, liegt in der Verantwortung der Bundes- und Landesregierungen und ihrer kapitalistischen Politik, die wie in der Pandemie Profite vor Leben stellt.

Auch dass die Flutkatastrophe und ihre Opfer kaum eine Rolle im offiziellen Wahlkampf spielen, zeigt, dass ihnen das Schicksal so vieler Menschen, deren Tod vermeidbar gewesen wäre, gleichgültig ist.

Die Sozialistische Gleichheitspartei fordert Milliarden Euro für die unmittelbare Unterstützung der Flutopfer, damit sie ihre zerstörten Häuser und Betriebe wiederaufbauen und instandsetzen können. Alle betroffenen Arbeiter und Familien sowie kleine Unternehmen müssen voll entschädigt werden.

Weitere Milliarden müssen in die Erneuerung und Sicherung der zerstörten Infrastruktur sowie umfangreiche Schutzmaßnahmen investiert werden. Alle notwendigen Ressourcen müssen mobilisiert werden, um die lebensnotwendige Wasser- und Stromversorgung sofort wiederherzustellen.

Die Umsetzung dieser Forderungen erfordert die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm. Konzerne, Banken und die Superreichen, die sich inmitten der Pandemie weiter bereichert haben, müssen entschädigungslos enteignet und die Milliardenvermögen für die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung und den Klimaschutz eingesetzt werden.

Nur durch eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft kann der Kampf gegen den Klimawandel und für ein sicheres und gerechtes Leben gewonnen werden.

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