Perspektive

Was das Debakel der Demokratischen Partei vom 2. November bedeutet

Die schwere Niederlage der Demokratischen Partei bei den Gouverneurswahlen vom Dienstag ist ein politischer Wendepunkt. Die Wahl eines republikanischen Gouverneurs in Virginia, der erste republikanische Sieg in diesem Bundesstaat seit zwölf Jahren, konnte auch durch den massiven Einsatz von Parteiprominenz der Demokraten nicht abgewendet werden. In Virginia traten Präsident Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris, der ehemalige Präsident Barack Obama und viele weitere nationale Parteigrößen auf.

In New Jersey, wo die Demokraten seit vielen Jahren die dominierende Kraft sind, war der Wahlausgang unerwartet knapp, doch konnte sich der demokratische Gouverneur Phil Murphy offenbar behaupten. Dagegen fielen die Verluste bei den demokratischen Abgeordneten verheerend aus. Besonders bemerkenswert war die Niederlage von Stephen Sweeney. Der demokratische Präsident des Senats unterlag einem Kandidaten, der nur 153 Dollar für seinen Wahlkampf ausgegeben hatte. Sweeney ist internationaler Vizepräsident der Gewerkschaft Ironworkers Union, was vermutlich zu seiner Niederlage in einem stark von Arbeitern geprägten Bezirk im Süden des Bundesstaates beigetragen hat.

Der republikanische Gouverneurskandidat Glenn Youngkin spricht zu jubelnden Kundgebungsteilnehmern in Glen Allen (Virginia), 23. Oktober 2021 (AP Photo/Steve Helber)

Beide Wahlen fanden in Staaten statt, die Joe Biden 2020 überlegen gegen den damaligen Präsidenten Donald Trump gewinnen konnte. In Virginia betrug sein Vorsprung 10 Prozentpunkte und in New Jersey 16. Jetzt verloren die Demokraten 12 Prozentpunkte in Virginia und 15 in New Jersey, wobei der Großteil der Verschiebung in gehobenen Vorstadtgebieten außerhalb von New York City und Washington DC stattfand.

Wirtschaftliche Fragen spielten bei der Niederlage der Demokraten sicherlich eine wichtige Rolle. Am stärksten sank die Wahlbeteiligung im Vergleich zu 2020 in den Arbeitervierteln, die für Biden gestimmt hatten, und in denen es kaum Verbesserungen bei Arbeitsplätzen, Löhnen oder Sozialleistungen gegeben hat. Im Gegenteil, ein starker Anstieg der Inflation, insbesondere bei den Benzinpreisen, den Kosten für Gebrauchtwagen, Lebensmittelpreisen und Mieten – allesamt von entscheidender Bedeutung für Arbeiter mit geringem Einkommen – trug zur Entfremdung von der in Washington regierenden Partei bei.

Bidens Wahlsieg war der Wut der Bevölkerung über Trumps Umgang mit der Covid-19-Pandemie und seinem offensichtlichen Desinteresse an der horrenden Zahl der Infektionen und Todesfälle geschuldet. Doch die Biden-Regierung hat Trumps Politik, den Unternehmensgewinnen Vorrang vor Menschenleben einzuräumen, fortgesetzt. Sie hat die Wiederöffnung von Schulen und Unternehmen durchgesetzt, obwohl neue tödliche Virusvarianten wie Delta aufgetaucht sind. Bis zum Ende dieses Jahres werden, trotz Massenimpfungen, unter der Biden-Regierung mehr Amerikaner an Corona gestorben sein als unter Trump.

Die Wahl vom 2. November war das erste große Kräftemessen zwischen den beiden kapitalistischen Parteien, seit der republikanische Präsident einen faschistischen Putschversuch unternahm, um das Ergebnis der letzten Wahl zu kippen und im Amt zu bleiben. Es ist erschütternd, dass die Demokraten nicht in der Lage waren, an den Volkszorn über diesen Angriff auf die Verfassung und die demokratischen Grundrechte zu appellieren. Der Demokrat Terry McAuliffe hat bei den Wahlen in Virginia ständig Trumps Namen genannt, aber weder ihn noch die Republikanische Partei für die Ereignisse vom 6. Januar verantwortlich gemacht.

Die Demokratische Partei wird auf diese politische Niederlage mit einem heftigen Rechtsruck reagieren. Ihre führenden Sprecher haben bereits erklärt, dass die Niederlagen durch eine zu linke Politik der Partei in Bezug auf Sozialausgaben und Steuern für Wohlhabende verursacht wurden. Ein Kolumnist erklärte, die großen Gewinner am Dienstag seien die Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema, die beiden rechten Demokraten, die Bidens Sozialausgabengesetz „Build Back Better“ blockiert haben.

Im Grunde markieren die Wahlen vom 2. November das Ende der Präsidentschaft Bidens, zumindest was die Innenpolitik angeht. Biden konnte schon zuvor weder sein wichtigstes Projekt, das Sozialausgabengesetz, noch seine versprochenen Reformen in den Bereichen Wahlrecht, Einwanderung und Polizeigewalt durchsetzen. Von nun an werden höchstens noch Gesetze den Kongress passieren, zu denen die Republikanische Partei ihren Segen gibt.

Nachdem Trump versucht hatte, sich durch den Angriff auf das US-Kapitol am 6. Januar an der Macht zu halten, lehnte Biden jegliche ernsthaften Bemühungen ab, den Putschversuch zu untersuchen oder diejenigen zu bestrafen, die versucht hatten, die amerikanische Verfassung zu stürzen. Er erklärte, er wolle eine starke Republikanische Partei erhalten. Das ist ihm gelungen. Die faschistische Rechte, und insbesondere Trump, sind die Nutznießer.

In Ermangelung innenpolitischer Perspektiven wird die Regierung Biden höchstwahrscheinlich versuchen, ihre Position durch eine erneute imperialistische Aggression in Übersee zu verbessern. Die Obama-Biden-Regierung hat nach ihrer Wahlniederlage bei den Kongresswahlen 2010 Kriege in Libyen, Syrien und Jemen begonnen. Noch größere Gefahren drohen der internationalen Arbeiterklasse durch eine amerikanische Regierung, die die Konfrontation mit dem Iran und mit China und Russland anheizt, die beide atomar bewaffnet sind.

Die Wahlergebnisse vom 2. November waren eine Niederlage nicht nur einer Regierung, sondern des gesamten politischen Rahmens der Demokratischen Partei und ihrer sozialen Ausrichtung über viele Jahrzehnte hinweg. Die Demokratische Partei war immer eine kapitalistische Partei, die sich aber früher auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Interessen an die Arbeiterklasse wandte. Diese Zeit ist längst vorbei.

Stattdessen versucht sie, durch das Betonen der Rassen- und Geschlechteridentität in Teilen der oberen Mittelschicht eine politische Wählerschaft zu gewinnen. Die Demokratische Partei ist heute untrennbar mit einer obsessiven Konzentration auf Rassen- und Geschlechterfragen verbunden. Dazu zählen die positive Diskriminierung (affirmative action), Entschädigungszahlungen für die Sklaverei und die Verbreitung reaktionärer Mythen wie der „kritischen Rassentheorie“ und des 1619-Projekts. Letzteres heckte die New York Times vor zwei Jahren aus, um den fortschrittlichen Charakter der amerikanischen Revolution und des Bürgerkriegs zu leugnen.

Biden kombiniert die Identitätspolitik mit aggressivem Eintreten für die Gewerkschaften – mit anderen Worten: für die privilegierten Bürokratien, die selbst einen beträchtlichen Teil der oberen Mittelschicht ausmachen. Biden hat sich wiederholt zum gewerkschaftsfreundlichsten Präsidenten der Geschichte erklärt und die Bemühungen der Gewerkschaften, die Amazon-Arbeiter zu organisieren, unterstützt, um ihren Kämpfen neue Hindernisse in den Weg zu legen.

Wie die SEP und die WSWS wiederholt betont haben, spaltet die Identitätspolitik die Arbeiterklasse und stärkt die politische Reaktion. So kommt es zu dem obszönen Schauspiel, dass ultrarechte Politiker – die politischen Erben der Tories von 1776 und der Sklavenhalter von 1861 – nach vorne treten und sich als Verteidiger von Thomas Jefferson und Abraham Lincoln aufspielen. Die Identitätspolitik der Demokratischen Partei hat es dem Republikaner Glenn Youngkin in Virginia ermöglicht, die Unterstützung des Faschisten Donald Trump mit der Behauptung zu verbinden, er sei dagegen, „alles durch die Brille der Rasse zu betrachten“.

Die Rolle der Demokraten bei der Stärkung der Reaktion ist ein eindeutiges historisches Muster. In den letzten 30 Jahren hat die Demokratische Partei jedes Mal, wenn sie die volle Kontrolle über die Regierung – beide Häuser des Kongresses und das Weiße Haus – erlangt hat, eine Politik betrieben, die die Arbeiterklasse eher entfremdet als ihr nützt, was in der Folge zu einer krachenden Wahlniederlage führte. Auf Clintons Sieg im Jahr 1992 folgte 1994 die Übernahme des Kongresses durch die Republikaner unter Newt Gingrich. Obamas Sieg 2008 führte zur Übernahme des Repräsentantenhauses durch die Republikaner im Jahr 2010, dann des Senats in 2014 und schließlich zum Sieg Trumps 2016. Bidens Sieg im Jahr 2020 wird wahrscheinlich ein ähnliches Debakel zur Folge haben.

Die Demokraten haben große Teile der weißen Arbeiterklasse abgeschrieben, insbesondere in den verarmten und deindustrialisierten Regionen der Appalachen und der amerikanischen Kleinstädte. Dort assoziieren Arbeiter die Gewerkschaften, die Biden unterstützt, mit Fabrikschließungen und verratenen Streiks. Das Ergebnis ist, dass in den ehemaligen Kohlebergbaustädten im Südwesten Virginias, die noch vor 40 Jahren Hochburgen einer militanten Arbeiterklasse waren, republikanische Kandidaten heute bis zu 90 Prozent der Stimmen erhalten.

Die Niederlage der Demokraten am 2. November, mag sie die pseudolinken Apologeten dieser reaktionären, imperialistischen Partei auch schockieren, ist keineswegs eine Niederlage für die Arbeiterklasse. Sie fällt vielmehr mit der zunehmenden Militanz und dem wachsenden Klassenbewusstsein von Millionen von Arbeitern zusammen. Dies äußert sich eindrucksvoll in der massiven Ablehnung von Tarifverträgen, die die United Auto Workers und andere bürokratische Hüllen, die sich immer noch „Gewerkschaft“ nennen, durchsetzen wollen.

Es verdient Beachtung, dass am selben Tag, an dem die Demokratische Partei in Virginia und New Jersey eine deutliche Wahlniederlage erlitt, mehr als 10.000 streikende John Deere-Arbeiter einen von der UAW akzeptierten Ausverkauf ablehnten. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Niederlage der Gewerkschaftsfunktionäre und der Niederlage der politischen Partei, an die diese Gewerkschaftsführer durch tausend Fäden geknüpft sind.

Die Arbeiterklasse muss die Gewerkschaften und die Demokratische Partei als das sehen, was sie sind: nicht als Instrument für künftige Kämpfe, sondern als Hindernisse und Straßensperren, die es aus dem Weg zu räumen gilt. Arbeiter müssen sich aus der politischen Zwangsjacke der Demokratischen Partei befreien, deren objektive Rolle darin besteht, Trump und den Faschisten bei den Wahlen 2022 und 2024, wenn nicht schon früher, den Weg zurück an die Macht zu ebnen.

Die Arbeiterklasse muss eine unabhängige politische Bewegung aufbauen, die alle von der herrschenden Klasse geschürten und ausgenutzten Spaltungen ablehnt: Weiße gegen Schwarze, Männer gegen Frauen, Einheimische gegen Einwanderer, amerikanische Arbeiter gegen ihre Klassenbrüder und -schwestern in Übersee. Stattdessen muss sie alle arbeitenden Menschen in einem gemeinsamen Kampf für ihre gemeinsamen sozialen und Klasseninteressen vereinen. Die Arbeiter in allen Ländern haben die gleichen Bedürfnisse: menschenwürdige Arbeitsplätze, Löhne, die eine Familie ernähren können, Schutz vor der Covid-19-Pandemie und ein Ende der Bedrohung durch Krieg und faschistische Gewalt.

Um für diese Interessen zu kämpfen, brauchen Arbeiter ihre eigene Partei, eine revolutionäre Partei, die die Wahrheit sagt und die kommenden Kämpfe kompromisslos anführen wird. Diese Partei ist die Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten, und es sind unsere Schwesterparteien in der ganzen Welt, die Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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