Schweizer Volksabstimmung: Ein Votum für den Kampf gegen die Corona-Pandemie

Inmitten einer explosiven neuen Corona-Welle hat sich am Sonntag in der Schweiz eine klare Mehrheit von 62 Prozent für die Beibehaltung des Covid-19-Gesetzes ausgesprochen. Die Beteiligung war mit über 65 Prozent ungewöhnlich hoch. Sie ist nicht als Zustimmung zur Corona-Politik der Regierung zu verstehen, sondern als deutliches Votum der Bevölkerung für einen tatsächlich wirksamen Kampf gegen die SARS-CoV-2-Pandemie.

Im Zentrum der Abstimmung stand das Covid-19-Gesetz, die legale Grundlage für das offizielle 3G-Zertifikat, das den Status einer Person als geimpft, genesen und negativ-getestet dokumentiert. Ein Komitee der „Verfassungsfreunde“, das der rechtspopulistischen SVP nahesteht, hatte die Initiative für die Abstimmung ergriffen. Das Zertifikat sei ein „Angriff auf die persönlichen Freiheitsrechte“ und gehöre abgeschafft, so das Komitee, denn es führe in der Schweiz zu einer „Gesundheits-Apartheid“. Für ein „Nein“-Votum wurde lautstark mit Kuhglocken und wehenden Schweizerfahnen demonstriert.

Trotz all der Propaganda fiel das Ergebnis am Sonntag deutlich aus. Nur zwei Kantone, Schwyz und Appenzell-Innerrhoden, lehnten die Corona-Maßnahmen ab, und mehrere größere Städte – Basel, Bern, Zürich, Luzern – stimmten ihnen mit über 70 Prozent zu. Darin zeigt sich der wachsende Wille der Bevölkerung, die Pandemie effektiv zu bekämpfen.

In dem Land mit 8,7 Millionen Einwohnern klettern die Fallzahlen seit Wochen steil nach oben: Fast eine Million oder 11,32 Prozent der Bevölkerung haben sich laut offiziellen Angaben schon infiziert, und 11.471 Corona-Patienten sind verstorben. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner betrug am Abstimmungstag über 500, was bedeutet, dass sich in der letzten Woche fünf von tausend Einwohnern mit Corona infiziert haben. Auch liegt die Impfquote unter dem europäischen Durchschnitt: Gerade mal 65 Prozent sind vollständig geimpft. Soeben zwingen erste Omikron-Verdachtsfälle die Regierung zu schärferen Einreisebestimmungen.

Das deutliche Votum für das Covid-19-Gesetz ist nicht als Blankoschein für die Regierungspolitik zu verstehen: Es zeigt vielmehr, dass die Bevölkerung der rechten Lobby entgegentreten will, die unter der Parole der „nationalen Freiheit“ eine Profite-vor-Leben-Politik betreibt. Auf Druck der Wirtschaft und der Banken hat die Regierung als eine der ersten im letzten Frühjahr die Pandemie-Maßnahmen wieder aufgehoben. Kinos, Theater, Gastronomie und Festbetriebe wurden wieder geöffnet, während gewerbliche Betriebe niemals geschlossen wurden und die Home-Office-Empfehlung nur sehr halbherzig umgesetzt wird.

Im Gegensatz zu anderen Alpen-Ländern waren die Schweizer Skigebiete während der Pandemie durchgehend geöffnet (AP Photo/Jamey Keaten)

Das Pandemiegesetz würde zwar dem Bundesrat erlauben, national gültige Regeln bis hin zum Lockdown aufzustellen. Aber mit Blick auf die Wirtschaftsverbände und auf die SVP, die in der Allparteienregierung sitzt, hat Gesundheitsminister Alain Berset (SP) bisher darauf verzichtet, einschneidende Schritte durchzusetzen.

Besonders die Schulen stehen seit langem uneingeschränkt offen und verzichten bei den jüngeren Jahrgängen gezielt auf Masken, Tests und Abstandsregeln. Der Kinderärzteverband Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) hat diese Durchseuchungsstrategie ausdrücklich abgesegnet.

Darauf haben besorgte Eltern reagiert, indem sie sich in den sozialen Medien in Interessengruppen wie #ProtecttheKids, „Sichere Schule“ oder „Kinder schützen – jetzt!“ zusammenschlossen. Sie haben einen „Offenen Brief an die Pädiatrie Schweiz – Protect the Kids“ mit 15 Fragen publiziert, dessen letzte lautet: „Wie rechtfertigen Sie Ihre aktuelle Empfehlung, praktisch jegliche Versuche zur Eindämmung bei Kindern aufzugeben – zumal eine Impfung für Kinder unter 12 Jahren in wenigen Monaten zur Verfügung stehen wird?“

Die Politik des Pädiatrie-Verbandes stößt auch auf die offene Kritik von Wissenschaftlern, darunter der Genfer Virologin Isabella Eckerle. Sie haben ein Dokument verfasst mit dem Titel: „Eine wissenschaftlich fundierte Public Health-Strategie für SARS-CoV-2 soll die Schweizer Schulen durch den kommenden Winter führen.“

Einer der Unterzeichner ist auch der Berner Epidemiologe Christian Althaus, der seine Position als Regierungsberater im Januar 2021 unter Protest verließ. Damals versuchte die Wirtschaftskommission des Nationalrats allen Ernstes, den Mitgliedern der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes einen Maulkorb umzuhängen und ihnen zu verbieten, sich in der Öffentlichkeit zu äußern.

Die Taskforce forderte damals „flächendeckende starke Maßnahmen analog des Lockdowns im März [2020]“. Während jedoch die Coronaleugner und Querdenker die größte Aufmerksamkeit in den Medien erhalten, werden warnende Stimmen der Wissenschaftler systematisch ausgeblendet.

Inzwischen häufen sich seit Wochen die Ausbrüche an den Schulen, und die Zahl der Hospitalisierungen und Einweisungen in die Intensivstationen steigt ständig an. Auch die Beschäftigten der Senioren- und Pflegeheime kommen immer stärker an ihre Grenzen, und der Unmut steigt.

Das hat sich am Sonntag auch in einer zweiten Abstimmung über den Pflegenotstand deutlich gezeigt. Auch die Volksinitiative „Für eine starke Pflege“ erhielt an diesem Wahltag mehr als 60 Prozent Zustimmung. Sie richtet sich ausdrücklich gegen einen halbherzigen Gegenentwurf von Regierung und Parlament.

Die Pflegeinitiative geht bezeichnenderweise auf eine Unterschriftensammlung zurück, die schon lange vor der Corona-Pandemie stattfand. Schon im November 2017 hatte der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) mehr als 120.000 Unterschriften für ihre Initiative gegen den Pflegenotstand eingereicht. Unter der Pandemie wurde sie nun mit großer Mehrheit angenommen.

Die Pandemie hat alle schwelenden gesellschaftlichen Konflikte verschärft und aufs Äußerste zugespitzt. Allerdings hat die Abstimmung die Konflikte keineswegs gelöst. Sie sind zutiefst mit den Klasseninteressen der Wirtschaft und Banken verknüpft, was sich schon daran zeigt, dass das umstrittene Covid-19-Gesetz gleichzeitig die Regierung bevollmächtigt, der Wirtschaft große Summen als „Corona-Hilfen“ auszuhändigen.

Eine wirklich wissenschaftsbasierte Corona-Politik, die das Leben vor die Profite stellt, wird erst möglich sein, wenn die Arbeiterklasse den Kampf in die eigenen Hände nimmt. Um dies zu erreichen, ist es notwendig, das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) auch in der Schweiz aufzubauen und seine Initiative, die Internationale Arbeiterallianz unabhängiger Aktionskomitees, bekannt zu machen.

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