Assange darf gegen seine Auslieferung Berufung vor dem Obersten Gericht einlegen

Der britische High Court hat dem WikiLeaks-Gründer Julian Assange die Möglichkeit eingeräumt, in der Rechtssache um seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten vor dem Supreme Court, dem Obersten Gericht des Vereinigten Königreichs, Berufung einzulegen.

Assange kämpft um die Aufhebung eines High-Court-Urteils vom letzten Dezember, demzufolge er an die USA ausgeliefert werden dürfe. Der High Court hatte eine frühere Entscheidung des niedrigeren Amtsgerichts, des Magistrates Court von Westminster, umgestoßen. Dieses hatte eine Auslieferung aus gesundheitlichen Gründen für „repressiv“ erklärt.

WikiLeaks-Gründer Julian Assange in einem Gefangenentransporter nach der Gerichtsverhandlung, Westminster, London. 1. Mai 2019 (AP Photo/Matt Dunham, File)

Der High Court hatte der Berufung der USA gegen das frühere Urteil des Magistrates Court stattgegeben, obwohl er die Beweise für Assanges schwer angeschlagene physische und psychische Gesundheit anerkannte. Er bestritt nicht einmal, dass die Bedingungen, denen er in den USA ausgesetzt sein würde, wahrscheinlich zu seinem Tod durch Suizid führen würden. Der gesamte vorangegangene Prozess hatte dies klar erwiesen.

Im Wesentlichen stützte sich das Urteil vom Dezember auf angebliche Garantien der USA, dass Assanges Haftbedingungen in einem amerikanischen Gefängnis nicht so schlecht wie zuvor angenommen sein würden. Die Vertreter der USA hatten solche Garantien erst nach Monaten abgegeben, als die Frist dafür längst verstrichen war.

Diese „Zusicherungen“ der USA sind voller Vorbehalte und Schlupflöcher. Darin wird behauptet, Assange werde nicht den „besonderen Haftbedingungen“ (Special Administrative Measures, SAMs) unterliegen, einem Regime der totalen Isolation, dem zuweilen Drogenbarone und Serienmörder unterworfen werden, sowie auch Menschen , die des Terrorismus verurteilt sind.

Der High Court befand, dass der Magistrates Court vor seiner Entscheidung solche Zusicherungen hätte einholen müssen.

Am 24. Januar bestätigten die Richter nun in ihrer Antwort auf Assanges Berufungsantrag eine einzige Rechtsfrage von öffentlicher Bedeutung als Voraussetzung für eine Anhörung vor dem Supreme Court. Diese Frage lautet: „Unter welchen Umständen kann ein Berufungsgericht Garantien eines antragstellenden Staates entgegennehmen, die dem erstinstanzlichen Gericht im Auslieferungsverfahren [in diesem Fall dem Magistrates Court] nicht vorlagen.“

Assanges Awälte hatten argumentiert: „Es wirft tiefgreifende Fragen der natürlichen Gerechtigkeit auf, wenn ein antragstellender Staat seine Zusicherungen erst in der Phase des High Court erstmalig einbringt (…) Diese Fragen hat der High Court nie aufgeworfen.“

In einem erläuternden Vermerk führten Assanges Anwälte aus: „Seit langem existiert eine juristische Grundhaltung, dass sämtliche relevanten Aspekte eines Falles vor dem Bezirksrichter, der den Fall am Magistrates Court prüfen muss, bereits vorgebracht werden müssen.“ Dies sei dadurch unterlaufen worden, dass die „Zusicherungen“ der USA als „Fragen“ eingeführt worden seien, und nicht als „Beweise“. Dieser Trick habe ihre Einführung in einem späteren Stadium des Verfahrens erst ermöglicht.

Weiter heißt es dort: „Die Verteidigung argumentiert, dass man den Zusicherungen eine andere verfahrensrechtliche Stellung eingeräumt hat, obwohl sie ebenso einer genauen Beweisprüfung bedürfen wie die bereits geprüften Beweise, und obwohl der Inhalt der Zusicherungen auf die Aussagen bereits vernommener Zeugen anwendbar ist, die nicht noch einmal vernommen werden können.“

Die fragwürdigen „Zusicherungen“, die der High Court „in gutem Glauben“ akzeptiert hat, stammen von einem Staat, der seit Jahrzehnten für Lügen und schmutzige Tricks bekannt ist, und der im Umgang mit Assange (wie ein Monat vor dem Urteil des High Court bekannt wurde) ernstlich Pläne hegte, den mutigen Journalisten zu „ermorden, entführen, überstellen oder vergiften“.

Basierend auf den Aussagen von 30 ehemaligen US-Beamten hatte Yahoo! News enthüllt, dass die Trump-Administration und die CIA eine Entführung oder Ermordung von Assange erwogen hatten, als dieser 2017 als politischer Flüchtling in der Londoner Botschaft Ecuadors lebte. Die US-Anklage war zunächst als pseudo-juristischer Deckmantel für eine mögliche CIA-Überstellung gedacht.

Die Anklageschrift beruhte auf den Aussagen von Spionen und Kriminellen, wie sich im Juni 2021 herausstellte. Sigurdur „Siggi“ Thordarson, dessen Aussage auch heute noch einen wesentlichen Bestandteil der Anklageschrift ausmacht, hat zugegeben, dass alle seine substanziellen Anschuldigungen gegen Assange nur Lügen waren. Er hatte sie im Austausch gegen Immunität vor der US-Strafverfolgung vorgebracht. Berichten zufolge läuft gegen diesen Starzeugen der USA in Island eine Anklage wegen Betrugs. Er war dort bereits vor seiner jüngsten Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung wegen Kindesmissbrauchs und Veruntreuung verurteilt worden.

Was Assange betrifft, so bewegt er sich trotz der momentanen Aussetzung seiner Auslieferung auf dünnem Eis. Sein Fall betrifft das grundlegende Recht von Journalisten, Kriegsverbrechen und Folter aufzudecken. Aber die britische Justiz hat den Fall auf die Frage reduziert, auf welche Weise ein krimineller Staat einem andern die Garantien für Assanges Sicherheit geben dürfe.

Das Amtsgericht hatte die weitreichenden Angriffe der USA auf demokratische Grundrechte nicht beanstandet. Dabei wurde die Tatsache, dass ein Staat hier einen Journalisten verfolgte, der die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß über seine kriminellen Praktiken informiert hatte, vollkommen ignoriert.

Deshalb konnte Assange sich in der Berufungsverhandlung der USA nur noch damit verteidigen, dass eine Auslieferung an die USA und seine dortige Inhaftierung sein Leben aufgrund seiner psychischen Verfassung ernstlich gefährden würde. Dennoch gab der High Court der Berufung im Dezember statt.

Aus diesem Grund beschränkt sich Assanges Verteidigung nun auf die Frage, wann genau die „Zusicherungen“ hätten abgegeben werden müssen.

Der High Court wies den Einwand zurück, dass die „Zusicherungen“ wertlos seien, weil die USA sich ja bereits angemaßt hätten, sie jederzeit zu widerrufen, falls Assange gegen irgendwelche Bedingungen verstoßen oder angeblich verstoßen würde. Damit stellt sich der High Court auf den Standpunkt des Magistrates Court, der von Anfang an die Verletzung demokratischer Rechte vollkommen ignorierte.

Assanges Anwälte haben argumentiert, dass eine „repressive Behandlung“ in jedem Fall ausgeschlossen sein müsse, „unabhängig davon, ob der antragstellende Staat eine solche Behandlung mit einem bestimmten Verhalten rechtfertigen will oder nicht“. Der High Court antwortete darauf, das Argument sei keine Frage, die der Supreme Court prüfen müsse.

Es ist jetzt offiziell Sache des Supreme Court, des in Großbritannien Obersten Gerichts, Assanges Fall anzuhören. Höchst ungewöhnlich, wenn auch nicht unmöglich, wäre es, wenn er sich weigern würde, eine vom High Court bestätigte Frage zu prüfen.

Sollte Assanges Berufung jedoch keinen Erfolg haben und sein Fall an Innenministerin Priti Patel weitergeleitet werden, die seine Auslieferung noch abzusegnen hätte, dann könnten seine Anwälte noch versuchen, gegen die ursprüngliche Entscheidung des Amtsgericht Berufung einzulegen, gestützt auf die wesentlichen Fragen des Falls wie Pressefreiheit, Spionagegesetz und Auslieferungsverbot für politische Straftaten. Ob eine solche Berufung zugelassen würde, steht jedoch in den Sternen. Jedenfalls würde ein solcher neuerlicher Gang durch die Gerichte die weitere, jahrelange Inhaftierung Assanges bedeuten.

Wie auch immer das Verfahren ausgeht, die US-amerikanische und die britische Regierung setzen auf jahrelange Prozessführung, um sicherzustellen, dass Assange auch weiterhin in Haft bleibt – obwohl er keines Verbrechens schuldig gesprochen ist!

Er bleibt im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das als britisches Guantanamo Bay bezeichnet wird. Da die britische Regierung eine mörderische Durchseuchung organisiert und zulässt, dass sich die Omikron-Welle explosiv ausbreitet, bleibt auch das Gefängnis Berichten zufolge von Covid-Ausbrüchen nicht verschont. Aufgrund seines schwachen Gesundheitszustands ist Assange durch das Virus stark gefährdet. Zudem haben die wiederholten Lockdowns des Gefängnisses seine Isolation verstärkt.

Vor dem Gerichtsgebäude sagte Assanges Verlobte Stella Moris am Montag: „Solange dieser Fall nicht beigelegt wird, solange Julian nicht freigelassen wird, leidet Julian weiter. Seit fast drei Jahren sitzt er im Belmarsh-Gefängnis, und er leidet zutiefst, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr.“

WikiLeaks-Redakteur Kristinn Hrafnsson fügte hinzu: „Diese Prozessführung ist eine Bestrafung, eine schwere Menschenrechtsverletzung. Die Folter im Belmarsh-Gefängnis geht weiter. Er ist seit mehr als 1.000 Tagen dort.“

Längst hätte das Auslieferungsersuchen der USA als infames Komplott verworfen und die Verantwortlichen selbst vor Gericht gestellt werden müssen. Der Berufung Assanges müsste stattgegeben werden, und er müsste seine Freiheit sofort zurückbekommen!

Doch die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts und insbesondere der letzten drei Jahre, in denen Assange ein Gefangener des britischen Staats war, zeigen klar, dass der Justiz nicht zu trauen ist. Je offener sich der US-Fall als kriminelle Operation eines gesetzlosen Staats darstellte, desto entschiedener hat die britische Justiz behauptet, das Auslieferungsersuchen sei eine „feierliche Angelegenheit“, die mit einem Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit behandelt werde.

Assanges Freiheit und das Ende seiner Verfolgung hängen jetzt von einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse ab. Alle Regierungen, alle etablierten Parteien und bürgerlichen Medien, ob in den USA, in Großbritannien oder Australien, sind in die Angriffe auf seine legalen und demokratischen Rechte verwickelt. Diese Regierungen befinden sich im Krieg mit ihrer Bevölkerung, was sich in ihrer „Profit-vor-Leben“-Politik in der Corona-Pandemie zeigt.

Während der Rachefeldzug gegen Assange noch läuft, weil er vergangene Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, droht schon ein neuer Krieg – gegen Russland und China. Er wird noch weitaus verheerendere Folgen haben als die Kriege in Afghanistan und im Irak. Diese Kriegspolitik provoziert Widerstand in der arbeitenden Bevölkerung der Welt. Deshalb muss jeder, der Assange befreien will, jetzt diesen Widerstand politisch mobilisieren, um Assange und alle demokratischen Rechte zu verteidigen.

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