Polnische Regierung verkündet massives Aufrüstungsprogramm

Letzte Woche stellte der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak zusammen mit dem PiS-Chef und Minister für nationale Sicherheit Jaroslaw Kaczynski den „Plan zur Verteidigung des Vaterlandes“ vor. Dieser sieht die Aufstockung der Sollstärke der polnischen Armee auf 250.000 Berufssoldaten vor. Derzeit zählen die polnischen Streitkräfte etwa 110.000 Soldaten.

Jaroslaw Kaczynski, rechts, der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, und Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak stellten am 26. Oktober Pläne für den Gesetzentwurf zur "Verteidigung des Vaterlandes" vor, mit dem das polnische Militär masiv aufgerüstet werden soll (AP Photo/Czarek Sokolowski)

Hinzu kommen die geplanten 53.000 Freiwilligen der Wojska Obrony Terytorialnej, kurz WOT (Territoriale Verteidigungsstreitkräfte), deren Stärke aktuell rund 30.000 beträgt. Diese paramilitärische Miliz untersteht direkt dem Verteidigungsministerium und dient in Anlehnung an die US-amerikanische Nationalgarde sowohl der Unterstützung der regulären Armee als auch der „inneren Sicherheit“. Die WOT hat dabei auch das Ziel, „die patriotischen und christlichen Grundlagen des polnischen Systems und der Streitkräfte zu stärken“, und gilt als Tummelplatz von Rechtsextremen.

Kaczynski begründete diese „radikale Stärkung der Streitkräfte“ mit einer verschlechterten Sicherheitslage, wie sie durch die „imperialen Ambitionen“ Russlands und die „hybriden Attacken“ durch Belarus entstünden. Mit letzterem ist die aktuelle Situation an der polnisch-belarussischen Grenze gemeint, wo hunderte Flüchtlinge Hunger, Kälte und Tod ausgesetzt sind. Die EU und die polnische Regierung rechtfertigen ihr brutales Grenzregime, indem sie sich zum Opfer verklären. Nach Spanien, Griechenland und Ungarn wird jetzt auch an der polnischen Grenze ein mehr als zwei Meter hoher Grenzzaun errichtet.

In klassischer Manier stellte Kaczynski seine Aufrüstungsorgie als Akt der Verteidigung und Friedenswahrung dar. Er beruft sich dabei auf das lateinische Sprichwort: „Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor.“

Nicht zufällig sickerten Anfang des Jahres Informationen über die polnische Militärübung „Winter 20“ an die Öffentlichkeit. Bei der Übung wurde ein Überraschungsangriff Russlands auf Polen simuliert. Passend zur Aufrüstungsdoktrin wurden die polnischen Streitkräfte vernichtend geschlagen und Warschau bereits nach vier Tagen umzingelt. Dabei wurden Vergleiche zum „Blitzkrieg“ der deutschen Wehrmacht gezogen, wobei das Fazit lautete: „Noch schlimmer als 1939.“

In Wirklichkeit sind die Nato-Mächte die Aggressoren. Das Militärbündnis hat in den letzten Jahren massiv aufgerüstet. Die Aufrüstung ging einher mit einem Truppenaufmarsch an der Nato-Ostflanke, der Grenze zu Russland. Die größten Manöver waren „Trident Juncture“, „Defender 2020“, „Defender 2021“ und „Sea Breeze“.

Polen kommt in der Nato-Strategie sowohl als Schlachtfeld als auch als logistischer Knotenpunkt eine Schlüsselrolle zu. Die PiS-Regierung ist bemüht, diese Rolle weiter auszubauen, und sucht den engen Schulterschluss mit dem US-Imperialismus. Nach der Wahl von US-Präsident Biden sind die Beziehungen jedoch deutlich abgekühlt.

Dennoch betonte Verteidigungsminister Blaszczak Anfang Oktober, anlässlich der Einweihung des Forward Command Post der 1. US-Infanteriedivision im polnischen Posen, dass die Ausweitung der US-Truppenpräsenz eine seiner Amtsprioritäten sei. Sie ist Teil der noch unter Präsident Trump beschlossenen Erhöhung der US-Truppenpräsenz in Polen um 2000 Soldaten. Posen dient den US-Streitkräften als Kommandozentrale für alle amerikanischen Einheiten, die im Rahmen der „Atlantic Resolve“-Rotationseinsätze an der Nato-Ostflanke agieren.

Diese Aufrüstungsinitiative wird auch die innereuropäischen Konflikte weiter verschärfen, sowohl den Konflikt zwischen Deutschland bzw. der EU und Polen, als auch den Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien. Letzteres kündigte ein Bündnis mit der Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechische Republik, Slowakei und Ungarn) und den baltischen Staaten gegen Frankreich an.

Die Verteidigungsreform wurde schon lange angekündigt und von Kaczynski als Krönung seiner Ministerzeit bezeichnet. Auch wenn noch kein Gesetzesentwurf veröffentlicht wurde und somit keine Details bekannt sind, scheint der Umfang der geplanten Maßnahmen enorm. Das Gesetzespaket soll aus 720 Artikeln bestehen und 14 zentrale Gesetze ersetzen, allen voran das seit 1967 geltende Gesetz über die allgemeine Verteidigungspflicht.

Ein Ziel besteht darin, die enorme Steigerung des Verteidigungshaushalts aus unterschiedlichen Quellen sicherzustellen und weitgehend unabhängig vom offiziellen Staatshaushalt zu machen. So wird eigens dafür bei der nationalen Entwicklungsbank BGK ein „Unterstützungsfonds“ eingerichtet. Es sollen Einnahmen aus Staatsanleihen, BGK-Anleihen, dem Staatshaushalt und dem Gewinn der Polnischen Nationalbank in das Aufrüstungsprogramm fließen.

Auch der offizielle Militäretat steigt bereits seit Jahren. Er liegt aktuell bei rund 12 Milliarden Dollar und damit bei etwa 2,2 Prozent des BIP. Das Verteidigungsministerium hat für die nächsten elf Jahre bereits zusätzliche Rüstungsausgaben in Höhe von rund 33 Milliarden Dollar angekündigt. Bereits in den letzten drei Jahren hat es Rüstungsverträge in Höhe von 17,4 Milliarden Dollar unterzeichnet, unter anderem für zwei „Patriot“-Raketenabwehrbatterien, vier „Black Hawk“-Hubschrauber, 32 F-35-Kampfflugzeuge, 250 „Abrams“-Kampfpanzer und drei Fregatten der „Miecznik“-Klasse.

Ein weiteres Ziel besteht darin, mehr Soldaten für die Armee zu gewinnen. Es soll zwar – zumindest vorerst – keine Wiedereinführung der Wehrpflicht geben, aber unter anderem einen einjährigen freiwilligen Militärdienst und mehr finanzielle Anreize. Blaszczak hat angekündigt, den Sold um etwa 130 Euro zu erhöhen. Ein weiterer finanzieller Anreiz ist ein Vollstipendium für alle, die sich nach ihrem Studium zu fünf Jahren Militärdienst verpflichten. Auch sollen die Reservetruppen vergrößert werden, indem z.B. nach Abschluss des freiwilligen Wehrdienstes ein Eid geleistet wird, der ebenfalls vergütet wird.

Zusätzlich soll mit der „Wojska Obrony Cyberprzestrzeni“, den Cyberspace-Kräften, eine eigene Waffengattung etabliert und das nationale Krisenmanagement den ultrarechten WOT untergeordnet werden. Wie immer, wenn die herrschende Klasse von „Verteidigung des Vaterlandes“ spricht, richtet die Aufrüstung sich also auch hier sowohl nach außen wie nach innen.

Die Bürgerplattform PO, die größte Oppositionspartei, kritisiert die Aufrüstungspläne ausnahmslos von rechts. Tomasz Siemoniak, stellvertretender Parteichef und bis 2015 selbst Verteidigungsminister, mokierte sich bei TVN darüber, dass diese zahlenmäßige Aufblähung der Streitkräfte total nutzlos sei. Stattdessen betonte er die Notwendigkeit einer qualitativen Aufrüstung – insbesondere bei der Flug- und Raketenabwehr. Gleichzeitig forderte auch Siemoniak eine Reserve von mehreren Hunderttausend. Das würde noch weit über die bislang bekannten Pläne der PiS hinausgehen.

Allgemein wird bei allen Kommentaren in den polnischen Medien deutlich, dass es lediglich Uneinigkeit darüber gibt, wie aufgerüstet werden soll. Die Differenzen drehen sich darum, ob Ausrüstung gekauft oder verstärkt die eigene Rüstungsindustrie entwickelt werden soll. Es geht auch um grundlegende Fragen der außenpolitischen Orientierung. Während die oppositionelle PO eine bessere Kooperation mit der EU einfordert, begründete Kaczynski die massive Aufstockung damit, dass man im Kriegsfall so lange durchhalten müsse, bis die Nato-Verbündeten eingetroffen seien.

Die Einhelligkeit zwischen PiS und PO in ihrer Forderung nach Aufrüstung unterstreicht den Klassencharakter beider Parteien. Seit Wochen protestieren Ärzte und medizinisches Personal um die „Białe miasteczko“ (Weiße Stadt) für Verbesserungen im maroden Gesundheitssystem und hören vom Gesundheitsministerium immer nur, ihre Forderungen seien nicht finanzierbar. Für die militärische Aufrüstung hingegen gibt es offenbar schier unendliche Ressourcen.

Angesichts einer sich rasch ausbreitenden neuen Corona-Welle in Polen wird die Skrupellosigkeit der polnischen Bourgeoisie besonders deutlich. Aufgrund des Abbaus aller Schutzmaßnahmen sind die Infektionszahlen innerhalb einer Woche um über 50 Prozent gestiegen, die 7-Tage-Inzidenz ist auf über 140 hochgeschnellt. Bereits jetzt hat Polen über 70.000 Pandemie-Opfer zu beklagen und damit eine der höchsten Todesraten in der EU. Ob Pandemie oder Krieg: die jüngsten Entwicklungen zeigen, wie bereitwillig die polnische Bourgeoisie hunderttausende Menschenleben für ihre Klasseninteressen opfert.

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