Perspektive

Angesichts steigender Omikron-Infektionen zwingen Europas Regierungen die Kranken zurück zur Arbeit

Die Flutwelle der Omikron-Infektionen zeigt die dringende Notwendigkeit, die Arbeiterklasse gegen die kriminelle Politik der herrschenden Elite zu mobilisieren. Über die Neujahrsfeiertage wurde in Europa der 100-millionste Covid-19-Fall registriert, gleichzeitig lag in weiten Teilen Europas die Zahl der Neuinfektionen auf Rekordniveau. Dennoch verkürzen die Regierungen in ganz Europa die Quarantänezeit für Menschen, die mit dem Virus infiziert oder ihm ausgesetzt sind, wodurch auch kranke, ansteckende Personen wieder zur Arbeit und in die Schule zurückkehren können.

Menschen mit Gesichtsmasken zum Schutz vor Covid-19 am Eiffelturm in Paris (AP Photo/Michel Euler)

Etwa ein Drittel der weltweit bestätigten Covid-19-Fälle ist in Europa aufgetreten, wo sich die Zahl der Infektionen in den letzten zwei Wochen auf etwa zwei Millionen vervierfacht hat. Die meisten davon sind auf die hochansteckende Omikron-Variante zurückzuführen. Am 1. Januar wurden in Frankreich 219.126 und in Italien 141.353 Neuinfektionen registriert, beides Rekordwerte, und in Großbritannien wurde mit 161.692 Neuinfektionen fast ein neuer Rekord erreicht.

Zu den Ländern, die Ende 2021 einen Infektionsrekord verzeichneten, gehörten Spanien mit 161.688, Griechenland mit 40.560, Portugal mit 30.829, Irland mit 23.281 und Dänemark mit 22.023 Erkrankten. In Frankreich erreichte die Zahl der Neuinfektionen am 4. Janur einen weiteren Rekordwert. Innerhalb von 24 Stunden wurden von der nationalen Gesundheitsbehörde 271.686 Ansteckungen registriert.

Dänemark, ein frühes europäisches Epizentrum von Omikron, hat mit einer Siebentage-Inzidenz von 2.514,9 Infektionen pro 100.000 Einwohner den weltweit höchsten Prozentsatz der an Covid-19 erkrankten Bevölkerung. Der Siebentage-Inzidenzwert beläuft sich auf 1.976 in Großbritannien, 1.851 in Frankreich, 1.418 in Portugal, 1.414 in Griechenland, 1.234 in Spanien und 1.128 in Italien.

In den Infektionsstatistiken wird die Verbreitung des Virus jedoch massiv unterschätzt, da die Tests unzureichend sind. Nach Maßstab der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Pandemie außer Kontrolle geraten, wenn mehr als fünf Prozent der Tests positiv ausfallen – denn hieran zeigt sich, dass im Vergleich zum Ausmaß des Ausbruchs zu gering getestet wird. Beim Delta-Ausbruch in Indien im vergangenen Jahr erreichte diese Positivtestrate einen Spitzenwert von 22,3 Prozent. Dieser Wert liegt jetzt in Irland bei 49,7 Prozent, in Großbritannien bei einem Siebentage-Durchschnitt von 24,5 Prozent, in Frankreich bei 15,8 Prozent und in verschiedenen spanischen Regionen bei 24,7 bis 50,1 Prozent.

Der Statistiker David Spiegelhalter erklärte gegenüber der BBC, dass angesichts dieser Daten die Zahl der täglichen Neuinfektionen allein in Großbritannien auf etwa 500.000 zu schätzen sei, und nannte dies eine „noch nie dagewesene Infektionswelle und sehr beängstigend“.

Auch in Mittel- und Osteuropa, wo sich die Omikron-Welle vermutlich erst im Anfangsstadium befindet, werden die Covid-19-Fälle nur spärlich gemeldet. Die Positivtestraten lagen Ende Dezember in Deutschland bei 18,6 Prozent, in Polen bei 15,74 Prozent und in der Ukraine bei 19,83 Prozent, wo der Siebentage-Durchschnitt gestern bei 28.451, 11.085 bzw. 4.202 Neuinfektionen lag.

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach gab letzte Woche eine ähnliche Schätzung ab wie Spiegelhalter in Großbritannien und sagte, dass die Infektionsstatistiken die tatsächlichen Fälle um den Faktor zwei bis drei unterschätzten.

Dies würde bedeuten, dass die tatsächliche Zahl der täglichen Neuinfektionen in Europa weit in die Millionen geht. Die europäischen Regierungen gießen jedoch Öl ins Feuer, indem sie dem Beispiel Großbritanniens und Spaniens folgen und die Covid-19-Quarantänezeiten verkürzen, so dass infizierte Personen wieder in Schulen und an den Arbeitsplatz gehen.

Am Sonntag gab die französische Regierung bekannt, dass Covid-19-Patienten höchstens sieben Tage lang isoliert werden, und sie nach fünf Tagen zur Arbeit zurückkehren können, wenn ihre Viruslast so gering ist, dass sie in einem Antigentest nicht nachzuweisen ist. Wenn sie nicht geimpft sind, wird die Quarantänezeit auf zehn Tage ausgedehnt. Personen, die mit einer infizierten Person in Kontakt kommen, isolieren sich nicht mehr selbst, es sei denn, sie sind nicht geimpft; in diesem Fall isolieren sie sich noch sieben Tage lang. Kinder unter zwölf Jahren, die exponiert sind, können die Schule wieder besuchen, sobald sie bei einem Antigentest negativ getestet wurden.

Ein Beispiel für die Art von Superspreading-Ereignissen, die solche Leitlinien hervorrufen werden, wurde Ende Dezember öffentlich: Der britische DJ Dimension war für eine Club-Tournee nach Neuseeland gereist und wurde noch am Ende seiner zehntägigen Quarantäne positiv getestet.

Da die Inkubationszeit für Covid-19 durchaus 14 Tage oder mehr beträgt und Antigentests bekanntermaßen ungenau sind, werden die französischen Leitlinien dazu führen, dass massenhaft infizierte Personen zur Arbeit oder in die Schule zurückkehren.

Der französische Gesundheitsminister Olivier Véran, der diese Regeln am Sonntag gegenüber dem Journal du Dimanche ankündigte, erklärte unverblümt: „Wir müssen alle Formen von [wirtschaftlicher] Lähmung vermeiden.“ Das heißt, der Zweck dieser Leitlinien besteht darin, staatlicherseits trotz massenhafter Erkrankung ausreichend Arbeiter zur Arbeit zu zwingen, um eine Unterbrechung des Gewinnflusses an die Banken zu verhindern.

Am 31. Dezember warnte Martin Hirsch, der Direktor der Krankenhäuser im Großraum Paris (AP-HP), dass das öffentliche französische Krankenhaussystem im Januar „zu kentern droht“, da damit zu rechnen sei, dass 25 Prozent der Belegschaft krankheitsbedingt ausfallen würden. Hirsch fügte hinzu, dass das Gesundheitsministerium das Gesundheitspersonal dazu zwinge, auch dann zu arbeiten, wenn es positiv auf Covid-19 getestet worden sei und leichte Symptome aufweise. Hirsch sagte, dass die AP-HP die Ereignisse in London, wo die Omikron-Welle schon früher zuschlug, genau verfolge, um zu sehen, wie sie betroffen sein könnten.

Derzeit sind 110.000 der 983.000 Mitarbeiter des britischen National Health Service nicht bei der Arbeit, und jeder zehnte britische Bahnmitarbeiter ist krankgeschrieben. Am 29. Dezember wurden in England 2.370 Covid-19-Krankenhauseinweisungen verzeichnet, 90 Prozent mehr als in der Vorwoche und die höchste Zahl seit Januar 2021. Auf die Situation angesprochen, sagte der britische Bildungsminister Nadhim Zahawi jedoch: „Die Daten geben mir keinen Anlass zur Sorge, dass wir aktuell etwas ändern müssten.“

Länder in ganz Europa ziehen ähnliche Änderungen der Quarantäneregeln in Betracht oder führen sie ein. Das wird die Ansteckung beschleunigen. Italien hat die Aufforderung zur Selbstisolierung für exponierte Personen, die geimpft sind, aufgehoben; die Schweiz hat die Quarantänezeiten für exponierte Personen von zehn auf sieben Tage reduziert, und diese gelten auch nur für Personen, die mit infizierten Personen zusammenleben. Ähnliche Pläne werden auch in Belgien, Deutschland und anderen Ländern diskutiert.

Die Politik der europäischen Kapitalistenklasse hat einen unverhohlen faschistischen Charakter und widersetzt sich jeder Maßnahme, um die Ansteckung mit diesem tödlichen Virus zu stoppen. In seinen kurzen Neujahrsgrüßen an das französische Volk sagte Präsident Emmanuel Macron, er werde „alles tun, um Einschränkungen zu vermeiden, die unsere Freiheiten beschneiden“. Und weiter: „Verantwortlichkeiten haben mehr Gewicht als Rechte.“

Der „Präsident der Reichen“ vertritt die Ansicht, dass das Recht der Arbeiter auf Leben und Gesundheit hinter ihrer Verantwortung, zu arbeiten und Gewinne für die herrschende Klasse zu erzielen, zurücktreten müsse. Dieses Argument wurde in einem Leitartikel der Londoner Financial Times (FT) mit dem Titel „The world must learn to live with Covid this year“ (Die Welt muss in diesem Jahr lernen, mit Covid zu leben) aufgegriffen. Hier heißt es: „Die geringe Chance, die wir Anfang 2020 noch hatten, Covid-19 zu beseitigen, ist längst vorbei. Die bisherigen Bemühungen zur Bekämpfung der Pandemie waren im Kontext eines globalen Gesundheitsnotfalls gerechtfertigt, können aber nicht unbegrenzt fortgesetzt werden.“

Um die Einstellung von Bemühungen zur Pandemie-Bekämpfung zu rechtfertigen, argumentierte die FT, dass „die Kollateralschäden an der Weltwirtschaft zu groß“ seien. Stattdessen ruft sie die Bevölkerung auf, sich auf die Immunität durch Impfstoffe zu verlassen und sich „wiederholt dem auszusetzen, was früher oder später zu einer endemischen Infektion wird“.

Die europäischen Regierungen arbeiten offensichtlich daran, die Bevölkerung wiederholt und massiv mit Covid-19 zu infizieren. Davor muss man Arbeiter und Jugendliche eindringlich warnen: Es ist ein Rezept für die massenhafte Verbreitung des Virus, das ständige Auftauchen neuer Varianten und ein endloses Massensterben.

Über 392.000 der 1,66 Millionen Covid-19-Todesfälle, die die WHO in Europa bestätigt hat, sind erst seit September 2021 aufgetreten. Dies führt selbst in Ländern mit höheren Impfquoten zum massenhaften Tod, wie z. B. in Frankreich, wo die Zahl der wöchentlichen Sterbefälle Mitte Dezember die 1.000er-Marke überschritten hat und weiter ansteigt. Außerdem deutet alles darauf hin, dass die Zahl der Todesfälle angesichts der explosionsartigen Zunahme von Infektionen und der zunehmenden Überlastung der Krankenhäuser rasch ansteigen wird.

Die Alternative zur Politik des Massensterbens der Herrschenden ist die „Zero Covid“-Politik, die in China und einigen anderen asiatisch-pazifischen Ländern verfolgt wird. Sie muss jedoch weltweit umgesetzt werden. Dies erfordert die unabhängige Organisation der Arbeiterklasse und der Jugend in Aktionskomitees in Betrieben und Schulen, um für sichere Bedingungen zu sorgen, das soziale Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz zu verteidigen und eine öffentliche Gesundheitspolitik einzuführen, die Leben rettet und die Pandemie beendet.

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